Mittwoch, 19. Februar 2025

Vielleicht

 

 
Zeichnung: A.Wende
 
 
Vielleicht werde ich nie eine Lösung für dieses eine Problem finden. 
Vielleicht wird es immer ein Teil von mir sein, eine Narbe, die ich trage. 
Ich habe gelernt, dass es in Ordnung ist, nicht alles zu lösen. 
Es ist in Ordnung, die Unvollkommenheit des Lebens zu akzeptieren und die Schönheit in den kleinen Momenten und Dingen zu finden. 
Und so sitze ich hier, an diesem frühen Morgen, und sage ja zu dem, was ist. 
Nicht aus Resignation, nicht aus Schwäche, sondern aus jener Stärke, die darin liegt, alle Gefühle zuzulassen und dem Wissen, dass eines Tages, vielleicht in einer anderen Form, Frieden einkehrt.

Sonntag, 16. Februar 2025

Romantisierung

 
Foto: A.Wende

 
Romantisierung ist ein faszinierendes Phänomen, es ist die Fähigkeit, das Alltägliche in etwas Besonderes zu verwandeln und das Gewöhnliche mit einem Hauch von Magie zu versehen. Wenn wir romantisieren, sehen wir die Dinge nicht wie sie sind, sondern, wie sie sein könnten – voller Möglichkeiten, voller Träume und Frieden.
 
Romantisierung hilft die Schönheit in den kleinen Dingen zu finden. Ich kann den Spaziergang im Park in ein Abenteuer der Entdeckungen verwandeln, indem ich die Farben der Blätter bewundere und die Geräusche der Natur tief in mich aufnehme. Das Lächeln eines Fremden kann mich an die Möglichkeit von Verbindungen erinnern, die über das Oberflächliche hinausgehen. Romantiserung liegt auch in der Art und Weise wie ich meine Räume dekoriere, einen Blumenstrauß arrangiere. Mit Bedacht, mit Liebe, Wertschätzung und Sinn für das Schöne. Oder ich lese ein Buch und verliere mich in den Geschichten der Charaktere, als wären sie Teil meines eigenen Lebens. Ich hole Erinnerungen an eine alte Liebe hervor und male sie mir schöner als sie eigentlich war um noch einmal das vergangene Glück zu spüren.
 
Kleine Fluchten aus der Realität, alles bis hin zu Sinnestäuschungen ist erlaubt. 
Im Raum der Romantisierung gibt es keine Objektivität, sondern eine reine Produktion von Subjektivität, ein Areal von schönen Träumen, die ich mir erschaffe um mich an der Härte der Realität nicht wund zu reiben. Hier wirkt, um es mit den Worten Goyas zu sagen: „Magische Wirklichkeit, in der alles möglich ist.“ Auch Befreiung, Freiheit und Vision. 
 
In der Romantisierung liegt eine tiefe Sehnsucht nach Verbindung, nach Bedeutung und nach der Fähigkeit, das Leben in seiner Fülle zu umarmen, die Welt mit offenen Augen und einem offenen Herzen zu betrachten, die Magie im Alltäglichen zu entdecken und die ungelebten Geschichten zu erzählen, die in mir schlummern. 
 
Aber das Leben ist keine romantische Erzählung. Ich weiß das. 
Und ich weiß auch Romantisierung hat ihre Schattenseiten. Manchmal neigen wir dazu, die Realität zu idealisieren und die Herausforderungen des Lebens zu ignorieren. Wir vergessen, dass hinter jeder schönen Geschichte auch Schmerz und Verlust stehen können. Es ist wichtig, die Balance zu finden – die Fähigkeit, das Leben in seiner Ganzheit zu akzeptieren, sowohl die Höhen als auch die Tiefen, das Gute und das Ungute, und dennoch die Schönheit zu erkennen, die in den kleinen Momenten liegt. 
 
 
"There is a Crack in Everything that's how the Light gets in ..."
Leonard Cohen

Freitag, 14. Februar 2025

Also sprach Zarathustra

 



Gestern mal wieder am Friedrich Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ erinnert worden.
Fetter Schinken gedacht, und verdammt komplexes Werk und mich gefragt, ob ich verstanden habe, worum es Nietzsche damals ging. Der Übermensch, darum ging es.
Hört sich nach narzisstischen Grandiositätsfantasien an, ist aber so nicht gemeint.
Kurz: Nietzsche stellt den Übermenschen nicht als Größenwahnsinnigen dar, sondern als ein Individuum, das seine eigenen Werte schafft, ihnen folgt, sich über herkömmliche moralische Vorstellungen erhebt und seine Existenz aktiv gestaltet. Auch kurz: Der Übermensch symbolisiert das Streben nach Selbstverwirklichung, Individualismus, Selbstüberwindung und persönlichem Wachstum.
Zarathustra ist Nietzsches Aufforderung, das Leben so zu leben, dass wir bereit wären, es immer wieder zu erleben, ein Aufruf zur Affirmation des Lebens, trotz aller Herausforderungen und trotz allen Leidens. Er kritisiert die traditionelle Moral und die religiösen Werte, die seiner Meinung nach, das individuelle Potenzial einschränken. Er plädiert für eine Umwertung aller Werte, bei der der Mensch seine eigenen Lebensprinzipien entwickelt, anstatt vorgegebene Normen zu akzeptieren.
Insgesamt ist „Also sprach Zarathustra“ also ein Manifest für das individuelle Streben nach Wahrheit, Selbstverwirklichung und Lebensbejahung, eine Herausforderungen das kurze Dasein aktiv anzunehmen und sich von traditionellen Werten zu befreien, um ein authentisches, sinnerfülltes und gelingendes Leben zu führen. 
 
Ja, sein Zarathustra ermutigt zur Selbstreflexion und zur Überwindung der eigenen Grenzen. Zur Entwicklung und Erkenntnis des Selbst und der Fähigkeit, persönliche Herausforderungen zu meistern. Heute aktueller denn je oder so aktuell wie schon immer. Wenn ich so in die Dramaturgie der Tragikomödie unserer Zeit blicke – bis heute nichts draus geworden aus Nietzsches Übermenschen - wobei es allerdings jede Menge gibt, die sich als solcher gebärden, allerdings im malignen narzisstischen Sinne. 
 
Schade eigentlich, lieber Friedrich Nietzsche, wo Sie sich so viel Mühe gemacht haben den Menschen aufzurütteln. Machen übrigens auch viele andere große Geister seit ewigen Zeiten und auch im Jetzt, nutzt aber nichts, wie gesagt. Tja, der Weg zu Erkenntnis und Selbstwerdung ist nicht jedermanns Sache. Ist ja auch eine echte Herausforderung. Jedermann läuft vorzugsweise irgendwo mit, im Zweifel auf dem Holzweg, Konformismus statt Individualismus, Massenverblendung statt Erwachen und Erleuchtung, Untermensch statt Übermensch. Nur mal so laut gedachte Wortspielerei, ohne jemanden persönlich meinen oder angreifen zu wollen.
Irgendwie traurig das Ganze und ob das noch mal besser wird?
Im Moment sehe ich nur, es wird noch schlechter, bevor es vielleicht besser wird.
Aber wie heißt es so schön? Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Ob Nietzsche mit ihr gestorben ist oder an fortschreitender Hoffnungslosigkeit zugrunde ging, frage ich mich gerade.

Donnerstag, 13. Februar 2025

Aus der Praxis: Probleme und Lösungen

 


Meine Klientin leidet unter der Last eines Problems, das sie nicht lösen kann. „Es liegt wie ein Schatten über meinem Leben“, sagt sie. „Ständig kämpfe ich damit. Es fühlt sich an, als wäre ich in einem Labyrinth gefangen, ohne Aussicht auf einen Ausweg. „
Als ich sie frage, was das Problem ist, antwortet sie: „Das Problem ist nicht wirklich greifbar, nichts das ich konkret benennen oder in Worte fassen kann. Es ist ein Gefühl, ein tief verwurzelter Schmerz, eine leise Trauer, die ständig da ist. Das Gefühl der tiefen Enttäuschung, der Verlust von Träumen, die nie Wirklichkeit wurden. Ich erinnere mich an die Zeit, an denen ich voller Hoffnung war, an Pläne, die ich gemacht habe, und an die Menschen, die an meiner Seite waren. Doch jetzt steht mir all das nur noch als schmerzhafte Erinnerungen gegenüber, wie Mahnmale für das, was hätte sein können. Ich habe versucht Lösungen zu finden. Ich habe Bücher gelesen, meditiert und unzählige Stunden damit verbracht, eine mögliche Lösung zu finden. Aber nichts verändert sich. Je mehr ich suche, desto verlorener fühle ich mich. Es ist, als würde ich gegen einen unsichtbaren Feind kämpfen, der mir immer einen Schritt voraus ist. Die Frustration frisst an mir, und manchmal frage ich mich, ob ich nicht einfach aufgeben sollte. Aber Aufgeben ist keine Option. Es würde bedeuten, die Hoffnung aufzugeben, und das kann ich nicht. Vielleicht werde ich nie eine Lösung für dieses Problem finden.“ 
 
Ist es möglich?
Gibt es Probleme für die wir keine Lösung finden?
Die Frage, ob wir jedes Problem lösen können, ist komplex und hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Zum Beispiel ...
Von der Art des Problems: Einige Probleme sind logisch und können durch analytische Methoden gelöst werden. Andere Probleme sind emotional, psychisch, sozial oder ethisch und erfordern unterschiedliche Ansätze.
 
Um ein Problem zu lösen brauchen wir innere und äußere Ressourcen auf die wir zugreifen können. Die Verfügbarkeit von Ressourcen wie Zeit, Wissen, Geld und Unterstützung von anderen kann einen großen Einfluss darauf haben, ob ein Problem gelöst werden kann.
 
Einige Probleme sind extrem komplex und erfordern umfangreiche Erforschung, Zusammenarbeit und innovative Gedanken und Herangehensweisen, während andere einfacher zu lösen sind.
 
Manche Probleme sind rein subjektiv und hängen von unseren inneren Überzeugungen, Glaubensmustern, persönlichen Meinungen, Vorstellungen und Werten ab. In diesen Fällen gibt es möglicherweise keine "richtige" Lösung.
 
Manchmal gibt es unvorhersehbare Elemente oder unbewusste Überzeugungen, die so fest in uns verankert sind, dass sie die Lösung eines Problems erschweren oder unmöglich machen.
 
Manchmal sabotieren wir uns selbst: Selbstsabotage entsteht durch Selbstzweifel, mangelndes Selbstvertrauen, geringer Selbstwert, Selbstkritik, Ängste wie z.B. Angst vorm Scheitern und automatisierte unreflektierte Verhaltensmuster. Dazu gehören u.a. Prokrastination, Perfektionismus und geistige Starrheit, z.B. das Festhalten an der Überzeugung: "Das hat in der Vergangenheit auch funktioniert, das muss es auch jetzt." 
In diesen Fällen ist es wichtig, in uns selbst hineinzuhören und zu erforschen, welche Bedürfnisse der Selbstsabotage zugrunde liegen oder welche Bedürfnisse miteinander konkurrieren. 
 
Kognitive Dissonanz: Wir wissen eigentlich, dass wir besser A tun sollten und trotzdem machen wir immer weiter B. Obwohl wir emotionalen Schaden nehmen, wollen wir nicht loslassen. 
 
Erlernte Hilflosigkeit: Ist die Überzeugung nichts an den eigenen Lebensumständen ändern zu können und Opfer der Umstände zu sein. So kann es z.B. aufgrund wiederholter traumatischer Ereignisse zum Glauben kommen unangenehme oder problematische Situationen nicht vermeiden oder ändern zu können, obwohl dies rein objektiv betrachtet möglich wäre. Es ist die feste Überzeuung, nichts ausrichten zu können und das nicht nur in Situationen tatsächlicher Hilflosigkeit, sondern darüber hinaus. 
 
Manchmal arbeitet unser Ego derart gegen uns, dass es eine Lösung zwar versteht und als möglich anerkennt, aber partout nicht umsetzen will.
 
Manchmal liegt dem Problem ein schweres Trauma zugrunde, das verdrängt wird und nicht in unser Bewusstsein dringt. 
 
Insgesamt kann man sagen, dass viele Probleme gelöst werden können, aber nicht unbedingt alle. Es ist immer eine Frage der Perspektive, der Persönlichkeit, der Ressourcen und der individuellen Herangehensweise. Wenn wir ein Problem nicht lösen können, gibt es Strategien, die helfen können, damit umzugehen:
 
Erforschen, Identifizieren, Benennen und Akzeptanz: Um ein Problem zu lösen müssen wir es zunächst erforschen, identifiziere und benennen können. Wenn es identifiziert und benannt ist müssen wir es akzeptieren. Nur was wir akzeptieren können wir ändern. Manchmal ist es auch wichtig, zu akzeptieren, dass nicht alle Probleme sofort gelöst werden können. Akzeptanz kann helfen, Druck und Stress abzubauen und einen klareren Kopf zu bekommen.
 
Das Problem aufteilen: Wenn ein Problem zu groß oder komplex erscheint, können wir es in kleinere Teile aufteilen und uns darauf konzentrieren, die Teilprobleme nacheinander zu lösen.
 
Alternativen finden: Manchmal gibt es mehrere Wege, ein Problem zu betrachten oder anzugehen. Wir können verschiedene Ansätze erkunden und uns für unkonventionelle Lösungen öffnen.
 
Aus der Situation lernen: Selbst wenn wir ein Problem nicht sofort lösen können, können wir überlegen, was wir daraus lernen können. 
 
Selbstfürsorge: Wenn wir, wie meine Klientin, mit einem scheinbar unlösbaren Problem kämpfen, ist es wichtig auf unsere mentale und emotionale Gesundheit zu achten. Wenn ein Problem sehr belastend ist, ist es hilfreich, Pausen einzulegen, Entspannungstechniken anzuwenden oder wenn auch das nicht gelingt, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
 
Perspektivwechsel: Das Bedeutet, das Problem aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Oft kann eine neue Perspektive neue Lösungsansätze eröffnen. Gelingt uns das alleine nicht, können wir uns professionelle Unterstützung suchen, die uns dabei hilft die Perspektive zu wechseln. Oft kann ein unbeteiligter Blick von Fachleuten wertvolle Einsichten oder Lösungen anbieten, die wir nicht in Betracht gezogen haben. 
 
Es in Ordnung ist, nicht alles sofort lösen zu können.
Es ist in Ordnung, die Unvollkommenheit des Lebens zu akzeptieren. Es ist wichtig zu erkennen, dass es normal ist, auf Herausforderungen zu stoßen und dass nicht jede Situation und nicht jedes Problem sofort gelöst werden kann. Geduld mit uns selbst und die Bereitschaft, weiter nach Lösungen zu suchen, sind entscheidend.
 
 
Wenn Du in einem scheinbar unlösbaren Problem feststeckst unterstütze ich Dich gern bei der Lösungsfindung. In der Praxis in Wiesbaden oder Online.
Schreib mir dazu eine Mail unter: aw@wende-praxis.de
 
Angelika Wende

Dienstag, 11. Februar 2025

Es sagen

 

                                                   
                                              ART WORK: Volker Hildebrandt

 
Heute früh lese ich bei einer Influenzerin: „Meine Hauptsorge: Ich könnte ab 40 langsam unsichtbar werden. Ich habe allen, rationalen Beschwichtigungen zum Trotz, Sorge, dass mir bald niemand mehr zuhören könnte, weil ich nicht mehr "jung und knackig" bin.“
Das macht mich nachdenklich. Und es macht mich traurig. So jung und solche Ängste. Welch eine Abhängigkeit von der äußeren Hülle und Form. Zugleich kommt es mir bekannt vor. Lange Zeit habe ich Teile meiner Identität auch auf meinem Äußeren begründet. Ich habe sogar gute Jobs deswegen bekommen. Jetzt macht der Verfall seinen Job.
Macht er bei jedem von uns, beim einen mehr, beim anderen weniger. Beim einen schneller beim anderen langsamer.
 
Alt werden, alt sein, sich selbst dabei zusehen wie sich äußere Hülle und Form zunehmend verändern, sich damit abfinden, es akzeptieren, es mit Würde tragen, es vielleicht sogar auf andere Weise schön finden, hoffen, dass die Vergänglichkeit nicht noch mit schwerer Krankheit einher geht, mit den sich einstellenden Wehwechen umgehen lernen, wissen - das Meiste ist gelebt, der Rest ist Zuschlag und sich fragen, was ist jetzt zu tun, was es vorher nicht gab, was ist noch zu entfalten, was noch zu gestalten, was ist da an Potenzial, das noch in einem schlummert?, bevor es heißt: Abschied nehmen für immer. Oder einfach ausruhen vom langen Leben, die Langsamkeit entdecken, sich selbst SEIN lassen, in den Himmel blicken und danke sagen für all das, was war und nicht noch mehr Wollen. Nach Innen gehen und mit sich selbst in Frieden sein oder ihn anstreben.
Alt sein, eine Herausforderung, nicht für jeden vielleicht.
Für mich schon. 
 
Wenn ich heute in den Spiegel schaue und mich mit der Frau, die ich war, vergleiche, blickt mir ein verändertes Gesicht entgegen. Das stimmt mich melancholisch, ich würde lügen, würde ich sagen, es ist nicht so. Aber es blickt mir auch eine veränderte Identität entgegen. Ich habe mich verändert, innen und außen. As time goes bye wurde ich in Teilen eine andere. Äußere Form und Inneres haben sich verändert.
Werden und vergehen. Vergehen und Werden im Vergehen, anders werden, im besten Falle weise, gelassen und demütig, auch der Vergänglichkeit gegenüber. Im besten Falle das Leben lieben und sich selbst und das, was das Leben mit einem gemacht hat und man selbst mit dem Leben. 
 
Ich liebe das Leben trotz allem, trotz all der elenden Zeiten, die es auch gab. Habs immer geliebt und die Liebe geliebt. Ohne Liebe ist alles nichts.
Auch das kann sein, wenn man alt wird, ohne Liebe kann man sein. Zumindest ohne die Liebe eines oder einer Geliebten. Auch traurig. Altwerden ist auch traurig. Es dann wie Picasso machen, der sagte: „Wenn ich keine Menschen um mich hätte, würde ich einen Türknopf lieben oder einen Nachttopf, irgendwas.“
Gefällt mir der Satz. Mag ich, auch wenn ich Picasso nicht mag. Man muss nicht alles mögen, auch eine Erkenntnis des Alters und es sagen, was man mag und nicht mag, was man will und nicht will, woran man glaubt, wofür man steht.
Es sagen. 
 
Ich möchte der jungen Frau, die übrigens viel zu sagen hat, antworten: Nun bin ich weit über die 40 hinaus und längst nicht mehr jung und knackig. Und mir hören immer noch Menschen zu. Mach Dir keine Sorgen, wenn Du wirklich etwas zu sagen hast, findest Du Zuhörer, egal wie alt du bist.
 
 

Montag, 10. Februar 2025

"Sicherheit ist das Kennzeichen des Tölpels "

 

                                                                    Foto: A.Wende

 
Manche von uns meinen, dass wir immer alles wissen müssen und uns immer sicher sein müssen, was zu tun ist und immer gleich Antworten und Lösungen finden.
Zu wissen heißt auch, wir wissen um unsere Zerrissenheit, unsere Unsicherheit und die Zweifel, die in uns herrschen. Wir wissen um unsere Verhaltensweisen und um die Verhaltensoptionen, die uns zur Verfügung stehen, aber nicht immer wissen wir, was genau jetzt dran und hilfreich ist.
Wir müssen nicht meinen, in allem sicher zu sein.
Wir müssen auch Unsicherheit aushalten können. 
 
„Sicherheit ist das Kennzeichen des Tölpels“, schreibt der Schriftsteller Markus Werner.
 
Wer unsicher ist, wer zweifelt, gibt vor sich selbst zu: Ich weiß gerade nicht, was ich tun soll, was ich über diese Situation oder diesen Menschen denken soll, was ich gerade will und wieviel ich wagen kann, wie ich mein Leben neu gestalten will, was ich gerade mit dem, was das Leben mir vor die Füße wirft, anfangen soll.
Sich selbst zugestehen nicht zu wissen heißt wahrhaftig sein, sich selbst gegenüber.
Es ist Größe. Es ist Reife. Ein reifer Mensch weiß, es gibt nicht auf alles sofort Antworten und auf manches gibt es sie niemals. Er weiß, Unsicherheit und Zweifel gehören zum Leben.
Manches braucht Zeit, auch die Zeit des Zweifelns, der Unsicherheit und des Nichtwissens.
Dann, wenn eine Situation eintritt, die uns fremd ist und mit der wir noch keine Erfahrung haben. Dann sind wir nicht sicher was zu tun ist, was die richtige Handlung ist, was die richtige Haltung und die richtige Bewältigungsstrategie ist.
Wir wissen es „noch“ nicht und das ist okay.
 
Und weil wir das zugeben sind wir keine Tölpel, sondern ehrlich und zeigen Größe.
Wir gehen den Weg um ihn zu erfahren, mit unserer Unsicherheit und unseren Zweifeln, aber wissend – der Weg zeigt sich immer erst dann, wenn wir ihn gehen. 
 
„Ich bin mir in nichts sicher“, sagte C. G. Jung einmal.
Ein großer Mensch.

Samstag, 8. Februar 2025

Trost


 

Trost ist Teilnahme, Beistand, Besänftigung, Begleitung, Berührung, Beruhigung, Verständnis, tatkräftige Unterstützung, mitfühlende Zuwendung, Fürsorge, Mitgefühl, Ermutigung und Zuversicht in der Seelennot.
Trost ist die Erfahrung im Schmerz nicht allein zu sein.
Trost schenken uns Menschen, die die Fähigkeit haben einfach da zu sein, zuzuhören, sich in uns hineinzuversetzen, uns zu verstehen, uns keine Ratschläge um die Ohren hauen, was wir zu tun haben oder was wir nicht getan oder falsch haben, oder uns mit Sprüchen vertrösten wie: „Das wird schon wieder, nimm´s nicht so schwer!“, „Kopf hoch!“. und sich dann schnell wieder vom Acker machen, weil sie wahnsinnig Wichtiges zu tun haben. Auch der Satz: „Alles wird gut“, ist nicht hilfreich. 
Woher wollen wir das wissen? 
Wie können wir anderen Versprechen machen, die wir nicht sicher halten können?
Manchmal können sogar die Menschen, die uns sehr nahe stehen Trost nicht geben. Sie können nicht mitfühlen, was sie selbst nicht erfahren haben oder sie sind schlichtweg überfordert oder sie haben Angst, wenn sie einem leidenden Menschen zu nah kommen, Leid und Kummer könnten ansteckend sein. Manches ist so traurig oder furchtbar, dass Menschen nicht wissen, was sie sagen, geschweige denn tun sollen. Helfen wollen und nicht wissen wie – das sind Momente der Sprachlosigkeit und der Unsicherheit.
Entscheidend aber sind nicht Worte, sondern dass man füreinander da ist. 
 
Um Trauerarbeit zu leisten, braucht es Trost.
Wenn wir einen schweren Verlust erlitten haben, ist es essenziell, Menschen zu haben, die für uns da sind. Einfach da sein, mehr nicht, zuhören, die Hände halten, ohne dirigistisch eingreifen zu wollen. Trösten beinhaltet Verständnis, Empathie und Nähe.
Trost ist wichtig, um Mut zu schenken.
Trost ist kein Allheilmittel, dass alles wieder gut macht aber er ist ein Teil jeder Genesung. Spendet uns ein Mensch Trost fühlen wir uns gesehen und angenommen. Wir sind nicht allein. Das bedeutet viel. Trost kann Hoffnung spenden, wenn wir am Boden zerstört sind, aber nirgendwo lernen wir wie man sich selbst und andere tröstet. 
 
In Folge der zunehmenden Vereinzelung in unserer Gesellschaft, sind immer mehr Menschen auch in schmerzhaften Lebenssituationen auf sich selbst zurückgeworfen. 
Ich kenne viele dieser Menschen. Sie begegnen mir in der Praxis. Sie begegnen mir im Flur des kleinen Hinterhauses in dem ich lebe. Da ist der Nachbar, der jeden Morgen seine traurigen arabischen Lieder singt, da ist die alte Frau im Vorderhaus, die auf ihre Kinder wartet, die nicht kommen und ihre Sehnsucht mit What´s App Nachrichten beantworten. Sie begegnen mir auf der Bank in der Fußgängerzone wie die alte Dame, die mir unter Tränen erzählt, dass sie jeden Tag um die Mittagszeit auf dieser Bank sitzt, nur um Menschen zu sehen, weil sie die Einsamkeit in ihrer Wohnung nicht erträgt. 
 
Viele Menschen haben es nicht leicht, sogar schwer haben sie es, und ist da kein naher Mensch, dem sie sich anvertrauen können, wenn sie Trost brauchen, bleiben sie untröstlich. 
Sie versinken in ihrer traurigen Welt und niemand kümmert es. Sie verkümmern. Seltsamerweise taucht sogar in der Therapeutischen Literatur der Trost nicht auf und dabei ist er so wesentlich, denn Menschen brauchen Trost um zu genesen.
 
Was, wenn wir Trost suchen und da niemand ist, bei dem wir ihn finden?
Was können wir für uns selbst tun?
Was hilft, um uns zu besänftigen und uns selbst zu beruhigen? Welche Mittel haben wir zur Selbsttröstung?
Was sind unsere Trostquellen?
Für jeden von uns sind es andere. Gut sie zu kennen.
Es gibt Mittel und Wege die hilfreich sein können, wenn wir Trost brauchen. Das Wichtigste: Den Gefühlen Raum geben. Sie da sein lassen. Uns mit Selbstmitgefühl umfangen. Wenn wir traurig und untröstlich sind, hat es eine Berechtigung. Uns nicht drängen. Traurigkeit hat keine Regelzeit. Nichts wird besser, wenn wir uns zusammenreißen, aber es wird besser, wenn wir unsere Empathie auf uns selbst anwenden, durch tröstende, heilsame Selbstgespräche und indem wir, so gut es geht, auf uns selbst achten und für uns sorgen. Wenn da niemand ist, können wir lernen für uns selbst da zu sein – unser eigener bester Freund. 
 
Oftmals sind es die kleinen Dinge, die uns in dunklen Phasen trösten: Eine schöne Blume, ein Sonnenaufgang, die Wolken am Himmel, unser Lieblingslied, eine warme Suppe. Hilfreich ist es auch wenn wir immer wieder Ausnahmen zu dem finden, was uns emotional belastet. Spaziergänge in der Natur, Bewegung jeder Art, Gartenarbeit, Sauna, Schwimmen, ein warmes Bad, Tagebuch schreiben, Biografien von Menschen lesen, die Leid überwunden haben, Zeichnen, Malen, Fotografieren, Qi Gong, Yoga, Handarbeiten, Musik, Beten, Meditation, ein Besuch in der Kirche, ein Besuch im Museum, ein Haustier und nicht zuletzt alle Sinnesfreuden und das Schöne, das es trotz allem Kummer auch gibt und das wir bewusst wahrnehmen. All das sind Trostquellen, die unser Herz und unseren Blick auf etwas richten, was heilsam ist, uns emotional entlastet, uns erleichtert, den Kummer lindert, uns aus der seelischen Verhärtung löst, wärmt und befriedet, was uns quält. 
 
Trostquellen schenken uns Fülle, wenn wir im Zustand des Mangels sind.
Wir beschenken uns selbst mit dem, was unser Leben bereichert, wir wenden uns im aktiven Tun uns selbst zu, wir lassen uns berühren von dem, was unserer Seele und unserem Körper berührt. Wir trösten und beruhigen uns selbst. Wir finden langsam neue Zuversicht. Und wenn es nur ein Moment in der Zeit ist, in dem es uns gelingt uns selbst zu trösten, ist es immerhin dieser eine Moment, in dem wir gewahr werden, dass wir selbst viel mehr für uns tun können, als wir glaubten. Das verändert vieles. 
 
 
"Luft und Licht heilen, und Ruhe heilt, aber den besten Balsam spendet doch ein gütiges Herz."
Theodor Fontane
 
 
Angelika Wende

Mittwoch, 5. Februar 2025

Wenn alles zusammenbricht

 

                                                                Foto: A.Wende

 

Meine Klientin ist vollkommen entmutigt. Sie steckt in einer fundamentalen Krise. Sie ist eine starke, autonome und selbstbewusste Frau, die niemals aufgab, immer kämpfte und aus jeder Krise in ihrem bisherigen Leben gestärkt hervorging. Sie ist das, was man einen resilienten Menschen nennt. Ihre Resilienz hielt sie lange aufrecht, bis sie schließlich einen Nervenzusammenbruch erlitt. Alles was schief gehen konnte, ging schief, ein Verlust folgte dem anderen, egal was sie tat, nichts veränderte die Situation, im Gegenteil sie spitzte sich immer mehr zu. Die Versuche, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, schlugen fehl. Alle Säulen auf dem sie ihr Leben gebaut hatte brachen nacheinander zusammen. Nach der Trennung von ihrem Ehemann, der sie über Jahre belogen und betrogen hat, wurde sie krank. Weil sie krank wurde konnte sie im Job keine Leistung mehr bringen. Weil sie keine Leistung mehr brachte musste sie ihre freiberufliche Tätigkeit einstellen. Weil sie kein Geld mehr verdiente verlor sie ihre materielle Sicherheit und muss jetzt, sollte sich nichts ändern, aus ihrer Wohnung ausziehen.

Wie sagt man? „Ein Unglück kommt selten allein, oder Murphys Gesetz: „Alles, was schiefgehen kann, geht schief!", übrigens laut Wikipedia - ein Aphorismus über menschliches Versagen bzw. Fehlerquellen in komplexen Systemen. Leider ist es manchmal so, dass wir versagen und es dann obendrauf noch Fehlerquellen gibt, die unser komplexes System massiv stören, besonders wenn eine Krise der anderen folgt und nach und nach alle Säulen, auf denen wir unser Leben aufgebaut haben, gleichzeitig instabil werden oder gar zusammenbrechen. Warum ist das so? Weil sie in einem einander beeinflussenden und sich bedingenden komplexen Zusammenhang stehen.

Durch den Verrat und die Trennung, den Schmerz über den Verlust, den Liebeskummer und den damit verbundenen emotionalen Stress wurde meine Klientin krank. Durch die Krankheit verlor sie ihre Kraft für den Job, in der Folge brach die materielle Sicherheit weg, durch den Kummer zog sie sich monatelang in die Isolation zurück und ihr soziales Netzwerk ging verloren. „Es ist als würde sich alles nach und nach auflösen und ich selbst mit und ich kann nur noch tatenlos dabei zuschauen“, sagt sie.

Körper und Gesundheit, Soziales Netzwerk, Arbeit und Leistung, materielle Sicherheit, Werte und innere Haltung sind tragende Säulen unseres Lebens. Wackelt eine davon können wir damit umgehen, wackeln mehrere oder brechen nahezu alle zusammen befinden wir uns in einer tiefen existenziellen Krise. Nichts geht mehr.

Für meine Klientin wurde es zu viel. Sie ist kurz davor sich selbst aufzugeben. Sie versinkt schließlich in einer Depression. „Ich bin am Ende sagt sie, ich will nicht mehr leben, ich habe kein Wozu und kein Worum mehr, alles was ich versucht habe ist gescheitert. Nichts von allem, was mein Leben ausmachte, ist mehr übrig.“ Nachdem alle Versuche, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen gescheitert sind, fühlt sie sich wie betäubt. Sie erwartet nichts Gutes mehr. Sie hat resigniert. Sie braucht Hilfe.

Ich verstehe sie gut. Ich kenne existenzielle Krisen. Ich bin Krisenexpertin. Ich kenne die Resignation, dieses: „Es reicht, ich gebe auf“. Ich habe nicht aufgegeben. Und es ging weiter. Weil es weitergeht solange wir leben.

Jedes Mal, wenn alles zusammenbrach, habe ich mich gefragt:

Was hält mich noch, wenn alles sich auflöst?

Was bleibt von mir und meinem Leben übrig, wenn alles, was mir wertvoll und wichtig war, zerbricht und es sich anfühlt, wie im freien Fall und du nur noch auf den Aufschlag wartest? Was übrig blieb war meine innere Haltung und meine Werte. Auch wenn sie erschüttert wurden, diese Säule kippte hin und her, aber sie fiel nicht um, sie hielt. Und sie hat mich gerettet. Sich der eigenen Werte bewusst zu sein, nach ihnen zu leben, sie nicht zu verraten auch wenn sich jemand ganz viel Mühe gibt sie zu erschüttern, und ihnen zu folgen, verhilft uns nicht nur zu einem Grundselbstvertrauen, sondern gibt uns Kraft – die Kraft des Glaubens an uns selbst und das Leben, auch wenn es uns gerade die Fragmente einer alten Identität um die Ohren fliegen lässt.

 

In Krisen spielen Werte eine entscheidende Rolle.

Wenn im Außen alles wegbricht, wenn es keinen äußeren Halt und keinen sichtbaren Weg mehr gibt, sind sie es an denen wir uns festhalten können. Es geht um unsere innere Haltung und es geht um unsere Einstellung zu den Dingen und die hat wiederum mit unseren Werten zu tun. Das Wissen um unsere Werte hilft uns durch die Krise zu gehen und nicht in Apathie und Resignation zu versinken. Was nicht heißt es ist ein Spaziergang, nein, es ist ein Ritt durch die Hölle, aber what the fuck!, es ist unser Ritt und damit unsere Herausforderung, die es anzunehmen und zu bestehen gilt oder eben nicht – wir haben immer die Wahl. Wir haben die Wahl uns nicht unterkriegen zu lassen, auch wenn es schwer ist und wir allein, ohne den Rest der vertrauten Welt, dastehen. Wer aufgibt hat schon verloren.

 

„Aufgeben ist keine Option“ ist auch einer meiner Werte. Ich bin dankbar, dass ich bisher niemals aufgegeben habe, denn in jeder Krise bin ich gewachsen und habe mehr zu mir selbst gefunden.

Ich habe mich jedes Mal gefragt, was darf ich aus dieser Krise lernen?

Was will sie mir zeigen?

Stoppt mich die Krise, weil ich auf dem Holzweg bin?

Entspricht mir das Leben, das ich lebe, noch und bin ich nur zu feige oder zu bequem um etwas zu ändern?

Was will das Leben jetzt von mir?

Was passt nicht mehr, was ich mit Macht festhalten will?

Wessen bin ich mir nicht bewusst und was verdränge ich?

Dann: Innehalten. In die Stille gehen. Klar werden. Gewahr werden.

Den Wert der Krise erfassen.

Und dann die Frage: Was ist jetzt der nächste sinnvolle Schritt?

 

In jeder Krise steckt auch ein Wert – er ist die Chance, die sie in sich trägt und genau das habe ich versucht zu erkennen. Unsere innere Haltung hilft uns dabei aus der Opferrolle auszusteigen und trotzdem weiter zu gehen. Das ist der Wert: Eigenverantwortung.

Niemand von uns wird immer gewinnen. Manchmal lässt Gott oder das Universum oder das eigene Unbewusste, je nachdem woran wir glauben, uns in einen Abgrund fallen, um uns von uns selbst zu befreien. Hierin liegt der Wert des Vertrauens – das Vertrauen in das, woran wir im tiefsten Herzen glauben. Das vertrauensvolle Herz trägt durch die Krise und wieder heraus. Vertrauen - auf die ordnende Kraft im Chaos. „Du musst mit dir selbst am Ende sein, um in Gott den Anfang zu sehen“, habe ich kürzlich irgendwo gelesen. Für diejenigen, die nicht an Gott glauben mag das keinen Sinn machen. Für mich macht es Sinn, weil mich mein Glaube trägt. Für die, die nicht an Gott glauben, kann man es so formulieren: „Du muss mit dir selbst am Ende sein um in deinem wahren Wesen den Anfang zu sehen.“ Dazu sind existenzielle Krisen manchmal unausweichlich  – um uns dahin zu führen, was unser Leben wirklich ausmacht, was uns wirklich erfüllt, wer wir in Wahrheit sind, wenn alles andere zusammenbricht.

Wir sind größer als wir glauben, wenn wir es denn glauben.

Und manchmal braucht es jemanden, der uns das fühlen lässt und den können wir uns suchen, wenn wir es alleine nicht schaffen.

 

 

"Ich nenne die Fähigkeit, andere Hüllen des Bewusstseins zu betreten, Liebe. Die Liebe sagt, Ich bin alles. Die Weisheit sagt, Ich bin nichts. Zwischen diesen beiden fließt mein Leben."

 

Nisargadatta Maharaj

 

 

 

 


Dienstag, 4. Februar 2025

Aus der Praxis: Wieviel Trauer ist zu viel?

 

                                                                  Foto: A.Wende

 

Wie viel Trauer ist zu viel? Wann ist Trauer eine Krankheit?
Diese Fragen stellte mir gestern ein Klient, der nach dem Verlust seiner Frau, nach zwei Jahren noch immer trauert.
 
2019 beschließt Weltgesundheitsorganisation die sogenannte „anhaltende Trauerstörung“, als Pathologie in den internationalen Katalog klassifizierter Krankheiten, kurz ICD, aufzunehmen. Die anhaltente Trauer gilt seitdem als eine offiziell anerkannte Krankheit. Diese kennzeichnet sich durch: Eine Funktionseinschränkung im Alltag, ein starkes Verlangen nach dem Verstorbenen, eine anhaltende Beschäftigung mit dem Verstorbenen und starkem emotionalem Schmerz und das über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr.
Ein Jahr Trauer also ist normal. Wer länger trauert ist krank.
Trauer ist ein emotionaler Zustand.
Die Trauer hat uns, nicht wir haben sie.
Und manchmal verlässt sie uns nicht nach zwölf Monaten.
Sind wir deshalb krank? 
 
Trauer ist eine normale Reaktion auf einen Verlust.
Das muss nicht allein der Tod eines geliebten Menschen sein, das kann der Verlust durch eine Trennung sein, der Verlust unserer Gesundheit, unserer Heimat, einer Arbeit, die wir geliebt haben, der Verlust unserer Träume unserer alten Identität oder des Lebenssinns. Jeder Verlust zieht Trauer nach sich.
Trauer, ein Zustand, der unser Leben in eine graue Wolke hüllt, der schmerzt, der Sehnsucht in sich trägt, der wütend machen kann, der uns trennt vom normalen Lebensgefühl.
Trauer tut weh und das genau so lang wie es braucht um sie zu bewältigen. Dazu gesteht man uns ein Trauerjahr zu, alles was darüber hinaus geht, ist krank. Wieder wird menschliches Sein und Fühlen verallgemeinert. Werden Diagnosen vergeben.
Ich sehe das anders.
 
Trauer braucht Zeit, sie braucht genau die Zeit, die sie braucht.
Sie richtet sich nicht nach dem Ticken der Uhr: Und jetzt ist ein Jahr um und wir müssen unsere Trauer bewältigt haben.
Müssen wir das?
Müssen wir nicht, weil es für Gefühle kein Muss gibt, zumindest nicht geben sollte. Trauernde Menschen sollten nicht pathalogisiert und als krank diagnostiziert werden, das hilft ihnen nichts.
Trauer ist ein tiefes individuelles existenzielles Erleben ihre Bewältigung ist ein tiefer individueller Prozess. Das Existenzielle was wir in der Trauer erleben, geht tief rein und in jede Seele anders tief. Sie ist, wie das Trauma, nicht abhängig davon, was uns geschieht, sondern wie wir auf das antworten, was geschieht. Jeder Mensch antwortet anders. 
Jeder Mensch braucht seine eigene Zeit um seine Trauer zu bewältigen.
Bei einer Trennung beispielsweise sagt man: Die Verarbeitung dauert in etwa die Hälfte der Zeit, die wir mit einem Menschen gelebt und geliebt haben. Bei der Trauer um einen Verstorbenen gilt mehr als ein Jahr als krankhaft und als Störung.
 
Störung ist das, was stört, das, was störenden Einfluss auf das Normale hat.
Aber was ist das „Normale“?
Normal ist das, worauf sich viele einigen.
Wer nicht nach diesen Einigungen funktioniert, ist nicht normal.
Das ist übrigens nicht nur bei der Trauerverarbeitung so.
Es ist vollkommen egal was normal ist und was nicht – es ist unsere Trauer und wir allein müssen da durch, sie verarbeiten und damit leben lernen auf unsere ureigene Weise.
 
Es gibt keine Norm für Trauer.
Trauer ist etwas absolut Lebendiges. Was sie so schmerzhaft macht ist auch der Blick zurück auf das, was einmal war und verloren ist und nie mehr sein wird. Dieses "nie mehr," tut weh und quält. Die Ohnmacht nichts tun zu können, außer auszuhalten, was unveränderbar ist.
Und das sollen wir nach einem Jahr loslassen, es sein lassen? Wir Menschen, denen Loslassen, ganz gleich was es ist, so schwerfällt. Nein, darin sind wir keine Meister. Loslassen ist ein Prozess, der dauert, und manchmal dauert er eine gefühlte und gelebte Ewigkeit.
Ja, Heilung ist auch Akzeptieren und Loslassen. Heilung ist auch das, was in uns verwundet und wund ist, zu integrieren. Es schließlich zu akzeptieren als einen Teil unserer Ganzheit und unserer Lebenspur. Erst kommt die Akzeptanz und dann das Loslassen.
Alle Interventionen in der anhaltenden Trauerstörung beziehen sich auf die Verarbeitung der Vergangenheit. Was Sinn macht, denn der Blick zurück legt den Fokus auf die Auseinandersetzung mit dem Verlust mit dem Ziel eines endgültigen Abschieds.
Wir fallen aus dem Jetzt.
 
Irgendwann soll das aufhören. Nach einem Jahr wie gesagt. Nach all den Jahren und Jahrzehnten gemeinsamen Lebens - ein Jahr?
In diesem Jahr geht es für Trauernde nicht nur um die Verarbeitung ihrer Trauer, es geht auch um die Bewältigung der Gegenwart mit der Trauer. Es geht um den Umgang mit dem plötzlichen Alleinsein, der Einsamkeit weil die tiefe Verbindung zum geliebten Menschen fehlt und nicht ersetzbar ist. Es geht vielleicht auch um das dem Aufrechterhalten der monitären Existenz. Es geht um das Funktionieren und Dasein für die Familie und für das eigene Selbst. Da ist so viel was ein Verlust erschüttert und wegreißt und was zu bewältigen ist. So viel, was neu gelernt werden muss, so viel woran sich ein trauernder Mensch anpassen und neu lernen muss. Zu viel um es in einem Jahr zu schaffen. Es in diesem Zeitrahmen nicht zu schaffen, ist nicht krank, es ist Leben, nach dem Leben, das es zuvor gab, ein anderes Leben, das genau die Zeit braucht, die es braucht, um es neu zu gestalten.
Schaffen wir das alleine nicht, dürfen wir uns Hilfe holen.
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

 

Sonntag, 2. Februar 2025

Um was geht es wirklich

 

                                                                    Foto: A.Wende

 
Wofür strengst du dich an?
Was willst du kontrollieren?
Was meinst du besitzen zu müssen?
Woran bist du gebunden?
Womit bist du verstrickt?
Wer meinst du sein zu müssen?
Wer meinst du, bist du?
Was treibt dich an?
Wann fühlst du dich lebendig?
Wann fühlst du dich frei?
Wann fühlst du inneren Frieden?
Womit bist du tief verbunden?
Was erfüllt dich wirklich?
Was hält dich von innen, wenn alles im Außen wegfällt?
Was ist es, was dir Kraft gibt?
Wofür willst du diese Kraft einsetzen?
Was ist dein Warum?
Um was geht es wirklich? 
 
 
Angelika Wende

Montag, 27. Januar 2025

Geradewegs gegen eine Wand

 

                                                           Malerei: A.Wende

 

 

„Beschleunigte Prozesse werden dort problematisch werden, wo sie unser Weltverhältnis so verändern, dass es zu Entfremdung vom eigenen Dasein führt“, so der Soziologe Hartmut Rosa sinngemäß.  

Wir sind mittendrin in diesem Prozess der Entfremdung.

Höher, schneller, weiter. Selbstoptimierung, Prozessoptimierung und Maximierung als Maßstab. Und wir vergessen dabei: Ein zu schnelles und zu hohes Tempo in allen Lebensbereichen führt zu Überforderung und Anpassungsstörungen. Immer im Außen, immer im Funktionsmodus, immer informiert sein, überall mitreden können, nichts verpassen. So leben unzählige Menschen. 

Die Folge – sie verpassen sich selbst und sind irgendwann ausgebrannt.

Wie Rosa richtig sagt – Selbstentfremdung, vom eigenen Dasein entfremdet.

 

Von Oben betrachtet:

Funktionierende menschliche Teilchen einer sich selbst überholenden Geschwindigkeit. 

Das Gefühl für das Wesentliche schwindet im selben Maße wie diese Teilchen durchs Leben hetzen und rennen.

Alles ist flüchtig.

Flüchtig werden Headlines gelesen, flüchtig werden What´s App geschrieben, flüchtig wird im Internet gescrollt, flüchtig wird getextet, anstatt geredet. Ich war entsetzt als mir neulich ein Klient erzählte, er habe vom Tod der Mutter via Textnachricht erfahren.

Das ist nicht wahr habe ich gedacht, und doch es ist wahr. 

 

Die Selbstentfremdung und die Entfremdung vom Nächsten gehen nebeneinander her. 

Die Empathiebereitschaft und die Empathiefähigkeit uns selbst und anderen gegenüber sinkt.

Statt miteinander verbunden, verbinden wir uns mit technischen Geräten um uns verbunden zu fühlen. Ständig kleben wir an unseren Smartphones, als sei darin die Welt enthalten und sonst nirgendwo. Wir sind in Kontakt mit künstlicher Intelligenz, aber nicht mit uns selbst und unserem Nächsten.

Wohin führt das?

Vereinzelung, innere, äußere Isolation, Einsamkeit und Vereinsamung sind die Seuche unserer Zeit. Wir sind mehr und mehr emotional degenerierte narzisstische Wesen, die sich um sich selbst und um eine immer künstlicher werdende Welt drehen, bis uns schwindelig wird und der klare Geist aufweicht, ganz zu schweigen von den immer kälter werdenden Herzen. 

Eine Welt wie ein Irrenhaus in der man nicht einmal mehr weiß, wer die Irren sind – die Insassen oder die Betreuer oder beide.

 

Wir leben in einem virtuellen Raum, in dem wir täglich millionenfach filterlos Reize aufnehmen und kein Raum zwischen Reiz und Reaktion. Wahllos wird temporeich konsumiert ohne das Konsumierte überhaupt verdauen zu können. Flüchtig wird Essen hineingeschoben ohne es überhaupt zu schmecken. Flüchtig werden Beziehungen geführt und wieder beendet, per Textnachricht oder indem geghostet wird.

 

Flüchtig sind wir in hoher Geschwindigkeit auf der Flucht. 

Vor wem?

Vor uns selbst und wir merken es nicht einmal, eben wegen der rasend hohen Geschwindigkeit in der wir konsumieren und agieren.

Wo wir hinrasen? Geradewegs gegen eine Wand.