Donnerstag, 30. April 2020

Die Dinge haben sich verändert. Wir müssen uns verändern.



Foto: www

Weshalb können sich Menschen so schwer ändern?
Weshalb nutzen oft monate- oder jahrelange Therapien wenig?
Die Antwort ist: Weil sie feststecken.
Der Veränderungswille scheitert bei vielen Menschen daran, dass die meisten es zwar wollen, sich eine Veränderung aber nicht vorstellen können. Man hat doch schon immer so gedacht, gefühlt, gelebt und ist immer so gewesen.

Menschen berechnen ihre Zukunft aus den Erfahrungen ihrer Vergangenheit und nur sehr wenige habe ein Modell dafür, wie ihr Leben anders sein könnte.
Und zeigt man ihnen ein Modell, so ist tief innen eine Blockade zu spüren, die sich erst dann auflöst, wenn sie selbst fest an die Möglickeit einer Veränderung glauben und bereit sind sie in Gang zu setzen. Veränderung bedarf einer hohen Bereitschaft die passenden Schritte für die persönliche Veränderung zu machen.

Persönlichkeitsentwicklung und inneres Wachstum kommen nicht von selbst.
Man muss etwas dafür tun, man mus sich aktiv mit der eigenen Persönlichkeit auseinandersetzen und mit der eigenen Biografie. Man muss sich seiner Ziele bewusst sein, seinen Werten und den Visionen über sich selbst und das eigene Leben.
Und da fängt es schon an. Die meisten Menschen spulen über Jahrzehnte ihre alten unbewussten Programme ab. Meist funktionieren sie auch, solange die äußeren Modalitäten stabil bleiben. Dabei wird vieles in Kauf genommen, was in Wahrheit überhaupt nicht funktioniert, aber das wird verdrängt und auf viele Arten und Weisen abgewehrt oder kompensiert.
Die eigene Biografie ist innerlich zwar abgespeichert aber selten bewusst gemacht.
Die Ziele haben sich irgendwann verfestigt, nach ihnen wird gelebt und gehandelt, aber sie werden nicht auf ihre Sinnhaftigkeit für das eigene Wachstum überprüft.
Werte werden nicht bewusst formuliert. Frage ich Menschen nach ihren Werten, so begegnet mir oft langes Schweigen.
Visionen sind selten. Man lebt so dahin, in der alten vertrauten Weise und denkt nicht viel darüber nach wie´s da drinnen wirklich aussieht.

Zufrieden sind die Wenigsten. Und die wenigsten merken nicht einmal, dass sie es nicht sind oder sie wissen nicht wirklich warum sie es nicht sind.
Sie merken es dann, wenn etwas was schon immer so war, nicht mehr funktioniert. Dann kommt das mulmige Gefühl: Etwas stimmt nicht. Das Außen, das sich verändert, passt nicht mehr zu dem was ich so vor mich hin lebe.

Genau das geschieht jetzt.
Das Außen ist für uns alle radikal verändert. Das Außen, in dem sich so vieles was Innen nicht in Ordnung war verdrängen ließ, ist weggebrochen.
Es gibt sie nicht mehr die alte "Normalität".
Von einem Tag auf den anderen sind all die vertrauten Dinge und Lebensumstände weggebrochen.
Verlust auf vielen Ebenen macht sich breit. Das Drüberleben funktioniert nicht mehr.
Der trittsichere Boden auf dem man ging wackelt gewaltig. Da geschieht eine Veränderung, die nicht gewolllt ist, der wir unterworfen sind und der gegenüber wir uns machtlos fühlen und es in der Tat auch sind.
Das ist ein Schock.
Das ist genauso ein Schock, wie wenn wir etwas plötzlich verlieren, an dem wir sehr hängen, durch Trennung, Verlust oder den Tod.
Dann beginnt die Trauer.
Sie spult sich in Phasen ab.
Erste Trauerphase: Leugnen
Zweite Trauerphase: Intensive Emotionen
Dritte Trauerphase: Suchen, Finden, Loslassen
Vierte Trauerphase: Akzeptanz

Diese Phasen können nacheinander kommen oder im Wechsel.

Viele Menschen bleiben lange in der ersten Phase stecken. 
Sie leugnen was ist, machen Konstruktionen damit es nicht ist, wie es ist und so nicht gefühlt und bewusst wird. Leugnen ist der untaugliche Versuch das Alte aufrecht zu erhalten. Was aber nicht mehr funktioniert, weil es an der Realität zerbricht. Es ist anders, es ist verloren, es ist nicht mehr wie es war. Es ist unwiderruflich vorbei.
Dann kommen Emotionen hoch. Meist ein ganzer Cocktail destruktiver und als schmerzhaft empfundener Emotionen. Und schon beginnt die Abwehr: Das will ich nicht fühlen. Der innere Widerstand baut sich auf und errichtet eine Mauer, die den Zugang zu den eigenen Gefühlen versperrt. Sie, die gefühlt werden wollen, werden wieder kompensiert, wieder verdrängt. Sie brodeln im Unterbewussten - so lange bis wegdrücken nicht mehr funktioniert.

Das ist der Moment wo viele erst wach werden. Dann wenn es richtig weh tut.
Das ist der Moment wo die Veränderung die einzige Option ist, weil das Bewusstsein begreift: So wie es war geht es nicht weiter, auch wenn ich mich noch so sehr dagegen wehre.
Es werden Lösungen gesucht, es wird ausprobiert, manches wird gefunden und langsam beginnt das Loslassen. 
Wir beschreiten den Weg zur Akzeptanz: Es ist wie es ist. 
Ich kann es nur so hinnehmen wie es ist.

Und jetzt?
Vieles was zuvor funktioniert hat oder sogar hilfreich war, wirkt nicht mehr oder es ist sogar kontraproduktiv.  
Die Emotionen und Bedürfnisse verändern sich. Das Alte ist verloren. Wir haben uns verabschiedet und wir müssen schauen was jetzt noch trägt und welche inneren und äußeren Veränderungen notwendig sind um das Leben neu zu gestalten.
Das Neue allerdings erfindet sich nicht so schnell in einem Prozess der unbeständig ist und sich täglich wandelt. 

Wie damit umgehen? Wenn nichts verlässlich ist und der äußere Wandel uns wie ein Fluss mit sich nimmt? 
Beobachten - das Außen und die Reaktion des eigenen Inneren auf das Außen.
Das eigene Innere anschauen ob es so wie es ist, dem Außen noch standhält - emotional und rein praktisch was die Gestaltung des Lebensalltags angeht, den Job, die Beziehungen. 
Das eigene Innere, die Persönlichkeit erforschen und die Erfahrungen der Vergangenheit, die Glauensmuster und Überzeugungen überprüfen ob sie stärkend oder schwächend sind.
Den ehrlichen Check machen, ob es da nicht vieles gibt, was nicht hilfreich ist um das Jetzt zu leben. Den Check machen, was in uns repariert werden muss. 
Den Check machen, welche Ziele überprüft und erneuert werden müssen. 
Das eigene Lebenskonstrukt in Frage stellen.  
Eine Stärken-Schwächen-Analyse machen um die Potentzale zu erkennen. Zu den Potenzialen gehören auch die brach liegenden, noch ungenutzten Potenziale.
Zu den Schwächen gehört auch das, was aufgrund von überholten Überzeugungen und überkommenen Handlungsweisen schwächt.

Werte definieren. 
Bereitschaft entwickeln und ja sagen zu dem, was notwendig und sinnvoll ist. 
Danah handeln.
Tag für Tag, Schritt für Schritt.
Geduldig.
Ein Modell finden, das jetzt trägt, von Innen heraus. Ein Modell, das stabil ist, inmitten all der Instabilität. Uns unsere Kernkompetenzen bewusst machen und auf sie aufbauen.
Ein langer schmerzhafter Prozess, der uns allen jetzt nicht erspart bleibt.
Die Dinge haben sich verändert. Wir müssen uns verändern. Jetzt.








Mittwoch, 29. April 2020

Hoffnung bewirkt Erstaunliches

Foto: A. Wende

In seinem Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ schreibt der Psychiater und Neurologe Viktor Frankl über seine Zeit im Konzentrationslager. Darin ist zu lesen, dass zwischen Weihnachten und Silvester 1944 mehr Gefangene als je zuvor starben. Es waren jedoch nicht mögliche äußere Umstände, wie etwa Nahrungsentzug, härtere Arbeit oder eine Epidemie, die für die vermehrten Sterbefälle verantwortlich zu machen gewesen wären. Es war, so Frankl, die fehlende Hoffnung dieser Menschen. 

Zitat: „Der Grund für das Sterben so vieler Gefangener war vielmehr, dass Gerüchte umgegangen waren, das Ende des Krieges sei in greifbare Nähe gerückt. Die Lagerinsassen lebten in der Erwartung, noch vor Weihnachten befreit zu werden. Als das Fest näher rückte und es keine Anzeichen dafür gab, dass die alliierten Gruppen bald einträfen, verloren viele Gefangene den Mut. Sie resignierten. Und nachdem keine Hoffnung mehr da war, gaben sie den Kampf ums Überleben auf. Innerhalb weniger Tage starben viele von ihnen. Die Hoffnungslosigkeit übertrug sich auf die anderen Gefangenen und schon bald breitete sich diese negative Haltung wie eine Epidemie im Lager aus und viele fielen ihr zum Opfer.”

Hoffnungslosigkeit bewirkt nichts Gutes.

Andererseits bewirkt Hoffnung Erstaunliches.
Hoffnung spielt im Leben eine ganz entscheidende Rolle. Gedanken der Hoffnung können uns Kraft geben. Es gibt Studien, die belegen, dass eine hoffungsvolle Einstellung sich positiv auf die Erhaltung der physischen wie psychischen Gesundheit und bei Krankheit auf den Krankheits- bzw. Heilungsverlauf auswirkt. 

Menschen die Hoffnung haben geben nicht auf, auch in schwierigen Lagen empfinden sie Sinn, mehr noch – sie geben den Dingen einen Sinn und halten an der Sinngebung fest.
Wer Hoffnung hat gibt sich selbst nicht auf. Er lässt sich nicht ins Bockshorn jagen, auch nicht von seiner Angst. Hoffnung ist das Fokusieren darauf, dass es gut ausgeht. Hoffnung ist im Gegensatz zum destruktiven Gefühl der Hoffnungslosigkeit eine Kraft, die unsere Kreativität freisetzt und uns zum Handeln motiviert. Trotzdem Ja zum Leben sagen. Weiter machen, trotzdem!, sagt die Hoffnung und: Vertrau auf dich und das Leben.

Wer sich in dunklen Zeiten in dunklen Gedanken verliert, potenziert das Dunkel und verleiht ihm Macht.
Der Hoffnungslose verliert den Bezug zur Realität und verleiht ihr eine Unverhältnismäßigkeit, die über das, was wirklich ist, weit hinausgeht. Er versinkt in seiner hoffnungslosen Welt und verliert das klare Denken. Wer das klare Denken verliert, verliert die Klarheit des Geistes. Er wird zum Spielball der Umstände oder anderer und fühlt sich als handlungsunfähiges Opfer. 
Er verliert seine Autonomie. Er versinkt mehr und mehr in seinen hoffnungslosen Szenarien bis er mental völlig entkräftet ist und im Zweifel sogar körperlich krank wird.

Wer hofft hat Zuversicht. Wer hofft behält seine Lebensenergie und bleibt in der Klarheit. Denn die ist nötig um unklare oder schwierige Situationen bewältigen zu können. Um durchzuhalten wenn es Krisen gibt oder lange Durststrecken im Leben.
Wer Hoffnung hat, sucht nach Lösungen. Und setzt sie um. Er glaubt daran etwas bewirken zu können. Er glaubt an seine Selbstwirksamkeit.
Aus Hoffnung wächst Glaube und Glaube versetzt bekanntlich Berge.

Dienstag, 28. April 2020

Karma





Karma, haben wir alle schön mal gehört.
Aber was ist das überhaupt - Karma?
Es ist, wie alles von Menschen Gedachte, eine Konstruktion. 
Allerdings eine, die meiner Erfahrung nach durchaus stimmig ist.

Der Begriff des Karma wird in buddhistischen Lehrbüchern vom Schicksalsbegriff getrennt. 
Der Buddhismus kennt kein Schicksal im Sinne einer übernatürlichen Bestimmung. 
Karma ist nach dem Buddhismus das Gesetz von Ursache und Wirkung und beruht auf dem Prinzip der verursachenden Bedingung. Demnach sind alle Daseinszustände das Resultat gesetzmäßiger Verursachungen. Was wir sind oder nicht sind, was wir erfahren und was wir nicht erfahren ist das Ergebnis unseres eigenen Tuns und Lassens. 

Der Buddhismus kennt keine fatalistische Konzeption und er kennt keinen Zufall. So sind nach Buddhas Lehre weder ein Schöpfergott noch äußere Ursachen für unsere Erlebnisse und Erfahrungen verantwortlich.

Karma sieht der Buddhist in den Erklärungen über Ursache und Wirkung, also Aktion und Reaktion, die Grundlage zur persönlichen Freiheit und der Verantwortung gegenüber uns selbst und allen Lebewesen. Der Buddhismus erklärt wertfrei positive, negative und neutrale Tendenzen des Geistes als Ursache für unsere darauf folgende Handlungen. 
Demnach können logischerweise positive Ursachen niemals zu negativen Handlungen führen und umgekehrt.  

Wenn ich mir mein Leben und die Lebensverläufe meiner Klienten anschaue,  finde ich immer wieder bestätigt, wie sehr das, was wir denken und tun unser Leben bestimmt.
Ungute Handlungen führen zu nichts Gutem. 
Irgendwann fällt Unheilsames, das wir anderen oder uns selbst antun, auf uns zurück. 
Ebenso kommt Gutes und Heilsames uns selbst zugute und denen, denen wir es angedeihen lassen.
Zwar nicht immer von der Person, der wir Gutes tun, sondern oft wo ganz anders her und ohne, dass wir es erwartet hätten.

So zu leben - im Bewusstsein heilsamen Denkens und Tuns ist eine Gabe, die nicht viele Menschen besitzen. 
Aber wir können lernen. Wir können uns darüber bewusst werden was wir mit unseren Gedanken und Handlungen verursachen und in die Welt tragen. Das bedeutet uns darüber klar zu werden, wer und wie wir sein wollen. Das bedeutet die Bereitschaft aufzubringen es immer im Bewusstsein zu haben, bei allem was wir tun. Es bedeutet achtsam zu sein, uns selbst und anderen gegenüber.

Das ist eine schwere Übung. Sie erfordert einen wachen, klaren Geist.
Dazu müssen wir lernen den Geist ruhig werden zu lassen und unser Herz zu öffnen. 
Das gelingt auch Menschen, die sich dessen bewusst sind, nicht immer.
Auch ich bin manchmal gedankenlos, kindisch, selbstgerecht und impulsiv. Auch ich bin manchmal unachtsam. Aber ich habe gelernt, dass es okay ist und ich betrachte mich, wenn das geschieht mit  Selbstmitgefühl, weil ich weiß - nobody is perfekt. Das will ich auch gar nicht sein.
Und darum geht es auch nicht.

Es geht darum Verantwortung zu übernehmen für das was ich gestalte, Tag für Tag. 
Verantwortung zu übernehmen für das, was ich gebe und in meine kleine Welt trage an Heilsamen, für mich selbst und für andere. 
Je mehr an Gutem ich lebe und ins Leben gebe, desto besser ist mein Lebensgefühl. 
Auch wenn ein großer Sturm ausbricht und mich durchwirbelt - ich halte am Guten fest. Ich halte die Bereitschaft hoch. Auch wenn es manchmal schwer ist und ich denke, das schaffst du jetzt nicht. Dann ist das so, dann kann ich es nicht ändern und ich schaue wie ich mit dem Unveränderbaren klar komme. 

Ein jeder bestimmt selbst über seine Taten und deren Folgen – es geht um Eigenverantwortung.

Karma bedeutet schlicht und einfach:

Wir ernten, was wir säen.
Life is a Bumerang.


Montag, 27. April 2020

Alles was uns berührt, ist heilsam.


 
Foto: Angelika Wende

Notgedrungen gehen wir seit Wochen auf soziale Distanz. Und es wird lange so bleiben. 
Das bedeutet für viele Menschen, dass sie auf Berührungen verzichten müssen. Hände werden nicht mehr gegeben, Küsschen auf die Wangen werden nicht mehr gegeben. Tröstend die Arme um einen anderen legen bedeutet Ansteckungsgefahr. Getrennt lebenden Paaren fehlen Zärtlichkeit und Sexualität. Singles müssen oft ganz auf Berührung verzichten

Körperkontakt ist jedoch fundamental. Berührungen sind elementar wichtig für Körper und Seele.
Wenn wir uns gegenseitig berühren, wird im Gehirn das Glückshormon Oxytocin aktiviert und ausgeschüttet. Es kommt es zum Abbau von Stresshormonen und in der Folge zur Verlangsamung von Atmung und Herzschlag. Der Körper entspannt sich und wir fühlen uns wohl. Berührungen beeinflussen unsere Gefühle positiv und stärken unser Verbundenheitsgefühl mit anderen. Die Umarmung eines vertrauten Menschen ist das beste Mittel gegen emotionalen Stress. Berührung entspannt und ist heilsam und das nicht nur für die Psyche. So werden zum Beispiel Massagen ergänzend zur Behandlung von Krebs eingesetzt, vor allem um die Nebeneffekte von Chemotherapie und Bestrahlungen zu lindern. Verschiedene Meta-Studien haben gezeigt, dass Massagen helfen Depressionen zu lindern,  Ängste abzubauen und Schmerzen zu mindern. Eine Studie belegt, dass eine Umarmung und bloßes Händehalten über etwa 10 Minuten Blutdruck und Herzschlag senken. Durch die Ausschüttung von Oxytocin bei jeder Art von liebevoller Berührung werden also Stresshormone abgebaut. Berührung führt auch dazu Aggressionen zu reduzieren und sie stärken unser Immunsystem.
Das Heilsame der Berührung geht jetzt für viele verloren.
Was tun?
Gut, wir können uns emotional berühren, auf Distanz durch digitalen Kontakt. Wir können mit vertrauten Menschen reden, ihnen in die Augen sehen, wir können mit ihnen über unsere Gefühle reden und unsere Zuneigung und unsere Liebe in Worten ausdrücken. Das schafft Nähe in Zeiten der Distanz. Wir berühren einander mit Worten. 
Aber reicht das? Füllt das unser elementares menschliches Bedürfnis nach Berührung?
Ein klares: Nein.

Eine Klientin, die alleine lebt, sagte neulich zu mir: Ich werde noch verrückt, weil ich niemanden mehr anfassen kann. Ich fühle mich krank. Ich habe Angst, dass ich nie wieder jemanden berühren kann, jedenfalls lange nicht, denn die Pandemie ist ja noch lange nicht vorbei. Ich habe das Gefühl innerlich mehr und mehr einzufrieren. Manchmal bin ich depressiv und habe zu nichts mehr Lust.

Gefühle wie sie meine Klientin beschreibt sind nicht unnormal. Sie sind vielmehr gesund. Sie sind das gesunde Empfinden eines Menschen, der auf etwas Wesentliches unfreiwillig verzichten muss, das er für sein Wohlbefinden braucht.
Wer einsam ist und ohne Berührungen leben muss lebt und darunter leidet, hat, das beweisen viele Studien, ein höheres Krankheitsrisiko und eine kürzere Lebenserwartung. Traurig aber wahr. Das Fehlen von Körperkontakt wenn wir darunter leiden, macht genauso krank wie unfreiwillige Einsamkeit. Nicht jeder ist zum Eremiten geboren – die meisten von uns sind es nicht.

Können wir das nicht-berührt-werden kompensieren? 
Eine Zeit lang schon.
Wir können kreativ werden. 
Wer etwas Kreatives macht kommt in den Flow und empfindet den Mangel an Berührung oft weniger schmerzhaft als jemand, der nichts mit sich anzufangen weiß.
Auch körperliche Bewegung im Garten oder in der Natur und jede Art von Sport kann helfen den Körper zu beruhigen, wenn er auf Berührungen verzichten muss.
Auch durch Musik und das Betrachten von schönen Dingen können wir uns berühren lassen.
Ein gutes Buch kann uns berühren.
Ein Haustier berührt uns. 
Etwas mit Hingabe und Achtsamkeit kochen und ein gutes Essen, können uns berühren.
In der Meditation und mit Achtsamkeitsübungen berühren wir uns.

Und der Körper?
Wir können uns selbst umarmen.
Wir können unseren Körper, unser Gesicht, unsere Hände achtsam berühren, unsere Füße bewusst massieren, uns liebevoll eincremen und unsere Haut sanft streicheln.
Wir können als Übergangsobjekt den alten Teddy aus Kindertagen in den Arm nehmen und mit ihm einschlafen.

Letzteres mag jetzt für den einen albern und für den anderen gar ein wenig traurig klingen, aber es ist hilfreich und einen Versuch wert. 
Alles was uns berührt, ist heilsam. 




Samstag, 25. April 2020

Verwirrung





Ab Montag werden wir Masken tragen.
Sie sollen uns schützen gegen das Virus.
Die Virologen sagen - sie schützen nicht vor Ansteckung, aber vor der Verbreitung der Viren durch präsymptomatische Menschen, also von Menschen, die bereits infektiös sind, aber selbst noch nichts spüren. Also schützen sie doch, weil Infizierte Gesunde so nicht mehr anstecken, oder wie jetzt?
Wir wissen es nicht. Wieder wissen wir es nicht. Die Virologen wissen auch nichts Genaues. Niemand weiß Genaues. Das Virus ist neu.
Die Zahlen sollen genau sein. Wer erstellt die Zahlen? Wie werden sie erstellt? Wer überprüft die Zahlen?
Wir wissen es nicht.
Es herrscht Verwirrung. Chaos.

Verwirrung ist ein gedanklicher und emotionaler Zustand, in dem man nichts weiß, nicht mehr weiter weiß. Verwirrung wird auch als Konfusion bezeichnet.
Verwirrung schafft Chaos. Verwirrung entsteht, wenn man nicht mehr weiß, was zu tun ist. Wenn man nicht weiß, welche Ziele man hat und wie man diese Ziele erreichen kann, dann ist man verwirrt. Es gibt Verwirrung als psychischen Zustand eines einzelnen. Auch eine ganze Gruppe kann verwirrt sein, ein Unternehmen, ein Land.
In der Neurologie und in der Psychologie bezeichnet man Verwirrtheit als eine formale Denkstörung mit Verlust der Orientierung und einem Durcheinander der Denkvorstellungen. Verwirrtheit ist verbunden mit inkohärentem Denken. Inkohärentes (zusammenhangloses) Denken bedeutet: Gedanken reihen sich ohne erkennbaren Sinnzusammenhang aneinander, im schlimmsten Fall entsteht beim Sprechen ein unverständlicher "Wortsalat" Als krankhaft gelten Denkstörungen dann, wenn die Betroffenen darunter leiden und eine normale Lebensführung beeinträchtigt wird.Verwirrung führt zu Kontrollverlust über das klare Denken.
Jetzt haben wir den Salat.

Wir erleben verwirrte uneinige Politiker, die was das Virus angeht, noch unwisssenden uneinigen Virologen unser Jetzt und die Zukunft unserer Gesellschaft formen lassen. Wir machen mit, verwirrt. Immer verwirrter. Wir wissen nicht mehr was Sinn macht und was nicht. Wissen nicht mehr, was verhältnismäßig ist und was nicht. Wissen nicht mehr, was erlaubt ist und was nicht. Gebote und Verbote ändern sich nahezu täglich. Woran sich halten?

Es herrscht Chaos. Das äußere Chaos setzt sich Innen fort.
Innen in den Wohnungen, die wir nicht verlassen sollen, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Stay home. Shoppen ist wieder erlaubt. Spaziergänge sind erlaubt. Zu zweit oder zu mehreren, wenn sie zum eigenen Haushalt gehören. Arbeiten gehen ist erlaubt. In die Schule gehen ist erlaubt. Was denn jetzt?

Stay home ist could save lives? Wie denn jetzt?

Wir sind verunsichert. Also machen wir, was man uns sagt. Seit Wochen machen wir, was man uns sagt. Die Meisten jedenfalls machen das. Machen wir es nicht gibt es Strafen. Geldstrafen.
Was schützt uns? Können wir uns überhaupt schützen?
Ja, Abstand halten, Hände waschen, in der Ellenbeuge niesen oder husten. Das macht Sinn.

Hinter geschlossenen Wohnungstüren spielt sich Leben ab. 
Kein gutes Leben. Hinter geschlossenen Türen sitzen Menschen allein, mit mehreren, hocken eng aufeinander. Lagerkoller, Einsamkeit, häusliche Gewalt, Angst, Trauer, Depression, Sucht, Lähmung, Orientierunsglosigkeit, Ohnmacht, Aggression, Wut machen sich breit.

Vielen meiner Klienten geht es nicht gut. Symptome verstärken sich, die äußere Krise verstärkt innere Krisen. Auch für seelisch stabile Menschen ist es schwer die innere Balance zu halten, wenn ihre Existenz bedroht ist. Das was ist, ist unheilsam und es sich auf irgendeine Weise schön zu reden eine Form der Abwehr. Ängste, Unsicherheit und Zweifel in dieser Krisenzeit sind normal und dürfen auch sein. Es ist was es ist: Eine weltweite Krise mit ungewissem Verlauf und ungewissem Ausgang.
Behalten wir Zuversicht.

Ab Montag tragen wir alle Masken. Eyes without a Face.
Wie wird sich das anfühlen in vermummte Gesichter zu schauen? Was wird das mit uns machen?
Der Andere, der Fremde, noch fremder. Gefährlich fremd. Potenzieller Überträger.
Die Distanz zum Anderen wächst – Getrenntsein. Kein Lächeln mehr sichtbar.
Augen, die sprechen. Was werden sie erzählen? Was werden wir fühlen?
Unseren schweren Atem. Man bekommt nicht gut Luft unter der Maske. Die Schleimhäute trocknen aus. Trockene Schleimhäute sind ein Nährboden für Infekte. Spätestens wenn sich Feuchtigkeit und Schweiß unter der Maske ansammeln wird es unerträglich. Das Virus nimmt uns den Atem, auch jetzt schon, wenn wir es nicht haben. Das Virus erstickt Leben, Freiheit, Mitmenschlichkeit, Mitgefühl, Nähe, Vertrauen, Liebe. Das Virus tötet Existenzen. Das Virus oder das was sie daraus machen – die verwirrten Politiker, die uneinigen Virologen?
Ich weiß es nicht. Wir wissen es nicht. Wir sind verwirrt.
Das Ende des Unwissens ist Klarheit.

P.S. Das ist keine Empfehlung zu Maskentragen oder nicht, das steht mir nicht zu. Das ist mein persönliches Empfinden, was das, was ist, mit Menschen machen kann. Es ist eine Reflexion zum Thema Verwirrung. 

Freitag, 24. April 2020

Lebenskunst


 
Louise Bourgeois ...  Foto: www
 
Leben ist eine Kunst, vielleicht sogar die Schwerste und die Herausforderndste aller Künste.
Wir alle sind Lebenskünstler. Jeder von uns sucht mit seinen Werkzeugen, seinen Fähigkeiten und Gaben seinen ureigenen Weg - das ist LebensKunst. Die Kunst zu Leben gleicht dem, was der Künstler macht: Er ist schöpferisch, er bringt Inneres ins Außen, kreiert etwas aus sich selbst heraus, ein Bild, eine Skulptur, ein Buch, ein Musikstück - er schafft ein Werk – so wie das Leben jedes Einzelnen von uns das Werk ist, das wir schaffen, aus uns selbst heraus, mit unseren Prägungen, Erfahrungen, Gedanken, Gefühlen und Taten ... und immer spielt auch der Zufall mit, wie in der Kunst.
  
Kunst ist Ausdruck von Kreativität. Kreativität ist Lebensenergie, sie ist gelebte Fantasie, sie ist unser schöpferisches Potential, sie ist die Fähigkeit Lösungen zu finden.  
Sie ist das, was uns von Innen hält, wenn alles andere wegfällt, das, wozu wir nichts und niemanden brauchen, außer uns selbst. Kreativität ist Selbstausdruck, Begeisterung und Lebensfreude, und sie wartet darauf, in jedem von uns, lebendig zu werden.

„Die mächtigste Muse von allen ist unser eigenes inneres Kind“, sagt Stephen Nachmanovitch.
 Dieses kreative Kind braucht Raum, um sich frei zu entfalten. Dieses kreative Kind lebt in uns allen, egal wie jung oder wie alt wir sind und es will spielen, es will sich ausdrücken und es ist sehr neugierig. Dass Kreativität und schöpferische Neugier das Leben bereichern, mag für manche wie ein Gemeinplatz klingen. Dass Kreativität sogar buchstäblich lebensrettend wirkt, habe ich in meinen Leben oft erfahren. Ich weiß, dass es keine größere Kraft in uns gibt als die eigene Kreativität, denn sie ist das Leben selbst. Mit der Entdeckung unserer Kreativität entdecken wir unsere innere Quelle, wir schöpfen Kraft, Lebenskraft. 

Jeder Mensch ist kreativ – das ist unsere ureigene Natur.  
Immer wenn wir künstlerisch tätig werden, erfahren wir dabei etwas ungeheuer Wertvolles – wir erfahren der eigenen Kreativität zu vertrauen und wir fühlen uns freier als zuvor.
Kreativität geschehen lassen und erleben wie schöpferisch unser alltägliches Leben eigentlich ist - das gelingt durch Hingabe, Gelöstheit und Wachheit, all das was spirituelle Traditionen immer schon als wesentlich betrachtet haben. Das sind Werte, die in unserer Welt mehr und mehr verloren gehen. Mit diesem Verlust geht das Wesentliche verloren, was uns als Mensch ausmacht - das schöpferische Potenzial, das, womit wir Gott am nächsten sind. 

Das Wunderbare am schöpferischen Tun ist ...
Ein schöpferischer Mensch ist im Moment. 
Er ist mit Leib und Seele bei dem, was er tut.
Er lässt sich nicht ablenken - er ist bei sich selbst.
Er ist achtsam. 
Er spürt keine Leere.
Er hat nicht das Gefühl etwas zu verpassen.
Er ist präsent im Jetzt.
Welch eine Lebensqualität, welch eine Kunst zu leben und Leben zu spüren!
Es ist der Akt des Schaffens, der uns lebendig macht. Im Akt des Schaffens bringen wir unsere Bestimmung zum Ausdruck. Er ist die Realisation und Kristallisation dessen, was uns als Mensch ausmacht. Kreativität lässt uns das Unmögliche schaffen und unsere eigenen Grenzen überwinden. Kreativität ist unsere größte Motivationsquelle. Sie ist so faszinierend und bereichernd für die Seele, weil sie uns aus dem Alltag heraushebt, weil sie uns das Gefühl gibt intensiv zu leben und zu fühlen. Kreativität macht uns innerlich reich. Fernab vom Habendenken führt sie uns zu unserem Sein, unserem Menschsein.

Kreativität als Triebfeder trägt wesentlich zur Komplexität des Lebens bei. 
Sie sollte in unseren Schulen an erster Stelle stehen und nicht als Stiefkind einer Ausbildung rangieren, die für das wahre Leben nichts taugt. Wenn unsere Kinder den Herausforderungen der Zukunft mit Selbstvertrauen, Mut und Kraft begegnen sollen, müssen wir ihr schöpferisches Potenzial fördern und nicht ihre Fähigkeit eins und eins zusammenzuzählen. Damit lernen sie nur zu funktionieren und nicht zu leben und etwas zu erschaffen, was die Farben der Seele in das Grau des Alltags hineinträgt.
 
“Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele“,  sagte Pablo Picasso einmal. Er hat Recht, es gibt keine bessere Möglichkeit als sich mit Kunst und vor allem mit Kunst machen, den Staub des grauen Alltags von der Seele zu waschen.



Donnerstag, 23. April 2020

Masken

Malerei: Angelika Wende

Sie sitzt an der Kasse, schwarze Maske, schwarze Handschuhe. Ich kenne sie, wir reden immer kurz miteinander, wenn ich meine Waren auf das Band lege und zahle.
Sie ist jung, ihr schönen dunklen Augen lächeln mir sonst immer zu. Heute sieht sie mich an, Tränen in den Augen.
Ich frage sie was los ist.
Wissen Sie diese Maske, das ist schrecklich. Ich muss sie acht Stunden aufhaben, mein Gesicht darunter ist rot und die Haut trocken, ich habe Pickel. Die hatte ich nie, aber das ist nicht das Schlimmste: Meine Schleimhäute sind total trocken, ich kann kaum schlucken. Ich weiß nicht mehr wie ich das aushalten soll. 


Ich sage ihr wie leid mir das tut. Ich sage ihr, holen sie sich OP Masken, mit denen ist es nicht ganz so schlimm. Ich nenne ihr die Apotheke im Viertel, wo es sie heute noch gibt, 1,95 das Stück. Ich weiß, dass das keine Lösung ist, sie sind auf Dauer zu teuer. Ich weiß, dass ich nichts für sie tun kann. Ich gehe nach Hause. Traurig, mit einem grenzenlosen Gefühl von Ohnmacht.

Mittwoch, 22. April 2020

Selbstschutz



Foto: A.W.

Aggression und Wut schaden vor allem demjenigen, der diese Gefühle empfindet.
Wenn wir mit den Aggressionen anderer konfrontiert werden, ist es hilfreich uns bewusst zu machen: Es ist seins.

Jeder verbale aggressive Angriff ist erst dann ein Angriff, wenn wir uns betroffen fühlen. Wir müssen uns nicht in den inneren Kampf des Aggressiven verwickeln lassen.
Es ist seins und nicht das Unsere. Es ist nur dann das Unsere wenn wir uns einlassen.

Wir können entscheiden, welche Reaktion für uns heilsam ist. Wir können einfach weggehen und die Tür zu ihm hin schließen, wir können den Aggressiven bei sich selbst lassen, wenn friedliche Koexistenz nicht möglich ist.

Wir können wählen und uns selbst ein guter Freund sein und uns schützen.
Aggressive Menschen sind sich selbst kein guter Freund.
Nur wer sich selbst ein Freund ist, kann auch anderen freundlich begegnen.

Montag, 20. April 2020

Mögest du gesund sein.


Foto: Angelika Wende

Bleib gesund, das ist mittlerweile die neue Abschiedsformel geworden.
Bleib gesund! Mal ehrlich? Was soll das?
Das entscheide doch nicht ich.
Ich kann gut für mich sorgen, mich gesund ernähren und was noch alles hilfreich ist, für meine Gesundheit tun, aber mit Ausrufezeichen aufgefordert gesund bleiben - das funktioniert nicht.
Leider, schön wärs.

Ich hab mal drüber nachgedacht, was diese Aufforderung, die mir anfangs selbst über die Lippen kam, was ich aber sofort wieder abstelle, mit mir macht.
Das klingt so wie "Pass auf dich auf!"
Auch so eine Aufforderung, wenn sie sich Sorgen um einen machen.
Ich passe auf mich auf, aber auch wenn ich das tue, mir kann morgen ein Dachziegel auf den Kopf fallen oder das Virus kann mich erwischen, obwohl ich auf mich aufpasse.
Ich habe das nicht in der Hand.

Genau das ist es was wir alle nicht so gern mögen - die Dinge nicht in der Hand zu haben.
Da gehen wir dann mit einem Mordsdruck vor um das Gefühl von Kontrolle zu behalten oder wieder herzustellen. Verdammt anstrengend ist das, wie jeder Widerstand gegen das, was wir nicht ändern können. Das verbraucht viel Energie.

Wir haben eben nicht alles unter Kontrolle. Da ist der Wunsch Vater des Gedankens. Verständlich, ich hätte auch gerne alles unter Kontrolle, dann würde ich mich sicherer fühlen, inmitten all der Unsicherheiten des Lebens.
Ist aber nicht so und das muss ich akzeptieren.

Es gibt Dinge, da können wir uns anstrengen wie wir wollen - sie liegen nicht in unserem Einflussbereich.
Das ist eine der großen Lektionen, die uns das Leben gerade alle ausnahmslos lehrt.

Noch mal: "Bleib gesund!", das klingt so nach Anstrengung. Und wer das dann nicht schafft, hat der sich nicht genug angestrengt? Sicher nicht.
Ja, klar will ich gesund bleiben.
Aber das liegt nicht in meiner Macht. Aber genau das suggeriert dieses "Bleib gesund!" , als hätte ich es in der Hand, wenn ich mich besonders anstrenge.
Puh, ist das anstrengend.

Ich finde "Mögest du gesund sein", entspannter und liebevoller, wünschend für den anderen und wünschend für uns selbst: "Möge ich gesund sein". Und vor allem -  es ist demütiger.
Demut, genau das ist die zweite der vielen Lektionen, die wir alle gerade lernen dürfen.









Sonntag, 19. April 2020

Spaltung




Zeichnung: A. Wende

Es war klar, dass wir angesichts der Krise in eine Spaltung geraten.
Ein gesellschaftlicher Reflex, der am Ende zwei Lager bildet.
Die, die meinen: "Ach so schlimm ist das nicht, alles nur Panikmache" und sich genau die Informationen im Netz herausfiltern, die zu ihrem absolut verständlichen Wunschdenken und ihrer verdrängten Angst passen.
Ein Reflex, der dazu dient zu banalisieren und die Krise gefühlt weniger bedrohlich erscheinen lässt.
Und die anderen, die aus einer überhöhten und teilweise panischen Angst heraus meinen: "Es ist furchtbar schlimm, es geht um Herdenimmunität, wir kriegen es alle, wir müssen alle sterben."
Diese Lager bekämpfen sich jetzt. Daran zerbrechen sogar Freundschaften. Schade, denn genau das ist es, was wir jetzt alle nicht brauchen können, und das was ist, nicht besser macht und auch nicht löst. Beide Reflexe sind auf ihre Art zwar nachvollziehbar, aber unheilsam und sie führen leider zu weiterem Unheilsamen.

Samstag, 18. April 2020

Möglich

Malerei: Angelika Wende

Ist es möglich, dass Menschen nichts dazu lernen, egal wir oft ihnen die gleiche Lektion widerfährt?
Ist es möglich, dass Empathie, Respekt, Achtsamkeit und Nächstenliebe nur Worthülsen sind, die zerplatzen wenn es darum geht, dass all das gelebt wird?
Ist es möglich, dass Menschen nicht solidarisch sind, nicht einmal angesichts einer gemeinsam erlebten Krise?
Ist es möglich, dass jeder sich selbst der Nächste ist und den Nächsten übersieht?
Ist es möglich, dass achtsames einander Zuhören und gegenseitiges Verständnis schwerer ist, als immer ICH ICH ICH zu denken und zu sagen?
Ist es möglich, dass Menschen die Meinung anderer angreifen und zu Feinden werden, nur weil sie nicht der eigenen Meinung entspricht?


Ist es möglich, dass Egoismus und Selbstsucht größer sind als menschlicher Zusammenhalt?
Ist es möglich, dass bedingungslose Liebe nur ein SprachWort ist, das nicht gelebt wird, weil es immer nur um die eigenen Bedürfnisse geht?
Ist es möglich, dass verletzte Menschen andere Menschen verletzen, weil sie sich nicht um ihre eigenen Verletztungen kümmern?
Ist es möglich, dass spirituelles Wachstum nur eine Blase ist, die im Kopf stattfindet und im wahren Leben zerplatzt ?

Ist es möglich, dass Leben weniger zählen als Gier?
Ist es möglich, dass Haben und Festhalten mehr Wert ist, als in der Not zu teilen?
Ist es möglich, dass Ignoranz und Gleichgültigkeit der Not anderer gegenüber mächtiger ist als liebevolle Güte?

Ist es möglich, dass Missachtung und Zerstörung der Natur Menschenwerk ist?
Ist es möglich, dass Menschen aus den Erfahrungen der Geschichte nichts dazu lernen?
Ist es möglich, dass Dummheit über Klarheit und Weisheit siegt, nur weil es mehr Dummheit gibt als Weisheit in der Welt?
Ist es möglich, das der Blick über den eigenen Tellerand derart verstellt ist, dass das große Ganze nicht gesehen wird?
Ist es möglich, dass Mensch selbst in der größten Krise, nur an sich selbst denkt?
Ja, es ist möglich!


(Ausnahmen bestätigen die Regel)

Freitag, 17. April 2020

Gedankensplitter





Zeichnung: Angelika Wende

Aber was ist das Hässliche?
In der Definition verhält es sich ebenso spröde wie das Schöne.
Und spricht man von einer Ästhetik des Schönen, dann freilich ist es gerechtfertigt von einer Ästhetik des Hässlichen zu sprechen. Das Hässliche, das Schreckliche, im Gegensatz zum Schönen, springt uns an, es fordert uns heraus mit seinem Wesen von Faszination und Abstoßung zugleich, es versetzt uns in jene Amibivalenz, die uns das Bild von uns selbst und Welt hinterfragen lässt.

Was uns bedroht und irritiert ist immer ein Spiegel - und immer ist der entscheidende Spiegel, jener Spiegel, in den wir nicht wagen hineinzublicken, denn: Was könnte uns da anspringen, was im Tiefsten mit uns zu selbst tun hat?

Donnerstag, 16. April 2020

Eine Zeit lang



Zeit gewinnen um die Infektionskurve abzuflachen und zu strecken. Es geht um Zeit, eine zeitlang, eine lange Zeit, länger als wir hofften am Anfang der Pandemie vor einigen Wochen, als wir das Ausmaß dessen, was uns überrollt und im Griff hat, noch nicht kannten. Als wir noch nicht ahnten, dass diese Zeit eine Zeit sein wird, die die alte Zeit ablöst. Die Zeit als wir frei waren, die Zeit der unendlichen Möglichkeiten, die Zeit als wir das, was da war als selbstverständlich genommen haben. Nichts ist mehr selbstverständlich. Alles ist kostbarer geworden, besonders unsere Gesundheit und die Gesundheit unserer Liebsten. 
Ich bin mir dessen bewusst,  jeden einzelnen Tag, wie kostbar meine Zeit ist, meine Gesundheit und die meines Sohnes. Mein Sohn, der gestern aus seiner WG ausgezogen ist, weil sein Mitbewohner jeden Abend Party gemacht hat, Leute eingeladen hat zum Feiern, zwei, drei Fremde.
Der Mitbewohner, einer der es nicht kapiert hat, der einfach so weiter macht, ohne Rücksicht auf das, was ist, ohne Achtung vor meinem Sohn, der ihn über Wochen immer wieder gebeten hat, acht zu geben, auf seine Gesundheit,auf die meines Sohnes. Die Ichbezogenheit, die Ignoranz war größer, die Dummheit erschreckend.
Gestern hat mein Sohn die Wohnung verlassen.
Ich bin froh, er hat richtig gehandelt. Ich sorge mich jetzt weniger um ihn. Er hat für sich gesorgt. Er wohnt jetzt erst mal in einer kleinen Wohnung. Er ist traurig, weil er sein schalldichtes Studio verloren hat, das er sich in der alten Wohnung eingerichtet hatte, in dem er seine Musik macht, von der er lebt. Jetzt hat er kein Studio mehr. "Ich mach meine Musik Mum, egal wo ich bin", sagt er, "ich finde eine Lösung."

Wir alle müssen Lösungen finden, weil uns Selbstverständliches weggenommen wird. Wir alle müssen auf so vieles verzichten was vertraut war und angenehm. Das ist bitter. Es ist bitter Vertrautes aufgeben zu müssen. Es ist noch bitterer den Arbeitsplatz zu verlieren und nicht mehr zu wissen wovon leben, außer Hartz IV als letzte Rettung um zu überleben. Das erleben in dieser Zeit viele Menschen.
Leben auf dem Minimum, weil das wovon sie vor dieser Zeit lebten, nicht mehr gelebt werden kann. Eine Zeit lang.

Wie lange diese Zeit dauert, das wissen wir nicht. Das macht es noch bitterer. Aber solange wir gesund sind, solange wir leben können wir Lösungen finden. Auch wenn sie erst mal anders sind als wir uns das wünschen. Auch wenn es bedeutet, es ist erst mal eine Weile richtig beschissen. Solange wir leben ist da Hoffnung, dass wieder eine andere, eine bessere Zeit kommt.


Mittwoch, 15. April 2020

Psychische Störungen in Zeiten von Corona

Foto: Angelika Wende


Die jetzige Situation stellt für uns alle eine große Herausforderung dar. Wir sind mit einem völlig neuen Lebensalltag konfrontiert, der alles was uns als selbstverständlich und normal erschien, weggerissen hat. Aber was ist mit den Menschen, die schon vor Corona unter Angststörungen, Zwängen, Hypochondrie, Depressionen oder starken Einsamkeitsgefühlen leiden?

Bei vielen nimmt die Symptomatik zu.
Sie sind jetzt oft, besonders wenn sie alleine leben, vollkommen auf sich selbst reduziert. Sie haben kaum noch Ausweichmöglichkeiten aufgrund des Lock downs. Viele gewohnte hilfreiche kleine Fluchten um der Symptomatik der Erkrankung für Stunden zu entkommen ist nicht mehr möglich. Möglich sind Spaziergänge, einkaufen gehen und Gespräche mit vertrauten Menschen via Telefon oder Video. Aber auch das Rausgehen in Corona Zeiten ist jetzt zum Beispiel für Hypochonder eine große Herausforderung in Sachen Angstüberwindung.

Da draußen ist nichts mehr sicher, da draußen ist ein Virus, der krank machen kann, sie, die sich vor nichts mehr als vor Krankheiten fürchten. Das potenziert die Angst um ein Vielfaches. Viele hypochondrische Menschen gehen auch nicht mehr zu Ärzten, was sie zu ihrer seelischen Entlastung brauchen, denn in den Praxen könnte man sich ja noch schneller anstecken unter all den Kranken. Und beim Spaziergang könnte einen das Virus erwischen, sobald man einem Infizierten begegnet und wer das ist sieht man ja nicht, also ist jeder Mensch besonders für die Gedankenwelt eines Hypochonder eine potenzielle Gefahr.
Dies ist nur ein Beispiel für das Leid psychisch kranker Menschen, das die Pandemie um ein Vielfaches verstärkt.

Der Psyche fehlen lebensnotwendige Kontakte und vertraute Gewohnheiten. Das macht nicht nur mit der Psyche von Gesunden etwas, das ist für Menschen mit psychischen Störungen der blanke Horror.  

Sie sind sich selbst und ihren Störungen oft hilflos ausgeliefert. Auch der gewohnte Gang zum Therapeuten ist vielen Patienten nicht mehr möglich, weil viele Praxen geschlossen sind. Manche Therapeuten arbeiten jetzt über Video, das ist sehr hilfreich, aber es ersetzt die fühlbare menschliche Nähe nicht, die Patienten zur Entlastung und Beruhigung brauchen.
Trotzdem: Die virtuelle Sprechstunde ist besser als keine und sollte unbedingt genutzt werden, wenn die Möglichkeit besteht.

Aber was kann man selbst als Betroffener tun?

Viele Betroffene haben in der Therapie hilfreiche Methoden, Verhaltensmuster und Skills erlernt um mit ihren Symptomen umzugehen. Diese sollten jetzt aufgefrischt und unbedingt angewendet werden. Alles was Selbstberuhigungskompetenz verschafft ist wichtig anzuwenden. Dazu braucht es: Die Bereitschaft das Erlernte anzuwenden. Immer wieder. So schwer das auch ist, aber es hilft um den Symptomen nicht hilflos ausgeliefert zu sein.

Hilfreich kann auch das Lesen sein. Es gibt viele gute Bücher zum Verständnis und zum Umgang mit der eigenen Krankheit. Diese wieder einmal oder neu zu lesen macht Sinn.

Ich empfehle folgende:
Bei Panikattacken, das kleine Überlebensbuch „NUR MUT! Von Dr.med. Claudia Croos-Müller mit wirksamen Soforthilfetipps.

Bei Zwangsstörungen das Buch: Der Kobold im Kopf -
Die Zähmung der Zwangsgedanken
Autor: Lee Baer

Bei Hypochondrie: „Hypochondrie und Krankheitsangst“ von Gaby Bleichhardt, Alexandra Martin. Reihe: Fortschritte der Psychotherapie - Band 41.

Bei leichteren Depressionen ist ein sehr hilfreiches Buch: Der Zen-Weg aus der Depression von Philip Martin

Bei Einsamkeitsgefühlen empfehle ich das Buch von Fransika Muri mit dem Titel: „21 Gründe das Alleinsein zu lieben.“

Und wenn es trotz aller Bemühungen zur Selbsthilfe unerträglich wird: Es gibt Hilfe in psychosomatischen Kliniken, bei Therapeuten die Videoberatung anbieten und unter folgenden Nummern ...
Das Corona-Krisentelefon
Unter der Telefonnummer 069-798 46666 gibt es die Möglichkeit mit Therapeutinnen und Therapeuten über Ängste und Möglichkeiten zur Überwindung von Belastungen zu reden. Montag bis Freitag jeweils 9-21 Uhr; Samstag und Sonntag jeweils 16-20 Uhr. Speziell für Kinder, Jugendliche und Eltern wird eine Beratung unter der gleichen Telefonnummer 069-798 46666 zu folgenden Uhrzeiten angeboten: Montag-Freitag, 9-14 Uhr. Die Beratung ist kostenlos.

Dienstag, 14. April 2020

Schreiben




Foto: A.W.


Wieder ein Morgen. Lock down Morgen Nummer ... ich weiß es nicht, ich zähle die Tage nicht. Ich wache auf und wie jeden Morgen bin ich dankbar, dass ich gesund bin.
Draußen scheint die Sonne nach einem verregneten Ostermontag.
Ich gehe zum Fenster, lege die Kissen zum Lüften raus. Ich gehe in die Küche und schaue in den Garten. Der Fliederbaum blüht dunkellila. Ich denke an den Frühling im letzten Jahr. Ich erinnere mich an Liebe.

Ich mache mir meinen Morgenkaffee. Der erste Kaffee am Morgen ist der Beste. Ich öffne die Fenster und atme frische Morgenluft. Ich liebe den Morgen. Egal was draußen ist, es ist gut drinnen, weil Morgen ist. Am Morgen schreibe ich. Auch heute schreibe ich. Schreibe mir aus der Seele was mich beschäftigt. Ich trinke meinen Kaffee und sehe die Worte vor mir, fühle den Stift in der Hand. Alles ist gut, wenn ich schreibe. Das Schreiben ist meine Welt. Meine eigene kleine Welt, die nur mir gehört, egal was da draußen ist. Wenn ich schreibe bin ich mir nah, ganz nah an meinem Herzen. Mir selbst verbunden.
Das ist gut. Dafür bin ich dankbar.
Ich begreife mich schreibend, immer auch wenn ich mich nicht begreife, begreife ich was das Nichtbegreifen ist, woher es kommt, was es auslöst.
Ich erkenne mich schreibend. Verstehe mich, berühre mich dort, wo mich nichts anderes so tief berührt wie ich mich selbst.
Mit dem Schreiben verlässt mich die Einsamkeit, die ich in diesen Tagen fühle.
Schreibend nehme ich Distanz zu diesem Gefühl ein. Schreibend fülle ich die Leere in meinem Zimmer, das so lange schon nur noch mich beheimatet. Ich frage mich, wie lange noch?
Ich weiß, es wird dauern.
Ich weiß, ich brauche Geduld, Langmut, Zuversicht.
Ich schreibe ...




Montag, 13. April 2020

Gedankensplitter



 

Es ist schrecklich dieses tiefe Gefühl von Liebe erlebt zu haben 
und es zerfallen zu sehen
in ein sich nur nahe fühlen.
Das ist Sterben im Leben für mich.