Samstag, 31. August 2019

Wo bleibe eigentlich ich, wenn der Partner psychisch krank ist?


 
Malerei: Angelika Wende

"In guten wie in schlechten Zeiten“, heißt es so schön. 
Das gilt für Ehen ebenso wie für Beziehungen. So haben wir es zumindest kollektiv gelernt und verinnerlicht. Nur was, wenn die schlechten Zeiten kommen und die guten ständig oder für lange Zeit überwiegen? Was wenn der Partner psychisch schwer krank wird oder sich eine psychische Krankheit verschlimmert? Was wenn er eine Depression gleitet, in eine Angststörung, in eine Psychose oder in eine Sucht abrutscht?

Dann hat er ein Problem. Dieses Problem führt zu einem Problem in der Beziehung.
Der kranke Mensch verändert sich und damit verändert sich automatisch die Beziehung.
Die Krankheit steht ab dem Punkt wo sie auftritt, im Mittelpunkt beider Leben und je weiter sie fortschreitet, desto mehr beherrscht sie die Beziehung auf allen Ebenen.

Mein Partner ist krank, aber wer denkt an mich?
Das fragen sich Betroffene, die mit einem kranken Menschen zusammenleben.

Wenn wir mit einem Menschen mit psychischen Herausforderungen in Beziehung sind, verändern sich unweigerlich die Rollen. Der vormals Gesunde wird zum Erkrankten.
Er ist in seinem ganzen Wesen zutiefst erschüttert. Es kommt zu fundamentalen Veränderungen im Erleben, im Fühlen und im Verhalten. Die vertraute Rolle, die er vormals in der Beziehung eingenommen hat rutscht weg - der Kranke ist die meiste Zeit mit sich selbst und seiner Krankheit beschäftigt. Das Gleichgewicht in der Beziehung löst sich auf. Die Partner sind nicht mehr auf Augenhöhe. Der Kranke leidet und der Partner leidet mit unter seiner Erkrankung. Der Kranke ist plötzlich nicht mehr derselbe Mensch. Er ist vor allem eins: Er ist hilfsbedürftig. 

Der Gesunde ist nicht nun nicht mehr nur Partner, er ist auch Helfer, Unterstützer Krankenschwester, Pfleger oder Therapeut. Er weiß nicht mehr: Wo hört die eine Rolle auf und wo fängt die andere an?
Es sind überwiegend Frauen, die sich leichter in die Rolle der Pflegenden begeben und auf eigene Bedürfnisse und Ansprüche verzichten. Das besagt eine amerikanische Studie. So müssen kranke Frauen mit einer Scheidungsquote von 21 Prozent rechnen. Bei kranken Männern liegt die Scheidungsquote bei nur drei Prozent.  

Die Krankheit wirkt sich aus - auf beide.
Wie verheerend sich zum Beispiel eine schwere Depression auf den Partner auswirkt zeigen Studien. Über siebzig Prozent entwickeln Schuldgefühle und/oder fühlen sich sogar mitverantwortlich für die Erkrankung und die Genesung des Lebensgefährten. Sechzig Prozent reagieren frustriert, wütend und gereizt.
 
Wie kommt es dazu?
Häufiges Klagen, Jammern, Selbstmitleid, emotionale Unereichbarkeit und zunehmende Passivität im Lebensalltag führen dazu, dass der Partner eine lange Zeit mitfühlend, verständnisvoll und unterstützend reagiert und alles tut um den Erkrankten zu schonen. 
Er gibt sein Bestes um dem Erkrankten und seinen Klagen Beachtung zu schenken und ihm zu helfen, irgendwann aber ist er seelisch und mental überfordert und die verstehende empathische Haltung wandelt sich in Ablehnung. Dies wiederum führt zu Schuldgefühlen. Die Ohnmacht nichts bewirken zu können wird abgewehrt und wandelt sich in passive Aggression oder Wut. In Wut auf die Krankheit, auf den Kranken und auf sich selbst, weil man doch weiß, dass der Andere nichts für seine Krankheit und was sie mit ihm macht, kann. Diese Wut führt wiederum zu Schamgefühlen. Ein Teufelskreis.

Die Beziehung zum anderen wird zunehmend negativ eingefärbt, was die Qualität einer Beziehung auf Augenhöhe weiter mindert. Bleibt die Krankheit unverändert bestehen oder verschlechtert sie sich sogar, vielleicht weil der Kranke sich keine professionelle Hilfe sucht oder diese aus welchen Gründen auch immer ablehnt, reagiert der Partner mit Frustration, Resignation und schließlich mit Erschöpfung. 
Er zieht sich innerlich mehr und mehr zurück. Der Erkrankte, der geplagt ist von Schamgefühlen, Wertlosigkeit und der Angst für den Partner unattraktiv zu sein, fühlt sich dann zurückgewiesen und als Mensch abgewertet und unverstanden. Die Abwärtsspirale nimmt ihren Lauf.

Auch die Erotik wird durch eine chronische psychische Erkrankung beeinflusst, selbst wenn es keine körperlichen Beschwerden gibt, die zu Einschränkungen führen. Wir sind mehr als unser Körper und das zeigt sich dann. Der, den man liebte ist nicht mehr der Mensch, den man einst begehrte. Die Attribute, die ihn begehrenswert machten ebenso wie die Aufmerksamkeit, die er schenkte, lösen sich in der Erkrankung auf.  Er hat keine Kraft mehr für den Partner und die Beziehung, er braucht alle Kraft für sich selbst. Sexuelle Lust, Leichtigkeit und Lebendigkeit gehen verloren ob der Schwere des Leides.

Der Kranke ist nur noch mit sich selbst und seinen Bedürfnissen beschäftigt. Der Partner leidet darunter, dass seine eigenen Bedürfnisse mehr und mehr in den Hintergrund geraten, nicht mehr gesehen und nicht mehr erfüllt werden. Er fühlt sich einsam und verlassen.  
Der Helfer wird mit der Zeit selbst zum emotional Bedürftigen und bekommt zusehends weniger als er gibt. Die Balance in der Beziehung kippt vollends. Zurück bleiben zwei verzweifelte Menschen, die sich gegenseitig nicht mehr viel geben können.  
  
Gehen oder bleiben?
Die Grenze zwischen Zuwendung und Selbstschutz, sprich Selbstfürsorge, ist eine große Herausforderung für den gesunden Partner.
Niemand verlässt eine Beziehung leichten Herzens, schon gar nicht, weil der Partner krank ist. Beziehungen sind das Elementarste was wir im Leben haben - die Beziehung zu einem geliebten Menschen, aber auch, und das vergessen viele - die Beziehung zu uns selbst. Und um die geht es in diesem Falle eben auch.

Der gesunde Partner sollte lernen sich trotz der Liebe und Zuneigung zum kranken Partner zu schützen. Er sollte lernen achtsam mit seinen psychischen, mentalen und physischen Kräften zu haushalten. Das erfordert das klare Erkennen der Grenzen der eigenen Belastbarkeit sowie Disziplin und Konsequenz im eigenen Handeln. Es geht letztlich immer um uns selbst und dass wir gut für uns sorgen. Und das hat nicht mit Egoismus zu tun.

"Make safe number one first," sagen die Fallschirmspringer. Was bedeutet: Nur wenn wir selbst seelisch stabil, mental und körperlich gesund sind, können wir auch für andere da sein. 
Wer ausgelaugt ist hat nichts mehr zu geben. Gelingt die Selbstfürsorge nicht, führt der Weg im Zweifel unweigerlich in die eigene Krankheit, denn chronsiche Überforderung erhöht das Risiko für Depressionen, Burn-Out, Angststörungen und körperliche Erkrankungen. 

Auch wenn es wichtig ist es, die Krankheit als gemeinsame Aufgabe in der Beziehung zu betrachten und anzunehmen, darf sie nicht das Leben von zwei Menschen derart beherrschen, dass sie zum Mittelpunkt wird, der alles beherrscht.
Vielen betroffenen Paaren fällt es schwer damit klar zu kommen, dass die Normalität nicht mehr aufrechtzuhalten ist. Sie geht verloren und vieles was einst den Wert, den Sinn und die Qualität der Beziehung ausmachte. Da ist viel Trauer, viel Angst, viel Wut, viel Entäuschung und Verzweiflung auf beiden Seiten - starke Gefühle, die bewältigt werden müssen. Die Liebe verändert sich. War sie einst vielleicht mehr auf Romantik, Erotik, Leichtigkeit, Freude und gutem Teamwork gebaut, besteht sie plötzlich aus Leid, aus Kampf gegen die Krankheit, auf Einschränkungen für beide, auf Trost, Unterstützung und Fürsorge. Der Faktor Krankheit hat Konsequenzen für die Dynamik in der Beziehung. Das erfordert einen völlig neuen Umgang mit der Partnerschaft. 

Eine schwere Krankheit, ob psychisch oder körperlich, ist immer auch ein Abschied, ein Verlust von dem was vorher war. Und auch vielleicht so nie mehr sein wird, denn im Erleben dessen was ist, verändern sich Menschen und Beziehungen. Die Säulen des alten Lebenskonstruktes werden erschüttert. Träume und Wünsche gehen verloren. Das ist viel, zu viel um als Paar damit so einfach klar zu kommen. Sie brauchen, wollen sie ein Paar bleiben, Beziehungsbewahrungsstrategien.
Daher ist es von immenser Bedeutung, dass sich beide helfen lassen.
Der Kranke indem er sich professionelle Hilfe sucht, der Partner indem er sich selbst weiter als eigenständigen Menschen, mit all seinen Bedürfnissen und Wünschen wahrnimmt und gut für sich selbst sorgt. Auch eine Paartherapie ist hilfreich.

Partner sollen Partner bleiben. Darum gehören psychische Krankheiten in die Hände von professionellen Helfern. Wird keine Hilfe gesucht oder angenommen, wirkt sich das destruktiv auf die Beziehung aus, bis hin zum Beziehungsaus.

Donnerstag, 29. August 2019

Du kannst nichts festhalten

Foto: A.Wende

Manche Menschen vertreten sogar den Glaubenssatz: Ich kann nicht loslassen oder loslassen funktioniert per se nicht, weil der Mensch dazu nicht fähig sind.
Diese Menschen könnten sich einmal ganz still hinsetzen und atmen, einfach bewusst atmen und dabei ihren Atem beobachten. Dann könnten sie spüren, das loslassen von ganz alleine geht. Wir atmen ein und atmen aus und beim ausatmen lassen wir den Atmen los. Das geht wie gesagt ganz von selbst. Ohne Anstrengung, ohne Kontrolle auszuüben. Wir erzwingen nichts - es geschieht.
Die meisten Menschen assoziieren Loslassen mit Schmerz und Verlust, sodass das Loslassen möglichst vermieden wird. Loslassen hat mit Kontrollverlust zu tun. Und Kontrollverlust macht Angst. Also halten sie fest und behalten so scheinbar die Kontrolle, die wiederum ihre Angst reduzieren soll.
Wir alle wissen tief drinnen wie loslassen geht. Wir sind uns dessen nur nicht bewusst. Und wir können es nicht so leicht umsetzen, auch wenn wir uns dessen bewusst sind.

Warum ist das so?
Wir sind auf Festhalten konditioniert.
In einer Gesellschaft in der das Haben über dem Sein steht, geht es darum was wir haben festzuhalten. Und immer mehr zu haben.
All das Greifen und Festhalten scheint endlos zu sein.

Wir strengen uns an festzuhalten, was wir haben.
Wir denken darüber nach, wie wir es festhalten können.
Wir machen Pläne wie wir es festhalten können.
Wir wollen ein Commitment, wir wollen Verbindlichkeit, wir wollen vor allem Sicherheit.
All das fordern wir ein um das festzuhalten von dem wir glauben, dass wir es unbedingt brauchen.
Manche brauchen sogar ihre Probleme. Manche Menschen halten sogar an ihrer Angst, an ihrer Wut, an ihrem Leiden, an unglücklichen Beziehungen, an krankmachenden Jobs fest. Sie halten fest an dem, was sie runterzieht.

Je mehr wir uns auf das Greifen und Festhalten focusieren, desto weniger gelingt es uns loszulassen. Desto größer wird die Angst. 

Loslassen bedeutet: Zu akzeptieren was ist, es sein zu lassen, die Dinge fließen und sich entwickeln zu lassen, sich dem Prozess zu überlassen, der geschieht, egal ob und wie sehr wir uns bemühen den Status quo festzuhalten.

Nicht loslassen können ist der Widerstand zu der Gewissheit, dass alles vorbeigeht.
Alles geht vorrüber. Alles wandelt sich.
Du kannst nichts festhalten, egal wie sehr du kontrollierst, egal was du tust. Was gehen will geht.
Die Erfahrung sagt auch: Du musst dich nicht immer so furchtbar anstrengen, manchmal reicht es auch dich weniger anzustrengen. Weniger anstrengen gelingt dann, wenn wir akzeptierende Haltung einnehmen. Das entspannt ungemein. Zufriedenheit und innerer Frieden entstehen nicht durch Festhalten, nicht durch Kontrolle, sondern durch das sein lassen von Kontrolle.

Man kann das Loslassen nicht tun, man kann nur das Tun loslassen.


Namaste

www.wende-praxis.de

Mittwoch, 28. August 2019

Es darf nicht heilen


Foto: Alexander Szugger

Immer wieder erlebe ich in der Praxis Menschen, die man in der Psychologie als Therapeutenkiller bezeichnet. Die Therapie fungiert hier als Ersatz für all das, was die Betroffenen im Leben nicht finden können: stabile Beziehungen, Aufmerksamkeit, Mitgefühl und Zuwendung. Wenn diese Menschen in der Praxis auftauchen, berichten sie meist davon wie viele Therapeuten, Klinikaufenthalte und Berater sie schon aufgesucht haben, die ihnen alle nicht helfen konnten. Seltsamerweise sind sie aber durchaus arbeitsfähig, manche sogar erfolgreich im Beruf und zeigen meist narzisstische Züge.  

Es sind Menschen die schwere Probleme haben unter denen ihr Leben auf allen Ebenen leidet, die aber keine Veränderung schaffen. Fragt man sie, ob ihnen eine Therapie bisher helfen konnte, kommt ein: Nein, überhaupt nicht, oder: Die haben alle keine Ahnung. Das ist der Moment in dem ich erst einmal tief durchatme, weil ich weiß was kommt.
Im Lauf des Coachings zeigt sich schnell, ganz gleich was ich frage, was ich sage, was ich tue, ganz gleich was ich anbiete, egal welche Übungen ich vorschlage - der Klient lehnt innerlich alles ab. Er bleibt seinem Gedankengebäude, seinem Gefühlshaus, seinen Überzeugungen und Handlungsmustern treu. Er kommt um zu klagen.

Klagende (den Begriff verwende ich hier nicht despektierlich), sind sehr gut in der Lage, ihr Problem ausführlich zu beschreiben. Manche sind sogar ausgesprochene Spezialisten auf dem Gebiet ihres Problems.  
Manche haben sich selbst eine psychologische Diagnose gegeben oder beharren fest auf der Diagnose eines anerkannten Spezialisten. Das Problem des Klagenden ist, er sieht sich selbst nicht zwingend als einen Teil der Lösung sondern fühlt sich als Opfer. Er ist der festen Überzeugung, dass die Lösung seines Problems von außen kommen muss oder glaubt, dass jemand anderes sich ändern muss, damit es ihm besser geht. Aus dieser Opferrolle heraus kann der Mensch natürlich nicht handeln und sich nicht wandeln.

In der Arbeit mit Klagenden kommt oft das Gefühl auf, dass wir uns Sitzung für Sitzung im Kreise drehen. Immer wieder wird das Problem von allen Seiten beleuchtet und beschrieben. Es kommt zu unproduktiven endlosen Wiederholungsschleifen, die anstatt etwas zum Besseren zu wenden nur dazu führen, dass das Problem sich weiter aufrecht erhält oder gar negativ verstärkt. 


Wo ist das grundlegende Problem?
Diese Menschen wollen unbewusst keine Veränderung. Sie brauchen vielmehr einen Zuhörer und die wiederholte Würdigung ihrer gefühlt ausweglosen Lage. Sie fordern immer wieder Verständnis dafür ein, dass sie ihr Problem nicht lösen können, weil es so furchtbar schwer ist und sie nicht die Kraft haben.

Der Klagende will klagen. Er hat keinen Impuls etwas zu tun, um seine Situation konstruktiv zum Besseren zu verändern. Ihm fehlt die innere Bereitschaft und Einsicht. So kann er natürlich keine Eigeninitiative ergreifen und handlungsfähig werden.
Die Arbeit mit einem Klagenden ist eine Herausforderung. Es ist eine Sysiphosarbeit diesen Menschen aus seiner Opferrolle herauszuholen, in der er sich über Jahrzehnte eingerichtet hat. 
Man braucht eine Engelsgeduld und viel Empathie. Es fühlt sich an als sitzt der Mensch in einem Käfig und hält die Tür mit aller Macht von Innen zu.

Was geht im Klagenden vor?
Diese Menschen tragen ein mächtiges Inneres Kind in sich. 
Dieses Kind hat nur ein minimales Repertoire an Bewältigunsgmechanismen zur Verfügung. 
Der erwachsene Anteil ist so identifiziert mit der erlernten Hilflosigkeit des Inneren Kindes, dass er sich dessen nicht einmal bewusst ist.
Im Coaching trifft dieses Kind nun auf die "gute" Mutter, die es erlösen soll.
Und zwar indem sie ihm das gibt, was das Kind nicht bekommen hat: Aufmerksamkeit, Verstehen, Annahme und Würdigung seines Leides, seiner Angst, seiner Ohnmacht, seiner Verzweiflung.
Dazu ist das Leid gut. Das ist der Sinn der Klage. Das ist der sekundäre Krankheitsgewinn, der Gewinn, den ein körperlich oder seelisch kranker Mensch durch ein bestimmtes Symptom erfährt, durch das auf irgendeiner Ebene - seelisch, geistig oder körperlich eine Befriedigung entsteht. Beim Klagenden ist der Gewinn, dass er emotional versorgt wird.

Es darf nicht heilen, denn würde es heilen - so die unbewusste Überzeugung - bin ich verloren.
Die alte Angst des verlassenen Kindes hat die Macht und den Erwachsenen im Griff. Die alte Angst, das vernichtende Gefühl alleine und hilflos auf sich selbst gestellt zu sein und so unterzugehen, macht Todesangst. Die Verantwortung zu übernehmen, erwachsen zu werden ist die Terra Incognita und somit die ultimative Bedrohung.

Das Klagen ist die "Waffe", die eingesetzt wird um diese Bedrohung abzuwehren und das zu bekommen was man so nötig braucht: Zuwendung. Diese Waffe darf um keinen Preis zur Seite gelegt werden, denn aufgrund der nicht gelernten Bewältigungsmechanismen ist keine Alternative vorstellbar. 

Aber es gibt eine Alternative. 
Die Alternative heißt: Eigenverantwortung lernen.  
Und genau das darf dieser Mensch tun. Das ist seine Aufgabe.
Wenn der Klagende beginnt Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, kann es gelingen nach und nach aus der Opferrolle auszusteigen. Es ist ein langer schmerzhafter Weg, der viele verdrängte Gefühle nach oben bringt, die es gilt aushalten zu lernen. Dieser Weg beginnt damit zu verstehen, dass kein anderer etwas für uns tun kann, was wir nur selbst erledigen können. Ich kann meinen Klienten beistehen, aber tun was notwendig ist um heiler zu werden, müssen sie selbst. Sie dürfen lernen was es heißt ihre Werkzeuge, die wir gemeinsam finden, zu benutzen und zwar jeden einzelnen Tag. Einen Menschen, der nicht heilen darf, weil sein inneres Kind es nicht zulassen kann, auf seinem Weg zu begleiten ist eine Übung in Geduld und Langmut, für beide, Klient und Coach. Und er setzt den unbedingten Willen des Klienten voraus seiner existenziellen Angst ins Gesicht zu sehen und sich ihr zu stellen.  Der Weg lohnt sich, denn die Alternative ist eine lebenslange Abhängigkeit von anderen, um zu überleben.





 


Montag, 26. August 2019

Akzeptanz

Foto: www

Was ich akzeptieren muss, ob ich will oder nicht:
Die Tatsache, dass ich keine Macht über andere Menschen habe.
Wofür ich mich entscheiden kann:
Anzunehmen, was ich nicht ändern kann.
Was heißt das?
Es heißt nicht, ich muss mögen, was um mich herum passiert oder wie ein Mensch sich mir gegenüber verhält.
Noch heißt es, ich muss damit einverstanden sein.
Annehmen heißt: Ich lasse sein, was ich nicht ändern kann.
Ich darf mir meine Ohnmacht eingestehen.
Und die Wut, die ich empfinde.
Ich kann lernen diese Gefühle auszuhalten.
Ich kann damit aufhören, Menschen, Dinge oder Situationen ändern zu wollen, die ich nicht ändern kann.
Ich kann anerkennen, dass das nicht in meinem Einflussbereich liegt.
So lerne ich loszulassen.
Wenn ich loslasse kommt innerer Frieden.

Freitag, 23. August 2019

Der Raum zwischen Reiz und Reaktion


Wir reagieren meist rasch und zwanghaft in Mustern, die uns schaden. Es ist wie ein Automatismus, der uns in den Fängen hat. Wir springen in das erste Gefühl, das hochkommt und lassen uns davon überfluten. Wir folgen dem ersten Gedanken, der uns in den Sinn kommt und grübeln dann in Endlosschleife darüber nach. Wir spucken das erste Wort aus, das uns auf der Zunge liegt.

Das ist das Problem: Wir reagieren ohne zu reflektieren.

Wir überspringen den Raum, der zwischen Reiz und Reaktion liegt. So enstehen Konflikte, innen wie außen. Wir reagieren reflexartig, anstatt bewusst zu agieren.

Wenn wir unkontrolliert reagieren bedeutet das - wir haben die Kontrolle verloren, dann ist da jemand oder etwas, das oder der uns kontrolliert.
Wir lassen es zu, anstatt den Raum zu nutzen, der zwischen Reiz und Reaktion liegt, zu unserem Besten, für unser Seelenheil.

Reflexhaftes Reagieren ist menschlich. Wir kennen es nicht anders, wir machen das schon immer. Wir können aber lernen es nicht mehr zu machen. Wir können lernen uns selbst zu kontrollieren, im besten Sinne, denn nur dann werden wir nicht von dem kontrolliert was uns angreift, triggert und unsere Gefühle hochschießen lässt.

Wir lernen.
Wir erlauben etwas oder jemanden nicht mehr zu bestimmen wie es uns geht.

Wir üben Ruhe zu bewahren.
Weil wir wissen: Aus der Ruhe zu geraten hilft nicht.
Wir atmen erst einmal tief ein und aus.
Wir lernen vieles nicht mehr so ernst zu nehmen.
Wir lernen Gefühle zu haben und identifizieren uns nicht mehr mit ihnen bis sie uns im Griff haben.
Wir geben unsere Ruhe nicht auf, wenn uns jemand angreift.
Wir reagieren nicht mehr reflexartig und nutzen den Raum zwischen Reiz und Reaktion.
Wir atmen und bleiben bei uns.
Und dann entscheiden wir, wie wir reagieren wollen.
Und ja, das ist schwer.
Aber das es leicht ist, hat keiner gesagt.


"Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit."
Viktor Frankl




Dienstag, 20. August 2019

Alles was sein kann, darf sein





Die größte Blockade für innere und äußere Veränderungen ist der Widerstand dagegen etwas aufzugeben, von dem wir glauben, dass es zu uns gehört, ganz gleich was es ist, sowie der Glaube: "Was nicht sein kann, darf nicht sein".
Nehmen wir als Beispiel die Vergangenheit um an meinen gestrigen Text anzuknüpfen.
Wir können sagen: Ja, das ist meine Vergangenheit, ja sie gehört zu mir, ja sie hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich bin. Das ist wahr und das ist okay, auch wenn sie nicht schön war: Es ist okay.

Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber wir können sie akzeptieren. Das macht das Leben im Jetzt leichter.
Manche Menschen mögen es gar nicht leicht haben.
Sie wollen festhalten am Alten, an Glaubensmustern, an Überzeugungen, an Vergangenem.
Unbeweglich und starr klammern sie sich an das Alte, das sich längst überlebt hat, weil es vermeintlich Sicherheit gibt oder weil sie sauer auf das Leben sind, das es nicht gut mit ihnen gemeint hat und meint. Und dann muss als Erkärung die ungute Vergangeheit herhalten. Ist doch schön, wenn ich im Außen einen Grund finde, warum alles so bescheiden ist und so gar nicht, wie ich es gern hätte.
Dann bin ich raus aus der Verantwortung für mein Jetzt.
Ich bleibe bei der Überzeugung: Weil das alles so war, bin ich so, ist es so.

Das ist wahr. Wir sind auch Erinnerung, wir sind auch unsere Biografie.
Was aber nicht heißt, das BIN ich. Und ohne meine Vergangenheit BIN ich nichts.

Oh nein, wie sind so viel mehr als unsere Vergangenheit.
Wir können uns zum Beispiel trotz dieser Vergangenheit immer wieder neu erfinden.
Was nicht heißt, dass alte Erfahrungen gelöscht werden.
Sie sind Teil von uns, festgeschrieben in jeder Zelle unseres Seins, aber da gibt es so viel mehr als diesen Teil, wenn wir mal genau hinsehen. Und das dürfen wir entdecken, wenn wir wollen. Neugierig, mutig, experimentierfreudig. Neues lernen, Neues erfahren, Neues ausprobieren im Jetzt.

Wer darauf beharrt, dass die Vergangenheit ihn zu dem gemacht hat, der er ist und bleiben wird, verpasst ein Abenteuer, das größte Abenteuer überhaupt: Sich selbst.
Auf etwas beharren schafft Widerstand.
Auf etwas beharren stockt den Fluss des Lebens.
Bewegung ist mühsam, Starre macht sich breit.
Angst und Lähmung.
Groll und Enttäuschung.
Resignation und Bitterkeit.
Am Ende gar Verzweiflung.

Alles was unser Wachstum verhindert ist in meiner Welt ungut. Und wenn das meine Vergangenheit ist, die das Wachstum verhindert, dann wende ich mich genau diesem Thema zu. Und wenn ich das hundertfach tun muss, um es zu lösen. Und wenn ich unzählige Wege ausprobieren muss um das zu lösen.
"Alles was sein kann, darf sein."
Und ...
Alles, alles ist vergänglich.
Vergänglichkeit ist - zwischen Anfang und Ende.
Aber bevor mein Leben an seinem Ende angelangt ist, bin ich dankbar jeden Tag neu entscheiden zu dürfen, was ich sein will, wer ich sein will, wie ich meine Tage gestalten will - im Jetzt. Dass das nicht leicht ist weiß ich, aber das Leichte geschieht von selbst, das Schwere zu tun, um es leichter zu haben, ist Arbeit.

An der Vergangenheit hängt der, der keinen Mut für das Jetzt hat.

Sonntag, 18. August 2019

Unter den Blicken der anderen


Foto: Reinhard Berg

Unter den Blicken der anderen sind wir nicht wir selbst.
Wie oft verstellen wir uns, geben vor etwas zu sein was wir nur sein mögen oder glauben sein zu müssen, aber nicht sind. Manchmal haben wir sogar Angst vor den Blicken der anderen. Wir fürchten uns vor ihrem Urteil. Wir tun Dinge, die wir nicht tun wollen, um dieser Beurteilung zu entkommen, weil wir sie nicht zu ertragen glauben und verraten uns selbst.
Wir erfüllen Erwartungen.
Wir wollen gemocht werden, anerkannt werden, geliebt werden. Wir wollen dazu gehören. Wir wollen auf keinen Fall alleine dastehen mit unserer Meinung, unserer Lebensweise, unserer Wahrheit, unserem Sosein, mit uns selbst.
Wir ergeben uns so Vielem.
Wir glauben sie nicht auszuhalten - die Blicke der anderen.
Und dafür verbiegen wir uns. Und verlieren uns selbst aus den Augen - unter den Blicken der anderen.


"Ich will nur wissen, was dich von Innen hält, wenn sonst alles wegfällt.
Ich will nur wissen, wonach du innerlich schreist, ob du zu träumen wagst.
Ich will nur wissen, ob du enttäuschen kannst, um dir selber treu zu sein.
Ich will nur wissen, ob du bereit sein kannst wie ein Narr auszusehen um deiner Liebe willen, um deiner Träume willen.

Ich will nur wissen ob du mit mir in der Mitte des Feuers stehst und nicht zurückschreckst."
Das sind Zeilen aus der "Einladung" von Oriah Mountain Dreamer.

Das sind starke Worte für starke authentische Menschen, die sich selbst folgen, die sich selbst treu sind, die sich für ihre Freiheit entscheiden, die voller Selbstvertrauen ihren Weg gehen, trotz der Angst, frei von den Blicken der anderen, den Blick nach Innen gerichtet - um ihrer Liebe willen, um ihrer Träume willen.

Mögen es viele werden.

Samstag, 17. August 2019

Betrug, eine Erschütterung der ganzen Person




Zeichnung: A. Wende

"Es gibt kaum ein Unterfangen, das mit so ungeheuren Hoffnungen und Erwartungen begonnen wird und das mit einer solchen Regelmäßigkeit fehlschlägt wie die Liebe", schreibt Erich Fromm.
Die Erfahrung vieler von uns sagt: Ja, so ist es.
Wir alle wollen geliebt werden, wir suchen den Einen, die Eine, die uns das gibt, diese eine Liebe. Und die soll bleiben wenn wir sie endlich gefunden haben, für immer und ewig. Sie bleibt oft nicht. Irgendwann ist es vorbei. Die Liebe geht, warum auch immer. Es gibt tausend Gründe. Was aber wenn die Liebe bleibt und wir trotzdem gehen, weil die Beziehung einen tiefen Riss bekommen hat, der nicht mehr zuheilen will? 

Anna weint. Sie weint jedes Mal, wenn sie zu mir kommt. Sie ist blass. Unter ihren Augen liegen tiefe Schatten. Sie schläft schlecht, sie ist ständig krank. Sie lebt ihr Leben als Schatten ihrer selbst. Sie spürt nicht mehr viel für andere, auch sich selbst spürt sie nicht mehr. Nur Schmerz, sagt sie, einen dumpfen Dauerschmerz. Manchmal wenn ich in die Stadt gehe um Einkäufe zu machen, muss ich plötzlich ganz schnell wieder nach hause gehen, weil ich anfange zu weinen. Es kommt einfach so, ich kann das gar nicht steuern. Es fließt aus mir heraus. Ich habe Schwierigkeiten mit dem Leben. Das ganz normale Leben, ich weiß nicht, aber irgendwie funktioniert das nicht mehr.
Seit etwa einem Jahr kommt Anna schon zu mir in die Praxis. Es gibt auch gute Phasen. Phasen in denen sie sich besser fühlt. Stärker und hoffnungsvoller. Leider halten sie nicht an. Immer wieder ist Anna am Boden zerstört. Ich habe ihr vorgeschlagen in eine Psychosomatische Klinik zu gehen. Anna will das nicht. Sie sagt, sie will so lange darüber reden bis es gut ist. Ich sage, das ist okay. Ich höre ihr zu. Immer wieder dem immer Gleichen. Ich spüre ihren Schmerz, weil ich ihn kenne. Ich weiß, dass er Zeit braucht um zu erträglicher zu werden. Wie viel Zeit, weiß ich nicht. Wir nehmen uns Zeit.

 
Ich liebe ihn, sagt sie immer wieder. Ich liebe ihn wie ich noch keinen Mann geliebt habe. Als er in mein Leben trat, war es als wäre ich endlich angekommen. Alles war so selbstverständlich. Es war ein tiefes Einverständnis, ein tiefes Verstehen. Unsere Seelen haben sich berührt, wir haben einander gespürt. Ich dachte dieses Mal ist es für immer. Ich habe ihm vertraut. Blind, ihn und seine Liebe nie angezweifelt. Er hat mir das Gefühl gegeben so wie ich bin, bin ich okay, egal was ich tat, er hat mich genommen wie ich bin. Und wenn es Streit gab, hat er alles verziehen und ich habe ihm alles verziehen. Anna liebt den Mann noch immer. Aber sie versteht ihn nicht mehr. Sie versteht nicht, dass er sie betrogen hat.

Es ist ein Jahr vergangen seit es geschah. Anna sitzt noch immer vor mir in einer Fassungslosigkeit für die es keinen Namen gibt. Das macht es so schwer, sie kann es nicht fassen. Sie kann nur spüren, was es mit ihr macht. Der Betrug hat ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Noch immer ist sie trittunsicher. Sie vertraut dem Mann nicht mehr, sich vertraut selbst nicht mehr, fragt sich immer wieder, wie sie sich so in ihm getäuscht haben kann. Sie sagt, sie vertraut dem Leben nicht mehr, das ihr den Mann geschickt hat und dann genommen. Es ist als sei etwas eingestürzt und über ihr zusammengebrochen. Sie liegt noch immer unter dem Schutthaufen. 

Der Mann kämpft um Anna. Es tut ihm leid. Er will sie nicht verlieren. Sie ist geblieben bis jetzt. Aber sie sehen sich nicht mehr so oft. Sie berühren sich nicht mehr oft. Wenn er sie berührt, legt sich das Gesicht der anderen Frau über das seine. Das erträgt Anna nicht. Sie spürt Ekel. Sie reden viel und wenn sie reden, reden sie über das, was war und nie mehr so sein wird. Sie hoffen, dass es irgendwann vorbeigeht, Annas Schmerz und seine Schuldgefühle. Weil sie sich lieben, weil es so viel mehr gibt zwischen ihnen als den Betrug. Aber der ist groß, zu groß um das andere wieder lebendig werden zu lassen. Anna schafft es nicht wieder Vertrauen zu fassen. Sie will, sagt sie immer wieder, sie will es seit einem Jahr. Ihr Wollen nützt ihr nichts.
Annas Geschichte ist tragisch. Sie liebt und kann nicht bleiben. Sie muss den Mann verlassen, sie weiß es, aber sie findet nicht die Kraft es zu tun. Sie vertraut nicht mehr in sich selbst. Ihr Selbstvertrauen ist tief erschüttert. Das Wesentliche was erschüttert ist, ist ihr Bindungsgefühl. 

Als Kind hat Anna keine sichere Bindung erleben dürfen. Sie war ungewollt, das hat man sie spüren lassen. Immer wieder hat sie anstatt Angenommensein und Liebe, Zurückweisung und Demütigung erfahren. Das sitzt tief. Das hat der Betrug wieder nach Oben geholt. Anna ist retraumatisiert.
Betrogen worden sein ist für die meisten von uns eine tiefe seelische Erschütterung. Für Anna aber ist es ein existentielles Drama. 
Sie war sicher, den Partner gefunden zu haben, für den sie wichtig und bedeutsam ist. So hat es sich angefühlt. Sie ist davon ausgegangen, dass er für sie da ist, dass sie ihm genauso viel bedeutet wie er ihr. Sie hat vertraut. Ab dem Moment, in dem sie erfahren hat, dass der Partner fremdgegangen ist, gelang es ihr nicht mehr dieses Bindungsgefühl zu bewahren. Das Vertrauen, was das Bindungsgefühl ausmacht, wurde durch sein Fremdgehen erschüttert. Annas Seele ist seither in einer eine Art Daueralarmzustand. Durch den Betrug wurde die Urwunde aufgerissen und ihr wurde eine neue Wunde zugefügt. Das ist zu viel für die Psyche. Annas Seele hat einen schweren Schaden erlitten. Und so fühlt sie sich: beschädigt. 

Dieses Gefühl macht sie hilflos. Sie kann keinen Zusammenhang herstellen zwischen dem Betrug und ihrer Beziehung. Alles was sie und den Mann verbunden hat erscheint ihr seitdem in einem anderen Licht. Alles was sie erlebt haben, alles was sie verbunden hat, gilt nicht mehr. Es ist entwertet. Ihre Liebe erscheint ihr wie eine Illusion, die sie sich gemacht hat. Sie vertraut ihrer Wahrnehmung nicht mehr. Sie erlebt sich selbst als entwertet. Sie empfindet Scham. Es fühlt sich an wie die Vernichtung meiner ganzen Person, sagt sie.

Um  mit dem Schmerz umzugehen, hat sie ihn immer wieder in Wut und Hass umgewandelt. Geholfen hat es nichts. Anna kann den Mann nicht hassen. Sie will ihn weiter lieben und kann ihn nicht mehr lieben, weil die Verletzung, die er ihr zugefügt hat aus seiner Nichtliebe entstanden ist. So empfindet sie es.  Der Mann sagt, es sei keine Liebe im Spiel gewesen. Es sei reiner Sex gewesen, ohne Bedeutung. 
Ohne Bedeutung war ich für ihn als er es getan hat, sagt Anna. Und dann kommt die Wut. In der Wut fühlt sich Anna stärker. Weniger ohnmächtig. Aber die Wut ist reine Abwehr um die Ohnmacht und den Schmerz nicht spüren zu müssen. Die Wut erlöst sie nicht. Sie wünscht sich Erlösung von dem, der ihr das angetan hat. Auch darum hält sie an dem Mann fest.

Aber der Mann kann emotional nicht nachvollziehen, was er in Anna ausgelöst hat. Das wertet ihn in Annas Augen ab, so hat sie ihn nicht gesehen. Ihr Bild von ihm wird weiter erschüttert und zugleich das Vertrauen in sich selbst, weil sie sich fragt, wie sie sich so in ihm getäuscht haben kann. Er ist ihr fremd geworden. Sein „Es war bedeutungslos, es tut mir leid“, hilft ihr nichts. Damit übernimmt er emotional nicht die Verantwortung für sein Handeln. 
Anna wünscht sich sein Eingeständniss, dass er in diesem Moment in der Zeit nur an sich selbst und seine Bedürfnisse gedacht hat und nicht an Anna und ihre gemeinsame Beziehung. In diesem Moment war sie für ihn ohne Bedeutung, wertlos. Es war ihm egal ob er sie damit verletzt. Sie war weniger wichtig als sein Wollen. Mit dem Betrug hat er die Bindung verletzt und aufgelöst. Er hat nicht nur Anna, er hat der Beziehung emotionalen Schaden zugefügt. Er sieht das nicht so.

Indem er sein Handeln klein redet, es als bedeutungslos bezeichnet, macht es das, was für Anna so groß und schmerzhaft ist, klein und unwichtig. Er macht Anna klein und unwichtig. Seine emotionale Nichtübernahme der Verantwortung macht Anna vertrauen und verzeihen unmöglich. Sie bleibt in der Zurückweisung ihrer Liebe stecken.

Ob der Mann seine Haltung ändern wird? Wir wissen es nicht. Darauf hat Anna keinen Einfluss. Es bleibt ihr nur etwas in sich selbst zu ändern -  ihre Haltung und ihr Gefühl ihrer Wunde gegenüber, der alten und der neuen. 

Ein konstruktiver Umgang damit ist eine große Herausforderung. Sie muss den Schmerz zunächst voll und ganz annehmen und lernen ihn im wahrsten Sinne des Wortes nicht persönlich zu nehmen. Es war sein Betrug, seine Lüge, seine Entscheidung. Es ist seins. Und da gehört es hin.
Das zu verinnerlichen, zu fühlen und zu akzeptieren ist schwer. Denn Anna ist ja gefühlt in ihrer ganzen Person vernichtet. Ihr inneres Kind hat gefühlt wieder erfahren, dass es nichts wert ist. Es ist wieder zurückgewiesen worden. Es hat wieder erfahren müssen, dass seine Liebe nichts wert war. Es hat wieder erfahren, dass Liebe nicht heilt und Bindung nicht verlässlich ist. Es hat wieder die alte Verlassenheit gespürt: Ein Gefühl der Vernichtung der ganzen Existenz.

Was heilen muss ist das Vertrauen Annas in sich selbst und den unzerstörbaren Kern in ihr. Wenn das gelingt, wird sich die Wunde schließen. Die alte und die neue. 
Wir arbeiten daran.






Donnerstag, 15. August 2019

Das Parental Alienation Syndrom, oder wenn verlassene Elternteile ihre Kinder als Waffe gegen den Expartner benutzen

Foto: A. Wende

Zum Wohl des Kindes gehört der Umgang mit beiden Elternteilen. Auch nach einer Trennung oder einer Scheidung, hat das Kind ein Recht auf das Zusammensein mit jedem Elternteil. Laut Gesetz sind beide Elternteile zum Umgang berechtigt und sogar verpflichtet. Für das Kindeswohl ist es daher immens wichtig, diese Beziehung nach einer Trennung aufrecht zu erhalten. Der Beziehungs- und Bindungserhalt ist ein wesentliches Kriterium des "Kindeswohls". Ein jedes Kind braucht Vater und Mutter, es hört ja nicht auf, beide nach der Trennung, zu lieben. Wo allerdings der Kontakt zu einem Elternteil fehlt, zum Beispiel zum Vater (was in der Realität wesentlich häufiger vorkommt als der Kontaktabbruch zur Mutter), bleibt das Kind im wahrsten Sinne des Wortes an der Mutter "kleben". Es kommt zu einer ungesunden inneren und äußeren Symbiose, die massive Folgen für die kindliche Persönlichkeitsentwicklung hat. Ungelöste Symbiose-Komplexe aus der Kindheit spielen bei vielen psychischen Erkrankungen im Erwachsenenalter eine erhebliche Rolle. 

Mädchen und Jungen brauchen die liebevolle Zuwendung und das Vorbild von Mutter und Vater, um über positive Identifikationsprozesse ihre weibliche, bzw. männliche Identität zu entwickeln. Sie ist unabdingbar für ein gesundes Selbstkonzept und um später ein stabiles Beziehungs- und Bindungsverhalten entwickeln zu können. Verliert das Kind jedoch einen Elternteil wird seine psychische Struktur tiefgreifend erschüttert. Die meisten Scheidungskinder erleben den Verlust eines Elternteils als gegen sich selbst gerichtet. Sie fühlen sich schuldig und wertlos. Wertlos im Sinne von: “Ich bin es nicht wert, dass Mama, bzw. Papa bleibt.“ Schuldig im Sinne von: „Ich war nicht lieb oder nicht gut genug.“ Wird nun auch noch die Beziehung zu einem Elternteil abgebrochen, erlebt das Kind einen tiefen Schmerz. Es fühlt sich innerlich zerrissen und seine Seele erleidet einen irreparablen Schaden. 

Kinder, die so empfinden, senden immer Signale. Innerer Rückzug, Schweigen, Abkapselung, aggressives oder dissoziales Verhalten, Depressionen und Ängste sind die häufigsten Symptome. Um die Situation irgendwie aushalten zu können, verdrängen betroffene Kinder ihren Schmerz oder spalten ihn ab. Nach außen merkt niemand mehr etwas. Erst Jahre später, oftmals auch erst als Erwachsene, tauchen diese verletzten Kinder in psychotherapeutischen Praxen auf.
Bedauerlicherweise werden die Signale des Kindes vom Umfeld in vielen Fällen nicht bemerkt oder nicht richtig gedeutet und so unterbleibt die notwendige Hilfe. „Als besonders gefährdet müssen Kinder gelten, die nach außen ein scheinbar völlig unauffälliges Verhalten zeigen. Sie passen sich an, sind verstummt und "weinen nach innen", ohne ihre Not noch äußern zu können, so dass sie auch nicht mehr gehört werden, schreibt der Kinderpsychoanalytiker Helmuth Figdor in seinem Buch "Kinder aus geschiedenen Ehen: Zwischen Trauma und Hoffnung".

Besonders fatal ist es, wenn das Kind einen Elternteil aus seinem Leben verbannt. Dazu kann es kommen es, wenn ein durch die Trennung verletzter Partner beginnt das Kind zu instrumentalisieren um den anderen abzustrafen oder Rache an ihm zu üben. Ein Phänomen, das dies benennt, ist das sogenannte Parental Alienation Syndrom, kurz PAS-Syndrom.

PAS bezeichnet einen speziellen Bereich bei Umgangsproblemen nach Trennungen in Familien. Der Beziehungsverlust wird hier aktiv durch die Programmierung durch einen Elternteil verursacht. In Folge kommt es beim Kind schließlich zur Kontaktverweigerung dem Elternteil gegenüber, der vor ihm schlecht gemacht wird. Meist geht dieser Verweigerung eine lange Geschichte von Selbstmitleid und vor allem Hass oder Wut des verlassenen Partners auf den anderen voran. Das hat zur Folge, dass das Kind einen Teil von sich als negativ empfindet, mit anderen Worten: Eine Seite seines Wesens wird psychisch buchstäblich amputiert, mit entsprechend schweren Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung. 

Das PAS -Syndrom wurde erstmals 1984 von Prof. Richard Gardner, einem amerikanischen Kinderpsychiater, beschrieben. Dieser schätzt, dass PAS in etwa neunzig Prozent aller strittigen Sorgerechtsfälle auftritt. 1992 erschien sein Buch zum Thema unter dem Titel "The Parental Alienation Syndrome". Gardners Verdienst ist die systematische Beschreibung dieses Syndroms, seiner Ursachen, Begleiterscheinungen und seiner schwerwiegenden Folgen für das Kind. Anstoß für Gardner war die eigene therapeutische Arbeit mit erwachsenen Scheidungskindern, bei denen sich die PAS-Problematik als wesentlicher Hintergrund für schwere psychische Probleme herauskristallisierte.
 
PAS bedeutet so viel wie "Eltern-Kind-Entfremdungs-Syndrom" oder "Eltern-Feindbild-Syndrom". Ein Phänomen, das durch die subtile Manipulation oder eine beständige negative Programmierung durch einen verletzten, rachesüchtigen Elternteil erzeugt wird. Diese Programmierung führt zu einer konditionierten unbegründeten, kompromisslosen Zuwendung des Kindes zu dem scheinbar "guten" Elternteil, der unschuldig verlassen wurde und mit dem es zusammenlebt. Andererseits entwickelt das Kind eine ebenso kompromisslose, feindselige Abwendung vom angeblich "bösen“ und "verhassten" Elternteil, der an allem schuld ist und mit dem es nicht mehr zusammenlebt. 

Der scheinbar „gute“ Elternteil setzt das Kind unter Missbrauch seiner meist uneingeschränkten Einflussmacht, bewusst oder unbewusst  einer permanenten Beeinflussung aus, die beim Kind ein negatives Bild bis hin zur Verachtung des anderen Elternteils erzeugt, bis es schließlich nicht anders kann als diesen Elternteil zu hassen oder zu verachten. Er wird zum Feindbild. 

Da Kinder bis in die Adoleszenz hinein, aufgrund der natürlichen psychischen Entwicklung, noch über keine ausgereifte Differenzierungsfähigkeit verfügen, kann sich ein Kind nur an Extremen orientieren. Die Suggestion des negativen Fremdbildes des manipulierenden Elternteils dem anderen Elternteil gegenüber führt in der Seele des Kindes zu einem psychodynamischen Prozess, der schließlich zum Selbstläufer wird. Das Kind hat am Ende keine Wahl mehr: Es wendet sich vom entfremdeten Elternteil ab, und weist jeden Kontakt mit ihm zurück. Es tut da unbewusst um dem anderen Elternteil seine Loyalität und seine bedingungslose Liebe zu erweisen. Das Kind lehnt den ausserhalb lebenden Elternteil aber in Wahrheit nur aufgrund von Gehörtem und suggeriert Übernommenem des manipulierenden Elternteils ab. Es ist zum Instrument eines emotionalen Krieges geworden, sprich es ist Ausführender des Vergeltungs- oder Rachebestrebens eines Elternteils, der es nicht verwindet verlassen worden zu sein. Das Kind lehnt den Verlassenden also nicht aufgrund von eigenen unguten Erfahrungen ab, sondern aufgrund einer Art Gehirnwäsche (von Gardner "Brainwashing" bezeichnet). Abgelehnt werden dabei ganz normale Elternteile, die ihre Kinder lieben und von diesen geliebt werden, bzw. wurden. 

Das Leid das einem Kind auf diese Weise zugefügt wird ist Kindesmissbrauch. Ein Kind braucht Vater und Mutter und Vater, auch wenn beide kein Paar mehr sind. Es braucht für eine gesunde Entwicklung das Erleben beider Geschlechterrollen und Persönlichkeitsanteile, es braucht männliche und weibliche Anteile um ein stabiles und gesundes Selbst bilden zu können, das nicht zuletzt die genetischen Anteile beider Elternteile in sich trägt.

Wer als Elternteil einem Kind den Vater oder die Mutter entzieht, macht sich strafbar im Sinne der Menschenrechte, er macht sich strafbar am langsamen Sterben eines kindlichen Seelenanteils. Daher ist es nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht des abgestoßenen Elternteiles zu handeln um dieser Tat Einhalt zu gebieten und die Seele des eigenen Kindes zu schützen. Ich erinnere an den Anfang meiner Ausführungen: Laut Gesetz sind beide Elternteile zum Umgang berechtigt und sogar verpflichtet. Für das Kindeswohl ist es daher immens wichtig diese Beziehung nach einer Trennung aufrecht zu erhalten. 

Erster Ansprechpartner ist in diesen Fällen das Jugendamt.


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Mittwoch, 14. August 2019

Gedankensplitter



Foto: A. Wende

Fassungslosigkeit
Es nicht fassen können
Es nicht erfassen
Es nicht begreifen
Weil es zu weit weg ist von dem, was deine Seele fühlt.
Fremd.
Zu fremd.

Ignoranz




Foto:www

Ignoriert zu werden tut weh.
Es tut weh, es ist verletzend, wenn dich ein Mensch ignoriert, der dir wichtig ist.
Du fühlst dich hilflos, wütend und traurig.
Wenn du dich so fühlst, dann tu nicht so als wäre es nicht so. 
 

Akzeptiere deine Gefühle.
Deine Gefühle zu akzeptieren ist der erste Schritt in Richtung Selbstwertschätzung und Selbstausdruck.
Du nimmst dich ernst.
Das ist genau das, was der andere nicht tut – dich ernst nehmen.


Wer dich ignoriert ist nicht aufrichtig.
Er hat kein Interesse daran, eine positive Beziehung mit dir aufrechtzuerhalten.
Warum solltest du so einem Menschen hinterherlaufen?

Wer dir immer wieder die kalte Schulter zeigt, gewinnt daraus Befriedigung.
Er fühlt sich mächtig, weil er dich in Ohnmacht versetzt.
Er fühlt sich groß, wenn er dich klein macht.
Er ist nicht groß. Er ist klein.
Es ist seine unreife Art mit Konflikten umzugehen.
Es ist sein Problem.
Es ist nicht dein Problem.
Mach dir das bewusst.

Gegen Ignoranz bist du machtlos.
Akzeptiere deine Machtlosigkeit.
In Wahrheit bist du nicht machtlos, du fühlst dich machtlos.
Es ist ein Gefühl.
Und Gefühle vergehen.

Wenn dich jemand dauerhaft ignoriert, auch nachdem du versucht hast dich ihm zu erklären oder dich mit ihm zu versöhnen, dann ist das seine Entscheidung.
Akzeptiere sie.
Auch wenn es weh tut.
Das geht vorbei.
Renne niemanden hinterher, der dich mit Ignoranz verletzt.
Er wird es immer wieder tun.
Das geht nicht vorbei.

Dienstag, 13. August 2019

Es beginnt bei dir selbst


Foto. A. Wende

Wenn du dich selbst gut behandelst, achtest und wertschätzt, indem du dir selbst Fürsorge und Respekt entgegenbringst. indem du darauf achtest was du in deinen Körper aufnimmst und was du ihm zumutest, indem du Gifte vermeidest, so weit wie möglich, lernst du Selbstfürsorge.
Je öfter, je besser, je bewusster du für dich selbst sorgst, desto lebendiger wirst du dich fühlen.
Du wirst dir nicht mehr erlauben destruktive Dinge oder Menschen in dein Leben zu lassen.
Du wirst darauf achten deine Grenzen zu wahren und dich nicht mehr selbst überfordern.
Du wirst dich für nichts mehr hergeben, was dir schadet.
Du wirst dir nach und nach bewusst wie kostbar du und dein Leben sind.
Mit dem Kostbaren gehst du pfleglich um.
Je pfleglicher du mit dir selbst umgehst, desto pfleglicher wirst du mit anderen umgehen.

Sonntag, 11. August 2019

Verständnis




Wie oft wollen wir dem anderen das Unsere aufdrücken?
Wie oft beharren wir auf dem, was wir glauben?
Und wie oft greifen wir, wenn wir uns in unserer Meinung nicht bestätigt fühlen, andere an?
Wie oft hören wir dem anderen wirklich zu, ohne schon die Antwort im Kopf zu haben, so sehr im Kopf, dass wir den anderen in Wahrheit gar nicht hören?
Wie oft reden wir aneinander vorbei?
Oft. Sehr oft.
Und wie oft gibt es deswegen Konflikte, Streit, Verletzungen, Trennung? 


Wir können den anders Denkenden nur stehen lassen und ihn nicht verbal anfechten, wenn wir seine Wahrheit von innen heraus lebendig nachempfinden. Das ist der größte Liebesakt, den man sich vorstellen kann. Nur das ermöglicht uns ein tiefes Verständnis füreinander. Wer den anderen derart versteht, wird ihn nicht mehr bekämpfen.

Er weiß, das jeder seine Welt hat, in der er denkt, fühlt und lebt und dass diese Welten, ganz gleich wie nah wir einander sind, völlig für sich allein stehen - jede ein kleines Universum.
Je mehr es uns gelingt, unser eigenes kleines Universum zu lieben, es mit all seinen Schatten -und Lichtanteilen anzunehmen, desto mehr sind wir in der Lage, anderen Menschen genau diese Annahme auch zu geben. Wir können sie stehen lassen, wie und wo sie sind. Nichts anderes ist Friede.

Wenn wir Liebe zum Leben und zum eigenen wie zum fremden Sosein empfinden, können wir einen Zustand erreichen, der Frieden schafft.

Donnerstag, 8. August 2019

Loslassen

Foto: A. Wende

Gestern lag eine Karte von einem lieben Menschen in meinem Briefkasten.
„Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, sie macht deine Rose so wichtig“, steht da über dem Bild des kleinen Prinzen von Saint-Exupéry.
Ich musste weinen als ich den Satz las.
Ja, dachte ich, die Zeit, die ich an meine Rose verloren habe, diese Zeit macht sie so kostbar und wichtig. Aber als ich den Satz länger ansah, spürte ich - das Wort "verloren" stört mich.
Ich habe keine Zeit an meine Rose verloren. Es war alles andere als verlorene Zeit. Es war wertvolle, intensive, schöne und unschöne, leichte und schwere Zeit, und nichts davon war umsonst oder verloren. Ich habe etwas gewonnen. Viel gewonnen. Ich habe etwas gelernt über meine Rose, von meiner Rose und etwas über mich selbst, durch meine Rose. Und all das bleibt, auch wenn ich meine Rose verloren habe, in meinem Herzen solange ich lebe.
Das werde ich festhalten. Dafür bin ich dankbar.
Meine Rose muss ich loslassen.

Loslassen.
Im Grunde ein schönes, ein leichtes Wort.
Loslassen spricht von lösen, lassen, ganz im Gegenteil zu fest und halten.
Festhalten spricht von Enge, von Krampf und Kampf.
Seltsam nicht wahr?
Was Worte, wenn man sie sich genau anschaut, einem sagen können.
Aber das Sagen, was nützt das schon?
Und das Verstehen, was nützt das schon, wenn wir nicht fühlen, was wir verstehen?

Loslassen ist schwer. Es schmerzt.
Ich glaube wir Menschen sind nicht für das Loslassen geschaffen.
Warum sonst fällt es uns so schwer? Warum sonst macht es uns Angst?
Weil wir im Loslassen etwas hergeben müssen. Wir verlassen etwas.
Wir lassen es, freiwillig oder unfreiwillig, sein und lassen es zurück. Etwas was uns wichtig war. So wie es auf der Karte steht. Wir verlieren etwas, wir erleben einen Verlust von etwas, das zum Teil unserer Identität geworden ist.

Wenn wir dieses Etwas oder Jemanden verlieren, der zu einem Teil unserer Identität geworden ist verlieren, verlieren wir damit einen Teil unserer Identität. Und das schmerzt. Wir Menschen wollen Schmerz vermeiden. Wer hat schon gern Schmerzen, das Leben ist schwer genug. Und es ist ja auch kein kurzer Schmerz, loslassen bedeutet meist, es ist ein langer Schmerz der uns bevorsteht, den wir aushalten müssen und gegen den es keine Mittelchen gibt, die ihn schnell wegmachen.
Loslassen schmerzt im tiefsten unserer Identität.
Es bricht etwas ab über das wir uns definiert und empfunden haben.
Ein Teil geht verloren. Und das reißt eine Lücke von der wir nicht wissen, wie wir sie füllen sollen.
Aber genau dieser Gedanke – ich muss diese Lücke jetzt füllen, macht es uns noch schwerer, bereitet uns noch mehr Schmerzen und stürzt uns in das Gefühl der Angst. Was wenn dieser Schmerz nie vergeht, was wenn die Lücke sich nie mehr füllen lässt?

Aber was, wenn wir sie gar nicht füllen müssen?
Was, wenn wir sagen, sie darf da sein, so lange sie da sein will.
Wir dürfen uns die Lücke anschauen, so lange wir sie anschauen wollen. In ihr sind all die Erinnerungen an das, was wir verloren haben. Die schönen und die weniger Schönen. Und irgendwann formen sie das Bild von dem was war in seiner Ganzheit und wir verstehen warum wir loslassen mussten. Wir fühlen, es war an der Zeit es zu lassen, sein zu lassen, was es war. Und das Herz wird ruhiger.
Und der Schmerz lässt nach.
Und wenn die Zeit gekommen ist, wird sich die Lücke wieder füllen.

Namaste

Mittwoch, 7. August 2019

Du entscheidest



Du musst nicht lächeln, wenn dir nicht danach ist, nur um gemocht zu werden.
Du musst nicht alles schlucken, bis dir der Magen brennt.
Du musst nicht erst auf dem Zahnfleisch gehen, bis du kapierst, dass du dich umsonst anstrengst für Anstrengungen, die nichts bewirken.
Du musst nicht B sagen, weil du A gesagt hast.
Du musst nicht gute Mine zum unguten Spiel machen, um den Konflikt zu vermeiden.
Du musst nicht weitermachen, wenn du keine Kraft mehr hast.

Du musst nicht das brave Kind sein, das sie dir antrainiert haben.
Du musst dein Licht nicht unter den Scheffel stellen, weil du meinst Bescheidenheit sei eine Zierde.
Du musst nicht sagen, es geht mir gut, nur weil einer das hören will.
Du musst nicht schweigen, wo du etwas zu sagen hast.
Du musst nicht still sein, wenn du laut sein willst.
Du musst nicht Ja sagen, wenn du Nein meinst.
Du musst keine Erwartungen erfüllen, die du nicht erfüllen willst.
Du musst dich nicht anpassen, um gemocht zu werden.
Du musst nicht kämpfen, wenn du die Windmühle erkennst.

Du musst nicht entschuldigen, was unentschuldbar ist.
Du musst nicht bleiben, wenn du gehen willst.
Du musst nicht verzeihen, wenn du es noch nicht kannst.
Du musst nicht gelassen sein, wenn du es nicht bist.
Du musst nicht perfekt sein, für nichts und niemanden.
Du musst dich nicht selbst belügen, um auszuhalten was unaushaltbar ist.

Du musst nicht so tun, als hättest du es im Griff während du gerade ins Bodenlose fällst.
Du musst dich nicht verbiegen, weil du meinst, du bist alleine nicht überlebensfähig.
Du musst nicht so tun, als ob du keine Angst hast, wenn du sie spürst.
Du musst nicht verbergen, was du fühlst.
Du musst nicht stark tun, wenn du gerade nicht stark bist.

Du musst deine Bedürfnisse nicht unterdrücken, wenn du sie fühlst.
Du musst nicht alles und jeden verstehen, weil du ein empathischer Mensch bist.
Du musst deine Hilfe keinem antragen, wenn du nicht darum gebeten wirst.
Du musst nicht gebraucht werden, um geliebt zu werden.
Du musst dich nicht aufopfern, um andere zu retten.
Du musst nichts tun, was „man“ tun muss.
Du musst nicht.
Du könntest.
Du darfst.
Du entscheidest.




Montag, 5. August 2019

Transformation

Malerei: A. Wende

Etwas im Leben will neu werden.
Dafür braucht es Zeit.
Dafür darfst du dir Zeit nehmen.
Dafür darfst du alle Gefühle, die hochkommen da sein lassen und sie liebevoll annehmen, ohne sie zu dramatisieren oder dich mit ihnen zu identifizieren.
Dafür darfst du lernen dich selbst zu beobachten.
Dafür darfst du lernen dich selbst zu beruhigen.


Dafür darfst du den Gedanken aufgeben, „das darf alles doch gar nicht sein“ und anerkennen was ist.
Dafür darfst du von allen Konstruktionen Abstand nehmen, wie es zu sein hat oder sein sollte.
Dafür darfst du mit deinen Kräften haushalten.


Dafür darfst du dir eine Auszeit nehmen.
Dafür darfst du Geduld und Langmut mit dir selbst haben.
Dafür darfst du dich von allem was in deinem Leben giftig ist verabschieden.
Dafür darfst du langsam von alten Gewohnheiten Abschied nehmen und neue, gesunde, kraftspendende Gewohnheiten annehmen.


Dafür darfst du Verantwortung für deine Fehler und Schwächen übernehmen ohne dich selbst zu verurteilen um es künftig besser zu machen.
Dafür darfst du in dein Leben holen, was du jetzt brauchst.
Dafür darfst du Achtsamkeit üben für das was hilfreich für dich ist und es machen.
Dafür darfst du Nein zu allen sagen, die dich in dieser Zeit nicht wohlwollend und verstehend unterstützen.
Dafür darfst du dich radikal abgrenzen von allem und jedem, das nicht hilfreich ist für dein eigenes Wohl.
Dafür darfst du Vertrauen üben in dich selbst und deine Ressourcen.
Dafür darfst du dir Hilfe holen, wenn du das alleine nicht schaffst.

Namaste