Dienstag, 31. Dezember 2019

Essenz


 

Soll ich oder soll ich nicht?, frage ich mich gerade. Soll ich mir die Mühe machen und dieses alte Jahr, das sich mit dem heutigen Tag dem Ende zuneigt, Revue passieren lassen? Soll ich noch einmal gedanklich zurückgehen und in mein Jetzt holen, was in diesem Jahr passiert ist?
Nein, ich will nicht. Ich will auf das blicken, was nicht passiert ist.

Das ist gar nicht so einfach, denn dann darf ich auf meine Wünsche schauen und auf meine Bedürfnisse und zwar auf die, die sich nicht erfüllt haben, eben auf das, was nicht passiert ist und hätte passieren können, wäre so vieles andere nicht passiert und hätte ich so vieles nicht geschehen lassen und meine Wünsche und Bedürfnisse achtsamer wahrgenommen, sie ernster genommen, als ich es getan habe. Im immer gut auf mich selbst achten bin ich nicht gerade der Meister. Ich lege das meinen Klienten und meinen Liebsten nahe, mit voller Überzeugung, aus ganzem Herzen, weil ich weiß, wie wichtig es ist gut zu sich selbst zu sein, aber wie heißt es so schön: "You teach best what you most need to learn."

Ich darf noch lernen, wenn es darum geht achtsamer auf mich selbst zu schauen. Mich nicht zu verausgaben, nicht zu viel zu geben, mich besser abzugrenzen und mir mehr Zeit zu nehmen für die Dinge, die ich neben meiner Arbeit auch liebe. Zeit ist kostbar. Ich habe nicht mehr allzu viel Zeit, zumindest habe ich keine Zeit zu verschwenden, denn der Herbst
meines Lebens ist angebrochen und den möchte ich gerne kuscheliger haben, ein wenig kuscheliger als die bisher gelebte Zeit meines Lebens, die sehr anstrengend war.

Ich will lernen noch öfter Nein zu sagen.
Nein zu jeder Art von Verstrickung. Nein zu all dem Unheilsamen was da ist, denn es macht keinen Sinn dem Unheilsamen zu folgen. Es ist nicht notwendig, dass ich mich für andere über die Maßen verausgabe. Das ist nicht der Sinn der Schöpfung. Das ist nicht der Sinn für mich als Kind der Schöpfung. Und Liebe ist das auch nicht.

Liebe, das ist so ein missbrauchtes Wort, ein Wort, das für so viel herhalten muss, was mit Liebe nichts zu tun hat. Liebe ist ein belastetes Wort und all zu oft wird, was wir Liebe nennen, verwechselt mit Bedürftigkeit, Sex, Anhaftung, oder Verstrickung.

Aber was ist Liebe?
Liebe ist unser tiefstes Wesen, sie ist unsere Essenz.
Ebenso wie die Freiheit unser tiefstes Wesen ist, unsere Essenz.
Und da will ich weiter hin im Winter meines Lebens – zu dieser Essenz, noch näher hin zu mir selbst, wie alle Menschen, die den spirituellen Weg gehen, ein Weg ist nichts anderes ist als der Weg eines jeden von uns mit sich selbst.

Liebe beginnt mit uns selbst. Sie beginnt in uns selbst.
Liebe ist für uns selbst gut zu sorgen, mit liebevoller Güte und Mitgefühl für das einzigartige Wesen, das wir sind und das einzigartige Leben, das wir leben und gestalten dürfen.

Und zu dieser Liebe gehört eben auch zu sagen: Hey, es ist genug.
Ich sage jetzt ein kraftvolles Nein zu all dem Unheilsamen und ein kraftvolles Ja zum Heilsamen. Ich bin offen und bereit es auch mit aller Klarheit zu erkennen, was gut ist für mich ist und was ungut für mich ist und mich wegbringt von meiner Essenz. Das bedeutet: Noch achtsamer sein mit mir selbst und der Lebenszeit, die mir noch bleibt.

Das Leben passiert, auch ohne mein Zutun. Aber die Liebe, die ist nur von mir selbst abhängig. Sie in mir selbst zu entwickeln ist für mich die Basis eines sinnvoll gelebten Lebens.
Möge ich das erreichen.
Mögen viele Menschen das erreichen.

Wenn das erreicht ist beginnt der Respekt – für uns selbst und anderen gegenüber. Nur wenn wir vor uns selbst Respekt haben, nur wenn die Quelle des Respekts in uns selbst sprudelt, können wir anderen respektvoll begegnen und achten wer sie sind und liebevoll und mitfühlend miteinander umgehen.
Respektlosigkeit, und davon ist so viel in dieser Welt, führt zu nichts Gutem. Sie schafft Unheil.
Mögen viele Menschen das erkennen.
Möge ich liebevoll, respektvoll und frei sein.
Mögen alle Wesen liebevoll, respektvoll und frei sein.

Namaste Ihr Lieben

Donnerstag, 26. Dezember 2019

Mein Platz



Es gab eine sehr lange Zeit, in der ich Heimweh hatte. Heimweh nach der heilen Familie, die es für mich nicht gab. Heimweh nach einer dauertüchtigen Liebesbeziehung, die es für mich nicht gab. Heimweh nach einem Platz in der Welt. Immer dachte ich, irgendwo in der Welt muss es doch einen Platz für dich geben, wo es sich anfühlt wie angekommen sein.
Heute Morgen stehe ich auf und mache, was ich jeden Morgen mache. Ich mache mir einen Milchkaffee, esse mein Brot mit Honig, setze mich an meinen Schreibtisch und schreibe. Während ich schreibe, habe ich das Gefühl, etwas ist anders an diesem Weihnachtsmorgen. Ich kann es eine Weile nicht benennen. Es fühlt sich an, als sei etwas nicht mehr da, was immer da war. Und dann weiß ich, was da nicht mehr ist: Das Heimweh fehlt. Ich fühle: Angelika, du bist längst angekommen. du sitzt hier und schreibst. Das ist dein Platz.

Mittwoch, 25. Dezember 2019

Was, wenn das Schwere uns an diesen Weihnachtstagen niederdrückt?


 
Foto: Angelika Wende
 
Das ist für alle, denen Weihnachten kein Fest der Freude ist.
Für alle, die sich wünschen, dass die besinnlichen Tage schnell vorbei gehen. Die, für die Weihnachten kein Fest der Freude ist, davon gibt es so viele. Das sind all die gebrochenen Herzen, die ihren Glauben an die Liebe verloren haben, all die, deren Werte zerbrochen sind, das sind all die, die schwer krank sind, all die, die allein sind, die einsam sind, die traurig sind, weil da niemand ist der sie mit ihnen feiert - die Geburt Christi, die wir feiern, alle Jahre wieder. Da sind so viele Menschen da draußen, die Weihnachten erleben ohne die Festtagsfreude teilen zu können, mit denen, die sie lieben, weil die, die sie lieben, andere Pläne haben, sie verlassen haben oder nicht mehr lebendig sind.

Da sind die Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben, an Weihnachten nicht und das ganze Jahr nicht, da ist der Mann, der seinen Job verloren hat und nicht weiß, wie er die Familie ernähren soll, da ist die alte Frau, die alleine da sitzt in ihrer ärmlichen Wohnung und nur noch wartet, dass die Zeit vergeht, da sind Menschen, die unheilbar krank sind und vielleicht ihr letztes Weihnachten erleben. Da ist so viel Leid da draußen und ich frage mich gerade an diesem symbolträchtigen Fest der Liebe: Warum lässt Gott das zu? Gott, der uns den Heiland geschickt hat um uns zu erlösen vom Leid. Ist es nicht so, dass uns mit der Geburt des Heilands ein Versprechen gemacht wurde, ein Versprechen, das nicht eingelöst wurde? Welch ein Unheil, dass er verfolgt und getötet wurde: Er, der kam und und zeigte, wie ein Blitzlicht, einen Bruchteil der Geschichte, was ein Mensch sein könnte.

Nicht Gott ist es, der das Leiden in der Welt zulässt, sondern der Mensch selbst. Gott ist für mich der Vater, der seinen Kindern das Leben schenkt und ihnen mitgibt, was sie brauchen um ihr Leben zu führen. Aber seine Kinder schaffen es nicht alle ein gutes Leben zu führen. Da ist jeder Vater machtlos, auch der im Himmel. Gott ist für mich der Schöpfer und nicht der Gestalter unseres Lebens. Das gestalten wir zum größten Teil schon selbst und wenn ich mir all das Unmenschliche in dieser Welt anschaue - nicht immer zu seinem und unserem Wohlgefallen.

Wir sind Menschen und damit sind wir auch fehlbar, damit sind wir auch antastbar vom Unguten in uns selbst und in der Welt da draußen. Wir sind Menschen und damit sind wir auch antastbar vom Schicksal, im Guten und im Unguten.

Wo finden die, die gerade in diesen Tagen nicht Gutes sehen können Trost , wenn da keiner ist, der sie tröstet?
Die Antwort ist: In sich selbst.
Ja, aber das können eben nicht alle Menschen. Da nützt es auch nichts, wenn ich diesen Menschen jetzt alles Gute wünsche. Nicht alle haben etwas, was sie von Innen hält, nicht alle haben die Stärke und die Kraft, das Licht in sich selbst zu spüren und das Gefühl der Verbundenheit mit dem Schöpfer und der Schöpfung.

Mit sich selbst gut zu sein, auch wenn die Umstände nicht gut sind, wen sie sogar ungut sind, ist schwer. Mit sich selbst gut zu sein, wenn da keine Zuversicht ist und und so viel Enttäuschung und Kummer und Schmerz ist schwer. Und je weniger wir gut mit uns selbst sind, desto schwerer ist es.

Was dann, wenn das Schwere uns an diesen Weihnachtstagen niederdrückt?
Dann ist das so. Dann lassen wir das so sein. Dann sagen wir Ja zu unserer Traurigkeit und zu unserem Kummer und lassen da sein was da ist. Und vielleicht umarmen wir uns selbst, auch wenn es schwer ist. Und wenn auch das nichts hilft, dann besinnen wir uns, dass da eine Kraft ist, die uns trägt. Immer.

Spuren im Sand
Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten,
Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben.
Und jedesmal sah ich zwei Fußspuren im Sand,
meine eigene und die meines Herrn.
Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen
war, blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte,
daß an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur
zu sehen war. Und das waren gerade die schwersten
Zeiten meines Lebens.

Besorgt fragte ich den Herrn:
"Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du
mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein.
Aber jetzt entdecke ich, daß in den schwersten Zeiten
meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am
meisten brauchte?"

Da antwortete er:
"Mein liebes Kind, ich liebe dich und werde dich nie
allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen."


Montag, 23. Dezember 2019

Wachsen

Foto. www

Das Bedürfnis zu Kontrollieren, zu Kalkulieren und Risiken auszuschließen erwächst aus dem Wunsch nach Sicherheit und Stabilität. Es ist menschlich Ungutes und die damit verbundenen Gefühle vermeiden zu wollen.
Kontrolle soll uns vor der Bodenlosigkeit des Lebens bewahren, sie soll uns schützen vor dem Unerwartbaren. Haben wir die Dinge unter Kontrolle fühlen wir uns stabil. Aber wehe das Gerüst, das unserem Leben Halt gibt wackelt.
Wehe es bricht zusammen. Dann kommen wir aus dem Gleichgewicht. Wir bekommen es mit der Angst zu tun.
Angst wollen wir nicht spüren.

Aber aus der Instabilität entsteht echte Stabilität in unserem Inneren. Wenn wir bereit sind auf wackligem Boden zu gehen und das Instabile zuzulassen, wenn wir bereit sind die Bodenlosigkeit des Lebens anzuerkennen und die damitverbundenen Gefühle auszuhalten, wenn wir bereit sind uns selbst ehrlich zu begegnen, wenn wir das Risiko eingehen unsere Ängste anzuschauen, wenn wir bereit sind die Illusionen und Täuschungen, denen wir anhaften, zu ent-täuschen, begegnen wir der Wahrheit und damit der Erkenntnis: Nichts im Leben sicher ist und nichts ist von Dauer. Keine Liebe, keine Freundschaft, kein Status, keine Jugend, keine Gesundheit, keine Freude, kein Leid, kein Glück, kein Unglück – nichts ist sicher, nichts ist von Dauer. Wir können nichts festhalten, so sehr wir das auch möchten.
Alles, alles ist vergänglich. Alles, alles geht vorüber. Können wir das nicht akzeptieren, werden wir leiden. Lernen wir es zu akzeptieren, werden wir wachsen ...

 ...


Everything that occurs is not only usable and workable but is actually the path itself. We can use everything that happens to us as the means for waking up. We can use everything that occurs—whether it’s our conflicting emotions and thoughts or our seemingly outer situation—to show us where we are asleep and how we can wake up completely, utterly, without reservations.
The method is to use poison as medicine, to use difficult situations to awaken our genuine caring for other people who, just like us, often find themselves in pain.  


Pema Chödrön

Samstag, 21. Dezember 2019

Trust the process!




Manchmal scheint es als würdest Du stehen bleiben.
Manchmal fällst Du rückwärts, zurück in alte Muster, zurück in alte Wunden und Verletzungen, zurück in eine Vergangenheit, die längst abgeschlossen schien.

Wahr ist: Du gehst niemals rückwärts.
Das Leben lebt sich nicht nach Hinten.
Es gibt keine lineare Entwicklung.
Entwicklung geht nach Oben und nach Unten.
Entwicklung macht Drehungen, Biegungen und Schlenker.
Entwicklung geht Abwege und Umwege.

Auch wenn es für Dich scheint als wäre es ein Rückschritt, es ist nicht wahr: Du machst immer Fortschritte. Immer.

Trust the process!

Freitag, 20. Dezember 2019

Danke



Malerei. Angelika Wende

Das ist das Berührendste, was ich jemals als Kommentar auf meinem Blog gelesen habe.
Danke dafür. 


A dream during the
n ight that
g oes far away from the
e ternal
l ife of
i deas with the
k ey of
a rt

(c) Γιάννης Πολιτόπουλος

Donnerstag, 19. Dezember 2019

Heilige Nacht

Foto: Angelika Wende

"Weihnachten liegt mir wie Blei auf der Seele." Das schrieb mir ein Klient dieser Tage. Ich verstehe ihn gut. Ich kenne dieses bleischwere Gefühl, je näher Weihnachten kommt. Viele von uns kennen das. Weihnachten, die Heilige Nacht, das ist wie eine Zäsur, kurz vor dem Ende des Jahres. Eine fühlbare Zäsur. Mitten aus dem Lichtermeer da draußen, blitzt ein strahlend helles Licht auf, das Dinge in den Focus rückt, die wir das ganze Jahr über erfolgreich verdrängen. Eine leise Melancholie macht sich breit. "Puh, dieses blöde Weihnachten, wenn es doch nur schon vorbei wäre. Ich brauche das jetzt nicht," denken so manche von uns. Wir brauchen es nicht, weil wir jetzt besonders spüren was weh tut, was weh getan hat, was wir getan haben und was wir nicht getan haben. Wir spüren was nicht mehr zu uns passt, nicht mehr zu uns gehört, was wir schon längst hätten ändern sollen und es nicht getan haben. Wir spüren die Angst, es wieder nicht zu schaffen zu klären, was längst der Klärung bedarf um ohne den Ballast des Bedrückenden weitergehen zu können. Das wiegt schwer wie Blei auf der Seele, die doch nur eins will: Frieden.

Das ist so schwer, das mit dem Frieden, innen und außen.
Es gibt keinen Frieden in der Welt. Es gibt kein friedliches Miteinander. Es gibt Krisen und Kriege, Gier und Neid, Mächtige und Ohmächtige und all das Unrecht und das Schreckliche, das wir jeden Tag in den Nachrichten sehen. Da draußen ist Unfrieden. In uns Menschen ist Unfrieden und deshalb ist da draußen Unfrieden.
In vielen Familien ist Unfrieden. Manche von uns fürchten sich vor diesem heiligen Familienfest, weil das Unfriedliche da so grell aufleuchtet. Es wird viel gestritten unter den Menschen an Weihnachten. Es wird viel gelogen an Weihnachten. Ungesagtes wird unter den Teppich gekehrt und gute Mine zum Unguten gemacht, um das heilige Fest nicht zu versauen. Wir Menschen lügen viel, am meisten belügen wir uns selbst. Das spüren wir an Weihnachten ganz besonders.

Die tiefe Symbolik des Festes macht etwas mit uns, auch wenn wir das bewusst nicht wahrnehmen. Die Geburt Jesu Christi wird gefeiert, die Geburt des Retters der Menschen. 
Da kam einer, der uns zeigte, wie ein Mensch sein könnte. Und tief drinnen wissen wir, wie wir sein könnten, nach seinem Beispiel sein könnten, und leben es nicht, weil wir es nicht schaffen.
Wer wie ich den ganzen Tag mit Menschen und ihren Nöten und Problemen zu tun hat, sieht vielleicht irgendwann nur noch Probleme, Schmerz, Verzweiflung, Ängste, Leid, den Lug und Betrug, den Menschen sich selbst und anderen antun, all die Abgründe, die in uns Menschen wohnen, denke ich manchmal. Aber dann gehe ich raus und sehe nicht viel anderes. Ich sehe so wenig Lächeln in den Gesichtern, ich sehe so wenig Rücksicht, Achtsamkeit, Respekt und Mitgefühl. 
Ich sehe wie sie achtlos an denen vorbei gehen, die auf der Straße sitzen und betteln und frieren. Ich sehe wie sie stehen bleiben und glotzen und nichts geben aus ihren vollbepackten Taschen und Geldbeuteln und kopfschüttelnd weitergehen, als sei es eine Untat arm und ohne Heim zu sein. Ich sehe wie lieblos sie miteinander umgehen in den Straßen, in den Läden, in den Bussen und Bahnen. Ich sehe wie sie auf ihr Handy glotzen und nicht wahrnehmen, was um sie herum vorgeht und sich nur im eigenen Kosmos vergraben, als gäbe es die Welt um sie herum nur als Fassade ihrer virtuellen Welt, die sie wie in Trance verschluckt.
Ich spüre Sehnsucht nach einer schöneren Welt. Ich mache sie mir selbst schön, meine kleine Welt, weil ich das sonst nicht aushalten würde. Viele von uns machen das. Und das ist gut. Die eigene Insel schaffen, das ist gut. Und dennoch darüber hinaus leben und fühlen und anderen gut tun. Und auch das gibt es in dieser Welt da draußen. Gut so.

Und bald ist Heilige Nacht und auch das ist gut so, dass wir sie noch immer feiern. Dass wir es nicht vergessen, das es noch etwas Heiliges gibt und dass wir daran festhalten in all dem Unheiligen um uns herum. Da ist Sehnsucht und wo Sehnsucht ist kann werden, was noch nicht ist.
Und ja, wir spüren auch die Sehnsucht nach Menschen, die wir vielleicht in diesem Jahr oder schon länger verloren haben. Geliebte Menschen, die nicht mehr bei uns sind, weil sie ihr und unser Leben verlassen mussten. Wir sind traurig. Wir vermissen. Wir trauern mehr im Gewahrsein der Heiligen Nacht. Hier sind wir näher am Gewahrsein der Vergänglichkeit. Wir trauern vielleicht auch, weil wir wissen, mit dem Vergehen der Zeit werden wir noch weitere Menschen vermissen, weil sie gehen müssen. So wie wir irgendwann gehen müssen. Auch ich vermisse jemanden, der gehen musste, viel zu früh gehen musste und ich bin traurig, dass er an diesem Weihnachten nicht mehr das ist. Aber mein Lieblingsmensch ist da und das ist schön und er sagte heute Morgen: "Mama, ich bin glücklich." Das ist mein Glück. An dieses Glück halte ich mich in meiner Traurigkeit in dieser Heiligen Nacht.

Möget Ihr glücklich sein.
Namaste 


Durcheinander von Erich Fried

Sich lieben
in einer Zeit in der Menschen einander töten
mit immer besseren Waffen
und einander verhungern lassen

Und wissen
dass man wenig dagegen tun kann
und versuchen
nicht stumpf zu werden

Und doch
sich lieben
Sich lieben
und einander verhungern lassen
Sich lieben und wissen
dass man wenig dagegen tun kann
Sich lieben
und versuchen nicht stumpf zu werden

Sich lieben
und mit der Zeit
einander töten
Und doch sich lieben
mit immer besseren Waffen.

Dienstag, 17. Dezember 2019

Alles wird gut



Foto. www

Alles wird gut!“
Dieser Satz verspricht viel.
Er verspricht, was er im Zweifel nicht halten kann.
Nicht alles wird gut. Nicht alles wird besser.
Das Leben vieler Menschen zeigt anderes.
Das Leben zeigt mir anderes.
Manches wird gut und manches nicht.
Manchmal wird es eben nicht gut.
Und vielleicht weniger gut.
Oder vielleicht eine lange Zeit unguter als es ist.
Welch ein Anspruch, welche Zuversicht: Alles wird gut. ALLES.
Zuversicht, manchmal trotz besseren Wissens, weil ich will, dass es gut wird, so gut wie ich mir das vorstelle.
Und dann wird es eine lange Zeit nicht gut.
Lange Zeit bleibt das Ungute.
Es geht auch wieder.
Und es kommt wieder.
Weil eben nicht ALLES gut wird.
Vielleicht so:
Es ist gut so wie es gerade ist.
Es ist, wie es ist.
Machen wir das Beste daraus.
Alles, alles geht vorüber.
Alles, alles verändert sich.
Das ist, was ist.

Montag, 16. Dezember 2019

Das Leben funktioniert von Innen nach Außen



Wir werden immer wieder mit Themen konfrontiert, die unsere Wunden und unsere Schatten berühren. Immer wieder macht uns das Leben Angebote genau hinzuschauen, was in uns noch zu nicht gesundet ist. Solange wir in einem Bewusstseinszustand gefangen sind, der unsere Schattenthemen unter Verschluss hält, geraten wir immer wieder in Situationen oder an Menschen, die uns nicht gut tun. Und wir tun das immer Gleiche: Wir gleiten wie in Trance in die alten Gefühls- und Gedankenmuster. Wir fühlen uns bedroht, verachtet, abgewertet, verlassen, ungeliebt und vernachlässigt.
Wir spüren unsere Lieblingsgefühle.
Das sind all die Gefühle um die sich unsere Gedanken und unsere inneren Überzeugungen über uns selbst und das Leben immer wieder drehen. Wenn wir diese Gefühle und Gedanken auf unserer Lebensspur zurückverfolgen, werden wir erkennen, dass sie sich wie ein roter Faden durch unser Leben ziehen. Sie sind so alt wie wir selbst. Und wir glauben das sind wir. Aber so ist es nicht.
Das sind wir auch – und zwar die Teile, die wir nicht integriert haben, die Teile, die wir ständig übersehen, verdrängen, auf andere projizieren und nicht ins Licht holen. Solange das so ist wird das Leben uns immer wieder schmerzhaft damit konfrontieren damit wir endlich aufwachen und uns diesen roten Faden genauer anschauen.

Fragst du dich manchmal:
Was in mir lässt es zu, dass andere mies mit mir umgehen?
Was in mir lässt zu, dass ich mich immer wieder verletzen lasse?
Was in mir zieht Menschen an, die mir weh tun, mich abwerten, benutzen, belügen und betrügen?
Was in mir lässt zu, dass ich diesen Menschen dennoch weiterhin Raum in meinem Leben gebe?

Könnte es sein?
Du verdrängst Deine Schatten.
Du hast noch immer ungeheilte Verletzungen, die du nicht anschaust.
Du schaust ständig auf die Neurosen der anderen, anstatt dich den Deinen zuzuwenden.
Du willst Deinen Schmerz, deine Wut, deine Trauer, deine Verlassenheit, Deine Einsamkeit, Deine Angst, Deine Scham, Deine Schuldgefühle nicht fühlen.
Du fürchtest Dich vor der Stille.
Du hälst es mit Dir alleine nicht aus.
Du hälst Dich selbst nicht aus.
Du rennst vor Dir selbst weg.
Du projizierst das Ungeliebte in dir selbst auf den anderen.
Du betäubst Dich mit Ablenkungen, Süchten und lieblosen Beziehungen.
Du glaubst Deinen beschissenen Glaubenssätzen.
Du lässst Dich von alten emotionalen Mustern beherrschen.
Du nimmst dich selbst nicht an.
Du verneinst Dich selbst.
Du wertschätzt Dich selbst nicht.
Du verletzt Dich selbst.
Du folgst nicht Deinen inneren Werten.
Du belügst Dich selbst.
Du lebst Deine innere Wahrheit nicht.
Du hälst Dich nicht für liebenswert.
Du kümmerst Dich lieber um andere, als um Dich selbst.
Du identifizierst Dich mit Mangel und erfährst Mangel.
Du hälst an dem fest, was Dir nicht gut tut.
Du behandelst Dich selbst nicht gut.
Du sorgst nicht gut für dich selbst.
Du setzt keine schützenden Grenzen
Du überlässt deinem Ego das Ruder.
Du verfängst Dich in Egoschlachten.
Du kümmerst Dich nicht um Dein Inneres Kind.
Du weigerst Dich ein gesunder Erwachsener zu werden, der sich hinreichend um dieses Kind kümmert.
Du traust Deinem Mut und Deiner Kraft nicht.
Du vertraust dem Göttlichen nicht.
Du liebst Dich selbst nicht.
Du machst Dich nicht auf den Weg.

Erst wenn du die abgespaltenen Schatten deiner Ganzheit anzunehmen bereit bist als etwas, das zu dir gehört, statt sie abzulehnen oder kontrollieren zu wollen, ändern sich die Angebote, die dir das Leben macht.
Sobald Du deine Arbeit gemacht hast und mit Dir selbst gut und in Frieden bist, stehst du für all den miesen Scheiß nicht mehr zur Verfügung. Du ziehst all das nicht mehr in Dein Leben, weil du gelernt hast Dich selbst wertzuschätzen und Dich selbst lieb zu haben so wie Du bist, ganz.

Sonntag, 15. Dezember 2019

Sterne


Foto: Angelika Wende

Ich zeigte dir den hellen Stern am Himmel.
Ich sagte: Gemessen an einem Menschenleben, sind Sterne für die Ewigkeit gemacht.
Du sagtest: Das ist schön und traurig.
Ich sagte: Ja, schön und traurig.
So wie du. So wie ich.


Komplementärnarziss - ein liebloses Leben




Malerei: Angelika Wende

Warum ziehen manche Menschen immer wieder Narzissten in ihr Leben?
Narzissten ziehen regressiv-narzisstische Menschen magisch an. Und umgekehrt ziehen regressiv- narzisstische Menschen narzisstische Persönlichkeiten an.
Unbewusstes erkennt Unbewusstes blind. 

Regressiv-narzisstische Menschen, auch Komplementärnarziss genannt, fühlen sich tief im Inneren wertlos. Ebenso wie beim Narziss, ist sein Seelenleben vom gleichen Unwertgefühl geprägt, wie beim Narziss, der dies aber durch seine Grandiosität gekonnt überspielt.

Hier gleichen sich die Gefühle geboren aus kindlichen Verletzungen.
Regressiv-narzisstische Menschen sind es von Kindheit an gewohnt, entwertet zu werden. Sie haben lernen müssen, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse nicht so wichtig zu nehmen und sich auf die Bedürfnisse anderer einzustellen. Sie neigen dazu um geliebt zu werden alles zu tun was in ihrer Macht steht. Sie neigen dazu ihr Ideal-Selbst, also die Vorstellung davon, wie sie gerne sein möchten, auf einen idealisierten Partner zu projizieren und sich derart mit ihm zu identifizieren, dass sie zu einem eigenen Ideal-Selbst zu gelangen.

„Der Komplementärnarzisst ist im Grunde ebenfalls narzisstisch strukturiert, jedoch mit umgekehrten Vorzeichen, denn wo der Narzisst nur sich selbst bewundern lassen will, will der Komplementärnarzisst sich ganz für einen anderen aufgeben. Da, wo der Narzisst sein Selbstgefühl erhöhen will, will sein Partner auf ein eigenes Selbst verzichten, um das Selbst eines anderen zu erhöhen, mit dem er sich identifiziert. Beide zeigen eine gleich geartete Grundstörung, denn beide haben ein ungenügend geformtes, in seiner Abgrenzung zu anderen gefährdetes und als minderwertig empfundenes Selbst. Die Art der Abwehr gegen diesen Mangel ist unterschiedlich, denn während der Narzisst versucht, sein schlechtes Selbst durch den Partner aufzuwerten, versucht der Komplementärnarzisst hingegen ein idealisiertes Selbst beim anderen zu entlehnen. Trifft ein Narzisst auf einen Komplementärnarzissten, so verschwindet dieser im Anderen. Er ordnet sich unter und übernimmt dessen Werte und Ideale. Einklang und Gemeinsamkeit werden ohne jegliche Beziehungsarbeit und ohne wechselseitiges Entgegenkommen hergestellt, d. h., dieses System basiert auf Macht und Unterwerfung. Der Narzisst betrachtet einen solchen Partner als Erweiterung seiner selbst und nicht als eigenständiges oder gar gleichberechtigtes Wesen, schafft klare hierarchische Strukturen, in denen er seine Autonomie bewahren und sich bei Bedarf Abstand und Distanz verschaffen kann, um nicht eingeengt zu werden. Komplementärnarzissten empfinden die eigennützige Behandlung zunächst nicht als eine Zurücksetzung, sondern empfinden eine große Genugtuung, ihnen zu Diensten zu sein und ihnen dadurch Freude zu bereiten, wollen es dem Narzissten in jeder Hinsicht recht zu machen und ärgern sich oder klagen sich selbst an, wenn es ihnen nicht gelingt.“
(Stangl, 2019. Komplementärnarzissmus)

Regressiv-narzisstische Menschen machen sich unbewusst klein, weil sie sich klein, unwichtig und unbedeutend fühlen und vor allem: Sie sind davon überzeugt nicht liebenswert zu sein und sich Liebe „verdienen“ zu müssen.  
Das selbstsicher erscheinende narzisstische Gegenüber, steht quasi im Schlagschatten der eigenen Minderwertigkeitsgefühle und wertet so das als unbedeutend und minderwertig empfundene Selbstbild auf. Zudem neigt der regressiv-narzisstische Mensch dazu sich unterzuordnen und zu "dienen", was jedoch in Folge eine emotionale Abhängigkeit produziert.

Menschen, die immer wieder narzisstische Persönlichkeiten anziehen haben in den meisten Fällen also selbst eine Persönlichkeitsstörung. Nur so kommt es zur Passung.
Der, der angeblich bedingungslos liebt, ist meist gar nicht so bedingungslos am lieben, wie er das für sich beansprucht. Ebenso wie der Narziss versucht er seine innere Leere zu füllen, und zwar indem er "geliebt und gebraucht" wird vom anderen. Die tiefe Sehnsucht geliebt und gebraucht zu werden führt dazu, dass er nahezu alles mit sich machen lässt sobald ein passendes Liebesobjekt in sein Leben tritt. Sein unbewusstes Unliebespiel ist: „Schau her, was ich für dich tue, du muss mich doch lieben.“ 
Weil das aber nicht gelingt, da der Narziss Liebe nicht spüren, nicht schenken und nicht annehmen kann, sondern lieben lässt, wird immer mehr getan. Je mehr der Komplementärnarziss tut, desto unterwürfiger wird er. Das Gefühl für die eigene Würde und die gesunden Grenzen seines Selbstschutzes lösen sich vollkommen auf. Sein ganzes Denken und Fühlen dreht sich um den narzisstischen Partner. Er wird zu seiner Droge, die seine Liebessehnsucht stillen soll.
Je mehr er sich abliebt, desto unterwürfiger er wird, desto mehr Selbstwertgefühl geht verloren. Je mehr Selbstwertgefühl verloren geht, desto abwertender wird der Narziss und umso frustrierter und seelisch demontierter wird der Komplementärnarziss. Es kommt zur Kollusion.

Zur Kollusion (Konflikt) in solchen Beziehungen kommt es dann, wenn sich die unbewussten Muster und Erwartungen nicht mehr automatisch gegenseitig einlösen und es nicht mehr ertragbar ist, dass der eine zu selbstherrlich und verletzend ist und der andere ihm trotz aller Demütigungen dennoch weiter nachläuft und um Liebe bettelt, oder sich nur noch kritisierend und anklagend äußert.
Es kommt vom inneren zum äußeren Krieg.
Der Komplementärnarziss setzt nun alles daran den Narziss zu ändern. Er beklagt sich, er fordert immer mehr ein, er fordert vom anderen Veränderung, damit es ihm selbst besser geht. Er stellt sich ständig Fragen wie: Was kann ich tun um ihm zu helfen und wie kann ich ihn heilen, damit er mich endlich lieben kann. Es geht immer um das „geliebt werden“. Und zwar von einem, der nicht lieben kann. Er arbeitet sich am Unveränderbaren ab. 
Diese Einsicht aber hat der Komplementärnarziss nicht. Aufgrund seiner Kindheitsverletzungen lebt er in einer Art Wiederholungszwang des als Kind erlernten Unliebespiels: Ich muss andere um jeden Preis glücklich machen, ich muss all ihre Bedürfnisse erfüllen um selbst geliebt zu werden.
Kein Wunder also, dass er im späteren Leben in Resonanz mit Menschen tritt, die sich nicht glücklich machen lassen, weil sie dazu einfach nicht fähig sind. 
Ein Mensch mit dieser Kindheitswunde muss scheitern, seine Liebe muss unbeantwortet und wirkungslos bleiben, er wird gegen die Lieblosigkeit nicht ankommen. Er muss scheitern um zu begreifen was seine Aufgabe ist: Nämlich sich seiner eigenen Bedürfnisse bewusst zu werde, sie sich zu erfüllen und im besten Falle sich selbst lieben zu lernen.  

Bis er allerdings zu dieser Erkenntnis gelangt wird er leiden.
All seine Kämpfe um Liebe sind untaugliche Versuche, die in Vergeblichkeit enden.
Der Komplementärnarziss fühlt sich immer ohnmächtiger, kleiner und hilfloser, wertloser. Er verzweifelt an seinen eigenen Bemühungen. Irgendwann fühlt er sich als Opfer des Narzissten, ohne auf den Gedanken zu kommen, dass er sich selbst zum Opfer macht. Seine Wut auf die zurückgewiesenen Liebesbezeugungen und Liebesdienste richtet sich dann auf den Narziss, der ihm das alles antut. Er begreift nicht: Die Sucht gebraucht und geliebt zu werden führt dazu, dass er nahezu alles mit sich machen lässt. Er ist ein emotional Abhängiger.

Ein Mensch, der sich selbst mag, der sich seiner selbst bewusst ist, der in sich selbst ruht, der keinen inneren Mangel verspürt, der emotional nicht abhängig ist, wird sich das selbst nicht antun. Er sorgt gut für sich und grenzt sich angemessen ab. Er erkennt seine Neurose und arbeitet an sich selbst um seiner ungesunden Liebesfalle zu entkommen.

Er erkennt: It takes two für Tango.
Nicht der Narziss ist der "Böse"( er hat eine Persönlichkeitsstörung, die er sich nicht ausgesucht hat), es gehören zu dieser ungesunden Kollusion immer zwei. Das einzusehen bedarf natürlich eine Menge Selbstreflexion und schonungslose Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Einfacher ist es natürlich den Anderen anzuklagen und als Täter zu verteufeln. Nur führt das keinen Schritt weiter. Das sogenannte Opfer des Narziss bleibt solange im Teufelskreis der Blindheit dem eigenen Anteil gegenüber stecken, bis es sich fragt: Was in mir lässt diesen Selbstmissbrauch zu?


Samstag, 14. Dezember 2019

Narzissmus, ein liebloses Leben


Gemälde: Michelangelo Caravaggio

Der Mythos des Narziss von Ovid erzählt die Tragödie von dem schönen Sohn des Flussgottes Kephisos und der Leirope. Weil er so schön ist, wird Narziss von Männern wie Frauen umworben, die er jedoch allesamt verschmäht und grob abweist. Für sein herzloses Verhalten wird Narziss von der Göttin Nemesis mit einer unstillbaren Selbstverliebtheit bestraft. Da er niemand anderen zu lieben fähig ist, darf er nur mehr sich selbst lieben. Auch die Bergnymphe Echo verliebt sich in Narziss. Sie hat zuvor im Auftrag von Zeus dessen Frau Hera mit Geschichten abgelenkt, um Zeus Zeit zu verschaffen, sich seinen sexuellen Ausschweifungen hingeben zu können. Hera bestraft Echo, indem sie ihr die Sprache raubt und sie dazu verdammt, nur die letzten Worte, die an sie gerichtet werden, wiederholen zu können. Echo folgt Narziss, als dieser durch den Wald streift. Unfähig ihm seine Liebe zu gestehen, weil sie stumm ist, wird auch sie von ihm abgewiesen. Als Narziss sich eines Tages zum Trinken über einen Teich beugt, nimmt er seine Spiegelung wahr und verliebt sich in sein Spiegelbild, wobei er nicht erkennt, dass er es selbst ist, den er im Wasser sieht. Seine Liebe zu dem schönen Bild, das er im Wasser gespiegelt sieht, ist so groß und unerfüllbar, dass er aus lauter Verzweiflung darüber, dass das geliebte Gegenüber ihm keine Antwort gibt, Tag und Nacht am Teich verbringt um sich selbst zu bespiegeln. Am Ende ertrinkt Narziss im Versuch das geliebte Wesen im Teich zum umarmen. Nach seinem Tode wird er in eine Narzisse verwandelt.

Der Mythos des Narziss ist eine tragische Geschichte, die ambivalente Gefühle weckt. Zum einen empfinden wir Mitgefühl mit Narziss, zum anderen bleibt er uns fremd, denn jeder, der ein Herz hat, wird kaum begreifen können, wie man die Liebe so konsequent zurückweisen kann, wie es Narziss tat. 


Die wahre Tragödie des Narziss ist, dass er sich selbst nicht lieben kann. Und er kann sich nicht vorstellen, dass ihn jemand lieben kann, er vertraut der Liebe nicht, er liebt das Bild, das er von sich hat.  
Er ist nicht in der Lage eine Verbindung zwischen seinem wahren Selbst und diesem Bild herzustellen. Er bleibt beziehungslos, sich selbst und anderen gegenüber und geht an dieser Beziehungslosigkeit emotional zugrunde. 
Es scheint, dass unsere multimediale Konsumgesellschaft immer mehr Menschen mit narzisstischen Persönlichkeiten „produziert“. Der Philosoph Byung-Chul Han erklärt  in seiner Schrift die „Agonie des Eros“ die Symptome und Folgen unserer narzisstisch-erschöpften Konsumgesellschaft. Dieses Zitat des Autors trifft es im Kern: „Dem narzisstischen Subjekt erscheint die Welt nur in Abschattung seiner selbst. Das narzisstisch-depressive Subjekt ist erschöpft und zermürbt von sich selbst. Es ist weltlos und vom Anderen verlassen.“ 

Narzissten empfinden sich in irgendeiner Hinsicht als großartig oder als besonders. Sie überschätzen sich selbst und haben ein starkes Bedürfnis nach Bewunderung. 

Eine gesunde Portion Selbstbewusstsein braucht jeder von uns, das Bedürfnis nach Anerkennung hat jeder von uns und jeder von uns genießt es bewundert zu werden. Schon Sigmund Freud erkannte Narzissmus als gesunden Mechanismus der menschlichen Selbsterhaltung. Ein wenig Narzissmus ist also keinesfalls ungesund, sondern ein gesunder Teil unseres Wesens.

Anders verhält es sich mit der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Hier ist das extreme Bedürfnis nach Anerkennung, Bewunderung oder Lebensvorteilen, Teil der Störung.
  Der narzisstische Mensch ist seinem Wesen nach ein um Anerkennung ringender, im Innersten stark unsicher Mensch, der ständig zwischen dem Gefühl von Grandiosität und Wertlosigkeit schwankt. Getrieben von der Sehnsucht nach Bestätigung, versucht er alles um dieses Gefühl von Grandiosität zu erhalten, sei es durch andere Menschen, Konsum, Besitz, oder durch Handlungen, die ihm Bestätigung vermitteln. Diese Sehnsucht nach Bestätigung ist ein zentrales Symptom der narzisstischen Bedürftigkeit. So dramatisch wie im Narziss Mythos verläuft die Biografie moderner Narzissten allerdings nicht. Den meisten Betroffenen fällt ihre verzerrte Wahrnehmung von sich selbst nicht auf. Sie spüren aber ein tiefes Leiden. Unbewusst sind sie davon überzeugt, dass das Leben ihnen etwas schuldig bleibt, ohne zu wissen, was dieses schuldig bleiben eigentlich ist. 

Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind Getriebene, besetzt von eine inneren Leere, die süchtig gefüllt werden muss. Ein Fass ohne Boden.  
Was ihnen fehlt, ist das gesunde Empfinden oder wie es der Psychoanalytiker Peter Schellenbaum nennt: Spürbewusstsein für sich Selbst, ihre eigene Lebendigkeit und die eigene Mitte.
"Wer sich ausschließlich im reflektierenden Bewusstsein verschanzt, spaltet sein Leben von sich ab. Dies ist in allen narzisstischen Störungen der Fall. Aus Angst vor Autonomieverlust flieht der Jüngling Narziss vor der Nymphe Echo, die doch, wie ihr Name sagt, sein Echo oder, in visueller Sprache, sein Spiegelbild ist: Er flieht vor seiner eigenen Lebendigkeit und zieht sich ins reflektierende Bewusstsein zurück, indem er sich im Wasserspiegel betrachtet, ohne sich zu erkennen. Das ist nur ein scheinbarer Widerspruch, denn Selbsterkenntnis setzt Selbstfühlung, Spürbewusstsein, Liebe voraus. Bloß reflektierendes Bewusstsein bleibt sich selber fremd“, scheibt Peter Schellenbaum in: Nimm deine Couch und geh!

Hin und her schwankend zwischen „Ich bin etwas besonderes, ich will dass das gesehen wird, und „Ich bin ein Nichts, wenn ich nicht gesehen werde“, lebt der narzisstische Mensch in einem Zustand innerer Zerrissenheit und innerer Leere. Mit anderen Worten: Die narzisstische Persönlichkeitsstörung gründet auf einer mangelhaften An ERkennung der eigenen Persönlichkeit. Der Narziss versucht dieses Defizit auszugleichen, indem Daseinsbestätigung durch und in anderen sucht. Die anderen sind die Tankstelle für die ihm fehlende vitale Lebenskraft. Und die wird angezapft um zu überleben.

Wie bei allen Persönlichkeitsstörungen sind einzelne Persönlichkeitsmerkmale in einer mehr oder weniger extremen Gravidität ausgeprägt. So sind bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung Denk- und Verhaltensweisen starr und grobschematisch. Das zeigt sich in einer mangelnden Flexibilität und Empathielosigkeit im sozialen Verhalten und Interagieren. 

Der Narziss kann seine Umwelt nicht richtig verstehen. Er hat keinen wirklichen emotionalen Bezug zu anderen, er spürt andere nicht, weil er sich selbst nicht spürt. Oft empfindet er die Welt überwiegend als feindlich und die Menschen als minderwertig. 
Wenn er Beziehungen eingeht, tut er das nach dem Nutzen, den diese für ihn bringen. Da er unfähig ist zu lieben, liebt er sich selbst im anderen, jedoch nur solange der Andere ihm seine Besonderheit spiegelt. Tut ein Partner das nicht mehr, wird er abgewertet und schließlich betrogen oder verlassen. Es beginnt die Suche nach einem neuen Spiegel, nach einer neuen Tankstelle, die ihn mit dem versorgt, was er so nötig braucht: Lebensenergie, die er aus sich selbst heraus nicht generieren kann.  

Die narzisstische Persönlichkeitsstörung gehört zu den psychischen Störungen, die mit einer nicht anpassungsfähigen Persönlichkeit verbunden sind.
Sie ist hochkomplex und hat viele Symptome. Mangelndes Selbstbewusstsein Minderwertigkeitskomplexe, die Angst kritisiert zu werden, das Gefühl von Beziehungslosigkeit, innere Leere und mangelnde Empathie sind nur einige.
 
Narzissmus ist die Folge einer Kindheit, in der die Eltern ihrem  Kind zu wenig Beachtung und kaum oder keine echte Anerkennung vermitteln konnten.
In jedem Narziss lebt ein Inneres Kind, das eine Funktion hatte. Ein Kind, das auf irgendeine Weise missbraucht, emotional ausgebeutet und benutzt wurden. Ein Kind, das etwas sein musste. Ein Kind, das nicht um seiner selbst willen geliebt wurde - es war Mittel zum Zweck für seine Bezugspersonen und deren egoistische Bedürfnisse.
Unter diesen Bedingungen kann sich kein Gefühl für Eigenliebe und auch kein Gefühl für das eigene Selbst entwickeln. Das Gefühl, nicht geliebt werden zu können, welches der Narziss im Tiefsten Inneren hat, weist darauf hin, selbst nicht lieben zu können. Und so ist er ein liebloses Wesen, immer auf der Suche nach Füllung für den schmerzhaften inneren Mangel.

Um sich in einem Umfeld, das keine spürbare Resonanz für das eigene Wesen herstellt zu behaupten, eignet sich das Kind ein maskenhaftes und schauspielerisches Verhalten an. Das traumatische Erlebnis der lieblosen Kindheit zeigt sich bis ins Erwachsenenalter in mangelndem Selbstbewusstsein, fehlendem Selbstkonzept und eben dieser übersteigerten Suche nach Bewunderung, oftmals mit auch mit einem Gefühl von Leistungszwang. Leistet der Narziss in seinen Augen nichts Großes oder Besonderes, fühlt er sich innerlich vernichtet.

Die meisten Betroffenen sind sich ihres Verhaltens nicht bewusst, es geschieht nicht mit Absicht.

Die Tragik moderner Narzissten ist, dass ihre Selbstwahrnehmung unrealistisch ist und somit die Erwartungen an das Leben an der Wirklichkeit scheitern müssen. So produziert ein Mensch mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung permanent verzerrte Ansprüche an seine Umwelt. 
Der Sucht nach Bewunderung durch ihre Mitmenschen steht eine große Angst gegenüber: Der Narziss fürchtet stets die schlechte Meinung anderer. Misstrauen und Unsicherheit prägen sein soziales Verhalten. Die innere Spannung zwischen einem geringen Selbstwertgefühl und die als Kompensation fungierenden Grandiositätsfantasien und das Grandiositätsgehabe sins Ausdruck einer großen Verletzlichkeit und führen zu einer hohen Verletzlichkeit. Hingegen ist die Fähigkeit, sich in andere Menschen einzufühlen stark reduziert. 

Der Narziss verletzt weil er selbst verletzt wurde und er verletzt andere um die eigene Verletzung nicht zu spüren.
Er sitzt in einen inneren Käfig ohne Spürbewusstsein weder nach Innen noch ins Außen. Nicht zuletzt deshalb entwickeln viele Betroffene Süchte und/oder Depressionen bis hin zu Zwangserkrankungen. 
Der Weg aus dem narzisstischen inneren Käfig in ein fühlendes Leben ist beschwerlich und lang. Entscheidend für die Heilung ist der absolute Wille sich selbst zu erkennen und einen realistischen Bezug zu den wahren Anlagen herzustellen, die im Wesenskern angelegt sind. Das Ziel ist, sich selbst geben zu lernen, was als Kind so schmerzlich vermisst wurde. Ohne Hilfe allerdings gelingt dem Narziss dieser Weg nicht, er braucht den Spiegel eines Gegenübers, der ihm nichts verschönert, sondern ihn reflektiert und ihn aus seiner verzerrten Sicht von sich selbst und der Welt langsam zu einer gesunden Selbst- und Weltwahrnehmung hinführt. Gelingt das nicht, bleibt er hinter den Gitterstäben seines Käfigs ein Gefangener seiner selbst.  

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Freitag, 13. Dezember 2019

Gedankensplitter



Weder Disziplin, noch Reflexion verhindern, 
dass sich Impulse durchsetzen, 
die stärker sind als das Bewusstsein, 
stärker als das konsistente Ich, 
stärker als die zentrale Instanz, 
die denkt.

Dienstag, 10. Dezember 2019

Im Spiegel des anderen



Autoportrait: Angelika Wende

Der Sinn des Lebens ist für mich seelisches Wachstum, Selbsterkenntnis und die Befreiung unseres wahren Selbst, was dazu führt, dass wir unsere Bestimmung finden und sie leben – wir nennen es Selbstverwirklichung. Je mehr wir uns finden, je näher wir uns selbst kommen, desto mehr Freundschaft schließen wir mit uns selbst. Eine Freundschaft, die von tiefer Liebe getragen ist – wir nennen es Selbstliebe.

Wenn wir das Leben als wohlwollenden und geduldigen Lehrmeister verstehen, dann helfen uns all die Dinge, Menschen und Situationen denen wir begegnen das wiederzufinden, was in uns angelegt ist und uns im Laufe unseres Erwachsenwerdens verloren ging.
Viele von uns leben in einem falschen Selbst, das sich herausbilden musste, weil wir uns als Kind nicht so entfalten konnten, wie es uns entspricht. Und viele von uns suchen sich ein Leben lang selbst, weil sie instinktiv fühlen – so wie ich bin, bin ich nicht ganz.
Wir neigen dazu diese Ganzheit im Außen zu suchen. Und das ist okay. Wir brauchen das Außen um uns selbst zu erkennen. Aber was immer wir im Außen suchen, suchen wir in Wahrheit ins uns selbst. Was immer wir bewundern oder ablehnen ist eine abgespaltener oder verdrängter Teil unserer Ganzheit, die noch nicht vollständig ist.

Jede Situation und jede Begegnung die uns emotional stark berührt kann uns helfen abgespaltene oder verdrängte Teile zu erkennen und zu integrieren.
Solange uns das nicht gelingt leben wir in Projektionen. Das bedeutet: Das Abgespaltene und Verdrängte erkennen wir im Außen, an anderen und dann bewundern wir es oder wie lehnen es ab oder wir bekämpfen es sogar. Wie es C.G. Jung formulierte: „Wenn man eigene unbewusste Tendenzen den anderen ansieht, nennt man das eine Projektion.“
So gehen wir durch das Leben auf der Suche nach den verlorenen Teilen unseres Selbst und diese begegnen uns im im Spiegel des anderen, in seinen Worten, seinem Verhalten und seinen Handlungen.

Wenn dir zum Bespiel immer wieder Situationen oder Menschen begegnen, die bestimmte starke Gefühle in dir auslösen, dann könntest du deine Aufmerksamkeit auf die Schattenaspekte deiner Persönlichkeit lenken.
Auslöser starker Gefühle, sogenannte Trigger, sind, wenn du bereit bist das zuzulassen, ein Aufruf dein Bewusstsein auf diese unbewussten Bereiche in dir selbst zu richten. Dabei geht es immer um das Gefühl, das eine Situation in dir auslöst, nicht um eine rationale Analyse dessen was dir begegnet. Rationale Erkenntnis stellt sich von selbst ein. Sie findet als Ergebnis der Beobachtung und Erkundung deiner Gefühle statt.
Wenn du immer wieder Menschen begegnest, die sich aggressiv und verletzend dir gegenüber verhalten, dann bedeutet das nicht unbedingt, dass du selbst aggressiv und verletzend anderen gegenüber handelst und das an dir selbst nicht wahrhaben willst. So einfach ist es nicht mit den Spiegeln.

Die Fragen, die du dir dann stellen könntest sind:
Was fühle ich, wenn jemand so mit mir umgeht?
Was macht das mit mir?
Woher kenne ich das Gefühl?
Was an alten Mustern löst es in mir aus?
Oder: Wo bin ich mir selbst gegenüber (auto)aggressiv und womit verletze ich mich selbst?
Erlaube ich mir meine Aggressionen nicht und unterdrücke sie ständig?

Je nachdem was wir fühlen, kann uns ein und dieselbe Situation ganz verschiedene Dinge spiegeln und damit viel über uns selbst erzählen. 
 Über das was wir nicht leben oder noch nicht leben, über das was wir andere für uns ausleben lassen, über das was wir an alten Wunden und Verletzungen noch nicht gelöst haben, über das was in uns angelegt ist und endlich lebendig werden will, über das, was uns blockiert und im Wege steht und verhindert, dass wir unserer Bestimmung näher kommen.

Wenn wir uns dessen bewusst sind nehmen wir die Projektion zurück und kommen bei uns selbst an. Wieder ein Stück mehr. Und je mehr dieser Projektionen wir als Spiegel unseres Selbst erkennen, desto bewusster werden wir uns unserer selbst. Wir erkennen unsere Schatten und unser Licht, wir akzeptieren unsere Ganzheit und kommen mehr und mehr zu unserer Essenz.

Montag, 9. Dezember 2019

Trauer hat viele Gesichter

Foto. Angelika Wende

Du sagst der Tod eines geliebten Menschen ist das Schrecklichste was Menschen widerfahren kann. Aber so ist es nicht. Menschen sterben, das gehört zum Leben. Wir alle sterben. Sterben und Tod sind unausweichlich. Nach einer Zeit der Trauer akzeptierst du schließlich, dass der geliebte Mensch nicht mehr da ist. Du bewahrst ihn im Herzen und die Trauer darf leiser werden.  Du findest Trost im akzeptieren.
Einen Menschen, der sich selbst zum Tode hin zerstört zu erleben, schmerzt auf eine Weise, die keiner nachfühlen kann, dem das noch nicht widerfahren ist. Sein langsames Sterben befällt die, die diesen Menschen lieben, mit einer Trauer für die es keine Worte gibt und niemals Akzeptanz, denn immer ist da der Gedanke: Es hätte so nicht sein müssen.
Diese Trauer ist untröstbar. 


"Trauer ist Trauer! Egal wie ein Mensch geht", bekomme ich als Antwort von einem Jemand. 
Ist das wahr? Es ist nicht wahr. Es ist wahr für Menschen, denen das Einfühlungsvermögen in die Komplexität und die Vielfalt menschlichen Empfindens fehlt. Aber diese Menschen interessieren mich nicht. Sie berühren mich nicht, weil sie nicht berührbar sind weil sie nicht über sich selbst hinausfühlen und nur von sich selbst ausgehen. 
Mögen sie glücklich sein.
Mögen sie einem Trauernden niemals mit ihrer Platitüde begegnen. 

Jede Trauer folgt auf einen Verlust. Im Leben oder im Tod. 
Verluste bedeuten wir verlieren. Etwas verlässt uns, wird abgerissen. Ein Schmerz, der körperlich spürbar ist. Da fehlt ein Teil unserer Ganzheit. Ein Mensch, den wir lieben, ist ein solcher Teil. Stirbt dieser Mensch ist sie bedroht. Der Verlust reißt eine Lücke, die nicht mehr zu füllen ist. Sie bleibt. Wir trauern um das, was nicht bleiben darf. Und das ist mehr als der geliebte Mensch - es ist ein Teil gelebten Lebens.

Tod ist der endgültige Schnitt zwischen mir und dem anderen. 
Er ist unerreichbar für mich. Ich bewahre ihn im Herzen. Ohne Dialog. Im Monolog mit meinen Erinnerungen an ihn. Das macht einsam. Das macht traurig, das kann verzweifelt machen, mich zusammenbrechen lassen. Mich zweifeln machen an Gott. Warum? Es gibt keine Antwort. Niemals. Ich bin allein mit meiner unbeantworteten Frage. Hilflos und ohnmächtig. 
Der Tod macht ohnmächtig. Die, die sterben und die, die weiter leben im Angesicht des Todes. Ich irre umher und suche und finde keinen Trost. Mein Schmerz macht mich allein. 
Irgendwann darf er leiser werden. Irgendwann gewöhne ich mich an den Schmerz. Er ist weniger tief, wird breiter. Gesunde Trauer findet Trost mit derm Vergehen der Zeit. Sie findet Akzeptanz. Ich gehe weiter ohne den geliebten Menschen und lebe mein Leben.

Aber was wenn sich ein Mensch selbst zum Tode hin zerstört? 
Wenn er sich selbst Tag für Tag ein Stück weit dem Tod nähert? Wenn er sich zu Tode trinkt, zu Tode spritzt, zu Tode schnüffelt, zu Tode hungert? Dann ist meine Trauer untröstbar. 
Nein, es ist nicht egal wie ein Mensch geht, weil dieser Mensch nicht gehen muss, sondern es will. Weil er sich dem ergibt was seine Schwäche vorantreibt. Ohne zu kämpfen. Weil er sich selbst gehen lässt und die, die ihn lieben mitnimmt auf den langen Abschied. 
Das sind viele Schnitte, viele Schmerzen, für den, der gehen will und den, der zusieht ohne etwas tun zu können. Das reißt Wunde über Wunde. Das reißt den Boden unter den Füßen weg. Der Schmerz findet keine Linderung in Akzeptanz. Lange nicht. Sehr lange nicht.

Zum Schmerz legt sich Wut geboren aus Hilflosigkeit. Ich beginne ihn zu hassen, den der sich, der mir das antut. Und Scham dann, weil es doch seins ist und nichts meins, aber meins, weil ich ihn liebe und nicht hasse. Das zerreisst innen. Und Schuldgefühle, weil ich so ohnmächtig bin und nichts tun kann, was ihn am Leben hält, seinen Willen hält. 
Einsicht in die Vergeblichkeit und keine Rettung möglich. 
Wie weiter leben? Immer mit der Frage: Was habe nicht getan, was hätte ich noch tun können? Und dieses sinnlose, antwortlose „Warum“? 
Machtlosigkeit. 
Sie anzuerkennen fordert viel von mir. Sehr viel. 
Trauer ist nicht Trauer. Niemals ist sie das. Trauer hat viele Gesichter.






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Donnerstag, 5. Dezember 2019

Alles was ich habe



Er liegt auf seiner Isomatte, eingepackt in seinen Schlafsack, neben ihm der kleine Hund, in einem zerschlissenen Hundekleidchen. Vor ihm ihm ein Plastikbecher zum Geldsammeln.
Menschen gehen achtlos vorrüber, bepackt mit Einkaufsstaschen aus Plastik.
Die Haut seiner blassgefrorenen Finger schimmert durch zerlöcherte Handschuhe.
Sein Blick ist klar. Sein Lächeln breit als ich ihm etwas Geld in den Becher lege und Hundefutter neben den Schlafsack. Der Schlafsack, sein zuhause.
Warum gehen Sie nicht in die Notunterkunft, es ist doch so kalt?, frage ich ihn.
Wohnungslose mit Hund dürfen nicht in Notunterkünfte, antwortet er. Ich bleibe bei ihm. Er ist alles was ich habe.
Es ist okay, lächelt er.

Die Ordnung der Dinge


Foto. Angelika Wende

Ich weiß, dass es nicht immer einfach ist, seinen Träumen näher zu kommen, noch schwieriger ist es sie zu verwirklichen. Und manchmal lösen sich Träume in Wohlgefallen auf. Sie zerbrechen an der Realität, an uns oder an der Zeit. Man sagt, dass man die Zukunft verstehen kann, wenn man die Vergangenheit betrachtet. In der Tat ist es so, es besteht eine Verbindung zwischen unserem gelebten Leben und den Erfahrungen, die wir auf dem Weg gemacht haben. Es besteht eine Verbindung zwischen den Entscheidungen, die wir getroffen haben und der Gegenwart in der wir zuhause sind.

Manchmal stellen wir Entscheidungen in Frage, die wir in der Vergangenheit getroffen haben. Es ist ganz normal uns in Frage zu stellen. Aber was auch immer wir in der Vergangenheit entschieden haben – wir haben so entschieden, weil wir in diesen Momenten in der Zeit mit dem Wissen und den Informationen, die wir hatten, nicht anders konnten. 
Wir haben Schritte gemacht, die wir nur so machen konnten. Wir sind Wege gegangen, die wir gehen mussten, weil wir keine anderen gehen konnten. Wir wussten es einfach nicht besser. Gut, das akzeptieren zu können und gut das Hadern mir dem was war sein zu lassen. Was wir getan haben, hat uns zu dem gemacht, der wir sind. Und auch wenn wir was wir sind, gerade nicht so mögen, es sollte uns nicht entmutigen. 

„Die Vergangenheit ist ein Leuchtturm, kein Hafen“, sagt ein Sprichwort.

Jeder von uns hat eine Bestimmung in diesem Leben, da bin ich mir sicher. 
Diese Bestimmung zu finden ist unsere Aufgabe. 
Das kann dauern bis wir sie lösen und zwar deshalb weil genau das der Weg ist, unser ureigener Weg. Um diesen Weg bewusster weiter zu gehen ist es wichtig im Jetzt überlegte Entscheidungen zu treffen, weil wir ja gelernt haben, dass jede getroffene Entscheidung Einfluss auf das Leben hat, das wir führen werden. Aber so einfach ist das nicht. Was ist die richtige Entscheidung? 

Und dann kommen Zweifel. Manchmal haben wir tiefe Zweifel, wenn wir an die Zukunft denken. Manchmal glauben wir, dass sich die Dinge in unserem Leben nicht entwickeln. Es fühlt sich an, als ob alles stagniert. Wir machen immer wieder die gleichen Fehler, tanzen immer wieder den gleichen Tanz – um uns herum. Nur um nicht zu uns hin tanzen zu müssen.

Wir leugnen, dass wir ein Problem haben.Wir beschönigen die Wahrheit. Und mit jedem Leugnen, mit jedem Beschönigen, ergeben sich mehr negative Konsequenzen.Wir beginnen uns in anderen wiederzuerkennen, die ähnliche Probleme haben. Immer noch nicht bereit uns einzugestehen, dass wir ein Problem haben. Es dauert mitunter lange bis wir erkennen: Lügen kommt für mich nicht länger in Frage. Und dann sind wir an dem Punkt wo es darum geht diese Lügen aufzudecken und den Tanz zu beenden.  
 
Das kann sich anfühlen, als wären wir am Ende unseres Lebensweges angelangt. Wir verlieren die Zuversicht, dass es da noch etwas Gutes für uns geben könnte, dass sich die Dinge positiv für uns entwickeln und die Hoffnung ist nur noch ein blasser Schimmer am Ende eines dunklen Tunnels.
Wir wissen nicht mehr weiter. Wir glauben alles ist verloren. Wir glauben wir sind verloren. Wir fühlen uns verloren. Wir haben Angst, dass das nie mehr anders wird. Wir haben Angst uns nicht mehr finden zu können.

Aber so ist es nicht. Auch wenn es sich so anfühlt und wir für eine Weile orientierungslos im Dunkel herumirren. So ist es nicht, denn solange wir leben, solange wir gesund sind, zeigen sich neue Möglichkeiten um zu erwachen. Sie zeigen sich indem wir uns innerlich öffnen und nicht im Tunnel unserer dunklen Gedanken stecken bleiben. Dann eröffnen sich Gelegenheiten, weil wir beginnen hinzusehen. 

Wenn wir unser Potenzial sehen, unserer Intuition folgen und gemäß unseren Werten handeln können wir mit Zuversicht weitergehen. Aber dazu müssen wir erst einmal wissen, was unsere Werte sind. Oder sie vielleicht sogar neu definieren. Wir dürfen aufräumen, denn in der Unordnung haben wir viel zu lange gesteckt. Zu lange und zu tief. Das Aufräumen macht Mühe. Ja es macht viel Mühe. Da hat sich unendlich viel alter Mist angesammelt. Der muss raus aus unserem System. Puh, wie anstrengend. Da mach ich doch lieber nichts. 
Und so machen wir nichts. 
Wieder machen wir nichts und so weiter im Nichts. 
Aus Nichts wird nichts.
Es wird, wenn wir bereit sind an den Herausforderungen zu wachsen, die uns begegnen. 
Wenn wir wissen warum wir wachsen wollen und wohin. 
Dann ordnen sich die Dinge. Erst dann.