Donnerstag, 24. April 2025

Durchschauen

 

                                                                   Foto: A.Wende


„Ich habe es satt, die Menschen zu durchschauen. Es ist so leicht, und es führt zu nichts.“
Diese Worte sind von Elias Canetti.
Man kann sie anzweifeln und man kann ihnen zustimmen. Je nachdem wie sehr wir selbst fähig sind andere zu durchschauen. Wenn wir jemanden zu durchschauen glauben, können wir uns natürlich täuschen. Wir beurteilen Menschen oft nach dem, was sie sagen, aber um einen Menschen zu durchschauen, sind seine Worte allein nicht hilfreich. Worte sind gefügig, man kann so viel sagen und es nicht meinen und es nicht fühlen. Im Laufe meines Lebens habe ich eins gelernt: Ich halte mich nicht an die Worte, die man mir sagt, ich achte auf die Handlungen, die den Worten folgen. 
 
Menschen sind oft leichter zu durchschauen, als man glaubt. 
Trotz ihrer komplexen Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen gibt es bestimmte Muster und Hinweise, die Aufschluss über ihre wahren Absichten oder Emotionen geben können. Körpersprache, Mimik und Tonfall zum Beispiel sind Indikatoren, die Einblick in das Innere eines Menschen gewähren. Auch wiederkehrende Verhaltensmuster oder bestimmte Reaktionen in bestimmten Situationen sagen viel über einen Menschen aus. Und wie gesagt: Vor allem – wie sie handeln.
 
Je achtsamer man ist, desto leichter fällt es, den Menschen hinter der Maske zu erkennen. 
Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie viel man über jemanden erfahren kann, wenn man nur genau hinsieht – in den kleinen Gesten, im Blick, in der Art, wie sie sprechen, indem was sie tun und wie sie es tun. Oft verraten auch die Augen mehr als Worte es je könnten. Ein Blick in die Augen kann viel offenbaren. Es braucht Erfahrung, Einfühlungsvermögen und Sensibilität, um hinter die Fassade blicken zu können. Menschen sind zwar vielschichtig, doch ihre Eigenheiten machen sie auch vorhersehbarer und damit durchschaubarer. Manchmal versuchen Menschen, ihre wahren Gefühle und Absichten zu verstecken. Doch ihre Körpersprache und Mimik erzählen eine andere Geschichte. Sie sind wie ein offenes Buch. Je achtsamer man zwischen den Zeilen liest und je aufmerksamer man ist, desto leichter ist es einen Menschen zu durchschauen. Menschen sind komplex und doch sind sie, wie Canetti schreibt, oft viel einfacher zu durchschauen, als sie es selbst glauben.
"Ich habe es satt die Menschen zu durchschauen", schreibt Canetti und er begründet es damit, dass es zu nichts führt. Oh doch, es führt zu etwas: Man lässt sich nicht mehr so leicht täuschen und damit erspart man sich Enttäuschungen. 


Mittwoch, 23. April 2025

Kontrolle versus Loslassen

 

 

 

Angst sagt: 

"Ich brauche die Kontrolle. Ich brauche absolute Sicherheit."

Kontrolle hat immer mit Angstreduktion zu tun.

Es gibt keine absolute Sicherheit. 

Die absolute Sicherheit ist eine Illusion. Perfekte Kontrolle ist eine Illusion.

Loslassen sagt:

"Unsicherheiten gehören zum Leben. Ich lerne damit umzugehen und mich vertrauensvoll auf das Leben einzulassen."

Dienstag, 22. April 2025

Okay, heute ist kein guter Tag, und ich werde trotzdem das Beste für mich tun!

 


 

Heute ist einer dieser Tage, an denen es dir nicht gut geht.

Schon beim Aufwachen hast du dich mies gefühlt.

Beim Blick in den Spiegel hast du dich wieder selbst verurteilt.

Dein Leben in Frage gestellt, dich in Frage gestellt, dich nach dem Wozu gefragt.

 

Du machst dir einen Kaffee und versuchst diese Gedanken zu verdrängen, aber das miese Gefühl bleibt.

 

Lass es da sein.

Akzeptiere, was du fühlst.

Okay, heute ist kein guter Tag.  

Dann geh ins Selbstmitgefühl.

Frag dich: Was kann ich heute trotzdem tun?

Was kann ich tun, damit es mir besser geht?

Vielleicht einen Kaffee irgendwo draußen trinken, ein Spaziergang machen, eine Atemübung, einen guten Freund anrufen, die Wohnung ausmisten, einen frischen Strauß Blumen kaufen oder in der Mittagspause etwas Leckeres essen.

 

Es geht nicht darum deine Gefühle wegzumachen, es geht darum deinen Gefühlen zu erlauben da zu sein, anstatt dagegen anzukämpfen. Es geht darum deine Gefühle zu verändern, anstatt sie zu verdrängen.

 

Okay, heute ist kein guter Tag, und ich werde trotzdem das Beste für mich tun!

 

 

 

Montag, 21. April 2025

Mitleid

                                                                       Foto: A.Wende
 


"Die Ehrfurcht vor dem Leben, zu der wir Menschen gelangen müssen, begreift alles in sich, was als Liebe, Hingebung, Mitleiden, Mitfreude, Mitstreben in Betracht kommen kann, schrieb einst Albert Schweizer.
Wahrscheinlich werden manche diesen Worten zustimmen.
Nur heute würde man sagen: Mitleiden ist ungut.
Aber ist es das wirklich? Ist es ungutoder gar falsch mitzuleiden?
Hilft es dem anderen, wenn wir sein Leid fühlen, mit ihm sein Leid teilen oder vergrößert es sein Leid?
Oder schenkt Mitleid sogar Trost?
Und ist es nicht zutiefst menschlich, wenn wir das Leid anderer so sehr mitfühlen, dass wir auch leiden?
Was wenn es so wäre?
Vielleicht gäbe es weniger Leid in der Welt.
Weniger Menschen, die dem Leid anderer gleichgültig gegenüberstehen. Weniger Menschen, die den Massackern des Krieges mitleidslos gegenüberstehen und dem unermesslichen Leid, das Kriege anrichten.
Weniger Menschen, die einen Krieg als Option überhaupt in Betracht ziehen. Weniger Menschen die sich mitleidslos mit einem rießigen Leid still einverstanden erklären.
Und mehr Menschen, die bereit sind für den Frieden aufstehen.

Sonntag, 20. April 2025

Auferstehen

 


Heute feiern wir Ostern, das Fest der Auferstehung Jesu. Die Wiedergeburt des Gottessohnes als Sieg über den Tod. Mit dem Auferstehungsglauben verbindet sich für viele gläubige Menschen die Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort über das Leben hat, dass unser Dasein nicht endlich ist, dass es mehr gibt als das eine Leben, das mit dem Tod endet.

Christus selbst ist das Licht der Welt, das mit der Osterkerze in die Kirche hineingetragen wird.

 

Die Welt hat sich verdunkelt. Das Dunkel greift um sich, auch wenn wir es verdrängen, es ist da, spürbar, für uns alle. „Ich dachte nicht, dass ich vielleicht noch einen Krieg erleben werde“, sagte gestern die Lebensgefährtin meines Sohne zu mir. Die beiden verlassen dieses Land, ziehen nach Thailand. „Dort sind die Menschen anders“, sagt mein Sohn, freundlicher, friedlicher, irgendwie liebevoller im Umgang miteinander.“

Frieden, daran denke ich an diesem Ostersonntagmorgen und wie fragil er geworden ist. Und an die Liebe denke ich. 

Wo ist die Liebe? Die Menschenliebe, die Nächstenliebe?

 

„Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen“, steht im Korinther 13 zu lesen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass es von diesen dreien immer weniger in dieser Welt gibt.  

Da ist zu viel, was die Liebe in Frage stellt, zu viel, was den Glauben erschüttert und zu wenig um die Hoffnung hoch halten zu können, angesichts dessen, was wir in diesen Zeiten erleben müssen. Es herrscht Krieg in der Welt. Wir befinden uns in einer Ära der Aufrüstung. Eskalation statt Deeskalation. Kriegsvorbereitung statt Friedensbemühungen. Das ist unsere Jetztzeit. Das zerstört mehr und mehr die Zuversicht, dass die Zerstörung des Friedens, ein Ende hat. Nichts ist mehr sicher, wir sind nicht sicher. Wir alle wissen es und spüren es und wir fühlen uns machtlos ob des Zerstörerischen, was in dieser Zeit sein Unwesen treibt. Die Angst wächst und mit ihr verlieren viele Menschen den Glauben und die Hoffnung, dass all das ein gutes Ende haben kann. Der Boden auf dem wir gehen ist brüchig, der Glaube an das Gute bröckelt, die Hoffnung ist eine fragwürdige Größe.

Was bleibt?, frage ich mich, dort wo Zerstörung, Dunkelheit und Angst herrschen.

 

Was bleibt ist die Liebe, ...die Liebe ist die größte unter ihnen ... 

Die Liebe ist das Einzige an das wir uns halten können, wenn alles zusammenbricht.

Aber kann sie heilen, kann Liebe diese Welt heilen, kann Liebe all das Leid, das tagtäglich im Großen und im Kleinen geschieht und geschehen wird, von uns nehmen? Kann die Liebe den Frieden erschaffen? Unsere Wirklichkeit zeigt uns: sie kann es nicht. Nicht einmal jetzt kann sie es, wo wir längst begreifen müssten, dass wir so lieblos uns selbst, unserem Nächsten und unserer Welt gegenüber, nicht weiter machen könne, weil wir uns sonst im Zweifel selbst zerstören. 

 

Dennoch, ohne Liebe ist alles nichts. Liebe ist stärker als Angst. Stärker als das Dunkel.

Liebe ist die stärkste Kraft, auch in Zeiten des Unfriedens ist sie das. Sie ist das, was uns am Leben hält – die Liebe zum Leben selbst, jetzt in diesem Moment in der Zeit, mit allem, was ist, denn Alles ist mehr als das Dunkel, alles ist auch das, was außer dem Dunkel ist – das Licht, die Schönheit einer Blume, das Grün der aufblühenden Bäume, der Spaziergang im Wald, das Lächeln unserer Kinder, die Umarmung eines Menschen, den wir lieben, liebevolle Güte unserem Nächsten gegenüber, unser Atem, der fließt, ohne unser Zutun und, über all diese kleinen Dinge hinaus – das, was wir lieben, eine Vision, die wir in uns tragen und verfolgen, egal wie unmöglich sie uns in Momenten der Dunkelheit erscheinen mag – das ist Liebe zum Leben. Solange wir leben.

 

Liebe zum Leben ist ein Ja zum Leben.

Sie kann auf (er) stehen, jeden Tag aufs Neue, so lange wir leben, auch in dunklen Zeiten. Und was das Leben über den Tod hinaus angeht, darüber nachzudenken macht keinen Sinn. Wir werden sehen oder nicht. Entscheidend ist, was wir im Hier und Jetzt tun, in Liebe - für den Frieden in uns selbst. Dafür ist Jesus ein Beispiel, er ist gelebte Liebe. Er ist Frieden. 

 

Ich wünsche Euch friedvolle Ostern!

 

Samstag, 19. April 2025

Langsam, ganz langsam

 



Du hast dich gerirrt und eigentlich wusstest du es die ganze Zeit, aber du hattest Angst wieder allein zu sein. Aus Angst davor hast du dich wieder verletzen lassen, um am Ende nur wieder allein zu sein. Du fängst an zu begreifen wie viel sinnlose Energie du verbraucht hast, wie sehr du gelitten hast, nur um zu versuchen, für jemanden wertvoll genug zu sein, der niemals wirklich erreichbar war.
Du erkennst, wie sehr du deine eigenen Grenzen verletzt hast, deine Wünsche und Bedürfnisse unterdrückt hast, deine Würde verloren hast, dich schlecht behandeln hast lassen, Platz für jemanden gemacht hast, der kaum da war und es nie sein wollte.
Du vergibst dir selbst dafür.
Du hast nur versucht zu lieben und geliebt zu werden.
Du hast nur gehofft endlich angekommen zu sein.
Gesehen und gehört zu werden.
Und jetzt lernst du, was es bedeutet, dir selbst diese Liebe zu geben.
Du hörst auf, dich für dein Sosein zu entschuldigen, du hörst auf an deinem Wert zu zweifeln und du fängst an, deine Würde zu schützen und auf deine Bedürfnisse zu achten.
Du lernst klare Grenzen zu setzen.
Du lernst für dich selbst da zu sein.
Du lernst dich selbst gut zu behandeln.
Du lernst das Beste für dich selbst zu tun.
Schritt für Schritt. In Babyschritten.
Tag für Tag.
Und langsam, ganz langsam fühlt sich die Leere, die sich einst wie Verlassensein angefühlt hat, wie Freiheit an.
 
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Samstag, 12. April 2025

Seelische Mülleimer

                                                                       Foto: A.Wende

 

Sie rufen täglich an, weinen sich ständig aus, jammern und klagen über ihre Probleme, ihre Gesundheit, ihre Krankheiten, ihre Beziehung, ihren Job und spammen einen mehrmals täglich mit What´s App Nachrichten zu. Redet man mit ihnen, geht es nur um sie. Man kommt selbst kaum zu Wort und wenn man zu Wort kommt, wird das letzte Wort dazu benutzt wieder von sich selbst zu erzählen.
Wer es kennt, weiß wie belastend und energieraubend Beziehungen mit Menschen sind, die sich so verhalten. 
 
Zu den eigenen Problemen, die jeder von uns zur Genüge hat, legt sich eine Last, die einen seelisch ziemlich beschweren und runterziehen kann. Man hört immer wieder geduldig zu, will helfen, macht Vorschläge zur Problemlösung und nichts ändert sich. Immer wieder wird eine Schallplatte mit dem gleichen Klagelied abgespielt. Wie es einem selbst geht wird nicht gefragt und wenn, dann wird nicht darauf eingegangen. Zack … und zurück geht’s zum eigenen Ich.
Ich, Ich, am AllerIchsten, allein darum geht es. 
 
Man hat mehrmals versucht sich abzugrenzen, erfolglos.
Die Grenze wird immer wieder missachtet und überschritten. Man kommt sich langsam vor wie ein seelischer Mülleimer und ist nach solchen Gesprächen und Begegnungen im wahrsten Sinne des Wortes völlig im Eimer. Was sind das für Menschen, die derart auf sich selbst bezogen sind und nicht merken wie sehr sie um sich selbst kreisen und den anderen gnadenlos in ihr Gefühlskarussell hineinziehen?, fragt man sich. Und irgendwann fragt man sich: Will ich das überhaupt noch mitmachen? Man geht öfter nicht ans Telefon, liest die What´s App nur noch zeitversetzt und antwortet halbherzig im Gefühl: Es reicht langsam!
 
Solche Beziehungen sind nicht nur emotional erschöpfend, sie sind belastend und verursachen Stress. Gefühle wie Wut, Groll und Traurigkeit kommen auf. Man selbst wird nicht gesehen und nicht gehört und dient einzig als stummer Spiegel für das Ich des anderen. Man will das nicht mehr sein und traut sich nicht sich zu distanzieren, weil – so viele FreundInnen hat man ja nicht. Man ist im Konflikt mit sich selbst, eigentlich aber ist man im Konflikt mit dem anderen, spricht es aber nicht aus.
Man will den anderen nicht verletzen und nicht zurückweisen, weil man weiß wie schmerzhaft das sein kann und verletzt sich selbst, indem man immer wieder in einem Gefühlscocktail aus fremdem Elend und den eigenen belastenden Gefühlen schwimmt.
 
Es ist vollkommen okay sein Herz zu öffnen und sich bei FreundInnen auch mal auszuheulen, seine Probleme mitzuteilen und sich emotional zu entlasten. Freundschaft und Beziehung bedeutet: füreinander da zu sein. Aber eben für einander.
Und nicht der eine für den ewigen Negativismus des anderen.
Es ist nicht okay den anderen ständig mit seinen Problemen zu überladen, ohne zu fragen, ob er überhaupt gerade ein Ohr, Kraft und Zeit hat sich damit zu befassen. Es ist nicht okay, nur von sich selbst zu reden und dem anderen keine Aufmerksamkeit und kein Interesse zu schenken, wenn man den anderen seinen Freund oder seine Freundin nennt.
 
Eine gesunde Beziehung besteht aus gegenseitigem Interesse, Zuneigung, Achtung, Respekt, Vertrauen und einem ausgeglichenen Geben und Nehmen. Es geht darum das Beste füreinander zu wollen und um eine gesunde Balance. Beziehung besteht aus einem Ich und einem Du und nicht aus einem Ich, welches monologisiert das Du als Klagemauer oder als Ersatztherapeut benutzt.
Hier fehlen Empathie und Rücksichtnahme auf das Gegenüber. Wenn es immer nur um das eigene Ich geht, ohne darüber auch nur im Ansatz nachzudenken, ob der andere überhaupt die Bereitschaft und die Energie hat zuzuhören und da zu sein, kippt das Gleichgewicht in der Beziehung ins Unheilsame. Man fühlt sich einfach nicht mehr wohl mit einem Gegenüber, das nur auf die eigenen Bedürfnisse fokussiert ist.
Das sollte man, um des eigenen Seelenheils willen, klar und deutlich äußern.
Heißt: Eine klare Grenze setzen und dem anderen mitteilen wie man sich fühlt – nämlich schlecht und emotional überfordert. Wer ganz mutig ist, könnte den anderen bitten, einmal in die Stille zu gehen und sein eigenes Verhalten zu reflektieren. Tut er oder sie das nicht, ist es an der Zeit sich zu fragen, ob man eine derart dysfunktionale Beziehung wirklich weiterführen will, wozu es gut ist sich als emotionalen Mülleiner zur Verfügung zu stellen und warum man das überhaupt zulässt. 
 
"Nur Menschen, die fähig sind, einander wahrhaft du zu sagen, können miteinander wahrhaft wir sagen."
Martin Buber 
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Freitag, 11. April 2025

Anhaftung

 

                                                                  Zeichnung: A.Wende

 

Das Problem bei der Anhaftung ist, dass wir etwas vom anderen erwarten, auf Veränderung hoffen und an ihm zerren,

dass wir die Ohnmacht ob der Vergeblichkeit unserer Bemühungen nicht aushalten können,

dass wir immer wieder hoffen um immer wieder enttäuscht zu werden.

 

Das Problem löst sich nicht, indem wir immer wieder darüber er reden.

Das entlastet kurz, aber es löst das Problem nicht.

Das Problem löst sich dann, wenn wir keine Erwartungen mehr haben und loslassen.

Das können nur wir selbst, indem wir die Bereitschaft haben unsere Ohnmacht zu akzeptieren.

Donnerstag, 10. April 2025

Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben.


 

 
Die Welt ist in Aufruhr und die spirituell-esoterische Szene boomt. 
Selbsternannte Welterklärer sprechen von der neuen Zeit, der kosmischen Wende, von der großen Transformation der Menschheit, von Satan, der kommt, von außerirdischen Angriffen auf die Menschheit und von der Apokalypse. Sie sprechen mit den Ahnen, behaupten sie sind hellsichtig, haben Kontakt zu den Engeln und geben vor zu wissen, was in der Welt gerade passiert. Sie sind auserkoren, sie wissen die Wahrheit, die hinter dem derzeitigen Weltgeschehen steckt und vor allem - sie allein wissen, was du zu tun hast um die große kosmische Wende zu überleben. 
 
Das Netz ist voll von diesen spirituell-esoterischen Videos.
Die Aufrufe gehen in die Tausende. Sie ziehen viele Menschen an, die auf der Suche nach Heilung, Erfüllung, Sinn und innerem Frieden sind. Doch wie in vielen Bereichen gibt es auch hier gefährliche Fallstricke, die es zu beachten gilt. 
 
Einer der größten Fallstricke ist die Kommerzialisierung der Spiritualität. In den letzten Jahren hat sich ein florierender Markt entwickelt, der von Videos, Workshops, Seminaren und Produkten geprägt ist, die rein auf Profit als auf echte Transformation ausgerichtet sind. Dies kann dazu führen, dass Menschen viel Geld für Angebote ausgeben, die ihnen letztlich nicht die erhoffte Erleuchtung oder Heilung bringen.
 
Ein weiterer Fallstrick ist die Gefahr der narzisstischen Selbstüberhöhung. In der spirituellen Szene gibt es die Tendenz der Protagonisten, sich selbst als „erwacht“ oder „erleuchtet“ zu betrachten, was zu einer übersteigerten Selbstwahrnehmung fernab jeder Realität führt. Diese führt dazu, dass diese "FührerInnen" sich von anderen abgrenzen, die Welt in gute und böse Menschen spalten und ihre Follower in den destruktiven Sumpf der Projektion ihrer eigenen verdrängten Schatten mithineinziehen, indem sie ihnen vermitteln – wir sind das Licht, wir sind die Guten. Auf diese Weise findet eine Art spiritueller Wettbewerb statt, anstatt echte Verbundenheit zu sich selbst und anderen aufzubauen. Einige spirituelle „FüherInnen“ sind zudem extrem dogmatisch und nehmen eine Haltung der Überlegenheit gegenüber anderen Weltanschauungen oder Glaubenssystemen ein, was zu Spaltung und Konflikten führt.
 
Der Mensch, besonders wenn er voller Angst und unsicher ist, sich ohnmächtig und orientierungslos fühlt, sucht nach schnellen Lösungen und Führung. Genau hier docken die Vertreter dieser spirituellen Szene an. Sie versprechen ihren Followern, dass sie durch bestimmte Praktiken oder Workshops innerhalb kurzer Zeit ihr Leben grundlegend verändern können. Diese Erwartung kann nur zu Enttäuschungen führen, dann nämlich, wenn die Realität nicht mit den idealisierten Prophezeiungen, Vorstellungen und Versprechungen der guruähnlichen Figuren und Gruppen übereinstimmt. Realität ist dasjenige, was nicht verschwindet, wenn wir ihr die Zustimmung entziehen. 
 
Ein weiterer Fallstrick: Der Glaube an diese oft wortgewandten und charismatischen Anführer, die oft unkritisch und unreflektiert verehrt werden, kann zu einem Verlust der eigenen Autonomie und in emotionale Abhängigkeit führen, im schlimmsten Fall zu Manipulation und Missbrauch für deren eigene Zwecke – nämlich viel Geld verdienen.
Besonders Menschen, die in Krisen und verletzlichen Lebenssituationen sind, können leicht in Abhängigkeit geraten und ausgenutzt werden. All dies kann in Folge zu einem Rückzug von der Welt und in die soziale Isolation führen und die kritische Denkfähigkeit beeinträchtigen, bis dahin, dass sie sich selbst in diesem fremden Denken verstricken und mehr und mehr Schwierigkeiten haben, herauszufinden, was für sie wirklich wahr ist. Im Bestreben, sich einem bestimmten selbsternannten Lehrer anzupassen, können Menschen ihre eigene Identität und Individualität verlieren, was schließlich zu einem Gefühl der Entfremdung von sich selbst und den Mitmenschen führt.
 
Es ist wichtig für das eigene Seelenheil, sich dieser Gefahren bewusst zu sein und kritisch und mit klarem Blick zu hinterfragen, was wirklich hilfreich ist und einem selbst dient und was schädlich sein könnte. Ein gesunder Weg zur Spiritualität umfasst sowohl kritisches Denken als auch Offenheit. Es bedeutet der eigenen Intuition folgen und die innere Wahrheit nicht aus den Augen zu verlieren um sich nicht einem, von Fremden gemalten Weltszenario zu verlieren, das mit der Realität und einem selbst nichts zu tun hat. In einer Welt, die von esoterischen Begriffen und Konzepten geprägt ist, kann es leicht passieren, dass man sich von unbewiesenen Behauptungen oder pseudowissenschaftlichen Ansätzen leiten lässt. Daher ist es entscheidend, wach zu bleiben und achtam zu sein, sich Fragen zu stellen und die eigene Wahrheit zu finden, anstatt blind den Wahrheitskonstrukten anderer zu folgen.
Die spirituelle Reise kann bereichernd und transformierend sein. Wichtig ist, sich der Fallstricke bewusst zu sein und einen gesunden, kritischen Ansatz zu wählen. Echtes Wachstum entsteht nicht indem man blind anderen folgt, die vorgeben zu wissen wo es lang geht, sondern indem man seine eigene Wahrheit sucht, aus einer Balance zwischen Offenheit und Skepsis, zwischen Selbstreflexion und Selbstkenntnis. 
 
Spirituelle Entwicklung ist kein YouTube Video und kein Workshop, sie ist ein langwieriger Prozess, der Geduld und Hingabe erfordert. Keiner kann das für uns erledigen, diesen Weg dürfen wir selbst gehen. Prozessorientiert und nicht ergebnisorientiert und vor allem mit einem klaren, unabhängigen Geist, sonst landen wir auf dem Holzweg. 
 
„Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben.“
André Gide
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Montag, 7. April 2025

Von Bedeutung


 


 

Der Zustand der Welt betrifft uns alle auf unterschiedliche Weise.

Es ist jetzt von größter Bedeutung, 

Wege zu finden, um unsere psychische Gesundheit zu erhalten.


Sonntag, 6. April 2025

Warum ich den Bodhisattva so mag

 

                                                                            Foto: Pixybay


Der Begriff Bodhisattva setzt sich zusammen aus: Sattva – fühlendes Wesen und Bodhi – Erwachen, Erleuchtung, absolute Bewusstheit. Er ist ein zentraler Begriff im Mahayana-Buddhismus und bezeichnet einen Menschen, dessen Ziel es ist die Erleuchtung zu erreichen und der aus Mitgefühl beschließt, anderen Wesen zu helfen, ebenfalls Erleuchtung zu erlangen.
Der Weg eines Bodhisattva ist geprägt von der Entwicklung von Eigenschaften wie Mitgefühl, Weisheit, Geduld und Selbstlosigkeit. Der Bodhisattva ist für mich mehr als nur ein Konzept im Buddhismus - er ist ein Symbol für tiefes Mitgefühl und die Hingabe an das Wohlergehen aller fühlenden Wesen.
In einer Welt, die von Gier, Hass, Selbstsucht, Leiden, Schmerz und Verzweiflung geprägt ist, verkörpert er die Hoffnung, dass es einen Weg gibt, Leiden zu lindern und Licht in die Dunkelheit zu bringen.
 
Stell dir vor, du stehst an einem Fluss, der reißend und unberechenbar ist. Auf der anderen Seite siehst du einen Menschen der verzweifelt kämpft, um ans rettende Ufer zu gelangen.
Was tust du?
Was würde ich tun?
Ehrlich gesagt, ich bin mir nicht sicher, was ich tun würde.
Der Bodhisattva weiß genau, was er tut – er zögert nicht ins Wasser zu springen, selbst wenn die Strömung stark ist. Er stellt sein eigenes Wohl zurück, um diesem Menschen zu helfen. Sein Herz ist erfüllt von Mitgefühl. Er sieht nicht nur die Not des anderen, sondern fühlt sie in sich selbst.
Das ist natürlich ein krasses Bild.
Man mag jetzt denken, wie dumm, der riskiert sein eigenes Leben für das Leben eines anderen, aber das macht tiefes Mitgefühl aus – wir fühlen den anderen und haben das dringende Bedürfnis zu helfen. Solche Menschen gibt es, wir nennen sie dann Helden. 
 
Der Weg eines Bodhisattva ist nicht einfach. Er ist geprägt von Herausforderungen, Rückschlägen und dem ständigen Ringen mit den eigenen Ängsten und Zweifeln. Doch der Bodhisattva geht diesen Weg gegen alle Widerstände im Innen und Außen. Was ihn antreibt ist die Liebe zu allen Wesen, und eine tiefe Verbundenheit mit allem, was lebt. Der Bodhisattva weiß, dass jeder Akt des Mitgefühls, jede Geste der Freundlichkeit, eine Veränderung auslösen kann, die über das Hier und Jetzt hinausgeht. Er urteilt und spaltet nicht in Gut und Böse, sondern ist von Mitgefühl unterschiedslos allen Wesen gegenüber erfüllt. 
 
Wir alle haben das Potenzial, Bodhisattvas in unserem Leben zu sein. Wir können die Entscheidung treffen, nicht nur für uns selbst zu leben, sondern auch für andere da zu sein. Jeder von uns kann die Welt ein kleines Stück besser machen, indem wir Verständnis und Mitgefühl zeigen, ein offenes Ohr anbieten oder einfach nur da sind, wenn jemand uns um Hilfe bittet und Unterstützung braucht.
In einer Welt, die zunehmend kälter und unbarmherziger wird, ist der Bodhisattva für mich ein Lichtstrahl im Dunkel. Er lehrt uns, dass wahre Erfüllung nicht im Streben nach persönlichem Glück, Macht und Erfolg liegt, sondern im Dienst für das Ganze. Wenn wir den Weg des Bodhisattva wählen, öffnen wir unser Herz und unsere Hände für andere. Wir verlassen unsere Ich-Zentriertheit und richten unseren Blick auf das Ganze. Jedes Mal wir uns für andere einsetzen, statt nur an unsere eigenen Bedürfnisse zu denken, manifestiert sich bereits in diesem Moment der Bodhisattva in uns.
Für mich ist der Bodhisattva kein naives, träumerisches Ideal, sondern lebendige Realität und ein heilsamer, dringend notwendiger Weg, der uns alle miteinander verbindet und uns in Richtung Frieden führt. 
 
Imagine all the people
Living life in peace
You may say I'm a dreamer
But I'm not the only one
I hope someday you'll join us
And the world will be as one
 
John Lennon 
 
 
Angelika Wende

Freitag, 4. April 2025

Wandle dein Herz, dann wandelt sich dein Sinn

 



 
Von Fernado Pessoa stammt der Satz: "Wenn das Herz denken könnte, stünde es still." Darin liegt so viel Schmerz, dass mir das Herz beim Lesen weh tut.
"Ich kann mein Herz nicht mehr öffnen, weil ich verletzt wurde", diesen Satz höre ich oft in der Praxis und auch sonst. Ich selbst fühlte das nach einer tiefen Verletzung durch einen geliebten Menschen auch so. Denke und glaube ich so, bleibe ich an meinem Schmerz haften. Ich bleibe an denen oder dem haften, die ihn mir zugefügt haben. Ich füge mir selbst über den Schmerz hinaus Leid zu. Ich mache aus Schmerz Leiden, im Glauben mir eine schützende Rüstung um mein Herz legen zu müssen, auf dass mich nichts und niemand mehr berührt und verletzt. Aber, in dieser Rüstung lebt es sich nicht gut. Sie ist hart und eng. Sie macht Atmen schwer, Bewegung schwer, trennt mich von allen, die mir nah kommen wollen. Sie macht allein. Aus Selbstschutz wird Selbstkasteiung.
Es ist schwer sich aus der Verhaftung mit einem alten Schmerz zu herauszulösen, schwer die schützende Rüstung abzulegen im Wissen – jetzt bin ich wieder verletzbar. Schmerz ist wieder möglich. Neuer Schmerz. Manchmal kann es sogar soweit kommen, dass die Rüstung so vertraut oder sogar so liebgeworden ist, weil sie als Schutz für mein verletztes Herz gute Dienste leistet. Das Herz aber wird leiden. Es wird an der Enge langsam ersticken. Es wird an Einsamkeit, an Verbitterung, an Resignation erkranken.
 
Der fanzösische Philosoph Blaise Pascal schrieb einst: "Es gibt eine Vernunft des Herzens, die der Verstand nicht kennt. Man erfährt es bei tausend Dingen." Und: "Wir erkennen die Wahrheit nicht allein mit der Vernunft, sondern auch mit dem Herzen."
Ein verletztes Herz, das sich verschließt, verschließt sich nicht nur der Wahrheit, es verschließt sich der Liebe und der Möglichkeit wieder zu lieben. Es erfährt keine Verbundenheit, nicht mit den Mitmenschen, nicht mit dem Transzendentem, dem Urgrund allen Seins. Es wird hart und zu echtem Mitgefühl ist es nicht mehr fähig. Mitgefühl ist eine Herzensqualität, die Selbstliebe und Liebe zu anderen mit einschließt. Mitgefühl gehört zur Herzensbildung. Und damit verbunden ist die Haltung uns anrühren und berühren zu lassen. Es usn ans herz zu legen, was usn anrührt. Herzensbildung hat mit rationalem Wissen nichts zu tun, es geht um die Freude am Sein, um das Teilen der Freude am Sein, um Verständnis für uns selbst und andere, um die Entfaltung unserer Menschlichkeit in unserem Alltag. 
 
Wandle dein Herz, dann wandelt sich dein Sinn!
Wer mit verschlossenem Herzn durch das Leben geht wird immer nur das sehen, was ungut ist, er wird sich als ausgestoßen, getrennt empfinden oder sich sogar bedroht fühlen. Er wird Menschen und Welt durch eine dunkle Brille sehen und nur noch das Ungute seiner Mitmenschen durch diesen Filter wahrnehmen. Seine Aufmerksamkeit wird all dem entzogen, was gut ist. Er wird blind für das Licht, hart und verurteilend anderen gegenüber, die ihm im Grunde nur den Schatten spiegeln, den er selbst in sich trägt, aber nicht sehen kann.
Um die Rüstung abzulegen und im Herzen zu gesunden, bedarf es der Verantwortungsübernahme für das eigene Leben. Und das bedeutet, uns zu öffnen für das Leben, wieder und wieder, auch wenn wir verletzt sind und auch wenn wir die Gefahr eingehen wieder verletzt zu werden.
 
„Das Leiden, die Not gehört zum Leben dazu, wie das Schicksal und der Tod“ , schreibt Viktor Frankl. Es gibt immer schmerzvolle Dinge und Umstände, denen wir als Mensch unausweichlich begegnen. Es gibt das Schicksal, das manchmal ein Arschloch ist. Es gibt so vieles, was nicht in unserer Hand liegt. Es gibt Erfahrungen, die uns alles abverlangen und denen wir uns stellen können oder nicht. Es gibt Dinge, die unveränderbar sind, egal wie sehr wir uns dagegen wehren. Es gibt Menschen, die uns enttäuschen und verletzen. Es gibt so vieles, was unser Herz kränken kann. Ich kenne fast alles. Aber niemals habe ich mein Herz verschlossen, weil ich weiß, ein verschlossenes Herz wird auf Dauer krank und weil ich das Leben liebe, trotz allem, was es an Ungutem gibt. Immer wieder, wenn ich raus gehe, mich in mein Lieblingscafé setze, habe ich schöne Begegnungen. Gesetern hatte ich eine solche Begegnung mit einer Frau meines Alters. Wir hatten ein wunderbares Gespräch, ich fühlte eine tiefe Verbundheit. Am Ende ging sie zum Bezahlen ins Café. Sie kam heraus und machte mir ein kleines Geschenk. Eine köstliche Tafel Schockolade. "Danke", sagte sie und ging mit einem Lächeln. Ich ging mit einem Lächeln, dankbar für diese Begegnung.
Ich erzählte es meinem Sohn, der sagte: "Wahnsinn, Mama, was du immer für Begegnungen hast."
 
Wie wir mit einem erletzen Herzen umgehen, wie wir wählen damit umzugehen, liegt in unserer Hand. Was wir damit machen, liegt in unserer Hand. Das entscheiden wir selbst. Jeden Tag haben wir neu die Wahl, angesichts des Schmerzes, den wir fühlen zu resignieren oder aus dem Schmerz heraus unser Leben neu zu gestalten, indem wir den Sinn im Erfahrenen zu erkennen suchen, indem wir uns fragen: Aus welchem Grund bin ich in dieser Lage? Was will das Leben jetzt von mir? Worin könnte meine Aufgabe, meine Herausforderung liegen?
„Es ist das Leben, das uns die Fragen stellt, wir haben zu antworten und diese Antworten zu ver-antworten“, Nichts anderes kommt uns Menschen zu!“, schreibt Frankl weiter.
Was heißt das?
Es heißt die Herausforderung anzunehmen indem wir uns zu fragen: Wozu fordert mich mein verletztes Herz heraus?
Und: Welche Antwort will ich geben?
Will ich mein Leid vermehren oder es wandeln?
Wandlung hat einen Preis, nämlich den, die scheinbar sichere Rüstung abzulegen, den Schmerz irgendwann sein zulassen, die Verbitterung und die Resignation loszulassen und aufhören zu sagen: "Ich kann mein Herz nicht mehr öffnen, weil ich verletzt wurde." Denn das wird zu einem das Herz verhärtenden Gluabenssatz.
 
Auch ein verletztes Herz kann wieder ganz werden, nicht mehr ganz so ganz wie es einmal war, aber mutiger, weicher, wissender, weiser, mitfühlender, ehrlicher und wahrhaftiger sich selbst und damit anderen gegenüber.
Wir könnten die Rüstung ablegen und uns fragen:
Was will ich aus meinen Herzen heraus in die Welt geben?
 
Angelika Wende 

Mittwoch, 2. April 2025

Worauf wartest Du?

 


 
Worauf wartest Du?
Mit warten verschwendest du dein Leben!
Du musst was machen!
Du musst dich bewegen!
Du musst handeln!
Du musst das jetzt ändern!
Wer sagt das?
Ist das so?
Manchmal geraten wir in Situationen in denen wir ausgebremst werden, wir geraten in Situationen, die uns missfallen, weil sie nicht so sind, wie wir das gerne hätten, wir geraten in Situationen, in denen wir keine Lösungen finden und keine Entscheidung fällen können, wir geraten in Situationen, in denen wir einfach nicht weiter wissen. Wir geraten in Situationen, in denen uns die Häne gebnden sind. Wir sitzen da und alles was wir gerade tun können ist: Sit and wait. Und das mögen die meisten Menschen gar nicht.
Ein Beispiel:
Mein Klient ist seit einem Jahr Single und hält es mit sich selbst nicht aus. Er braucht eine Beziehung um sich, wie er sagt, „gut zu fühlen“, findet aber, trotz aller Anstrengungen, keine Partnerin. Er ist täglich auf Tinder und vielen anderen Dating-Portalen aktiv, er hat jede Woche mindestens ein Date, aber außer kurzen Begegnungen und One-Night-Stands tut sich nichts. Er strengt sich an um sein Glück zu schmieden, er investiert eine Menge Energie in seine Suche, er hat ein klares Ziel, aber sein Beziehungsglück stellt sich einfach nicht ein. Er ist total frustriert, schwankt zwischen Wut und Traurigkeit, weil er das, was er will nicht bekommt.
Als ich ihn frage, ob es nicht sinnvoll wäre in dieser Zeit als Single an sich selbst zu arbeiten, um sich mit sich selbst wohler zu fühlen, winkt er ab: „Ich vergeude doch keine sinnlose Zeit mit warten!“
Warten - vergeudete, sinnlose Zeit?
Kann man Zeit vergeuden?
Kann Zeit sinnlos sein, wenn wir nicht haben, was wir meinen zu brauchen?
Ist warten immer ein Warten auf Godot?
Ist warten falsch?
Gibt es nur entweder oder?
Oder gibt es ein Dazwischen - eine Zeit des Wartens, die durchaus sinnvoll sein kann?
Sind im Warten nicht auch Möglichkeiten verborgen, nämlich die Zeit des Wartens und was sie beinhaltet zu entdecken, zu nutzen und zu gestalten?
Warten, wie auch immer wie es für uns definieren mögen, beinhaltet Geduld. 
 
Geduld ist eine Tugend und eine Fähigkeit.
Geduld ist ein Zeichen von Stärke und Zähigkeit.
Geduld ist ein innerer Zustand, der von äußeren Umständen unabhängig ist.
Geduld beinhaltet das Erkennen, dass nicht die Situation, sondern meine Einstellung und meine Erwartung das Problem ist.
Geduld ist die Fähigkeit, eine innere Spannung anzunehmen, ohne mich dabei zu verspannen.
Geduld ist eine Übung im Durchhalten
Geduld ist Gelassenheit.
Geduld wird in unserer „schneller, höher, weiter“ Zeit leider unterschätzt.
„Don´t push the river it flows by itself“, ist ein Satz, der mir in vielen Situationen des Wartens geholfen hat.
Dieses Zitat soll von Barry Stevens stammen, einer amerikanischen Psychotherapeutin, die in ihrem gleichnamigen Buch ihre persönlichen Erlebnisse in einer von Fritz Perls gegründeten Gestalt-Gemeinschaft in Kanada beschreibt.
Don´t push the river …
übe dich in Geduld. 
 
Geduld kann warten und Wünsche zurückstellen.
Geduld sagt ja zu dem was ist, im Wissen, dass nichts bleibt wie es ist.
Geduld erträgt Mühen und kann Schmerz aushalten.
Geduld kann Rückschläge einstecken, dran bleiben, durchhalten. Geduld erinnert uns daran, dass die Dinge Zeit und Hingabe benötigen, um sich zu entwickeln.
Geduld kann auch unschöne Gefühle annehmen und sagen: Es ist jetzt wie ist es. Es ist okay.
Geduld kann Impulse kontrollieren, sie treibt sich nicht an.
Geduld hat gelernt sich nicht unter Stress zu setzen um alles sofort haben oder schaffen zu müssen.
Geduld kann zuwarten und abwarten.
Geduld weiß um den Wert von kleinen Erfolgen und Teilzielen.
Geduld verschwendet keine Energie an Unrast und Eile.
Geduld kennt den Wert von Entschleunigung und Stille.
Geduld weiß um den Sinn von Achtsamkeit und Präsenz im Moment.
Geduld vertraut in den Prozess des Lebens.
Geduld ist das Vertrauen, dass das für uns Richtige geschehen wird.
Geduld steuert nicht auf das ferne Endziel, sondern agiert aufmerksam im Hier & Jetzt.
Geduld weiß um den Prozess der Dinge.
Geduld hat gelernt nicht auf das Ziel zu starren, sondern die Reise zu schätzen.
Geduld weiß: Der Weg ist das Ziel. 
 
"Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen."
Blaise Pascal 
 
Angelika Wende
Kontakt:aw@wende-praxis.de

Mittwoch, 26. März 2025

Aus der Praxis: Angst ändert rein gar nichts



Es sind häufig nicht die Dinge und Situationen selbst, die uns Probleme bereiten, Stress machen oder Angst, sondern die viel zu große Bedeutung, die wir ihnen geben. Dann neigen wir dazu sofort negative Schlüsse zu ziehen, zu verallgemeinern und die Situation auf ähnliche Situationen, die wir erlebt haben, zu übertragen. Manche Menschen neigen auch zur Katastrophisierung. Es geschieht etwas Beunruhigendes und prompt reagieren sie mit einer übertriebenen Angst, dass ein Unglück drohen könnte.
 
Reaktionen auf Reize werden erlernt und werden dann zu Denkmustern, die wir automatisch abzuspulen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Festsitzende Denkmuster neigen zu Verallgemeinerungen und zu Schwarz-Weiss-Denken. Wir haben z.B. Angst vorm Zahnarzt, weil es, als wir Kind waren, eine schmerzhafte Erfahrung gab. Diese schmerzhafte Erfahrung haben wir abgespeichert. Jedes Mal, wenn wir zum Zahnarzt müssen, löst allein der Gedanke daran – der Reiz – unsere Angstreaktion aus. Wenn wir denken, niemand mag uns und Angst vor Zurückweisung haben, verhalten wir uns ablehnend und machen emotional dicht. Wir wundern uns dann, dass andere nicht offen und freundlich auf uns zu gehen. Dabei löst unser eigenes Verhalten aus, dass sie es nicht tun. 
 
Angst ist eine Reaktion auf einen Reiz.
Das Risiko, im Laufe des Lebens an einer Angststörung zu erkranken, liegt nach internationalen Studien zwischen 14 und 29 Prozent. Damit sind Angststörungen die häufigste psychische Erkrankung, gefolgt von Depressionen und sie nehmen zu.
Angststörungen sind schwerwiegende psychische Erkrankungen, die einen hohen Leidensdruck erzeugen. Angst – und Zwangsstörungen hängen mit negativen, unlogischen, realitätsfremden und verzerrten Denkmustern zusammen, die nur schwer zu verändern sind. Betroffene wissen zwar, dass ihre Gedanken mit der Realität nichts zu tun haben, können sich aber nicht davon distanzieren. Die Gefühle sind so überwältigend, dass sie ihren eigenen Gedanken gegenüber hilflos sind – trotz besseren Wissens. Im Laufe einer Therapie dürfen sie lernen sich selbst zu beobachten, Reize zu erkennen, ihre Gedanken zu identifizieren, ihre inneren Blockaden zu erkennen, die auftretenden Gefühle (in Expositionsübungen) auszuhalten, Alternativen zu entwickeln und diese auszuprobieren und anzuwenden. Dazu gehört auch die eigenen verzerrten Denk-und Verhaltensmuster neu zu bewerten.
 
Bisher ging man bei der Erforschung und Behandlung von Angst davon aus, dass sie ganze Gehirnschaltkreise, wie jene im Limbischen System, überaktiviert. Neueste Erkenntnisse jedoch belegen, dass Angst einen äußerst selektiven Effekt auf die neuronale Aktivität hat, die die Entscheidungsfindung unterstützt. Studien haben gezeigt, dass Angst Gehirnzellen deaktiviert. Wir können nicht mehr klar denken. Können wir nicht mehr klar denken, treffen wir schlechte oder keine Entscheidungen. Das wiederum verstärkt die Angst, führt zu weiteren Fehlentscheidungen löst schließlich eine Abwärtsspirale aus.
 
Auch wenn wir keine Angst-oder Zwangsstörung haben können wir mit unserer „normalen Angst“ arbeiten um besser mit ihr umgehen zu lernen. Auch hier beginnen wir damit uns selbst zu beobachten, den Grund für die Angst zu identifizieren und Alternativen zu entwickeln, um sie neu zu bewerten und angemessen mit ihr umzugehen. Wir distanzieren uns bewusst von der Angst und sehen sie mehr als Herausforderung, denn als Problem. Wir gehen auf Augenhöhe mit der Angst. 
 
Ein Problem bei Ängsten ist, dass viele Menschen eher in Möglichkeiten als in Wahrscheinlichkeiten denken. Und das kann sie verrückt machen.
Es ist möglich, dass das Flugzeug abstürzt, dieser Gedanke ist für manche Menschen so angsteinflößend, dass sie nicht fliegen.
Sie fragen sich aber nicht: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es abstürzt?
Natürlich kann ein Flugzeug abstürzen, aber es ist wenig wahrscheinlich, dass es abstürzt.
Das Unterscheiden zwischen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit kann also sehr hilfreich sein um Angstgedanken zu reduzieren.
 
Bei Ängsten ist es wichtig beruhigende Verhaltensweisen zu erlernen. Zum Beispiel kann man die Angst durch bewusstes tiefes Ein- und Ausatmen verringern. So kommt der Körper zur Ruhe und damit auch der Geist. Entscheidend dabei ist, uns bewusst auf die Atmung zu konzentrieren statt auf die Angst. Schon wenige tiefe Atemzüge aktivieren sofort den Parasympathikus und den Vagusnerv. Das verlangsamt den Herzschlag, senkt den Blutdruck und beruhigt. Ein paar Mal tief durchatmen ist absolut hilfreich um uns selbst zu beruhigen und uns nicht in die Angst hineinzusteigern. Wir erleben dabei, dass ängstliche Erregung und körperliche Entspannung nicht gleichzeitig bestehen können. Und wir erfahren, dass wir unserer Angst nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern selbst etwas tun können um sie zu reduzieren. Wir sind selbstmächtig, mächtiger als die Angst. Wir gewinnen die Kontrolle zurück. Diese positive Erfahrung kann dann zu häufigerem Durchführen eines gewünschten Verhaltens anregen, das wir bei Angst einsetzen. Übrigens, auch körperliche Aktivitäten wirken angstlösend.
 
Ich kenne Angst gut. Angst war der ständige Begleiter meiner Kindheit und in sehr belastenden Lebenssituationen meldet sie sich bisweilen zurück. Ich kenne ihre Ursachen und die Reize, die sie auslöst. Bei meiner Angst geht es immer um Todesangst, die dann in anderen Ängsten ein Behältnis sucht und Gestalt annimmt. Zu wissen woher die Angst kommt ist gut, aber auch ohne dieses Wissen, können wir mit unserer Angst arbeiten. Der erste Schritt ist: Unsere Angst zu akzeptieren. Nur was ich akzeptiere, kann sich wandeln.
Irgendwann hatte ich genug von meiner Angst. Ich war wütend, dass sie mir immer wieder das Leben schwer macht.
Mir wurde klar: Angst ändert rein gar nichts.
Die Dinge geschehen, mit und ohne Angst.
Und dann fragte ich mich: Willst du dein Jetzt an die Angst vergeuden?
Die Antwort ist ein klares „Nein!“
Ich habe nur dieses eine Leben und keine Ahnung wann und wie es endet.
Und ja, das macht mir Todesangst. Und die darf sein. Ich werde sterben, wie alle Menschen, das ist absolut sicher. Das muss ich akzeptieren und das heißt nicht, ich muss es gut finden, aber meine Angst ändert rein gar nichts daran.
Im Grunde geht es darum unsere Angst in unser Gefühlssystem zu integrieren und nicht mit Macht gegen sie anzukämpfen. Es geht darum die Angst anzunehmen und zu lernen, dass unser Angsterleben in unseren Händen liegt. 
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de