Zeichnung: A. Wende
„Wenn du sie
liebst, dann lass sie gehn“, heißt es in einem Lied von Clueso.
„Wenn du dich
liebst, dann lass dich gehen“, wäre eine andere Variante. Obwohl wir wissen, dass es besser für uns wäre zu gehen, bleiben
viele von uns in Beziehungen, die abgelebt sind, die unglücklich machen oder
sogar krank.
Was sind die
häufigsten Gründe warum wir dennoch bleiben?
Wir
erleben den "Sunk Costs Effect"
Aktuelle Studien sprechen vom
sogenannten. "Sunk Costs Effect". Er bezeichnet das Verhalten, an etwas festzuhalten, weil
es uns Geld, Zeit, Gefühle, Kraft oder Mühe gekostet hat. Gäbe man es auf,
wären diese Aufwände vergeblich gewesen und man müsste sich seinem
Ohnmachtsgefühl, das die Erkenntnis der Vergeblichkeit hervorruft, stellen.
Hält man stattdessen an der Beziehung fest, können sinnlose Investitionen und
belastende Ohnmachtsgefühle verdrängt werden.
Wir haben Angst vor Einsamkeit
Wir Menschen können alleine nicht lange
überleben. Menschen schlossen sich immer schon zusammen um sich gegenseitig zu
schützen und ihr Überleben zu sichern. Wir sind soziale Wesen und brauchen
einander. Das ist tief in unserem kollektiven Gedächtnis verankert. Zudem haben
wir die Norm „Paar sein“, tief verinnerlicht. Viele Menschen fühlen großes
Unbehagen, wenn sie allein sind. Andere können es gar nur schwer oder gar nicht
aushalten. Im Alleinsein fehlt ein Gegenüber, ein Gegenüber, zu dem man
innerlich gehört. Einsamkeit ist oft die Folge zu langen Alleinseins. Einsamkeit ist das Gefühl der Verlassenheit, sie ist das
Leiden am Alleinsein.
Studien zufolge ist die Angst vor Einsamkeit der
häufigste Grund warum Menschen in unglücklichen oder destruktiven Beziehungen
verharren. Statt sich dem Alleinsein und dem Gefühl der Einsamkeit zu stellen,
bleibt man, aus Angst, es nicht aushalten zu können. Man verlässt sich
lieber selbst, seine Wünsche, Bedürfnisse und Sehnsüchte, anstatt das Risiko
einzugehen vielleicht im Zweifel eine Weile einsam zu sein.
Wir wiederholen unser Kindheitsdrama
Menschen, die in einem destruktiven
familiären Umfeld aufgewachsen sind, in dem Lieblosigkeit, Sucht, Gewalt,
emotionaler und/oder körperlicher Missbrauch erlebt wurde, fühlen sich im
Tiefsten wertlos. Paradoxerweise fühlen sie sich aufgrund des Erlebten in einer
destruktiven Beziehung, die ihnen dieses Gefühl immer wieder vermittelt,
emotional zuhause und angekommen. Sie glauben, sie haben nichts Besseres
verdient und erleben in Variationen Ähnliches, was ihnen aus der Kindheit
vertraut ist. Dahinter verbirgt sich der sogenannte Wiederholungszwang. Sie
reinszenieren unbewusst ihr Kindheitsdrama mit immer wieder neuen Protagonisten,
die sie nicht gut behandeln. Der inneren Stimme folgend: „Er/sie behandelt dich
zwar schlecht, aber dieses Mal wird es gut werden, wenn du nur alles dafür tust
geliebt zu werden“, tappen sie in die Falle des Unbewussten, das ihnen
vorgaukelt die kindliche Vergangenheit endlich zum Guten wenden zu können, wenn
es ihnen im Jetzt gelingt es gut werden zu lassen.
Es wird nicht gut. Es wird
dann besser, wenn die Wunden der
Kindheit angeschaut, bewusst gemacht und verarbeitet werden.
Wir knüpfen unseren Wert an eine
Beziehung
Alleinsein
hat einen schlechten Ruf. Wir glauben, dass wir alleine als Mensch nichts wert
sind. Wir glauben vielleicht sogar, dass wir „falsch“ sind, wenn wir Niemanden
an unserer Seite haben, der mit uns durchs Leben geht. Das hat viel mit
Konditionierung zu tun.
Wie oft haben wir das gehört? „Eine alleinstehende Frau?
Mit der stimmt was nicht.“ „Ein ewiger Single: Mit dem stimmt was nicht.“ Single
sein zwar ist okay, aber nur als vorrübergehender Zustand.
Glaubenssätze
wie: „Wenn ich allein bin, stimmt mit mir etwas nicht“ sind tief verankert und
sie haben wiederum mit dem Gefühl von Eigenwert zu tun. Wir glauben, wir brauchen
den anderen, der uns mit seinem Dasein bezeugt, dass wir es wert sind zu sein. In Beziehung zu sein, ein Teil eines Ganzen zu sein, wert mit und bei uns zu sein.
Und wenn wir das wert sind, sind wir okay. Sind wir allein, sind wir es nicht. Auch
wenn wir uns nicht geliebt fühlen, auch wenn uns die Beziehung unsere
Bedürfnisse nicht erfüllt, wir werden wenigstens gesehen, wir bekommen
Aufmerksamkeit, sogar wenn es eine negative Aufmerksamkeit ist, was mit
Wertschätzung absolut nichts zu tun hat. Das wird allerdings verdrängt.
Der
innere Antrieb den Eigenwert durch "In-Beziehung- sein" zu stärken, der Wunsch in
eine Partnerschaft eingebunden zu sein und damit einen Mehrwert der eigenen
Person zu empfinden, ist mächtiger als der Preis der Selbstverleugnung, der im
Zweifel dafür gezahlt wird.
Wir sind in finanzieller Abhängigkeit
Der Partner verdient den
Lebensunterhalt, er ermöglicht uns ein gutes Leben und schenkt uns eine
materielle Sicherheit, die wir nicht aufzugeben bereit sind. Wir wollen auf das
gute Leben nicht verzichten. Oder wir haben zu zweit ein Leben, das wir alleine
nicht finanzieren könnten.
Die Fähigkeit für sich selbst zu sorgen
wird angezweifelt. Also lieber bleiben als im Zweifel finanziell und sozial
abzurutschen oder für die eigene Existenzgrundlage sorgen zu müssen.
Wir
stecken in einem Zustand kognitiver Dissonanz
Dieses Phänomen ist
in der Wissenschaft als Coolidge-Effekt bekannt. Dissonanz entsteht dadurch, dass unterschiedliche Kognitionen
miteinander hadern. Dies entsteht,
wenn zwei zugleich bestehende Kognitionen einander widersprechen oder sich
ausschließen, oder wenn ein Gedanke nicht in unser
Wertesystem passt. Zwischen diesen Kognitionen können
Konflikte „Dissonanzen) entstehen. Wir befinden uns in
einer unbefriedigenden Beziehung, wir wissen das und machen uns vor, das alles
nicht so schlimm ist um uns vor uns selbst zu rechtfertigen, weil wir sonst den
Kontrast nicht aushalten würden zwischen dem was wirklich ist, und dem, was wir
für richtig halten, als richtig empfinden und uns eigentlich wünschen. Wir beschönigen
das Ungute und machen uns vor, dass es so schlimm nicht ist, weil es ja auch
hin und wieder gute Momente gibt. Wir beschönigen den Menschen, der uns nicht
mehr gut tut und rufen uns das Gute von einst in Erinnerung. Dieses Gefühl der inneren Unstimmigkeit führt
zur Abspaltung der Realität. Das belastet die Seele so sehr, dass wir alles
tun, um es loszuwerden. Also verhindern wir alles, was die Dissonanz füttern
würde, und selektieren die Situation oder den Menschen nach unserer
Erwartungshaltung. Wir machen uns selbst etwas vor. Und damit auch dem anderen.
Wir verwechseln Liebe mit Gewohnheit
Bisweilen verwechseln wir Liebe mit Gewohnheit.
Der Partner ist uns vertraut, unsere gemeinsamen Erfahrungen und Erinnerungen,
das gemeinsame Leben, die gemeinsamen Rituale und die Zeit die wir miteinander
gelebt und gestaltet haben. Die Liebe ist längst vergangen, der Partner
ist selbstverständlich geworden oder uninteressant als Liebesobjekt. Im besten
Falle leben wir wie Bruder und Schwester miteinander. Es gibt keine Neugierde mehr
auf den anderen, es gibt kein Begehren und keine Leidenschaft mehr. Es gibt nur
noch den Alltag der gut funktioniert und die gemeinsamen Interessen oder die
gemeinsame Kindererziehung.
Unser Grundgefühl ist eine wachsende innere
Leere und eine bedrückende innere Einsamkeit, aber wir bleiben, aus Gewohnheit
und weil wir denken, es kommt ja sowieso nichts Besseres oder aus Angst vor dem
Alleinsein und worauf wir dann alles verzichten müssten.
Wir
haben Schuldgefühle
„Ich kann doch nicht gehen. Das kann ich ihm/ihr
doch nicht antun. Ohne mich geht er/sie unter. Er/sie braucht mich doch.“So klingen Schuldgefühle.
Schuldgefühle machen abhängig. Sie
lähmen, das eigene Leben und das des anderen. Denn der andere spürt sehr wohl,
dass wir nicht aus Liebe bleiben.
Wer aus Schuldgefühlen heraus in einer
kaputten Beziehung bleibt oder bei einem Menschen, der sich z.B. durch eine
Sucht selbst zerstört und damit auch die Beziehung, haftet an und zwar an sich
selbst und dem schlechten Gewissen, das er sich macht, weil er kein schlechter
Mensch sein darf. „Ich darf den anderen nicht hängen lassen“, heißt im Grunde: „Ich
will gebraucht werden, denn wenn ich nicht gebraucht werde, bin ich nichts wert
oder habe keinen Lebensinhalt oder im schlimmsten Falle keine
Lebensberechtigung.“
Das ist oft das unbewusste Motiv co-abhängiger Menschen.
Manche Menschen sind von Kindheit an
auf Schuldgefühle konditioniert. Sie fühlen sich ständig schuldig für alles und
jeden. Und damit fühlen sie sich gezwungen es wieder gut zu machen. Sie sind
daher extrem manipulierbar. Der Satz: „Das kannst du mir nicht antun“, lässt
sie am Unglück kleben wie die Fliege auf dem Honig. Das Ende der Fliege ist
bekannt.
Schuldgefühle sind ungesund. Sie schaden
uns selbst und dem Anderen mehr, als dass sie helfen. Sie sind ein
zersetzendes Gift, das zu unzähligen Dramen führt.
Die
Hoffnung stirbt zuletzt
„Er, sie wird sich ändern. Es wird
wieder wie am Anfang wo alles so gut und schön war. So besonders, so
einzigartig. Das kann nicht für immer vorbei sein.“
Wenn wir so denken leben in der
Vergangenheit und sehen nicht was jetzt ist.
Wir projizieren das Jetzt in den Anfang
und negieren die Realität.
Jetzt ist nichts mehr gut und schön. Es
ist vielleicht sogar sehr ungut und unschön. Wir werden gedemütigt, belogen,
betrogen und lassen uns schlecht behandeln. Oder wir streiten nur noch und die
Beziehung ist längst zum Schlachtfeld geworden.
Aber manchmal blitzt für Momente in der
Zeit der Mensch auf, den wir so sehr liebten. Und alles ist wieder gut. Bis zum
nächsten Drama. So entsteht mit der Zeit ein Suchtverhalten. Wie ein
Suchtkranker greifen wir immer wieder nach der kurzen Erleichterung des schönen
Rausches durch die Droge und nehmen den miesen Kater billigend in Kauf. Bis zur
nächsten Dosis, wo es wieder so schön ist. Ein circulus vitiosus nimmt seinen
Lauf. Die Hoffnung hält ihn am Leben. Sie gaukelt uns vor, dass es wieder gut
wird, wenn wir nur lange genug ausharren.
Es wird nicht gut. Wir zerfleischen
uns selbst und den anderen.
Resignation
Das Leiden in und an der Beziehung ist
normal geworden. Es wird als nicht mehr abwendbar empfunden. Es wird verharrt,
weil die Kräfte am Ende sind. Das Selbstwertgefühl ist zerstört, es wird nur
noch ausgehalten was ist. Die Kraft zur Veränderung ist der Resignation gewichen.
All das sind Motive und Gründe warum
Menschen bleiben, wo sie längst Abschied nehmen sollten. Aber diese Gründe
zeigen auch wie schwer es ist zu gehen.
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cést toujours un peu mourir, sagen die Franzosen.
Gehen ist ein bisschen sterben. Und wir
fürchten uns vor dem Sterben.
Dabei: Leben ist sterben. Jeden Tag.
Nur fühlen wollen wir es nicht. Weil es weh tut.