Donnerstag, 8. August 2019

Loslassen

Foto: A. Wende

Gestern lag eine Karte von einem lieben Menschen in meinem Briefkasten.
„Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, sie macht deine Rose so wichtig“, steht da über dem Bild des kleinen Prinzen von Saint-Exupéry.
Ich musste weinen als ich den Satz las.
Ja, dachte ich, die Zeit, die ich an meine Rose verloren habe, diese Zeit macht sie so kostbar und wichtig. Aber als ich den Satz länger ansah, spürte ich - das Wort "verloren" stört mich.
Ich habe keine Zeit an meine Rose verloren. Es war alles andere als verlorene Zeit. Es war wertvolle, intensive, schöne und unschöne, leichte und schwere Zeit, und nichts davon war umsonst oder verloren. Ich habe etwas gewonnen. Viel gewonnen. Ich habe etwas gelernt über meine Rose, von meiner Rose und etwas über mich selbst, durch meine Rose. Und all das bleibt, auch wenn ich meine Rose verloren habe, in meinem Herzen solange ich lebe.
Das werde ich festhalten. Dafür bin ich dankbar.
Meine Rose muss ich loslassen.

Loslassen.
Im Grunde ein schönes, ein leichtes Wort.
Loslassen spricht von lösen, lassen, ganz im Gegenteil zu fest und halten.
Festhalten spricht von Enge, von Krampf und Kampf.
Seltsam nicht wahr?
Was Worte, wenn man sie sich genau anschaut, einem sagen können.
Aber das Sagen, was nützt das schon?
Und das Verstehen, was nützt das schon, wenn wir nicht fühlen, was wir verstehen?

Loslassen ist schwer. Es schmerzt.
Ich glaube wir Menschen sind nicht für das Loslassen geschaffen.
Warum sonst fällt es uns so schwer? Warum sonst macht es uns Angst?
Weil wir im Loslassen etwas hergeben müssen. Wir verlassen etwas.
Wir lassen es, freiwillig oder unfreiwillig, sein und lassen es zurück. Etwas was uns wichtig war. So wie es auf der Karte steht. Wir verlieren etwas, wir erleben einen Verlust von etwas, das zum Teil unserer Identität geworden ist.

Wenn wir dieses Etwas oder Jemanden verlieren, der zu einem Teil unserer Identität geworden ist verlieren, verlieren wir damit einen Teil unserer Identität. Und das schmerzt. Wir Menschen wollen Schmerz vermeiden. Wer hat schon gern Schmerzen, das Leben ist schwer genug. Und es ist ja auch kein kurzer Schmerz, loslassen bedeutet meist, es ist ein langer Schmerz der uns bevorsteht, den wir aushalten müssen und gegen den es keine Mittelchen gibt, die ihn schnell wegmachen.
Loslassen schmerzt im tiefsten unserer Identität.
Es bricht etwas ab über das wir uns definiert und empfunden haben.
Ein Teil geht verloren. Und das reißt eine Lücke von der wir nicht wissen, wie wir sie füllen sollen.
Aber genau dieser Gedanke – ich muss diese Lücke jetzt füllen, macht es uns noch schwerer, bereitet uns noch mehr Schmerzen und stürzt uns in das Gefühl der Angst. Was wenn dieser Schmerz nie vergeht, was wenn die Lücke sich nie mehr füllen lässt?

Aber was, wenn wir sie gar nicht füllen müssen?
Was, wenn wir sagen, sie darf da sein, so lange sie da sein will.
Wir dürfen uns die Lücke anschauen, so lange wir sie anschauen wollen. In ihr sind all die Erinnerungen an das, was wir verloren haben. Die schönen und die weniger Schönen. Und irgendwann formen sie das Bild von dem was war in seiner Ganzheit und wir verstehen warum wir loslassen mussten. Wir fühlen, es war an der Zeit es zu lassen, sein zu lassen, was es war. Und das Herz wird ruhiger.
Und der Schmerz lässt nach.
Und wenn die Zeit gekommen ist, wird sich die Lücke wieder füllen.

Namaste

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