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Malerei: AW |
Beziehung zu uns selbst. Was ist das?
Die Beziehung zu uns selbst ist nicht das egoistische Lebensgefühl, dem
es nur darum geht, die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Es ist auch
nicht die splendid isolation, der Rückzug in die eigene Welt, die sich
nur noch um sich selbst dreht und uns zum Mittelpunkt des eigenen
Universums macht. Die Folge von beidem ist innere Vereinsamung. Diese
Vereinsamung können wir beobachten, wenn wir genau hinschauen. Sie ist
Zeitgeist.
Die zunehmende Vereinzelung des modernen Menschen ist
der Ausdruck eines kollektiven Narzissmus, der mehr und mehr zunimmt und
Humanität und Empathie zunichte macht. Narzissmus ist geprägt von einem
falschen Selbst - ein Selbst, das einer Maske gleicht, einer Fassade,
die wir einst aufbauen mussten, um als Kind emotional zu überleben in
einer Umgebung, die uns keine Liebe schenken konnte.
Die Sehnsucht nach Geliebt - und Angenommensein ist ein Zeichen des Wunsches ein ganzer Mensch zu sein.
Diesen Wunsch haben alle Menschen, mehr oder weniger bewusst. Was uns
allen gemeinsam ist, ist die Sehnsucht nach dem Gefühl von Ganzheit. Das
zu erreichen gelingt jedoch nicht über das Verbinden mit einem anderen
wie die Erfahrung uns lehrt. Das Gefühl von Ganzheit stellt sich ein,
wenn wir in Beziehung mit uns selbst sind, uns mit uns selbst
wohlwollend verbinden, bevor wir in der Sehnsucht nach einem Gegenüber
schwelgen, weil wir uns mit uns selbst innerlich leer oder sogar
schlecht fühlen. Die nach außen gerichtete Suche nach dem oder der
idealen Geliebten ist getragen von einer regressiven verzehrenden
Sehnsucht, die für die meisten Menschen unerfüllbar bleibt.
Uns selbst unser bester Gefährte zu werden ist eine gesunde Sehnsucht. Sie ist nährend.
Sie macht uns emotional unabhängig von anderen und führt dazu, dass wir
uns bewusst uns selbst zuwenden. Nicht dem Fremden, sondern dem
Eigenen. Zunächst. Gesunde Sehnsucht ist die Sehnsucht nach seelischer
und geistiger Entfaltung, spiritueller Entwicklung und Eigenliebe. All
das können wir lernen uns selbst zu erfüllen, indem wir den Zugang zu
uns suchen, auch wenn es ein Leben lang dauern mag. Dazu braucht es
Momente der Stille, des Alleinseins und innere Einkehr. Dazu braucht es
den Mut, was wir in uns selbst hören, sehen und fühlen, auszuhalten und
es nicht sofort bewerten, oder es los werden zu wollen. Es braucht
einen liebevollen Umgang mit unserer Angst, unserer Fehlbarkeit, unserer
Schwäche, unseren Zweifeln und unseren Wunden.
"Wer zur
Wahrheit wandert, wandert allein", schreibt Christian Morgenstern in
einem Gedicht. Wir allein spüren unsere eigene Wahrheit, keiner kann uns
eine Wahrheit weißmachen, wenn sie uns nicht entspricht. Von außen
Aufgedrücktes ist immer ein Aufgedrücktes und kein von innen
Ausgedrücktes.
Aus Erfahrung weiß ich, wie schwer es ist, der
eigenen Wahrheit Glauben zu schenken, ihr zu vertrauen, sich selbst treu
zu sein und nach dieser Treue zu leben. Viele Menschen folgen ihrer
inneren Wahrheit nicht. Sie sind sich dieser Wahrheit vielleicht gar
nicht bewusst oder sie verleugnen sie vor sich selbst um ihre
Komfortzone nicht verlassen zu müssen. Sie dümpeln in ihren
selbsterschaffenen Käfigigen und werden dabei immer handlungsunfähiger
und resignierter. Sie passen sich an und leiden still.
Das erstickt
unsere Kreativität. Wir sehen die Möglichkeiten eines Ausweges nicht
mehr. Wir kleben an alten Konditionierungen, fremden Glaubensätzen und
vor langer Zeit verinnerlichten Überzeugungen. Wir kleben an der
Vergangenheit, an ungesunden Beziehungen, unbefriedigenden
Arbeitsstellen, an alten Verstrickungen und alten Verletzungen. Wir
kleben an Dingen, Menschen und Süchten, die uns nicht gut tun, wir
kleben an einem falschen Selbst. Wir kleben an so vielem, was uns nicht
gut tut.
Wie sich bewegen, wenn man festklebt?
Wie kreativ
und damit schöpferisch sein, wie uns bewegen, wenn wir kleben bleiben,
wiel wir glauben: Es ist wie es ist und weil es so ist, bleibt es so.
Es war halt immer so, das ist mein Leben. Ich kann es nicht ändern.
Destruktiv ist es, wenn wir glauben, dass die Eltern oder sonst jemand,
der uns tief verletzt hat, die Schuld an unserem Leid tragen, wenn wir
nach Vergeltung oder Entschuldigungen hecheln, anstatt die Verantwortung
für das Jetzt zu übernehmen und zu handeln - und zwar in dem Sinne, das
wir jetzt gut zu uns selbst sind und uns selbst nicht weiter antun, was
man uns als Kind angetan hat. Die Schuldfrage ist sinnlos,denn sie
führt zu rein gar nichts, außer neuem Kummer. Schuld ist der härteste
Klebstoff in Beziehungen. Schuld klebt fester aneinander als Liebe und
vor allem: Schuld lähmt jede Entwicklung und verhindert Wachstum.
Aber wir kleben weiter an Gewohnheiten und glauben irrsinniger Weise,
dass sie uns Halt geben. Wir kleben an unseren Problemen und halten sie
aufgrund des Kontextes in dem sie auftreten, in genau diesem Kontext
weiter aufrecht und übersehen die Lösung, die im Problem verborgen ist.
Alles, weil wir uns im Außen orientieren und nicht lange und nicht
intensiv genug nach Innen hören.
Die Erfahrungen, die wir machen können wir nicht ändern - aber wir können ändern, wie wir damit umgehen.
Damit sind unsere Erfahrungen nicht veränderbar, aber unsere Haltung
ist es und damit unser Lebensgefühl. Solange wir dazu nicht fähig sind,
dreht sich das Rad weiter, in der gleichen Spur. Solange wir das Gleiche
denken, das Gewohnte tun, handeln wir fremdgestuert nach den alten
Mustern und fühlen und erleben - es bleibt gleich. Damit verabschieden
wir uns, manchmal ohne es zu merken, von unseren Träumen. Doch unsere
Träume sind der kreative Teil in uns, der nach Leben schreit. Wir hören
diesen Schrei aber nicht mehr, weil wir ständig mit dem Außen
beschäftigt sind, mit dem Funktionieren, den Erwartungen an andere, dem
Kompensieren und der Ablenkung, die uns von uns selbst weglenkt.
Es ist der kreative Teil in uns, den wir in der Stille spüren. Und dann kommt die Wehmut, ihn nicht leben zu können.
Wir ersticken unser wahres Selbst mitsamt unseren Träumen.
Aber da liegt er, dieser kostbare Kern unseres Seins - auf dem tiefen
Grund unserer Seele und wir leben etwas gänzlich anderes - nämlich an
uns selbst vorbei und über uns selbst hinweg.
Wir missachten
unsere Träume bis sie verdorrt sind wie eine keimende Pflanze, die wir
ab und an betrachten und die wir wunderschön finden und doch vergessen
zu pflegen. Wie soll sie wachsen und blühen, wenn wir ihr keine
Aufmerksamkeit schenken?
Unsere Träume sind ein kreativer Teil in uns, jeder einzelne Traum enthält jede Menge kreative Energie.
Kreativität heißt erschaffen.
So wie die Schöpfung uns Menschen erschaffen hat, ist das Nutzen
unserer Kreativität ein Akt des Erschaffens und zwar uns selbst, nach
unserem Bilde. Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild, heißt es -
und damit ist das göttliche Prinzip gemeint, genauer - das
schöpferische Prinzip. Weil wir ein Teil dieses Prinzips sind, besitzen
wir dieses schöpferische Potential - es ist in uns angelegt und wartet
nur darauf zu fließen. Wenn wir das göttliche Prinzip in uns nicht
aktivieren - wie soll es dann etwas für uns tun? Wenn wir nicht offen
sind - wie sollen wir dann empfangen? Und wie sollen wir dann bei uns
selbst ankommen, wenn wir nicht empfangen, was aus uns selbst zu uns hin
will - in Beziehung sein will mit dem wichtigsten Menschen in unserem
Leben?
Angelika Wende
www.wende-praxis.de