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Foto: A.W. |
Wenn die Realität, wie wir sie kennen, zerbricht fallen wir ins Bodenlose. Verlieren wir einen Menschen, mit dem wir unser
Leben geteilt haben, verlieren wir nicht nur ihn, sondern auch ein Stück unserer Welt. Wir
verlieren, was uns Halt, einen Bezugspunkt und einen Sinn gab. Der Verlust
eines geliebten Menschen fühlt sich an als hätten wir einen Teil von uns selbst verloren.
Wir vermissen nicht nur den Menschen, wir vermissen die Gewohnheiten, die wir
mit ihm geteilt haben, wir vermissen das Gefühl, dass jemand an unserer Seite
ist, wir vermissen, dass wir die Aufgaben, Probleme und das Schöne des Alltags
teilen können, wir vermissen die gemeinsamen Gespräche, wir vermissen die
Beziehung an sich und wir vermissen das Gefühl geliebt zu werden und zu lieben.
Es ist völlig egal warum wir diesen Menschen verloren haben - ob er gegangen
ist, ob wir selbst gegangen sind oder ob der Tod uns von diesem Menschen
getrennt hat, wir erleiden einen schmerzhaften Verlust.
Plötzlich ist
da eine Lücke in unserem Leben, ein riesiges dunkles Loch, das sich vor uns
auftut, und wir wissen nicht womit wir es füllen könnten.
Dieses Loch
füllt sich zunächst mit all den Gefühlen von Trauer, Angst, Schmerz, Wut, Ohnmacht und
vielleicht sogar Verzweiflung. Wir gehen durch alle Phasen der Trauer, die sich
bei einem Abschied einstellt. Diese Phasen hat die Psychoanalytikerin und C.G.
Jung Schülerin Verena Kast so zusammengefasst: Den Schock des
Nicht-Wahrhaben-Wollens, Verzweiflung, Hilf- und Ratlosigkeit herrschen vor.
Die Phase der aufbrechenden Emotionen: Gefühle bahnen sich ihren Weg. Schmerz,
Wut, Zorn, Traurigkeit und Angst, wobei je nach der Persönlichkeitsstruktur des
Trauernden andere Gefühle vorherrschen. Beim einen sind es Wut, beim anderen
Schmerz, beim nächsten sind es Schuldgefühle, weil er meint, er hätte das, was
ist verhindern können oder er sei gar verantwortlich für das, was ist. Diese
Gefühle haben einen Sinn, sie müssen durchlebt werden, sie müssen an die
Oberfläche. Werden sie unterdrückt kommt es nicht selten zu einer andauernden
Melancholie, zu Depressionen und zur Desorientierung im weiteren Lebensverlauf.
Eine weitere
Trauerphase ist die des Suchens und Sich-Trennen
Auf
jeden Verlust reagieren wir mit Suchen. Im Schmerz der Trauer suchen wir nach
dem verlorenen Menschen, wir suchen nach dem gemeinsamen Leben, wir suchen in
Erinnerungen, wir suchen an gemeinsam besuchten Orten, in den Gesichtern
Fremder, in Gewohnheiten, die wir aufrecht erhalten um was uns Halt gab, nicht
auch noch zu verlieren. Im Verlauf dieses Suchens, Findens und Wieder-Trennens,
so Kast, kommt irgendwann der Augenblick, wo der Trauernde die Entscheidung
trifft, wieder ja zum Leben und zum Weiterleben zu sagen. Kommt dieser
Augenblick nicht, verharren wir in der Trauer. Wir können nicht loslassen, wir
lösen die Fäden nicht, die uns an den Anderen gebunden haben - wir bleiben
gebunden an die unwiderbringliche Vergangenheit, unser Leben im Jetzt
stagniert. Wir erstarren emotional. So wird aus Schmerz Leiden. Wir leiden
immer, wenn wir etwas verloren haben und wir leiden, wenn wir etwas Erwünschtes
nicht haben können. Das Leiden, sagt Buddha, hat eine einzige Wurzel - das
Verlangen.
Es ist schwer
kein Verlangen mehr zu haben. Sich endgültig zu verabschieden bedeutet - nicht
mehr zu verlangen, dass das Alte wiederkehrt.
Das Ende des
Leidens heißt, dieses Verlangen, diesen Wunsch zu begraben. Es bedeutet zu
akzeptieren was ist - loszulassen was nicht mehr ist und die neue Wirklichkeit
anzuerkennen wie sie ist. Ja, so ist es! Das bedeutet es annehmen. Es
hilft diese Worte immer wieder zu sagen. Ein kluger Mann gab mir diese Worte in
meiner Trauer und ich sage sie, ich wiederhole sie immer dann, wenn ich den
Drang verspüre mir zu wünschen, dass die Dinge anders sein sollen, als sie
sind. Das Ja zu dem was ist heißt nicht, dass es weniger schmerzt, heißt
nicht, dass es weniger schlimm ist - es heißt: Ja, es ist schlimm, aber ich
akzeptiere den Schmerz, ich will ihn auch nicht wegmachen. Ich lasse ihn sein
und versuche ihn nicht zu verdrängen, ich lasse ihn da sein, solange er da ist.
Ja, so ist das!, macht den Schmerz erträglicher, weil der Widerstand wegfällt
und weil damit das Verlangen wegfällt es anders haben zu wollen.
Wir leiden
weniger, wenn wir den Schritt wagen kein Verlangen mehr zu haben. Es ist wahr.
Es ist wahr, weil es keinen Sinn macht, nach etwas zu verlangen, was für uns
nicht erreichbar ist.
Das ist eine
schwere Aufgabe für alle Menschen, denn wir Menschen haben Verlangen und wir
haben Wünsche. Wir sind nicht Buddha und nicht so erleuchtet, dass die bloße
Erkenntnis ausreichen könnte um unseren Schmerz zu lindern. Aber wir können
lernen, aus dem Schmerz kein Dauerleid zu erschaffen indem wir an Verlorenem
hängen bleiben. Oh ja, es ist verlockend, denn das Gebundenbleiben an das Verlorene,
an den Menschen, den wir verloren haben, füllt die Lücke des Verlustes - wir
müssen nicht nach dem Neuem suchen, was sie füllen könnte. Wir suggerieren uns
damit unbewusst: Da wo eigentlich Leere ist, ist noch Fülle, die Fülle des
Vergangenen. Das Gebundenbleiben soll uns bewahren vor diesem entsetzlichen
schwarzen Loch, das sich auftut, wenn wir Ja zu dem sagen, was nicht
mehr ist.
Trauer hat
keine begrenzte Zeit und jeder Mensch braucht seine Zeit der Trauer. Die Einen
mehr, die Anderen weniger. Trauer lässt sich nicht abkürzen und nicht
beschleunigen.
Jede
Trauerphase kann Wochen, Monate oder Jahre dauern und die Phasen können
einander immer wieder abwechseln. Trauer ist eine Achterbahn der Gefühle.
Trauer erfordert Geduld mit uns selbst. Sie erfordert aber auch, dass wie
irgendwann begreifen, dass Verluste zum Leben gehören. Verluste sind allgegenwärtig
und unvermeidlich. Verluste sind notwendig, weil wir an ihnen wachsen. Nur
durch sie werden aus uns vollentwickelte Menschen. Verlust und Trauer sind
Anpassungsprozesse. Wohl gemerkt: Prozesse. Jeder Prozess hat verschiedene
Stadien und Ebenen in denen er verläuft. Wir können diesen Prozess weder
beschleunigen noch manipulieren, aber wir tun gut daran uns ihm zu überlassen.
Damit beginnen wir bereits ein wenig loszulassen.
Im Loslassen beginnt
langsam und allmählich das, was Verena Kast den neuen Selbst- und Weltbezug
nennt.
Nachdem wir
unseren Schmerz, unsere Wut und unsere Verzweiflung gefühlt haben, nachdem alle
Anklagen und Vorwürfe gegen Gott, das Schicksal und das Leben gemacht werden
durften, kehrt mit der Zeit allmählich Frieden in die Seele zurück. Der Verlust
hat dort seinen Platz gefunden. Das Herz wird ruhiger. Wir erkennen, dass unser
Leben auch ohne den Anderen weitergeht und dass wir selbst dafür verantwortlich
sind die Lücke zu füllen. Die große Herausforderung besteht jetzt darin, Wege
zu finden uns ein neues Leben zu gestalten, was uns, weil es so ganz anders ist
als das alte Leben, schwer fällt. In diesem Moment kommen Fragen wie: Wer
bin ich? Was will ich? Wohin will ich gehen? Was gibt meinem Leben noch einen
Sinn oder was gibt ihm einen neuen Sinn? Es braucht wieder Zeit um Antworten zu
finden. Und manchmal brauchen wir in dieser Zeit Hilfe um sie zu finden. Jemand,
der uns hält und uns die Kraft gibt um nach dem Verlust weiterzumachen.
Und irgendwann
ist das schwarze Loch ist nicht mehr so bedrohlich, auch wenn der Verlust noch
immer schmerzt. Ja so ist das! Und ja, das tut weh. Aber da ist nicht nur der
Schmerz, da ist auch das Leben, das auf uns wartet, trotz aller Verluste.