Samstag, 30. April 2022

Gesunde Grenzen setzen

 



Abgrenzen ist für die innere Heilung wichtig.
Grenzen schützen uns vor Überforderung und regulieren das Zusammenleben mit anderen.
Gesunde Grenzen setzen und sie einhalten.
Wissen und fühlen, wo wir aufhören und wo der andere anfängt und danach handeln.
Grenzen dienen den Umgang mit unseren Gefühlen.
Wir nehmen sie wahr, wir nehmen sie ernst und wir achten sie.
Und so wie wir unsere eigenen gesunden Grenzen achten, achten wir die Grenzen anderer.
Grenzen setzen können, hat viel mit dem Loslassen von Scham-und Schuldgefühlen zu tun. Es hat mit dem Loslassen unheilsamer innerer Überzeugungen zu tun, die uns klein machen und uns suggerieren, dass wir gefallen müssen, um gemocht, geliebt oder anerkannt zu werden oder dass wir es nicht wert sind uns zu schützen und gut für uns selbst zu sorgen. 
 
Darum ist es so wichtig diesen alten Gefühle von Scham und Schuld, den alten Überzeugungen und Glaubensmustern wie wir zu sein haben um gesehen, geachtet und geliebt zu werden, auf den Grund zu gehen. Je klarer und bewusster wir uns über uns selbst werden und je klarer wir erkennen, was alt ist und was wir jetzt nicht mehr brauchen, desto deutlicher treten unsere Grenzen hervor.
Wir wissen was wir meinen und was wir sagen.
Wir nehmen uns selbst ernst.
Und dann nehmen uns die anderen ernst.
 
Gesunde Grenzen setzen lernen geht nicht von heute auf morgen.
Grenzen setzen wir dann, wenn wir dazu bereit sind.
Grenzen setzen hat mit innerem Wachstum zu tun und das braucht Arbeit an uns selbst, Geduld mit uns selbst, Übung und Zeit.

Freitag, 22. April 2022

Heilung beginnt mit der Akzeptanz deiner eigentlichen Wunde

 


Konflikte zwischen bewussten und unbewussten Inhalten sind der Urgrund, der zu psychischen Störungen und seelischen Problemen führt. Diese unbewussten Inhalte beeinflussen unser Denken, Fühlen und Handeln. Seit Sigmund Freud, dem Vater der Psychoanalayse, wissen wir, dass Heilung der Weg des Erforschen, Erkennens und Verarbeitens dieser unbewussten Inhalte ist. Carl Gustav Jung ging dabei einen Schritt weiter. Er bezog das kollektive Unbewusste in seine Arbeit auf dem Weg seelischer Heilung mit ein. Für ihn stand fest, dass das kollektive Unbewusste, ebenso wie das persönliche Unbewusste, Teil der menschlichen Psyche ist. Kollektive Erfahrungen werden über Generationen vererbt. Heute wissen wir, nicht zuletzt durch die Traumaforschung, besonders auch im Hinblick auf die Generation der Kriegskinder und deren Kinder, wie kollektive Traumata über Generationen hinaus auf das individuelle Unbewusste wirken. Zudem war Jung der festen Überzeugung, dass das Verarbeiten seelischer Wunden zum Ziel haben muss, diese als Teil der eigenen Biografie zu akzeptieren und sie dann als Teil der eigenen Ganzheit zu integrieren.
 
Erforschen, erkennen, verarbeiten, integrieren. Darum geht es, wenn wir von seelischer Heilung sprechen.
 
Erforschen und erkennen
Zu allererst dürfen wir also den Ursachen für unseren seelischen Schmerz auf den Grund gehen, denn nicht immer wissen wir darum, weil sie verdrängt oder abgespalten sind. Alles was außerhalb unseres Bewusstseins liegt führt ein Eigenleben in den Tiefen unserer Seele und hat gerade deshalb immense Macht über uns. Wir reagieren zu 90 Prozent unbewusst, weiß man heute, und das ist verdammt viel. Je unbewusster wir uns also unserer inneren Konflikte und Wunden sind, je tiefer sie in den Schatten der Seele verborgen liegen, desto stärker werden wir von ihnen beherrscht und desto stärker beeinflussen sie unser Leben auf allen Ebenen, besonders in Beziehung zu uns selbst und anderen.
 
Verarbeiten
Viele von uns sind im Glauben aufgewachsen, dass seelischer Schmerz und psychische Probleme eine Schwäche sind, dass ungute Gefühle weggedrückt und unterdrückt werden müssen, um ein „gutes Kind“ zu sein und um im Leben zu funktionieren. Vielen von uns hat man beigebracht, dass es das Unheilsame nicht geben darf und dass man den eigenen Schmerz für sich behalten und auf keinen Fall zeigen soll. Doch genau das führt zu noch mehr seelischem Kummer. Für viele Menschen ist es bereits befreiend, wenn sie über ihre seelischen Verletzungen zu reden beginnen, es wirkt enorm entlastend, wenn sie sich endlich die Erlaubnis geben ihre Gefühle wahrzunehmen und sie auszudrücken. 
 
Seelischer Schmerz muss herausgelassen werden, erst dann kommt verkapselte destruktive Energie ins Fließen und nur was fließt, kann sich wandeln.
Damit beginnt die Verarbeitung. Wir holen alles aus dem Keller, was da seit Jahrzehnten ins Dunkle weggesperrt wurde. Wir schauen es an, stellen uns den damit verbundenen Gefühlen und Gedanken, wir haben die Bereitschaft sie radikal zu akzeptieren und sie als Teil unserer Biografie und unseres Seelenhauses fortan bewusster und vor allem - mitfühlender mit uns selbst, da sein zu lassen. Damit beginnt der Prozess des Integrierens.
Akzeptanz und Integration sind wichtige Schritte im Heilungsprozess. Nur wenn wir uns selbst akzeptieren, wenn wir aufhören, uns selbst etwas vorzumachen oder jemand zu sein, der wir nicht sind, nur wenn wir uns selbst annehmen und uns gut um uns selbst kümmern, findest wir zu uns selbst und das Entscheidende: wir lernen uns selbst zu vertrauen. Wir gehen auf uns selbst zu und damit überwinden die Entfernung von uns selbst, die zur Selbstentfremdung geführt hat. 
 
Wer sich selbst vertraut, findet den Mut und die Kraft sich seiner Wunde zu stellen, statt weiter vor ihr zu fliehen.
Mit diesem Selbstvertrauen können wir Vergangenes verarbeiten. Und es wirkt wie ein Schutzschild, um uns vor weiteren seelischen Verletzungen zu schützen. Sich selbst vertrauen stärkt unsere Fähigkeit uns uns selbst zuzumuten, so wie wir sind, ohne uns dafür zu kritisieren oder zu verurteilen. Es stärkt unsere Fähigkeit zu handeln, nicht nur in der Welt da draußen, sondern im besten Sinne für uns selbst. Selbstvertrauen heißt, auf das zu vertrauen, was wir wirklich fühlen, welche Bedürfnisse wir haben. Selbstvertrauen schenkt uns die Kraft dafür zu sorgen, dass wir uns lebendig werden lassen.
Wir vertrauen uns selbst, so wie wir sind, mit allem, was wir sind und sorgen gut für uns selbst. Wir lernen Selbstfürsorge. Selbstfürsorge aktiviert die Selbstheilungskräfte, die die Seele gesunden lassen. Auch wenn es viel Zeit braucht.
Heilung ist der Weg zu unserem wahren Selbst.
Individuation, nennt C. G. Jung diesen Prozess, ein Prozess der Selbstwerdung des Menschen, in dessen Verlauf sich das Bewusstsein der eigenen Individualität zunehmend verfestigt.
 
 
 
Angelika Wende

Mittwoch, 20. April 2022

Aus der Praxis: Wenn der Verstand begreift, begreift das Herz noch lange nicht.

 

                                                             Zeichnung: A. Wende

„Ich weiß es doch. Ich weiß doch, dass mir das alles nicht gut tut. Ich sehe doch wie schlecht ich mich fühle und jeden Tag schlechter. Ich weiß, dass ich diese Beziehung verlassen muss. Aber ich kann es nicht.“
Mein Klient ist verzweifelt. Er lebt in einer Beziehung, die ihn zermürbt. Sitzung für Sitzung, höre ich seine Klage. Ich sehe wie er immer schmaler wird, die Schatten unter den traurigen Augen immer dunkler. Er hat keine Lebensfreude mehr. Er hält fest, was er nicht festhalten will, aber er kann nicht loslassen. Sein ganzes Leben dreht sich nur noch um seine unheilsame Beziehung, alles andere ist in den Hintergrund getreten. Im Alltag funktioniert er wie ein Roboter. Er weiß, wenn er so weiter macht, wird er krank. Seit Monaten zeigen sich körperliche Symptome. Er hat Schlafstörungen, Panikattacken und Magenschmerzen. 
 
So wie meinem Klienten geht es vielen Menschen, wenn auch in unterschiedlichen Situationen. Der Verstand weiß, was zu tun ist, aber das Gefühl kommt nicht nach.
Woran liegt das?
Wenn wir rational über etwas nachdenken nutzen wir dafür den präfrontalen Cortex. Dieser ist eng mit dem limbischen System, dem Sitz der Gefühle, auch das Herzdenken genannt, verknüpft. Während der präfrontale Cortex Emotionen regulieren und unter Kontrolle halten kann, kann es das limbische System nicht. Sie sind quasi Gegenspieler.
Die Vorstellung, dass wir Menschen Vernunftwesen sind, hat sich längst überholt. Die Hirnforschung hat herausgefunden, dass kein Mensch rein rational handelt. Viele Entscheidungen, die wir treffen, lassen sich nicht vernünftig erklären und schon gar nicht verstehen, nicht einmal von demjenigen, der die Entscheidung trifft. Wenn man ihn fragt, warum er so entschieden hat, wird nachrationalisiert. Mit anderen Worten: Wir denken uns etwas hin, weil wir keinen Zugang zu unseren unbewussten Motiven haben. 
 
Auch wenn der Verstand begreift, begreift das Herz noch lange nicht.
Das Herz ist eng verknüpft mit unserem Bauch, was wir Bauchgefühl nennen. Und dieses wiederum wird gesteuert vom Limbischen System. Das Herz hat seine eigenen Gründe und Motive, die eben nicht rational sind. Gründe, die auf Ängsten beruhen oder aus Erfahrungen erwachsen, die wir früher einmal gemacht haben.
Schauen wir auf das Problem meines Klienten. Sein Handeln wird dadurch beeinflusst, dass er schon einmal in seinem Leben eine Beziehung verlassen hat und lange Zeit danach unglücklich war. Dazu kommt, dass er seit seiner Kindheit unter starken Verlassensängsten leidet.
Mein Klient hat also die Erfahrung gemacht, dass er schlecht beraten war, als er eine Beziehung verlassen hat, weil er danach unglücklicher war als in der Beziehung. Er ist ein Risiko eingegangen, das er als schmerzhaft erlebt hat und im Nachhinein als Fehlentscheidung bewertet. Zudem hat er erfahren, dass Verlassenheitsgefühle als Kind als existenzbedrohlich erlebt wurden. Das beeinflusst im Jetzt seine Emotionen und damit sein Handeln. Das Herz will sich vor neuem Leid schützen, was aber paradoxerweise zu noch mehr Leid führt. 
 
Jede Lebenserfahrung hat Einfluss auf unsere Gefühle und dagegen ist der Verstand oft machtlos.
Wir wägen zwar rational ab, aber wir entscheiden in existentiellen Fragen viel mehr nach dem Herzen und dem Bauch.  
Besonders dann, wenn, wie im konkreten Fall meines Klienten, die Aussicht etwas zu gewinnen, nämlich nicht mehr zu leiden, mit der Angst, etwas zu verlieren, nämlich Beziehung (verlassen zu sein), im Widerstreit stehen.
 
Heißt das jetzt, wir haben auf unsere Entscheidungen rational keinen allzu großen Einfluss?
Ganz so ist es nicht, denn es kann gelingen, mit dem Verstand gegenzusteuern. Dazu braucht es die Bereitschaft es zu wollen. Damit haben wir aber immer noch keine rationale Entscheidung getroffen, sondern wir haben lediglich entschieden rational abzuwägen, was heilsam ist und was nicht.
Was heißt das für meinen Klienten?
Das Bewusstsein und die Aussicht darauf, dass es ihm mit der Zeit besser geht, wenn er es schafft sich aus dem unheilsamen Beziehungskonstrukt zu lösen, muss stärker werden, deutlich stärker, als die „Belohnung“ in einer Beziehung zu sein. Auch die Vermeidung der Trennung aus Verlassenheitsangst muss in diesen Prozess einbezogen werden, was bedeutet, die alte Angst anzuschauen und sie zu verarbeiten. Mein Klient darf lernen, dass er kein Kind mehr ist, dass Trennen und Verlassen als Erwachsener bewältigt werden kann. Und er darf lernen, dass Gefühle wie Angst und Schmerz aushaltbar sind und nicht existentielle Vernichtung bedeuten.
Keine leichte Arbeit, aber notwendig um das Herz zu heilen. 
 
 
Wenn du Unterstützung möchtest, bist du herzlich willkommen.
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In einem unverbindlichen 30 minütigen Erstgespräch können wir uns kennenlernen und ein Gefühl füreinander bekommen. 
 
Ich freue mich auf dich!
 

Montag, 18. April 2022

Aus der Praxis: Gula – Die Gier und die Völlerei oder wenn Essen zum Zwang wird

 

                                                          Malerei: Angelika Wende "Gula"


 

 

So wie der Acker verdorben wird durch Unkraut, wird der Mensch verdorben durch seine Gier.

Buddha

 

 

Wie bringt man sich am Besten um?

Schlaftabletten, sich aufhängen, sich in die Tiefe stürzen?

Oder sich tot fressen oder tot saufen?

Dauert länger, funktioniert aber garantiert. Man muss nur Geduld haben und Leidensfähigkeit. Wobei das Leiden solange der Rausch hergibt was er soll, nämlich gute Gefühle, oder solange das Fressen hergibt, was es soll, nämlich gute Gefühle, auch wenn das, was man tut in Wahrheit ungut ist, nicht als Leiden empfunden wird, sondern als Akt der Befriedigung, welche gierig immer wieder hergestellt werden muss.

 

Gula, heißt das lateinische Wort für eine der sieben Todsünden, names Gier.

Gier ist Maßlosigkeit, das rechte Maß nicht kennen oder es kennen und nichts dagegen setzen können. Ein üppiges Leben führen im Genuß über die Maßen.

Wer das Maß verloren hat, hat die rechte Weise verloren mit dem Maß umzugehen.

Er wird nicht satt. Er betreibt Völlerei.

Völlerei bedeutet, sich den Bauch vollzustopfen. Völlerei wird auch bezeichnet als Esssucht, Fresssucht, Gefräßigkeit. Essen wird zum Zwang, zur Sucht, wird zum Fressen, ist nicht mehr zu stoppen.

Der Hunger nach dem was der Gierige begehrt,  ist grenzenlos, ist eine unmäßige Begierde, die unstillbar ist und immer mehr braucht. Immer größere Portionen, immer größer der Appetit, immer unkontrollierter wird das Verschlingen, ohne überhaupt noch wahrzunehmen wann das Gefühl von Sättigung eintritt. Kein Genuss mehr. Es geht um mehr, immer mehr davon, sei es Nahrung oder Alkohol. 

Bei der Gier geht nicht in erster Linie um Menge und Häufigkeit des Essens und Trinkens, auch nicht um das, was gegessen und getrunken wird - es geht allein darum wie man sich dem hingibt und ob das Materielle alles bestimmt, wodurch es zur Sucht wird. 

 

Völlerei gilt nicht mehr als Todsünde, aber sie kann tödlich enden.

Das Wissen, dass es gesundheitsschädlich ist, auf Dauer mehr Energie in Form von Nahrung zu sich zu nehmen, als der Körper braucht und verarbeiten kann, wird verdrängt. Und das obwohl der Körper immer mehr an ungesundem Fett zulegt, der Blutdruck steigt, die Diabetes im schlimmsten Falle zur Hypertonie, zu Sehverlust und anderen schweren körperlichen Erkrankungen führt. Bei der kleinsten Anstrengung rinnt der Schweiß, das Herz muss pumpen, das Atmen fällt schwer.   

Karzinome Erkrankungen, Herzinfarkt und Schlaganfall sind vorprogrammiert. In diesem Wissen lebt der Gierige Tag für Tag, verdrängt es und frönt weiter seinem Überfluss. Die Ratgeber, die Hilfestellung geben, wie der Griff zum Alkohol und das Essen von zu Fettem und Ungesundem unterlassen werden kann, füllen die Regale der Buchhandlungen. Sie werden gekauft und gelesen. Es stellt sich kurz ein schlechtes Gewissen ein, die Angst kriecht nach oben, wird aber nicht als Signal wahrgenommen, sondern wieder betäubt mit noch mehr Essen und/oder noch mehr Alkohol.

 

Das warme satte Gefühl, das die Gier unmittelbar und kurzfristig nach sich zieht, deckt scheinbar Grundbedürfnisse. 

Im Kern wurzelt die Völlerei , wie jede Sucht oder Obsession im Verlust der gesunden Mitte und in einem Mangel der spirituellen Dimenson im Leben.  Hinter jeder Art von Gier steht das Bedürfnis nach Lebendigkeit, nach Fülle, nach Haben. Viel Haben macht in unserer Gesellschaft attraktiv und es stärkt das (nicht vorhandene ) Selbstwertgefühl. Haben suggeriert: Reichtum, Wohlstand, Überfluss, in Saus und Braus leben, Überangebot, Übermaß, Fülle. All das suggeriert: Ich bin wertvoll, wenn ich Dinge im Übermaß anhäufe oder im Falle der Völlerei -  in mich hineinschlinge.

 

Psychologisch gesehen ist die Gier der Versuch nach Betäubung eines schmerzhaften Unbefriedigtseins. 

Seine Gier zu befriedigen ist ein momentaner Genuss, der ablenkt von der großen inneren Leere. Weil diese Leere nicht zu stopfen ist,  wird weiter in sich hineingestopft. Wenn es sonst nicht viel gibt, was ein Leben ausfüllt, wird die Völlerei zur Hauptsache gemacht.

 

Was ist hilfreich?

Zuallererst: Sich bewusst machen, wonach man wirklich giert, was man wirklich haben will. Welche Bedürfnisse unerfüllt sind oder welche inneren Themen man nicht zu lösen bereit ist. Die Aufgabe des Gierigen ist: Seinen Blick auf die wahren Bedürfnisse und Werte zu legen und diese sind immateriell. Ist das bewusst geworden, rutscht das Habenwollen an den richtigen Platz: nämlich hin zum Sein. 

Völlerei ist therapierbar. In der Verhaltenstherapie z.B. wird erlernt, achtsamer und weniger zu essen und vor allem auf die Sättigungssignale zu achten.

In jedem Falle aber ist die Herausforderung für den Gierigen, zu erforschen, was die Ursachen seiner Völlerei sind und sich damit auseinanderzusetzen. Denn, ein Mensch, der von der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung abhängig ist, verliert nicht nur die Kontrolle über seinen Verlangen, er vernachlässigt auch seine Seele, seinen Körper und seine Gesundheit. 

 

Wenn Du Unterstützung möchtest, bin ich für Dich da.

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Samstag, 16. April 2022

Was ist gut für mich?

 



Wenn ich mich ernst nehme, dann frage ich mich:
Ist das gut für mich? Will ich das wirklich? Ist es das, was ich brauche, was mich nährt und zufrieden macht? Ist der Weg, den ich gehe, der Platz an dem ich bin, noch der Richtige? 

Sind die Menschen mit denen ich mich umgebe, die, die mir gut tun? Oder mache ich Dinge, lebe ich so wie ich lebe, weil ich das schon immer so mache? Oder weil ich nicht weiß, was und wie ich es anders machen könnte. Oder weil ich anderen mehr glaube als mir selbst, weil ich mich unter ihrem Einfluss befinde, weil ich es ihnen recht machen will, weil ich dazu gehören will zu, weil ich Angst habe nicht mehr dazu zu gehören und allein da zu stehen. Oder weil ich nicht weiß, was und wie ich es anders machen könnte.

Diese Fragen sind nicht egoistisch, sie sind ein Verweis auf ein gesundes Verhalten. Sie sind der Verweis darauf, dass ich bereit bin gut zu mir selbst zu sein, dass ich es, so wie es ist, nicht mehr gut finde und etwas geändert werden muss.
Ich muss nicht gleich wissen wie. Es genügt zunächst zu wissen, so wie es ist, ist es nicht mehr gut für mich. Es genügt zu wissen: Ich weiche mir nicht mehr selbst aus. 

Das ändert schon vieles.

Mittwoch, 13. April 2022

Beziehungen

 

                                                             Malerei: Angelika Wende


Wir können viel lernen, von den Menschen, zu denen wir uns hingezogen fühlen. 
Besonders von den Menschen, die uns nicht gut tun. Von denen, die uns das Gefühl geben, dass wir nicht gut genug sind. Besonders von denen, die uns sagen, dass wir falsch sind oder falsch liegen, indem was tun, denken und fühlen. Besonders von denen, die sagen, wir sind zu kompliziert. Besonders von denen, die immer nur von sich selbst reden, ohne uns zuzuhören. Besonders von denen, die uns sagen: Du hast dich, oder dein Leben nicht im Griff. Besonders von denen, die uns verletzen. Besonders von denen, die uns nicht achten, so wie wir sind.
Sie zeigen uns, was wir noch nicht gelernt haben.
Sie zeigen uns, was wir noch zu heilen haben.
Sie zeigen uns, dass wir uns abgrenzen und besser für uns selbst sorgen müssen.
Je mehr wir lernen, sorgsam mit uns selbst umzugehen, uns selbst zu mögen und zu achten, desto mehr fühlen wir uns zu Menschen hingezogen, die uns achten und die wir gefahrlos lieben können.
Das braucht Zeit und Geduld. 
Der Typ Mensch, zu dem wir uns hingezogen fühlen, verändert sich nicht sofort. Es kann dauern. Es dauert so lange, bis wir gelernt haben, was wir lernen müssen.
Zu wem wir auch in Beziehung sind, zu wem wir auch Beziehung aufnehmen, und was auch immer wir in Beziehung entdecken - es geht zuletzt um uns, und um das, was wir noch zu lernen haben.
Es mag dauern, aber wir können lernen, gesunde Beziehungen aufzubauen und ungesunde Beziehungen zu verlassen.

Sonntag, 10. April 2022

Corona-Lockerungen: Warum manche Menschen damit Probleme haben

 



Das Blatt hat sich gewendet. Nach über zwei Jahren Ausnahmezustand  ist das „normale" Leben wieder möglich. Fast alle Maßnahmen sind aufgehoben und die Welt da draußen steht allen Menschen wieder offen, unabhängig vom Impfstatus.

Das erlebt aber nicht jeder so.

Die Corona-Pandemie hat bei manchen Menschen das Sozialverhalten nachhaltig verändert. Das betrifft jene unter uns, die alle Kontakte heruntergefahren oder vermieden haben. Das führt zu einem Gewöhnungsprozess, der nicht so schnell umkehrbar ist. Vielleicht ist auch bei manchen von uns das Bedürfnis nicht mehr da, wieder so zu leben wie vorher, aber ohne zu wissen, wie ein anderes Leben aussehen kann.

 

Manche Menschen haben sich in all der Zeit an den Zustand der Isolierung und daran niemanden real zu sehen gewöhnt. Die Reize wurden heruntergefahren. Wenn sie wieder ins Leben hinausgehen, kann das zu einer Reizüberflutung und in der Folge zu Anpassungsschwierigkeiten führen.

Reizüberflutung ist etwas, das hochsensible Menschen gut kennen und sich davor zu schützen wissen, indem sie sich immer wieder ins Eigene zurückziehen um zur Ruhe zu finden. Was für Hochsensible normal ist, ist es für andere jedoch nicht. Für manche Menschen aber war dieser Rückzug neu und ungewohnt. Mit der Zeit aber haben sie sich o daran gewöhnt, dass das Rausgehen zu einer emotionalen Belastungsprobe wird. 

 

Auch wenn die Omikronvariante des Virus wesentlich ansteckender ist, aber weniger schwer krank machen soll, und zudem die Masken fallen und alle Maßnahmen aufgehoben wurden, haben einige Menschen Angst, sich zu infizieren. So wählen sie weiter den schützenden Rückzug und schotten sich gegenüber realen Kontakten ab.

Sie können nicht mehr umschalten. So gaben in einer Studie der American Psychological Association gaben 48% der Befragten an, sie hätten trotz Impfung Angst vor sozialen Kontakten. Bei 46% löste der Gedanke, wieder einen Lebensstil wie davor zu führen , ein "unbehagliches Gefühl" aus.

 

Andere fühlen sich nach Monaten der Ausgrenzung als Ungeimpfte in der Welt seltsam fremd und nicht mehr dazugehörig. Ihr Menschenbild hat sich aufgrund dieser Erfahrung verändert.  

Sie mussten erleben wie sie diskriminiert, diffamiert, ausgegrenzt und zum Sündenbock gemacht wurden. Man hat ihnen Grundrechte entzogen, sie in Politik und Medien mit spalterischer Rethorik als asoziale Subjekte beschimpft, ihnen sogar den Erstickungstod gewünscht. Freunde, Familie und Bekannte haben sich von ihnen abgewandt und manche haben ihre Arbeit verloren. 

Das macht etwas mit der Psyche. Das bedeutet Zurückweisung und Stigmatisierung, das bedeutet Abwertung und Kränkung. Das weckt Gefühle von Ohnmacht, Wut, Trauer und Schmerz. Emotional kann sich wiederholte Demütigung in Depressionen, Angststörungen oder sozialer Phobie niederschlagen.


Bei einigen der Betroffenen wurden alte Traumata getriggert. 

„Du bist nicht okay, du bist ein Fehler, du bist nicht gut genug, krank, sozial inkompatibel, nicht liebenswert, wertlos, an allem schuld “ ... etc.  

Wer unter solchen destruktiven inneren Überzeugungen aus der Kindheit leidet, bei dem wurden alte Wunden aufgerissen und eine Menge Salz hineingestreut. 

Die Folge: Das von jeher fragile Vertrauen in die Mitmenschen und die soziale Gruppe ist massiv erschüttert. Dazu kommt möglicherweise, dass Werte, Ethik-und Moralvorstellungen, Gerechtigkeitssinn und der Glaube an das Gute, Wahre und Schöne in Frage gestellt wurden und nicht mehr tragen. Die Welt ist aus den Fugen geraten, sie hat sich aggressiv und feindlich gezeigt. 

Wie so wieder Vertrauen fassen und in wen, vor allem dann, wenn vormals Vertraute zu erbitterten Gegnern wurden?

 

Alles ungut.

Aber jetzt könnte doch alles wieder gut sein oder es zumindest werden, mag man denken, der Spuk ist erst mal vorbei. 

Aber so ist es nicht. Nicht für jeden.

 

Was ist, ist, dass einige Menschen durch ihre persönlichen Erfahrungen während über zwei Jahren Corona-Krise den Boden unter den Füßen verloren haben. Sie haben das Vertrauen in andere und die Welt, wie sie zuvor wahrgenommen und erlebt wurde, verloren. 

Was ihnen als selbstverständlich erschien ist zerstört. Was sozialen Halt und gefühlt Sicherheit gab, ist zerbröselt. Ihr ganzes System von Denken, Fühlen und Handeln ist erschüttert oder in sich zusammengefallen wie ein Kartenhaus. Betroffene fühlen sich auf sich selbst zurückgeworfen und manche von ihnen sind vollkommen auf sich alleine gestellt, in einer Welt, die kein sicherer Ort ist und in der sie, im worst case, nicht mehr wissen wo ihr Platz ist. Was Betroffene über Monate verinnerlich haben ist: Das Außen ist bedrohlich, und/oder: Ich gehöre nicht mehr dazu.

 

Manche von uns wollen auch nicht mehr dazugehören.

Aber wo gehören wir denn jetzt hin?

Diese Frage kann zu einem Sinnverlust führen, der schwerwiegende seelische und existentielle Folgen hat, wenn keine Lösung gefunden wird.

Eine dieser Folgen ist soziale Angst, die sich aufgrund der einschneidenden Erfahrungen von Rückzug, Isolation und/oder Ausgrenzung  entwickeln kann, besonders dann, wenn eine psychische Disposition vorliegt.

Soziale Angst ähnelt den Auswirkungen der Agoraphobie: der Angst das Haus zu verlassen, Geschäfte zu betreten, in Menschenmengen und auf öffentlichen Plätzen zu sein, oder alleine mit Bahn, Bus oder Flugzeug zu reisen sowie die Furcht vor der Betrachtung durch andere Menschen. All das führt zur Vermeidung der phobischen Situationen. Der Lebensradius wird immer enger.  Nur der Rückzug in die eigenen vier Wände fühlt sich noch sicher an.

 

In den beschriebenen Fällen, die ich in den vergangenen Monaten und Wochen in der Praxis erlebt habe, ist das alte Leben der Betroffenen unwiederbringlich vorbei und ein neues nicht in Sicht oder nicht vorstellbar.

Wie auch soll ein neues Leben Gestalt annehmen in dem Vertrauen, Halt und Orientierung verloren sind und wenn dann noch Angst herrscht?

Kein leichtes Unterfangen, denn eine Realität, die erschüttert wurde, führt immer zu einem Trauerprozess. Dieser hat vier verschiedene Phasen:

  1. Phase: Schock, Leugnen, Nicht-Wahrhaben-Wollen. 
  2. Phase: Aufbrechende Emotionen.
  3. Phase: Suchen und Sich-Trennen.
  4. Phase: Neuer Selbst- und Weltbezug.

 

Der Prozess der Verarbeitung eines existentiell bedeutenden Verlustes wird von jedem Menschen anders durchlebt und dauert bei jedem unterschiedlich lang.  Am Ende aber führt er in den meisten Fällen, vorausgesetzt, die Trauer wird nicht pathologisch, zur Akzeptanz: Der Mensch kehrt ins Leben zurück und beginnt es neu zu gestalten.

Wo aber Angst und Trauma zu Verlust und Trauer verstärkend hinzukommen, ist es wichtig, die Ängste und traumatischen Erlebnisse zu konkretisieren, sie zu benennen und zu hinterfragen und sich gegebenenfalls professionelle psychologische Hilfe zu suchen, wenn man sie nicht alleine bewältigen kann, was nach meiner Erfahrung selten gelingt. In jedem Falle gilt: Das Alte muss verarbeitet und losgelassen werden, bevor ein neuer Lebensentwurf überhaupt angedacht werden kann.

 

 

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Samstag, 9. April 2022

Halte es einfach! ... oder Lösungen kreieren, statt Probleme fokusieren

 

 
Der amerikanische Therapeut Steve de Shazer war der Begründer der lösungsorientierten Kurzzeittherapie. “Keep it simple“, war sein Motto, das bei all seinen Interventionen vorherrschte. Sein Fokus lag auf den Lösungsmöglichkeiten und Ressourcen seiner Klienten, anstatt sie im Problem verhaften zu lassen. Damit hat er die traditionelle psychotherapeutische Praxis radikal verändert.
„Ich kann wissen, was besser heißt, ohne zu wissen, was gut heißt“, war eine seiner Überzeugungen.
De Shazer etablierte unter anderem die Arbeit mit Emotionen und Skalen und nannte diese Technik „Wunderskala“. Er arbeitete ganze Sitzungen lang immer wieder mit feinsten Nuancen mit bestimmten Fragen, um die eine Verbesserungen des Zustands seiner Klienten greifbarer zu machen. 
 
Und so funktioniert die Technik:
Auf einer Skala von 0 bis 10, wobei 10 das „Wunder“ ist, also der erwünschte Zustand, bezogen auf Motivation, Zuversicht und Hoffnung, beginne mit der Frage:
Wo stehst du gerade und wo möchtest du hin?
Und weiter: Wo befindest du dich im Augenblick?
Wie lange schon?
Wie bist du dahin gekommen?
Was war nützlich?
Was ist der höchste Wert, den du erlebt hast?
Wie kam es dazu?
Auf welchem Wert bist du, wenn es besser geworden ist?
Woran erkennst du diesen Wert?
Woran merkst du, dass du stabil auf den Wert von ... gekommen sind?
Wie hoch müsste der Wert sein, dass du sagst: Es ist gut genug.
Wenn du ziemlich weit unten bist:
Wann warst du bereits höher auf der Skala?
Wie kam es dazu?
Was funktionierte früher?
Kannst du das wieder nutzen?
Wann gibt es Ausnahmen vom Problem?
 
Wenn du magst, kannst du diese Fragen ja einmal für dich beantworten.
 
Bei dieser hilfreichen Technik geht es darum zu verstehen, was am Problem veränderbar ist und wie es veränderbar ist. Es geht um das „was stattdessen?“, um Lösungen zum Problem zu finden und nicht am Problem haften zu bleiben oder ständig um das Problem zu kreisen, was allein dazu führt, das es bestehen bleibt, oder sich sogar verstärkt, wie Steve de Shazer es umschrieb: „Problem talks creates problems, solution talk creates solutions.“
 
Es geht also immer darum Schritt für Schritt das Problem zu verringern, Lösungen zu kreieren und besonders wichtig: auf kleinste Ausnahmen zu achten und den Focus auf die Fortschritte zu legen, die du machst. Damit tritt mit der Zeit vor den Problemfilm ein Lösungsfilm. 
 
 
Wenn Du für Deinen Problemfilm eine Lösung suchst, bist Du herzlich willkommen im 1:1 Coaching
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Montag, 4. April 2022

Aus der Praxis - Hoffnung und Sinn


 
Wir leben in dunklen Zeiten. Coronakrise, Klimakrise, Ukraine-Krieg, Inflation. So viele Krisen auf einmal und kein Ende in Sicht. Das Jetzt ist schwer zu ertragen und die Zukunft ist zu einer unberechenbaren Größe geworden, die auch Worst Case Szenarios nicht ausschließt. Wir bewegen uns als Menschheit auf so dünnem Eis wie noch nie zuvor in der Geschichte. Das führt dazu, dass immer mehr Menschen in einer Art Angststarre verharren. Auf der Strecke bleiben Lebendigkeit und Leichtigkeit, die zu einem erfüllten Leben gehören. Viele Menschen mit denen ich spreche, befinden sich in einem bedrückenden Zustand tiefer, Unsicherheit, innerer Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit. Sie suchen Wege, um mit dem, was in der Welt geschieht, irgendwie umgehen zu können. 
 
Gefühle wie Erschütterung, Ohnmacht, Angst, Resignation und Hoffnungslosigkeit machen sich breit. Manche Menschen klammern sich an ihr altes Leben und die alten Erwartungen, die nicht mehr verwirklicht werden können. Es gelingt ihnen nicht, eine Vorstellung von einer Zukunft zu entwickeln, die ihnen Hoffnung schenken könnte. Jedes Szenario, verglichen mit der alten Normalität und dem alten Zukunftsbild, das zerbröselt ist, führt zu Enttäuschung oder gar zur Verbitterung. Damit einher gehen Gefühlen wie Trauer, Schmerz und Angst. Im besten Falle richtet sich der letzte Funken Hoffnung auf die Möglichkeit, dass sich vielleicht, aber nur vielleicht, doch noch etwas zum Guten wendet.
Der Verlust der Hoffnung, oder gar der Hoffnung, je wieder hoffen zu können, blockiert jedoch den Blick für Möglichkeiten und Lösungen, selbst wenn es sie geben sollte.
 
Vieles von dem, was gerade geschieht, können wir nicht ändern und nicht lösen. Wir sind in der Tat machtlos und Spielball der herrschenden Kräfte. Das haben wir seit Beginn der Coronakrise erfahren, dass erfahren wir jetzt in noch drastischerem Ausmaß. Wir sehen dabei zu wie ein einzelner Mensch die Welt terrorisiert und die Welt ist unfähig, ihm Einhalt zu gebieten. Unser Schicksal liegt in der Hand einiger mächtiger Menschen und wir können nur hoffen, dass die Vernunft am Ende siegt.
Siegt sie nicht, sind wir verloren.
Das spüren viele von uns. Da ist es absolut nachvollziehbar, dass Menschen die Hoffnung verlieren. Aber ohne die Hoffnung sind wir verloren.
 
Ein Mensch, der nicht mehr hofft, hat den Sinn verloren. Und andererseits gilt: in der Suche nach dem Sinn, finden wir die Hoffnung wieder.
Wenn die Sinnhaftigkeit verloren geht, verliert der Mensch die Motivation, von der Vision ganz zu schweigen. Sinnhaftigkeit aber bewirkt Hoffnung und diese wiederum hat motivierende Funktion. Hoffnung erweist sich als Weg, um aktiv zu werden. Sie ist ein starker Motor um nach dem Bestmöglichen zu streben. Wenn wir die Hoffnung wählen, definieren wir, was uns wichtig und wertvoll ist, wofür wir morgens aufstehen und woran und wofür wir Tag für Tag, Schritt für Schritt, arbeiten. Hoffnungsvolle Menschen sind entschlossen, sie haben Ziele und Vsionen. Sie suchen nach Wegen und Lösungen um ihr Ziel zu erreichen und ihre Vision lebendig werden zu lassen. Wenn wir hoffen, bringen wir den Mut und die Kraft auf, auch in dunklen Zeiten, das zu gestalten, was in unserem Einflussbereich (noch) möglich ist. 
 
Hoffnung heißt, nicht aufzugeben, denn Aufgeben bedeutet, das Leben selbst aufzugeben. Hoffnung glaubt an das Leben, so wie es ist, mit allem, was es ausmacht.
Wenn wir hoffen, ergreifen wir die Möglichkeit zu wählen und Entscheidungen zu treffen, dank derer wir uns, allen widrigen Umständen zum Trotz, als Mensch weiter entwickeln - und zwar völlig unabhängig davon, wie die Dinge am Ende ausgehen werden. 
 
Hoffnung ist die innere Überzeugung, dass in allem ein Sinn existiert.
Vielleicht hat sich bei manchen von uns der Sinn, den wir einst als Lebensinn hatten, verändert. Vielleicht hat sich vieles, was uns einst sinnvoll und lebenswert erschien, aufgelöst, weil es der neuen Realität nicht mehr standhält oder an den Umständen zerbrochen ist. Oder wir haben verloren, was uns Sinn gab, einen Menschen, den wir liebten, Freunde, einen Job, einen Traum, der begraben werden musste. Dann stehen wir jetzt da, wo wir aufgefordert sind unserem Leben einen neuen Sinn zu geben, um die Hoffnung nicht zu verlieren.

Hoffnung?
Um sie zu behalten, musst du sie verschenken!
 
 
Wenn du Unterstützung möchtest, bist du herzlich willkommen im 1: 1 Coaching.
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Samstag, 2. April 2022

Aus der Praxis - Immer wieder Sonntags: Die Sonntagsneurose

                                                            Malerei: Angeika Wende
 
 
Endlich Wochenende!
Worauf sich viele Menschen freuen, bewirkt bei manchen Alleinstehende, ungute Gefühle. Was für andere Erholung oder Action bedeutet, bedeutet für sie emotionaler Stress. Wieder ein Sonntag, den sie alleine verbringen müssen. Niemand da. Kein Partner, die Freunde verbringen Zeit mit den Liebsten, die Familie lebt weit weg in einer anderen Stadt. Woche für Woche das Gleiche. Man fühlt sich schon am Freitagabend traurig, ängstlich oder depressiv oder alles zusammen – der Sonntagsblues naht.
Gloomy Sunday heißt das Lied vom traurigen Sonntag aus dem gleichnamigen Film, das den Sonntagsblues sehr gut beschreibt ...
"Sunday is gloomy
My hours are slumberless
Dearest, the shadows
I live with are numberless ...
(Der Sonntag ist düster
Verlebe schlaflose Stunden
Die liebsten Schatten
Mit denen ich lebe sind zahllos ...)"
 
Willkommen Sontagsblues, oder: Herr lass den (un)heiligen Sonntag bitte schnell vorübergehen.
 
Was ist der Sonntagsblues, oder psycholgisch ausgedrückt: die Sonntagneurose?
Der Begriff der Sonntagneurose beschreibt die gedrückte, depressive, ängstliche Stimmung am Wochenende und die Unfähigkeit, die freie Zeit genießen zu können. Typisch ist, dass sich diese Stimmung mit dem Wochenbeginn bessert, anders als bei der Depression, bei der die Symptome anhalten.
Das Phänomen der Sonntagsneurose wurde einst von dem ungarischer Neurologen und Psychoanalytiker. Sándor Ferenczi beschrieben, der sich intensiv mit dem Phänomen der Verdrängung und der damit verbundenen Entstehung von Neurosen befasste. Ferenczi bemerkte bei seinen PatientInnen eine auffällige Wiederkehr von psychosomatischen Beschwerden an Sonntagen. Beschwerden also, die nicht auf eine organische Ursache zurückgeführt werden konnten und als sonntägliche Reaktion des Körpers auf ungelöste innerseelische oder zwischenmenschliche Konflikte auftreten und am Montag wieder verschwanden. 
 
Was sind die Ursachen?
Am Wochenende sind alleinlebende Menschen vollkommen auf sich selbst reduziert. Keine Pflichten, keine äußeren Zwänge, keine Erwartungen, die erfüllt werden müssen. Niemand, der sie braucht. Dieses Wegfallen von äußeren Zwängen bedeutet einerseits eine Befreiung, andererseits nehmen auch innere Zwänge des funktionieren Wollens ab.
Das "Über-Ich" hat Pause. Eine andere innerpsychische Instanz wird lebendig – das "Es", mit anderen Worten – das Unbewusste ploppt hoch. Im "Es" sitzen nach Sigmund Freud unsere Triebe, unsere Lust und unsere Bedürfnisse, die auf Befriedigung drängen. Es enthält außerdem alles Verdrängte, also Empfindungen, Gefühle, Leidenschaften, Wünsche, Sehnsüchte, Traumata und Objektbesetzungen, die allesamt unbewusst sind oder bewusst sind und nicht erlöst.
 
Am Sonntag wird die innere Welt lauter, je stiller es im Außen wird. In der Stille werden wir konfrontiert mit all dem, was im Alltag schweigt
Je lebendiger diese innere Welt wird, desto massiver kommt all das nach Oben, was wir nicht sehen und fühlen können oder wollen. Wir fallen sozusagen in eine „passagère Melancholie“, die unsere inneren Schatten an die Wände des leeren Raums wirft. Ganz groß bäumen sie sich auf, und fordern uns heraus, sie anzuschauen. Sie lassen sich nicht mehr ignorieren.
Eigentlich gut, könnte man meinen, denn alles Ungelöste und Verdrängte drängt sich uns solange auf bis wir es angeschaut, erforscht und verarbeitet haben. Ungut, wenn die Schatten uns überfallen, wir uns klein und machtlos fühlen und keine Bewältigungsstrategien haben. Dann werden wir ob ihrer Großmacht sehr klein. Wir fühlen uns von allem getrennt und einsam wie ein verlassenes Kind. Wir fühlen uns bedroht und haben Angst ins Bodenlose zu fallen oder uns aufzulösen. Dieses Gefühl ist vernichtend. Es kann uns total mutlos machen. So mutlos, dass wir den ganzen Sonntag im Bett verbringen und uns die Decke über den Kopf ziehen, in der Hoffnung der Tag möge ein baldiges Ende haben. Nicht hilfreich. Was nicht heißt, ein Sonntag gemütlich im Bett sei ungut, es kommt aber auf die Motivation an, mit der wir das tun. Auch das Gegenteil, in blinden Aktionismus zu verfallen, um nicht zu fühlen, was wir fühlen, ist nicht hilfreich, denn dann laufen wir vor uns selbst davon. Es wird weiter verdrängt und nichts wird anders.
Keine guten Lösungsansätze also. Denn: der nächste Sonntag kommt mit Sicherheit. Und die Angst davor wird nicht kleiner. 
 
Was ist der Sinn der Sonntagsneurose?
Vorausgesetzt wir sind bereit ihr einen zu geben.
Die Sonntagsneurose zeigt uns wo und was in unserem Leben nicht in Ordnung und ungelöst ist und was verändert werden will. Nun, könnte man fragen: Aber wie soll ich das denn ändern? Wie soll ich diesen Zustand ändern, die Umstände im Außen ändern sich ja nicht, ich habe schon alles versucht. Ich sitze Sonntag für Sonntag alleine da.
Wenn wir die äußeren Umstände nicht ändern können, dann liegt es doch nahe, den inneren Zustand zu ändern. Oder? Wir haben ja keine andere Wahl.
Zunächst einmal ist es gut zu wissen: Jeder Blues entsteht im Kopf. Auch der Sonntagsblues.
Unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen einer nur vorgestellten und einer tatsächlichen Bedrohung. Allein der Gedanke an eine Bedrohung kann zu belastenden Gefühlen führen, ohne, dass wir uns wirklich in der vorgestellten Situation befinden.
Wenn wir also an unseren Gedanken arbeiten, ist das hilfreich.
Dazu ist es gut, uns bewusst zu machen: Nicht der Sonntag ist die Bedrohung, sondern das in uns, was ihn gedanklich dazu macht.
Und dieses Denken können wir ändern.
 
Es hilft schon, wenn wir versuchen, den Sonntag ein wenig mehr wie jeden anderen Tag zu behandeln und unsere Erwartung zurückzuschrauben, es müsse ein besonderer Tag sein.
Wir können uns fragen: Was soll der Sonntag eigentlich erfüllen?
Welches Bedürfnis?
Was brauche ich wirklich?
Welches Bedürfnis zeigt mir der Blues, das unerfüllt ist?
Und dann: Wie kann ich mir selbst dieses Bedürfnis erfüllen, wenn es kein anderer für mich tut?
Womit kann ich kompensieren, was fehlt?
Womit kann ich meinen Sonntag optimieren?
Wenn die Einsamkeit hochkriecht können wir uns fragen:
Worin liegt die Qualität des Alleinseins? Und nicht: Ich bin so einsam, mit mir stimmt etwas nicht, ich bin nicht liebenswert, mich will keiner.
Nun vielleicht wollen wir ja keinen, zumindest jetzt nicht, weil wir innerlich gar nicht bereit sind, aber meinen wir sind es, oder wir sollten es sein.Darüber nachzudenken lohnt sich. 
 
Übrigens: Einsamkeit hat nichts damit zu tun, dass uns keiner will, das sage ich immer wieder zu meinen Klienten, die diese Überzeugung haben. Einsamkeit, wenn sie als sehr schmerzhaft empfunden wird, ist ein Gefühl, und meistens ein sehr altes.  
Da dürfen wir hinschauen und Wege suchen, wie wir das Gefühl liebevoll und mitfühlend mit uns selbst, annehmen lernen. Denn jetzt sind wir erwachsen und nicht mehr das verlassene, ungeliebte, hilflose Kind. Wir sind keine Opfer mehr – wir können eigenmächtig handeln und das heißt zuallererst: Uns selbst gut zu behandeln.
„Einsamkeit entsteht nicht dadurch, dass man keine Menschen um sich hat, sondern dadurch, dass man ihnen die Dinge, die einem wichtig erscheinen, nicht mitteilen kann“, sagte einmal C.G.Jung.
So sehe ich das auch. Manchmal gibt es diese Menschen nicht in unserem Leben. Dann ist das bedauerlich und traurig, aber es macht keinen Sinn sich zu grämen oder sich stattdessen mit Menschen zu umgeben, die uns nicht verstehen, nur um nicht einsam zu sein. Meiner Erfahrung nach verstärkt es das Gefühl. Und vielleicht ist es ja gar nicht so, dass da keiner ist, dem wir uns mittteilen können und es liegt an uns, dass wir es nicht tun, weil wir meinen, dass man uns nicht versteht. Also auch das dürfen wir hinterfragen, wenn wir uns einsam fühlen, nicht nur Sonntags.
 
Last but not least: Der Sonntag bedeutet nicht, das Maximum aus unserer Freizeit heraus zu holen, das Maximum an Erlebnissen zu erreichen, an Glück, an Freude oder sonst etwas Besonderem. Das ist ein hoher Anspruch, der zu nichts gut ist, als uns unter Druck zu setzen. 
„Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“, schrieb einst Blaise Pascal.
Ein Gedanke über den sich das Nachdenken lohnt. Nicht nur Sonntags.