Freitag, 29. April 2011

Zaubern ...

Alles Gelesene, von anderen über eine Sache verfasste, mit der man selbst sich befasst – beeinflusst unsere Sicht der Dinge.


Ein Empfinden den Worten oder dem Werk gegenüber stelllt sich ein und bisweilen ist es stimmig für das, was uns ausmacht, in dem Moment wo wir lesen. Worte berühren uns, wenn etwas in uns ihren Inhalt berührt. Wie mich diese Worte berühren, jetzt in diesem Moment meiner Zeit, wo sie mir einfallen und ich weiß nicht einmal wer sie geschrieben hat, weil ich sie nur erinnere.


„Die Malerei ist die erstaunlichste Zauberin. Sie vermag uns mit den offenkundigen Unwahrheiten davon zu überzeugen, dass sie die reine Wahrheit ist.“


Und ich denke sie weiter die Worte, denke an die Malerei und die Wahrheit.

Die Malerei, als Medium auch um Unwahres wahr erscheinen zu lassen. Die Malerei, eine Zauberin, die mit den Dingen spielt, die Dinge erscheinen lässt, sie als etwas erscheinen lässt, was sie nicht sind, was sie aber auch sein können, eine Zauberin, die Scheinbares als Wahres erscheinen lässt und scheinbar Wahres als Scheinbares.


Carl Gustaf Jung sagte einmal: „Es hängt alles davon ab, wie wir die Dinge sehen und nicht wie sie sind.“ Folge ich diesem Gedanken so sind wir alle der Illusion verfallen, denn es gibt keine allgemeingültige Realität.


Wir alle sind also Zauberer. Mehr oder weniger gute allerdings.

Die Sache mit der Zauberei gefällt mir.


Sie beinhaltet das Geschenk von Möglichkeiten. Das umso kostbarer wird, schafft der Mensch die Möglichkeiten aus sich selbst heraus. Dann ist er schöpferisch und wandelt diese Schöpferkraft in Kreativität, der Kunst entspringt.


Die Kunst, die ich liebe manifestiert sich in stillen Bildern, deren leisen Tönen ein Zauber inne wohnt, in dem das Stumme spricht. Inszeniertes stilles Leben, in dem sich Möglichkeiten von Wahrheiten im Wesen der Dinge verbergen und Schönheit. Und in allem Schönen klingt die Tönung von Vergänglichkeit, auch das. Der melancholische Klang der Vergänglichkeit aller Schönheit, aller Dinge, allen Lebens erinnert mich an Chronos, die vergehende und immer zu einem Ende hineilende Zeit, die keine Ewigkeit kennt und deren Wesen unerbittlich ist.


Ich kann ihr nicht entfliehen, sie kennt nur den unermüdlich voraneilenden Zeiger der Uhr, der den Sinn der Sekunde darin bestehen lässt, von der ihr folgenden Sekunde abgelöst zu werden. So schließt sich das Fenster, dessen, was war und das Noch - Nicht Sein ist bloße Illusion. Es ist immer die eigene Vergänglichkeit, die wir fühlen, der Gedanke an das Vergehen der Jahre, die Linen und Narben hinterlassen, im Gesicht und in der Seele.


Leise, für das feine Gehör erfassbar, flüstert es uns zu: auch du, irgendwann ...


Aber der Blick auf die Vergänglichkeit verliert sich manchmal für des Augenblicks Dauer. Der Gedanke, dass es nicht nur eine Zeit gibt, dass es verschiedene Zeiten geben kann, die zugleich existieren, drängt sich mir auf. Der Gedanke an Augenblicke, die sind wie die Ewigkeit. Und ich spüre - in der Wahrnehmung des Augenblicks liegt auch die Erfahrung des Gelingens, die Augenblicksgewissheit von Vollendung. In diesem Moment scheint es durch, wird mir das Vollendete in seiner Erhabenheit bewusst.


Es ist dieser eine Moment in der Zeit, den die Kunst auf der Leinwand festhält, ein Augenblick mit dem der Künstler ein Zeichen setzt, mit dem es gelingt das vom menschlichen Bewusstsein abhängende Fließen der Zeit anzuhalten.


„Die denkenden Menschen sind notwendig Materialisten. Sie suchen die Wahrheit in der Materie, denn anderswo können sie sie nicht suchen, da sie einzig und allein die Materie sehen, hören, fühlen. Sie können die Wahrheit nur dort suchen ... außerhalb der Materie gibt es keine Erfahrung, kein Wissen und folglich keine Wahrheit“, schreibt Anton Tschechow.


Ist das eine überwirkliche Chimäre, eine vorgegaukelte Illusion oder eine Wahrheit, die uns die Materie offenbart?, frage ich mich. Und weiß, es gibt keine eindeutige Antwort.


Es gibt Fragen und es gibt die Suche nach einer Beantwortung von Fragen. Und in jeder beantworteten Frage liegt immer auch die Möglichkeit einer anderen, einer weiteren Wahrheit – so liegt in jeder Frage und in jeder Antwort auch immer der Zweifel. Es ist wie mit der Zauberei – die immer den Aspekt des Zweifelns in sich trägt.


Aber, ist es die Aufgabe des Zauberers uns Gewissheit zu geben?

Ist es die Aufgabe der Kunst uns Wahrheiten zu schenken, die das Leben uns nicht schenkt?


Kunst konfrontiert uns mit der Unsicherheit einer Welt, in der wir beständig nach dem Ideal von Sicherheit und Wahrheit streben, wohl wissend, dass es diese nicht geben kann, dass dies lediglich eine Vorstellung ist, ein Wünschen, um der Absurdität des Seins Sinn zu verleihen. Zugleich zeigt sie uns einen Ausschnitt von Welt, der niemals eindeutig ist. In der Kunst entfaltet sich ein Mikrokosmos, erschaffen nach ästhetischen Gesichtspunkten – ein Mikrokosmos, dessen Existenz und Einzigartigkeit ich liebe, dem ich mit Neugier, Staunen und Demut begegne. Nein das ist kein Wirklichkeitsabklatsch, sondern vielmehr eine rätselhaft magische Lebendatmosphäre. Das ist Schönheit. Malerische Zauberei, die mir zuflüstert: Alles was dir in Zeit und Raum entgegentritt ist nicht mehr und nicht weniger als ein Bild von Welt, das allein in deiner Realität entsteht und unendliche Möglichkeiten in sich birgt.


Und dann weiß ich, auch ich kann zaubern ...



©angelikawende 2011

Herz 20



liebe
            zweisamkeitsraum

schatten

die schatten tanzen in der schlaflosen nacht
unter deinen händen
beginnen ein eigenleben
das fremd ist
größer als ich
die ich auch bin
dürfen sein ...

Donnerstag, 28. April 2011

jetzt

jetzt
das ist der raum meiner derzeitigen aufmerksamkeit
diese sekunde
diese stunde
dieser tag

jetzt
das ist abhängig vom focusierten punkt meiner aufmerksamkeit

und immer in jedem jetzt ist da der aspekt des vergangenen
und immer in jedem jetzt ist da der aspekt des zukünftigen
denn all das bin ich
jetzt

gedankensplitter 21

vergangenheit
ist vergangenes
ist vergangene zeit

zeit von überzeugungen
entscheidungen
handlungen
zeit von gefühltem
gedachtem
erlebtem

die vergangenheit sagen wir
hat mich zu dem gemacht was ich heute bin

wir können auch sagen
was ich heute bin muss ich morgen nicht mehr sein

Mittwoch, 27. April 2011

fort schreiten

er ging
fort aus dem bekannten
verließ das vertraute
vergaß seine angst
nahm den mut
übergab sich
dem fort schreitenden
überließ sich der bewegung
ging
ging mit dem gefühl
eines fortschreitenden
er wachsenden
sich ent wickelnden
sich von einem ausgangspunkt zu einem weiteren punkt entspannenden
er ging

das ziel
er musste es nicht wissen

sie liebte ihn auch dafür

Dienstag, 26. April 2011

von gurus und anderen krücken

es gibt unendlich viele krücken, die der mensch sich sucht, wenn er verwirrt ist, ratlos, verletzt, vom unglück getroffen oder einen übergang in eine neue lebenssituation bewältigen muss. er geht zu therapeuten, liest bücher über selbsterfahrung, spirituelle ratgeber, nutzt, was es sonst noch gibt, das ihn in seiner hilflosigkeit unterstützen und weiterbringen kann. und manchmal glaubt er sogar sein heil in all dem finden zu können.

alle diese krücken sind erlaubt. und all diese krücken sind doch dinge, die uns von anderen aufgedrückt werden, die wir uns aufdrücken lassen, aus dem gefühl der unsicherheit und der verzweiflung heraus.

krücken nutzen ist erlaubt. aber ob das gut ist?

ob es gut ist da hin zu lesen, da hin zu hören, wo es nicht aus mir selbst kommt? ich glaube nein.

ich bin ein konklumerat aus meinen erfahrungen, meiner vergangenheit, meinem jetzt und meinem denken an zukünftiges. all das bin ich und alle diese teile formieren mein sein.

es gibt gurus, die meisten sind selbsternannte, mit einer hohen begabung für marketing, deren begehr darauf abzielt, den menschen zu spalten, ihn an einem punkt zu sezieren, der genau an einem bestimmten punkt ins schwarze trifft, nämlich da wo´s gerade weh tut - auch darin sind diese gurus geschickt, wie übrigens auch im geldverdienen am leid anderer.

diese heilsversprecher greifen den menschen am individuellen leiden an und versprechen ihnen lösungen. das macht ihre faszination aus. sie versprechen das leid zu beenden, in dem man ihnen folgt, ihren gedanken folgt und sie versucht umzusetzen.

jeder gedanke, der von einem fremden kommt ist niemals ein eigener und so kann er nur adaptiert werden.
übergestülpt. das übergestülpte jedoch, das nicht selbst erdachte, das nicht selbst als richtig erfahrene, erlebte, gefühlte, ist niemals authentisch. es ist vom anderen und nicht das meine.

das ego bezwingen, im jetzt leben, die vergangenheit begraben, all das sind theorien solcher gurus, die sie in die welt posaunen und menschen abholen, dort, wo sie an sich selbst zweifeln, weil das leben nicht so ist, wie sie es sich wünschen.

und was geschieht? sie werden sie zu opfern anderer meinungen, die ihre eigenen gefühle und gedanken verwässern, zuschütten und in eine andere richtung bringen, als das ureigene wesen, als die seele es vielleicht vorhat.

die seele weiß was ist.
und sie würde vielleicht fragen, wenn sie sprechen könnte, wir sie hören würden - was ist schon schlimm daran, zerrissen zu sein, nicht zu wissen, was ist und was sein soll? was ist schlimm daran einmal keine lösung zu haben, einfach still zu stehen? was ist schlimm daran verletzt zu sein, traurig oder wütend?

vielleicht ist genau das der zustand, den die seele gerade braucht, sonst wäre er ja nicht. aber das würde bedeuteten - abwarten und das ist das schwerste. abwarten wollen wir nicht. es muss ja schnell weitergehen. wir wollen doch schließlich funktionieren, das wird erwartet, von uns selbst und den anderen um uns herum.

darum brauchen wir krücken, um zu beschleunigen, was eigentlich gar nicht beschleunigt werden will.
wir brauchen lösungen, weil wir das ungelöste schwer ertragen. aber auch das ist entwicklung - das ungelöste, den stillstand aushalten.

der mensch ist die summe seiner einzelteile, aller affekte, aller gedanken, aller erinnerungen, aller schmerzen, aller glücksmomente und vielem mehr. das lässt sich nicht in häppchen teilen, das lässt sich nicht spalten, denn das spalten bedeutet ein abspalten vom ganzen. wer einen teil von sich abspaltet spaltet ein eigenes ab, lehnt somit das ganze ab zu dem dieser eine teil gehört, mit dem er verbunden ist, wie ein rädchen im räderwerk.

wenn die vergangenheit nicht erledigt ist, ist sie es eben nicht, weil sie es nicht ist.
weil alles seine zeit hat und jeder mensch seine eigene gangart. manche sind schneller, manche sind langsamer.

da helfen keine ratschläge wie "im jetzt" leben. was heißt das eigentlich? im jetzt leben bedeutet im moment sein, die aufmerksamkeit auf den moment richten. ja das bedeutet das. aber in diesem "jetzt moment" ist der mensch eben auch ganz da, mit allem was ihn ausmacht, was ihn geprägt hat, mitsamt seinem unterbewusstsein. das lässt sich nicht ausknipsen wie eine lampe. es ist da, immer. und zwar mit ihm all den prägungen, die es erfahren hat und den glaubensmustern, die es verinnerlicht hat. die lassen sich nicht ausradieren in einem "jetzt bewusstsein". unser bewusstsein ist verdammt klein, das unbewusste dagegen verdammt groß, viel größer als das kleine bewusstsein.

es geht niemals um abspalten, es geht immer um integrieren, um annehmen was ist.
und wenn es weh tut, dann tut das eben jetzt weh und wenn es traurig macht, dann macht das eben jetzt traurig und wenn es wütend macht, dann macht das eben jetzt wütend. dann ist das jetzt eben so. nur so bin ich in der akzeptanz meines selbst, meines wahren wesens.

ob "ich", "über ich", "es" - alles ist eins, ein aufeinander bezogenes, einander bedingendes wechselspiel im jetzt.
das sind wir: ein sich bedingendes ganzes. dies alles ist der mensch. und jeder ist auf seinem weg, wie er es kann, mit den werkzeugen mit denen ihn gott augestattet hat.

am besten geht er diesen weg mit seiner eigenen wahrheit und die liegt da, wo wir uns nichts mehr vormachen und nichts einreden lassen von anderen, die auch nur ihre eigene wahrheit konstruieren. mehr ist nicht möglich - die konstruktion der eigenen wahrheit. nur sie ist authentisch. alles andere ist nicht das eigene, es ist übernommen aus einer anderen welt von wahrheit.

die lösung liegt in uns selbst, nur da und niemals im anderen.
genauso ist es mit der heilung. wenn wir uns selbst nicht heilen, kann das kein anderer für uns erledigen.

Sonntag, 24. April 2011

es ist möglich

am anfang waren die worte, nur die worte. worte, in denen sie sich wiederfanden, sich selbst erkannten wie in einem spiegel. die worte waren es, sagte die frau. der mann sagte, ja, so war es.

aus den worten wurden gesten, blicke, einverstandensein. dann berührung. eine nähe, über die worte hinaus.

das macht mir angst, sagte die frau. der mann sagte, du musst dich nicht fürchten. alles ist gut. und aus der berührung wurde beziehung.

die frau begann sich zu fürchten, auch wenn sie das nicht musste.
ich habe angst, sagte die frau. mein raum ist zu klein für zwei von uns. der mann sagte, gut, ich mache mich klein in deinem raum.

aber ich will verborgen bleiben in meinem raum, sagte die frau und der mann wusste nicht was sie meinte. verborgen sein, ohne das jemand mich bemerkt und ohne, dass ich jemanden bemerke. ich will nur meinem atem lauschen. der mann versuchte zu verstehen, was er nicht verstand.

es ist nicht gut sich abzuschotten, sagte der mann, der nicht verstand. ich brauche das, sagte die frau, die das brauchte und nicht wusste, warum sie das brauchte. sie suchte nach erklärungen.

zuviel nähe, zuviel menschen empfinde ich als anstrengend. es zehrt an meinen kräften, sagte die frau und wusste noch immer nicht warum das so war. ich brauche zeit für mich selbst, um meine gedanken und gefühle zu ordnen. vielleicht ist es so, dass ich das ich das "eigentliche" gefühl erst im nachhinein erlebe. erst dann gelingt es mir mich innerlich wieder auf begegnung einzustellen.

der mann versuchte zu verstehen, was er nicht verstand.

ich brauche rückzug, sagte die frau, die spürte, dass der mann noch immer nicht verstand. ich scheue gefühle, die abhängigkeit schaffen. sie wusste, das war schwer zu verstehen.

aber das bedeutet unverbindlichkeit, sagte der mann. und die frau sagte, ja, das ist wohl so.
dann bist du nicht geschaffen für eine beziehung, sagte der mann.
es ist möglich, sagte die frau.
der mann sagte, und jetzt? was machen wir jetzt?
wir versuchen das mögliche, sagte die frau.

Gedankensplitter 20

primärerfahrung - eine art von leere
gefühl des nicht erwünscht seins 
die innenwelt
einziger freiraum zu sein

primärerfahrung - ein mangel an zärtlichkeit
gefühl der abgrundtiefen leere 
mit nichts zu füllen
einzige heimat innenraum

primärerfahrung - schmerz
verkriechen wie ein tier
tot stellen
einzige sicherheit rückzug

Samstag, 23. April 2011

lena


lena und der großvater sitzen in der kleinen küche. der geruch von frisch gewaschener wäsche hängt im raum. der großvater bügelt seine blauen arbeitshemden. "die großmutter ist krank", sagt der großvater. er zieht seine stirn kraus. dann hat sie noch mehr falten als sonst. er zieht den stecker vom bügeleisen aus der steckdose und legt die hemden in den wäschekorb. er holt das brot aus dem brotkasten, bestreicht es mit butter und legt salamischeiben darauf. lena und der großvater essen jetzt oft belegte brote. lena darf so viel kakao trinken wie sie will. der großvater sagt, er kann nicht kochen. heißer kakao wärmt den bauch. lena beklagt sich nicht.

die stille, die aus dem schlafzimmer dringt liegt über lena wie eine schwere decke. ab und zu wird sie von einem leisen stöhnen unterbrochen. wie das gebot zu schweigen, denke lena.
immer wieder geht der großvater ins schlafzimmer. wenn er herauskommt hat er manchmal tränen in den augen. er redet nicht viel mit lena. lena fragt nichts. plappermäulchen ist stumm. die großmuttter nennt sie so. das ist vertraut. das ist weit weg, seit die großmutter den ganzen tag und die ganze nacht im bett liegt.
drinnen im schlafzimmer riecht es nicht gut. es riecht wie pipi, das zu lange in der kloschüssel steht, weil es nicht runtergespült wurde. manchmal spült lena ihr pipi nicht ab, am sonntag morgen, wenn sie als erste wach ist und großmutter und großvater noch schlafen, sie ganz leise aus der mitte des großen bettes herauskrabbelt, damit sie die beiden nicht weckt. wenn sie dann auf der toilette war, drückt sie nicht auf den spülknopf. die großmutter wird trotzdem wach. sie sagt: "lena, das ist sehr rücksichtsvoll von dir, aber das brauchst du nicht zu tun." dann schlägt sie die decke zurück, zieht den geblümten morgenmantel an und geht in die küche. sie macht pfannkuchen für lena mit ganz viel ahornsirup drauf und sie sind froh und machen pläne für den sonntag.

lena geht zum schlafzimmer. sie öffnet die tür, ruft und großmutters namen. sie bekommt keine antwort. lena versteht nicht, was mit der großmutter geschieht. sie muss jetzt auf dem sofa in der küche schlafen. die fragen drehen sich in ihrem kopf wie kleine hamster im rad. der großvater hat eine decke über das sofa gelegt, damit man die flecken nicht sieht, die das erbrochene der großmutter auf dem braunen cordstoff gemacht hat. lena kann nicht gut einschlafen. der saure geruch beißt in der nase, wenn sie am abend ihren kopf auf die decke legt. der geruch, der nach großmutter riecht, anders als all die tage, die da waren, vorher. das macht lena angst.

es ist so still. auch das macht lena angst. lena fragt den großvater, ob sie ein lied singen darf für die großmutter, wie sie es sonst singt am abend. der großvater zuckt mit den schultern und sagt: "sie kann es nicht hören, lass es lieber."
lena möchte singen. sie weiß, dass die großmutter es hören kann. die lieder tanzen in ihrem kopf herum und wollen hinaushüpfen, wunderdinge aus worten fromen, so wie der feuchte sand, den sie in ihre bunten backförmchen drückt, all die schönen dinge formt. "backe, backe kuchen, der bäcker hat gerufen." die großmutter kann guten kuchen backen. am samstag hat sie lena immer die kleine weiße schürze mir den roten kirschen umgebunden und gesagt: "backzeit, plappermäulchen". dann haben sie eier, butter und mehl in die rührschüssel getan und ganz viel zucker drauf geschüttet und lena hat ihre klebrigen finger abgeleckt und den süßen teig im mund geschmeckt und alles war gut.

der großvater räumt die beiden teller vom küchentisch. er sagt: "die großmutter geht bald in den himmel." lena will wissen, ob sie mit der großmutter mitgehen kann. der großvater schüttelt den kopf und holt die flasche aus dem küchenschrank, aus der er sonst nur am sonntag trinkt, wenn sie alle vor dem fernseher sitzen. er nimmt ein glas vom regal und macht es ganz voll mit der stinkenden klaren flüssigkeit. er trinkt es in einem zug aus. dann sagt er nichts mehr und lena weiß nicht wie lange das schweigen anhält. der großvater schaltet den fernseher an. den ton dreht er ganz leise.

lena sieht die bunten bilder. einmal hat sie gesehen wie ein böser mann mit einer schwarzen maske vorm gesicht einer frau mit einem großen pflaster den mund zugeklebt hat. zuvor hat die frau laut geschrieen und dann war sie auf einmal stumm.

lena hält ihre kleine hand vor den mund. da bleibt sie, bis es an der tür klingelt, der großvater durch den flur geht, die tür öffnet und die beiden weiß angezogenen männer in das zimmer führt, wo die großmutter liegt. mit einer bahre kommen sie wieder heraus. sie haben die großmutter in eine braune decke gewickelt. mit geschlossenen augen liegt sie auf der bahre. lena will schreien, aber die kleine hand klebt fest auf ihren lippen.

Wahrheit

Am Ende bleibt oft die Enttäuschung.

Das Ent-Täuschende, das Ende der Täuschung.

Dem Ende der Täuschung folgt die Wahrheit.


Sie ist wesentlicher als die Liebe.


Im Namen der Liebe wird viel gelogen.

Das Wort Liebe ist ein Wort aus dem sich unzählige andere finden und aussprechen lassen, wahrhaftig, unwahrhaftig.

Im Namen der Liebe geschieht Ungeheuerliches, im Guten wie im Bösen.

Im Namen der Liebe wird getötet und gestorben, gelitten und verraten, gehasst und verloren. Auch das geschieht im Namen der Liebe.


Immer ist es beides.


Immer ist es eine Entscheidung für das Eine oder das Andere.

Dienstag, 19. April 2011

HERZ 19

der mann sagte,
vielleicht bleibe ich.
velleicht gehe ich zurück zu der frau, bei der ich vor dir war.
vielleicht gehe ich zu mir selbst zurück.
wer weiß das schon?

die frau antwortete: wer weiß das schon.
ging.

TRENNUNG


Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. (Genesis 1. Mose - Lutherbibel, 1. Kapitel - Die Schöpfung)



Und Gott schuf das Licht in der Dunkelheit, er schuf die Nacht und den Tag, er schuf die Erde und den Himmel, das Land und das Wasser, den Mann und die Frau, das Leben und den Tod.
Und eins bedingt das andere.
Und eins kann nicht sein ohne das andere.
Und alles ist eins und nichts ist voneinander getrennt. 
 



Plötzlich

irgendwie war alles anders plötzlich und doch nicht plötzlich.
es hatte sich herangeschlichen, sich angebahnt um ein plötzlich zu werden.
hatte sich herausgeschält aus vielen schalen, die aufgeblättert abgeblättert da lagen.
teile eines ganzen.
nein, kein plötzlich, nur ein plötzliches wahrnehmen.
das war neu.
und doch nicht neu, weil es aus altem entstanden war.
ein plötzlich, gewachsen und sich erkennen gebend als ein gewahrsein.
damit unübersehbar.

und da stand es wie eine mauer zwischen dem alten und dem was neu sein wollte.
dazwischen gegenwart.
jetzt.
und schon zukünftiges im jetzt.
alles momente. alle momente ein übergang zu anderen momenten.
alles flüchtig.
also auch das was da war.
das plötzliche gewahrsein.
auch das, flüchtig?

anhalten.
zeit anhalten, zeit zurückdrehen, nach vorne denken.
zeit ist realtiv und vielleicht ist alles gleichzeitig.

was weiß ich, denke ich und dass ich nichts weiß.
weil alles sein kann und alles anders sein kann und alles nichts und doch viel, oder scheinbar viel und nichts.

was ist eigentlich wichtig?
auch das ist veränderbar. das wichtige.
eigentlich ist darum nichts wichtig, ausser der veränderung selbst.
dieses plötzlich gehört dazu.
auch das ist veränderung.

ich wehre mich dagegen.
will nicht haben was ist.

weiß nicht was ich will.
und vielleicht ist auch das nicht wichtig.

Montag, 18. April 2011

denken

denken
immer denken
immer denkend
in dem was ist
was nicht ist
ich denkend
mich zerdenkend
am ende verdachtes gedachtes

leben denkend
wenn leben denken ist
bin ich
lebend

fühlend denkend
auch das bin ich
zu viel fühlen
zerreist mich

wer denkend bin ich
ich mich denkend
zerdenkend
wohin führt das

Donnerstag, 14. April 2011

deins meins

mein deinsein
meinsein
dein sein
klein
sein
manchmal

dein kleinsein

deins
meins
klein
sein

auch das
eins sein

Dienstag, 12. April 2011

Wert los

nichts wert
nichts wert das was du machst
alles einbildung
hochmut
der kommt vor dem fall

schon gefallen
längst gefallen
keine einbildung
ohne mut
der kommt nach dem fall

wert los
liegen

Montag, 11. April 2011

falsch

das ist falsch
sagt die lehrerin und macht ein böses gesicht
was ist falsch, fragt der kleine junge und macht ein trauriges gesicht
es gibt keine hellblauen elefanten
das ist falsch, sagt der kleine junge und lächelt
...schaun sie, da ist er doch
ich habe ihn doch gemalt ...

UNGE WISS heit

gewissheit fühlt sich gut an. gewissheit über eine sache, einen zustand, ein gefühl. aber manchmal ist da das ungewisse. das unangenehme gefühl des schwankens im zweifel und dieser macht das ungewisse noch ungewisser. dann suche ich gewissheit, damit es aufhört, das schwanken, weil es schwindelig macht.

wenn ich gewissheit suche, dann warte ich auf eine sichtbare bestätigung, auf ein zeichen von aussen, auch wenn es sich innen irgendwie sicher anfühlt, irgendwie, aber eben doch nicht wirklich.

vielleicht sind wir menschen so gestrickt, dass wir immer die bestätigung von außen brauchen um wirklich einer sache gewiss zu sein. ich weiß es nicht.

manchmal ist aber etwas ungewiss, manchmal gibt es keine bestätigung, keine zeichen. noch nicht, oder noch länger nicht, oder eben sehr lang nicht.

dann kann ich machen was ich will, drauf rumdenken wie ich will und nichts passiert. also muss ich sie aushalten, die ungewissheit, annehmen, wie alles, dass ich nicht ändern kann. noch nicht ändern kann.

ungewissheit ist die absolute leere des wissens. die mag ich gar nicht, hilft aber nichts. andererseits - schließlich kann ich nicht alles wissen, wie vermessen ist das denn, alles wissen zu wollen? vielleicht ist jetzt eben nicht die zeit für gewissheit, vielmehr die zeit die dinge einfach zu lassen wie sie sind.

vielleicht sind ungewissheiten chancen, prüfungen, herausforderungen an das vertrauen. und es ist vielleicht sogar vermessen mich zu einer antwort, oder einer lösung zwingen zu wollen. vielleicht ist die ungewissheit etwas, das ich aus gutem grund (noch) nicht wissen soll. und dann bleibt mir nur eins: es anzunehmen wie es ist.

es anzunehmen wie es ist, hat etwas mit demut zu tun. ein wort, dass viele von uns nicht mögen, weil sie glauben es hat mit unterwürfigkeit zu tun, mit macht abgeben an etwas, an jemanden. das wollen wir alle nicht so gern, unsere macht abgegeben. macht worüber eigentlich?

demut ist für mich etwas anderes. demut hat etwas mit dem wort mut zu tun - de müt ig ... das steckt da drin, das wort mut.

es ist mutig, die dinge einfach sein zu lassen, sie zu begreifen, als etwas, das einen sinn hat, auch wenn er sich mir noch nicht erschließt. demut ist auch: loslassen. das ist für mich demut - dinge anzunehmen, ohne die gewissheit, warum sie so sind, wie sie sind. eine art einverstandensein mit dem was ist, mit mir, meiner entwicklung, als teil eines größeren ganzen.

ungewissheit birgt ein wissen in sich, dass sich mir zum gegenwärtigen zeitpunkt nicht erschließt, mich überfordert, vielleicht sogar erschrecken würde. ungewissheit ist nur solange ein quälendes gefühl, wie ich nicht begreife, dass sie mich gar nicht quälen will, sondern vielleicht weich machen und bereit zur vertrauensvollen erwartung von etwas, das kommt. zu seiner zeit. also besser ist, ich versuche nichts zu erzwingen, was sich nicht zwingen lässt.

das universum lässt kein vakuum zu, daran glaube ich.

also lasse ich manches mal im ungewissen. alles andere führt zu verwirrung und disharmonie. ich, die so gern die kontrolle hat, nehme es hin und warte nicht mehr auf bestätigungen von außen, sondern auf die bestätigung in mir selbst. egal wie lange es dauert. das entspannt.

Samstag, 9. April 2011

Gedankensplitter 19


Verletzungen heilen nicht, indem man sie sich bewusst macht. 
Wie ein Computerprogramm, das auf der Festplatte gespeichert ist sitzen sie in unseren Gehirnen, schieben wir sie in den Papierkorb, sind sie dennoch da.

Erfahrungen sind nicht löschbar, die Erinnerung an sie sitzt fest verankert im Limbischen System unseres Gehirns. Fremdgesteuert versuchen wir durch immer neue Wiederholungen das Erfahrene wieder zu erleben in der Hoffnung auf einen besseren Verlauf und auf ein gutes Ende.

Wir sind nicht frei, solange wir nicht frei sind vom ersten Menschen, der uns verletzt hat.

Freiheit ist eine Illusion, wie der Glaube, der Mensch sei veränderbar.


Freitag, 8. April 2011

GRENZ verletzungen

im leben wie in der kunst geht es darum dem inhalt die form zu geben. eine ideale form. das ist suchen, kreieren, das ist arbeit, schwerstarbeit.

eine form suchen, in der sein kann was sein soll und uns wichtig erscheint. radikalität zerstört jedes werk. auch lebenswerk.

ich suche und vielleicht ist genau das mein motor, das, was mich trotz aller traurigkeit am leben gehalten hat ... wie lange noch? und diese suche bedeutet eben NICHT anzukommen, noch nicht, irgendwann möglicherweise.

ist das so wichtig, anzukommen, oder meine ich es nur wichtig, weil alle es so denken und meinen und danach handeln. diesen platz bei einem anderen. das wollen doch alle. wollen wir es oder wollen wir es wollen, weil es uns so eingetrichtert wurde. ich weiß es nicht.

ich weiß nur - ich brauche meinen raum, der mit abgrenzung zu tun hat, raum für meine gedanken, meine kunst und meine einsamkeit, ja auch die. weil sie wertvoll ist, weil sie meins ist unteilbar. ein du kannst sie mir nicht nehmen und ein du soll es auch nicht. keiner macht den anderen glücklich. und auch diese erwartung und auch eine solche forderung ist hochmut, ist eitel, ist ein funktionalisieren eines anderen für das eigene. ungut.

freiheit ist das denken, das fühlen, das unteilbare, das gehört jedem von uns allein. und das ist gut so. denn auch etwas, was sich für uns ungut anfühlen mag, hat gutes und wenn es nur das erkennen ist - jeder gehört sich allein.

alle verletzungen entstehen aus grenzverletzungen.

wir sollten den mut aufbringen einander unsere grenzen zu zeigen, auch wenn das bedeutet, dass wir die grenzen zueinander nicht überwinden können. das ist wahrheit. auch das ...

Elsa

Elsa schiebt die schweren Vorhänge zur Seite. Sie macht das Fenster auf. Ein blasser Sonnenstreifen legt sich auf die Fensterbank. Sie sieht ihm dabei zu, wie er eine weiße Linie über den abgetretenen braunen Teppichboden zieht. Nach Tagen scheint endlich wieder die Sonne. Über eine Woche hat es in Strömen geregnet. Wenn es regnet verlässt Elsa die Wohnung nicht mehr.
 
Ihr Blick fällt auf den Kalender. Dienstag. Dienstag ist Markttag. Um die Zeit, wenn Elsa zum Park geht räumen die Marktleute ihre Stände weg, packen die übrig gebliebene Ware in die Lieferwägen. Elsa hebt auf, was noch essbar ist. 

Wenn es nicht regnet geht sie jeden Tag in den Park. Elsa frühstückt räumt auf was aufzuräumen ist. Die Wohnung ist klein. Sie braucht trotzdem lang. Alles fällt schwerer in letzter Zeit, auch das bisschen aufräumen. Gegen Mittag zieht sie den Mantel über und legt das kleine karierte Kissen in die Einkaufstasche. 

Vor der Haustür bleibt sie stehen und atmet die feuchte Luft ein. Sie riecht klar und sauber. Elsa geht am Teich vorbei zum Spielplatz. Sie legt das Kissen auf die Bank, die gegenüber dem Sandkasten steht, setzt sich. Sie sieht den Kindern beim Spielen zu. Mit ihren bunten Schaufeln schütten sie Sand in bunte Formen, beim Umdrehen und kippen kleine Sandkuchen auf die Umrandung. Es dauert nicht lange und sie hauen sie mit der Schaufel kaputt. Elisa will auch etwas kaputt hauen. Sie weiß nicht was.

Zwei Jungen graben Tunnel in den Sand, ziehen schmale Strassen und fahren mit ihren Baggern und Lastwägen aus Plastik darauf herum. Brumm, brumm und wieder von vorn, brumm, brumm.

Der Spielplatz ihr Elsas zweites Zuhause. Hier ist es gut. Sie ist allein ist, Fühlt sich nicht allein, weil da die Kinder sind. Sie hat ihren Sohn allein groß gezogen. Der Vater ging fort, bevor Martin geboren wurde. Als ihr Bauch immer dicker wurde hat er sich eine andere gesucht. Er hat gesagt, dass ihm der Bauch Angst macht und dass er das nicht kann, ein Vater werden oder einer zu sein. Er sprach von seiner Freiheit. Sie ließ ihn frei. 

Als Martin auf der Welt war, war alles gut. Martin war nie schwierig, als hätte er gespürt, dass es alles nur verkompliziert hätte. Sie verbrachte jede freie Minute mit ihm. Das war so, bis er seinen Hauptschulabschluss machte. In der Lehre war er dann schnell selbstständig geworden. Elsa vertraute ihm und ließ ihn seine eigenen Entscheidungen treffen. Martin hat sie nie enttäuscht.

Mit neunzehn hat er Maja getroffen. Zwei Jahre später ist er mit ihr und den beiden Kindern nach Australien gezogen. Es geht ihnen gut. Elsa war nie in Australien. Man hat die Kinder nur geliehen. Das hatte sie einmal in einem Buch gelesen und es sich zu Herzen genommen.

Im Sandkasten streiten sich die beiden Jungen um einen Bagger. Der eine hält mit verkrampften Händen die Räder fest, der andere zieht am Führerhaus. Sie kreischen und heulen. Eine Mutter schreit, sie sollen sofort aufhören, sonst sei Schluss mit Spielen. Der kleinere Junge lässt los, rennt zu seiner Mutter und klettert auf ihren Schoß. Die Mutter wischt ihm mit einen Tuch über das verheulte Gesicht und drückt ihm eine Brezel in die Hand. Elsa hat Martin immer getröstet, wenn er traurig war oder sich wehgetan hatte. Sie hat ihn in die Arme genommen und ihn gehalten bis er sich beruhigt hat. Sie findet es schade, dass sie sich nicht um ihre Enkel kümmern kann. Sie ist froh, dass es allen gut geht und dass sie gesund sind. Gesundheit ist das Wichtigste. Das Schlimmste ist Krankheit. 

Der Arzt sagt, der Tumor in ihrem Kopf wird sie umbringen, das sie noch mehr Schmerzen bekommen wird, am Ende blind wird. Sie hat das Krankenhaus auf eigene Verantwortung verlassen. Sie will die Zeit, die ihr noch bleibt, zu Hause sein. Gegen die Schmerzen nimmt sie Tabletten. Der Gedanke an das Sterben macht ihr keine Angst, nur im Krankenhaus will sie nicht sterben.

Elsa weiß nicht, wie sie es Martin sagen soll. Sie muss es ihm sagen. Es nicht sagen geht nicht. Er wird sich wundern wenn die Briefe ausbleiben und die Päckchen mit den Geschenken für die Kinder. Sie hat alles geregelt. Ihr Testament liegt beim Notar, das Grab auf dem Friedhof ist bezahlt. 

Elsa fröstelt. Der Spielplatz ist fast leer. Ein kleines Mädchen sitzt noch auf der Schaukel. Ein kräftiger Junge stößt es lustlos an. Der Himmel hat sich zugezogen. Es wird wieder regnen. Elsa sieht auf ihre Armbanduhr. Zeit nach Hause zu gehen und das Abendessen zuzubereiten. Sie isst an dem kleinen Tisch, der vor dem Sofa steht und sieht dabei fern. 

Elsa spürt die Müdigkeit als sie durch die Straßen geht. Eine bleischwere Müdigkeit, die bleibt, auch nach dem Schlaf. Die Straßenlaternen tauchten die Häuser in ein diffuses Licht. Elsa mag die Dämmerung nicht. Heute hat sie die Dämmerung überrascht. Sonst geht sie heim, wenn es noch hell ist. Dämmerung hat etwas von Abschied. Wieder ein Tag der geht. Elsa mag keine Abschiede. Das ist so seit sie ein Kind war, nur dass sie damals noch keinen Namen für das Gefühl hatte, das sich in ihr ausbreitete wie ein dunkles Loch. 

Als Martin neun Jahre alt war hat sie den Mann kennen gelernt. Er war Maler und jünger als sie. Einmal hat er sie malen wollen. Elsa wollte keine Momentaufnahme ihres Gesichts. Er hat sie überredet es doch zu wollen. Das Bild hängt im Wohnzimmer über dem Sofa. Elsa jung und schön. Fremde Elsa. Fremd und schön wie der Mann, der sie verlassen hat, weil Martin ihn nicht mochte. Martin hasste den Mann und dann hasste der Mann Martin und dann hasste er Elsa, weil sie daran nichts ändern konnte. Sie hat den Mann nicht vergessen. Vielleicht weil sie immer nachdem sie miteinander geschlafen hatten weinen musste. Der Mann hatte sie gefragt, warum sie nach so etwas Schönem weint. Es sei wegen der Vergänglichkeit, hatte sie geantwortet.

Nachdem er fort war gab es keinen Mann mehr. Ihre Freundin Thea warf ihr einmal vor, dass sie eine Trotzhaltung der Liebe gegenüber eingenommen habe und dass das ungesund sei. Thea ist tot. Es gibt niemand mehr, der Elsa etwas vorwerfen kann. 

Seitdem schreibt sie in ein Tagebuch. Es gefällt ihr, wenn die schwarze Tinte aus dem Füllfederhalter Buchstabe für Buchstabe auf das weiße Blatt malt. Es fühlt sich an, als ob ihr jemand beim Leben zuschaut.

Elsa holt den Schlüssel aus der Handtasche. Im Hausflur riecht es nach Bohnerwachs. Schwerfällig schleppt sie sich die drei Treppen zur Wohnung hoch, schließt die Tür auf und schaltet das Flurlicht an. Sie zieht die Stiefel aus und stellt sie auf die kleine Fußmatte mit der Sonnenblume in der Mitte. Elsa mag Sonnenblumen. Der Mann hat ihr Sonnenblumen geschenkt, all die Sommer, die er da war. Langsam öffnet sie die Knöpfe des grauen Wollmantels und hängt ihn an die Garderobe. In der Küche dreht sie den Thermostat der Heizung hoch. Tagsüber dreht Elsa die Heizung runter um Geld zu sparen.

Auf dem Herd steht die Hühnersuppe vom Vortag. Sie schaltet den Herd an, holt Brot aus dem Kasten und schneidet eine Scheibe ab. Sie nimmt einen Teller aus dem Küchenschrank und einen Löffel aus der Schublade. Der Druck in ihrem Kopf tut weh. Später wird sie die Tabletten nehmen. Sie setzt sich an den Küchentisch und wartet, dass die Suppe heiß wird. 

Auf dem Küchenregal steht das Foto von Martin. Elsa steht auf, nimmt es herunter, küsst es mitten auf den strahlenden Mund. Das Telefon klingelt. Elsa geht in den Flur und hebt den Hörer ab. Die Stimme ist leise, sie kann erst gar nicht verstehen, wer am anderen Ende der Leitung ist. Hallo? Mama? Mama, geht es Dir gut? Aber ja, ja es geht mir gut, Martin. Sie spricht ganz laut, damit er sie hören kann. Australien ist weit. Wie geht es Dir, Junge? Uns geht es gut. Mama. Ich habe letzte Nacht von Dir geträumt, es war kein guter Traum. Geht es Dir wirklich gut? Aber sicher, mach Dir keine Sorgen, Junge. 

Es ist der Moment wo sie es ihm sagen könnte. Sie kann es nicht, kann nicht sagen, dass sie sich wünscht, ihn zu sehen, bevor. Dann ist es gut Mama. Ich habe mir Sorgen gemacht, es war so ein seltsames Gefühl, Du weißt schon, so eine Ahnung. Du hast Dich geirrt, es ist alles in Ordnung. Es ist gut. Dann bin ich beruhigt, Mama. Ich soll Dich von Maja grüßen und von den Kindern. Ja, grüß sie auch schön von mir und passt auf Euch auf! 

Eine Weile ist es still. Mama, ich liebe Dich. Ich liebe Dich auch, mein Junge. Elsa legt den Hörer auf und geht in die Küche. Sie schaltet den Herd ab und legt die Brotscheibe zurück in den Brotkasten. Sie geht ins Schlafzimmer und holt den Koffer vom Schrank. Mit einem Schwung wirft sie ihn aufs Bett. Die Staubflocken fliegen herum wie kleine Vögel und tanzen. Elsa lächelt und beginnt zu packen. Morgen früh wird sie zur Bank gehen und ihr Erspartes abheben, sie wird in ein Reisebüro gehen und sich ein Ticket kaufen. One way. Dann tut es im Kopf einen Schlag.

Donnerstag, 7. April 2011

VER änderng

einsichten sind prozesshafte dinge, die alle zu ihrer zeit kommen.
wenn es zeit ist, nicht vorher.

wir wünschen uns alles mögliche gleich, möglichst schnell und in dem moment, wo wir denken - jetzt muss es so sein.

aber das leben sucht sich die zeit aus.
sie ist abhängig davon, ob der mensch BEREIT ist.

wenn wir bereit sind, geschieht das, was wir brauchen, weil wir es dann zulassen können.

der gedanke " ja, so ist es" ändert zunächst nichts an dem was ist.
er schafft bestenfalls die eine EIN sicht, ein verstehen, aber keine veränderung.


veränderung ist ein prozess, der über das empfinden geschieht.
wir verändern eine haltung, ein leben nur dann, wenn wir etwas sicher als veränderungswürdig empfinden, fühlen, dass wir es tun MÜSSEN, weil wir nicht anders handeln können.

dann sind h e r z und d e n k e n eins.

kognitionen führen niemals zur veränderung.
nur ein verändertes neues verhalten schafft veränderung.
dies ist abhängig von gefühlen.


"ich fühle es genauso"
dann erst mache ich es so.

wenn wir uns im stau des denkens befinden, können wir nicht handeln.
die sicherheit rechten handelns kommt aus der seele.
sie ist der ort, wo unser tiefes inneres wissen seinen platz hat.


ist da dieses tiefe innere wissen, stellt sich nicht mehr die frage, nach dem warum, dem für und wieder.
da ist sie, die wahrheit, ganz plötzlich.
und doch nicht plötzlich.
sie ist gewachsen, um plötzlich hervorzukommen.
dann w i s s e n wir und entscheiden.

Mittwoch, 6. April 2011

SPIEL en

spielen
wie ein kind
mit der zeit
verloren in zehn millionen möglichkeiten

wie ein kind
das nicht überlegt
was geschieht
wenn es die zeit vergisst
über seinem spiel

spielen
in mich versunken
meinem bedürfnis folgend

zu spät bemerke ich das dunkel
erschrecke
den weg nach hause mit dem gefühl der angst gehen

angst
mein zuhause nicht zu finden
im dunkeln

habe doch nur gespielt
verstehe nicht
warum die welt auf einmal so dunkel ist
mein spiel beendet

die zehn millionen möglichkeiten
verschluckt von der nacht

Dienstag, 5. April 2011

Ge BURTs Tag

5. April 2011

vor mir liegt ein neues lebensjahr. ich habe geburtstag. vor mir, neben der kaffeetasse liegt die zigarettenschachtel. draussen scheint eine warme aprilsonne. ich nehme einen schluck kaffee, zünde die erste zigarette des tages an und sage mir, wenn du noch ein bisschen leben willst, solltest du mit der raucherei endlich aufhören und weiß, dass ich es nicht schaffe. also rauche ich ohne schlechtes gewissen. wenn ich mit schlechten gewissen rauche ist es noch ungesünder.

ich bin allein. der erste, der mir alles liebe gewünscht hat für diesen tag war mein sohn. punkt zwölf in der nacht hat er seine mum angerufen. er ist immer der erste, der mir gratuliert, mein lieblingsmensch. na, mum, wie fühlt es sich an so alt zu werden? ich sehe das grinsen in seinem schönen gesicht vor meinen augen auch ohne ihn zu sehen. ich antworte, es fühlt sich nicht so gut an, weil ich jetzt langsam alt werde in meinem alter. er sagt, man sieht dir das alter nicht an und dass ich immer noch hübsch bin. er sagt, dass er seinen freunden fotos von mir gezeigt hat und dass alle sagen, er sieht mir ähnlich. das ist gut, sagt mein sohn und ich bin glücklich, weil ich meiner mutter niemals ähnlich sehen wollte und er es will und das ist ein zeichen, dass er uns beide lieb hat. für mich ist es das. ich bin glücklich eingeschlafen.

jetzt sitze ich am fenster an diesem geburtstagsmorgen, blicke auf die grünen blätter der platanen vor meinen fenster und ziehe resume. nur kurz, es braucht nicht viel zeit, weil ich das oft mache und wie so oft kommt nicht viel mehr dabei heraus als oft. ich habe gelebt. intensiv, viel erlebt. dinge, die ich erleben wollte und dinge, die ich keinem zu erleben wünsche und ich habe sie überlebt. auch das. wenn ich heute meinen abschied nehmen müsste von diesem leben wäre es in ordnung. es war gut und es war schwer, ich habe geliebt. einmal geliebt, tief und leidenschaftlich geliebt. wer kann das schon von sich sagen? es gab und gibt menschen, die ich lieben darf und die mich lieben. das ist viel, sehr viel. das ist das wesentliche. der himmel meint es gut mit mir, denke ich, während sich eine graue wolke über die sonne schiebt.

genauso ist es mein leben. wie diese sonne und diese wolke. hell und dunkel, von einem moment zum anderen ist alles möglich, immer in bewegung, immer in veränderung.

und so werde ich weiter leben inmitten der pole, mal so, mal so und ich weiß, es ist gut wie es ist, auch wenn ich es gern anders gehabt hätte - manchmal.

Montag, 4. April 2011

die liebe

die liebe zweifelt nicht
die liebe sagt ja

die liebe denkt nicht
die liebe fühlt

die liebe fürchtet sich nicht
sie ist mutig

die liebe überlegt nicht
die liebe handelt

die liebe verleugnet nicht
die liebe bekennt

die liebe wägt nicht ab
die liebe entscheidet

die liebe betrügt nicht
die liebe ist treu

die liebe sehnt sich nicht
die liebe vertraut

die liebe hofft nicht
die liebe weiß

die liebe verliert nicht
die liebe gewinnt

die liebe tötet nicht
die liebe lebt

die liebe die ich meine
ist nicht

morgen

himmel abendrot
spricht von nacht
blauer mond hinter blauen hügeln
von sehnsucht getränkt
gießt kühles licht über mich

liegen auf dunkler erde
der stille des grundes lauschend

wärme
geborgen in der eigenen nacktheit
mein körper
der ist
fühlt
nicht wünscht
nicht erwartet

eins mit dem schlaf der nachtigall
der sich zu dem meinen legt

schlaf
der mich in sicherheit wiegt
vor den gedanken an vergangenes

auch das bin ich
auch das trage ich in mir
bruchstücke meiner selbst

abschied vom vergangenen
das ich nicht mehr einlade in den morgen
der kommt
um mich zu begleiten in die gegenwart

aufstehen
weiter gehen
leben suchen
eins
das meins ist

Sonntag, 3. April 2011

nichts ist sinnlos

wieder ein sonntag vorbei und ich frage mich was ich sinnvolles gemacht habe an diesem sonntag. auch wenn der herr meint, am siebten tage sollst du ruhen, ich schaff das nicht. ich bin unruhig, immer was am machen, am besten was sinnvolles, denn unsinn ist nicht meins, auch wenn ich gern lache, aber das ist etwas anderes.

was ich gemacht habe? geschrieben, meine neuesten bilder fotografiert und mir sorgen gemacht um meinen sohn, der weit weg von mir lebt und krank ist und nicht will, dass ich zu ihm komme und ihn pflege, weil erwachsen ist und sich und mir beweisen muss, dass er es ist. das denken an ihn hat mich bedrückt und es tut es immer noch. es ist schlimm für eine mutter, wenn ein sohn krank ist und sie nicht brauchen will. das schlimmste ist, wenn den kindern gefahr droht. aber auch das muss ich aushalten, weil alles ein aushalten ist und dazwischen ist das kleine augenblicksglück, von dem so oft spreche und an das ich glaube und dass ich lebe.

ich bin allein. eigentlich bin ich das die meiste zeit. ich habe mich irgendwann entschieden nur noch im kontex auszugehen, wenn ich den leuten vorlese, oder eine kunstaustellung eröffne oder anschaue, um dann darüber zu schreiben. oder wenn einer, der mich interessiert, mit mir ausgehen will, dann mach ich das auch, ist aber eher selten, weil mich nur noch wenige menschen interessieren. das liegt daran, dass ich weiß, dass sich alle nur für sich selbst interessieren und ich bin auch nicht anders. ich interessiere mich für mich selbst, weil ich die einzige bin der ich vertrauen kann. ich habe das vertrauen verloren in die menschen, zumindest in die, die ich kennen gelernt habe, in den fünfzig jahren in denen ich bis jetzt leben darf.

irgendwie lief alles irgendwann schief. aus der liebe wurde nichtliebe und am ende gleichgültigkeit. nur einen gibt es noch, der mir nicht gleichgültig ist, ausser meinem sohn und wenn da zwei sind ist das schon viel.

ich sitze also beim essen, das ich mir jeden abend zubereite, weil ich junk food und dosenfraß hasse und eigentlich habe ich es gestern für zwei vorgekocht, in der hoffnung, dass der, der mir sagt, er liebt mich, es mit mir teilt an diesem sonntag abend. hat er nicht. er hat gründe. seine gründe, gründe die ihm als grund dienen und ihn nicht daran hindern weiter von liebe zu sprechen auch wenn er nicht da ist, jetzt wo ich ihn gern da hätte bei mir, weil ich angst habe um meinen sohn, der krank ist und weil ich mir immer noch wünsche gehalten zu werden, wo ich mich doch selbst nicht halten kann und ich weiß, dass man das von keinem verlangen kann, das muss ich alleine tun, wie es immer getan habe - trotzdem - mich selber halten.

trotzdem. irgendwie ist das mein lebensmotor seit ich ein kind bin. ich lebe trotzdem, weil ich mir nicht einreden lasse, von keinem, das leben sinnlos ist. die die das sagen, das sind die, die nicht einmal eine alternative zum sinnlosen zu bieten haben und wenn die mir das erzählen, dann denke ich immer, wenn du dein leben als sinnlos empfindest, dann mach dich doch tot, du hast die wahl, aber irgendwie machen die das dann doch nicht, weil sie auch dazu zu feige sind oder weil das dann einen sinn haben könnte, nämlich den, den unsinn zu beenden.

die leute reden viel und ich höre nur noch das, was mich wirklich interessiert und ich beschäftige mich nur noch mit dem, was mich weiter bringt im kopf und im herzen.

manche glauben ich sei einsam. ich bin einsam und bin es gern, ich bin gern mit mir zusammen, weil ich mir zuhöre, weil ich das, was in mir ist nach aussen bringen muss, ausdrücken in worten und wenn die nicht mehr reichen um mich auszudrücken male ich bilder. ob die jemand gefallen ist mir ziemlich egal, ich mache sie für mich, aber ich freue mich, wenn sie mit einem anderen, der sie anschaut etwas machen.

ich habe mich zurückgezogen in meine eigene welt. die realität die kann mich mal, weil die, wie sie ist, nicht meins ist. die welt ist mir zu laut geworden und zu kalt auch wenn die sonne scheint. ich bin nicht allein in meiner einsamkeit, weil ich kommuniziere, hier in facebook am liebsten, mit vielen menschen. ich spüre, vielen von ihnen geht es ähnlich wie mir, die wollen gar nicht mehr so viel mit dem da draussen zu tun haben, denen ist es auch zu laut und zu kalt und die liebe ist längst eine illusion, die abnutzungserscheinungen hat, weil die menschen nur noch "haben" wollen, immer mehr und die, die nichts mehr haben, wollen es wieder haben, das mehr, all die dinge die kein mensch braucht, oder wer braucht neue klamotten, wenn er genug hat.

armut macht nicht demütig. sie macht müde. mit den müden habe ich mitgefühl,mit denen, die nichts mehr haben und nichts mehr haben wollen, ausser sich selbst, aber auch das nimmt man ihnen, indem man ihnen ihre würde nimmt.

das tut mir alles weh, das betrübt mein herz und an das gute glaube ich nicht mehr, aber ich glaube an güte und an die, die gütig sind, davon gibt es noch ein paar und das tröstet mich.

ich liebe das leben trotz allem. ich liebe jeden neuen tag, der mir das beweist und dafür braucht der gar nicht viel zu tun, ausser es hell werde zu lassen und mir meinen ersten kaffee mit viel milch zu schenken und die kippe dazu und mein gesicht im spiegel, das mir gott geschenkt hat und das mir gefällt, meinen laptop, in den ich schreibe ,was ich fühle, denn allein darauf kommt es an, dass ich mache, was ich fühle und liebe was ich tue und das fühlt sich gut an.

und während ich das schreibe klingelt mein handy und mein sohn ist dran und sagt:"mum, komm, ich brauche dich!"

nein, nichts ist sinnlos.


Samstag, 2. April 2011

KIPP FIGUR


Das Leben ist eine Kippfigur, sagt Henry. Ich spüre das Kippen schon lange deutlich. Die Angst vor dem Kippen, gehört sie dazu, frage ich ihn. In seiner ruhigen Art zu reden antwortet er mir. Es ist wie es ist. Das Kippen gehört dazu. Einmal bist du oben und ein anderes Mal unten. Jetzt gerade bist du unten. Die Angst ist eine Illusion.
 
Wie geht nicht weinen? Frage ich zurück mit Tränen in den Augen, Tränen, die ich weine, ohne sie kontrollieren zu können, immer öfter. Henry zeigt Mitgefühl, nicht hörbar, kaum spürbar. Er will nicht, dass ich ihm leid tue. Sag mir, wie geht das? Nicht schreien, nicht verzweifeln, nicht ausrasten, nicht aufgeben, nicht sich selbst zerreißen, wenn innen alles längst gerissen ist. Wie geht weitermachen und jeden Tag leben, so tun als sei die Welt in Ordnung, wenn sie es nicht ist, schon lange nicht mehr und bald gar nicht mehr. Wie geht leben, wenn die Angst mächtiger ist als alles andere, wenn die unmittelbare Zukunft eine festgelegte Größe ist, wenn du weißt, dass war das Ende des Kippens, dann ist da das Fallen, der Aufschlag auf den Du gewartet hast, den du gefürchtet hast und dann wieder herbeigewünscht, weil das Ungewisse dann endlich Gewissheit ist. Auch nicht besser, ich weiß es jetzt. 

Und jetzt? frage ich Henry. Was machen wir jetzt. Müssen wir weiter machen? Müssen wir es oder wollen wir es? Und wenn wir es wollen dann weil wir Menschen sind und weil wir hoffen, weil der Mensch immer hofft - auf Besseres, wenn das Gute außer Sicht ist und das Schöne längst verloren. Machen wir uns etwas vor oder machen wir weiter auch wenn wir uns im Zweifel etwas vormachen, weil weiter machen noch irgendeine Chance bedeutet, Hoffnung eben. Wenn sie nicht mehr ist sind wir nicht mehr.

Ist Aufgeben leichter? Oder feige, oder mutig, oder die letzte Option wenn nichts mehr geht, wenn nichts besser wird, wenn alles verloren ist. Wann ist alles verloren, wenn wir sterben oder wenn wir lebendig sind und uns wie tot fühlen. Kalt innen, eiskalt, erfroren, vereist, starr.

Die Starre ist längst eingetreten, sie umklammert mein Herz, verkrampft mir den Magen, sitzt wie ein kalter Knoten im Hals, macht schlucken schwer, atmen geht von alleine – wie lange noch? Was hält ein Mensch aus? Wie viel hält ein Mensch aus, wie viel von was und wie lange vom Vielen, zu viel von allem, zu lange schon und alles ungut und schmerzt. Wie geht Verstehen, wenn nichts verstanden wird, wenn Warum nicht die Frage ist, weil sie es nie ist, weil es keine Antworten gibt auf Warums, die keine Fragen erlauben und wir stellen sie doch, weil wir Fragende sind, Suchende, Sinn suchende. Auch wenn es keinen gibt, fragen wir nach dem Sinn des Sinnlosen.

Antwortlos bleibt uns dieses „alles hat einen Sinn“, weil wir nicht anders können, denn ohne Sinn ist es sinnlos und dann macht nichts mehr einen Sinn, dann ist Ende und wir sind verzweifelt und Verzweiflung ist der schlimmste Affekt – im Zweifel tödlich.

Henry weiß nichts von Verzweiflung, auch wenn er glaubt zu wissen. Seine Verzweiflung hat das Bodenlose nie erreicht, es ist Schmerz, den er für Verzweiflung hält. Ich sage ihm das nicht, weil er es nicht zulassen wird, wie er so vieles nicht zulässt, was sein Kopf nicht erlaubt.

Weiter gehen weil wir leben? Wir leben noch und solange wir leben ist alles gut, besser als nicht mehr leben, denn dann geht gar nichts mehr. Gar nichts mehr ist schlimmer als Etwas, auch ein Etwas von dem wir nichts wissen, außer, dass es ein Etwas ist und das ist immer noch besser als dieses Nichts. Nichts macht uns mehr Angst als das Nichts, weil das Nichts das Unbekannteste alles Unbekannten ist, das was wir am meisten fürchten.

Solange wir leben, fürchten wir es, so sehr, dass wir nicht daran denken, es verdrängen in die hinterste Ecke unserer Gedanken. Da wollen wir nicht hinschauen, dann lieber in das diffuse Etwas, das zumindest Rahmenbedingungen hat, in denen wir uns zurechtfinden, im Zweifel, weil alles besser ist als das absolute Nichts. Ist es das wirklich? 

Nachschlag gibt es nicht. Wiedergeburt ist für Träumer und Esoteriker, die noch mehr Angst haben als die, die sich mit dem Endlichen abfinden. Eins haben wir, ein Leben und sonst keins. Ich erinnere mich nicht an ein anderes, in dem ich eine andere war und doch ich. Die Idee von der ewigen Seele missfällt mir, weil sie vielleicht nichts anderes ist als ein Abfallprodukt unseres Egos, das glaubt dass da mehr sein muss, als Gedanken und Gefühle, Körper und Geist, weil wir Menschen sind und uns für die klügeren Tiere. 

Wer sagt, dass es wahr ist, das mit der Seele und ihrer Unsterblichkeit und nicht nur die Gier nach mehr als da ist? Es gibt kein Röntgenbild der Seele, keine sichtbare Darstellung – die Seele ist bloße Vermutung. Warum glauben wir an ihre Existenz, inniger als an die Existenz eines altmodisch gewordenen Gottes. Herr schütze uns und leite uns, sei unser Hirte. Wir sind das Schaf, das am Ende auf der Schlachtbank landet, mit deiner Führung. Geschlachtet werden wir alle – der Schlächter heißt Tod und er ist sicherer als das Leben. Gott weiß was er tut, trösten wir uns, wenn wir nicht mehr wissen was uns tröstet, wenn uns geschieht was nicht zu ertragen ist, wenn es keine Antworten gibt und wir das Warum fragen sein lassen um nach dem Wozu fragen – die letzte Krücke, die uns vor dem Kippen retten soll. Rettet uns irgendwas?
Nein ich rede nicht von der Kippfigur eines Wittgenstein, ich rede von der meinen und sie ist ein schwankendes etwas Mensch.

Das Leid zieht seine Berechtigung aus der Fähigkeit des Menschen es zu ertragen. Ertragen heißt dann Stärke. Stark sollen wir sein. 

Sei stark, sagt Henry, du bist stark. Ich sage, ich kann es nicht mehr hören, weil ich es nicht bin. Ich bin schwach und tue so als sei ich stark. Ich belüge die anderen und mich selbst und das ist das Schlimmste, weil ich mir selbst unglaubwürdig bin. Ich bin schwach, ich bin gefallen, längst schon – siehst du es nicht? Ich liege am Boden, aber ich tue so als würde ich stehen, weil mich keiner aufhebt, weil sie wissen wenn sie sich nach unten beugen fallen sie im Zweifel auch. Die Gefallenen liegen auf dem Schlachtfeld, es gibt nichts mehr zu tun, rette dein eigenes Leben. Auch Tiere haben Selbsterhaltungstrieb. Ich nehme es keinem übel.

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Dich selbst lieben, dann den Nächsten. Erst dich selbst sonst kannst du nicht lieben, den anderen nicht lieben. Wer sagt das? Von Anfang an wird uns gesagt. Wie sollen wir lernen zu hören auf das, was aus uns zu uns spricht? Fremdes wird Eigenes, bevor Eigenes werden kann. Das einzig Eigene ist das Unterscheiden und Unterschiedenes entscheiden.

Wer aus dem Rahmen fällt, fällt. 

Das Sinnhafte klebt am Orientierungssystem der Masse wie ranziges Fett. Masse sind wir nicht, Henry nicht und ich nicht. Henry gelingt es besser sich einzufügen. Wer aus dem System fällt trägt schwer am Verlust der Orientierung. Verlust heißt Verloren. Halten wir das aus - uns an nichts halten zu können? Stabilität versus Stabilität. Mut haben die Wenigsten. Rückgrat vermisse ich bei allen, die mir vertraut sind.
Kippen und Fallen. Oder Schwanken – vielleicht nur das, ohne zu kippen. Hin und her schwanken im eigenen Universum – wohin führt das? Das Leben ist keine sichere Größe. Wir schwanken immer. Mehr oder weniger beeinflusst von Umständen. 

Das Leben ist eine Kippfigur. Henry hat Recht, wie so oft hat er Recht mit dem was er sagt. und auch ich habe recht mit meiner Kippfigur und will mich nicht streiten. Henry liebt Stichpunkte. Kurze Sätze. Es gelingt ihm mit kurzen Sätzen das Ganze zu erfassen. Er braucht Klarheit. Die Frage des kleinen jüdischen Psychiaters, der nach Jahren in denen ich ihn nicht gesehen habe auf meiner Vernissage erschienen ist wie ein Geist aus der Vergangenheit, wer siegen soll, der Kopf oder das Herz, wählt Henry den Kopf. Ich wähle das Herz. Vielleicht weil ich eine Frau bin und Henry ein Mann. 

Meine Kippfigur - am Ende wird sie überlastig. Wir fallen mit Sicherheit, vermessen zu glauben wir könnten entscheiden wie, wann, wie tief, wie hart. Alle fallen auf ihre Weise. Der Tod macht uns alle zu gleich Gefallenen. Zwischenzeit Leben.

Gib mir einen Grund weiter zu machen, bitte ich Henry. Lebe für die Menschen, die dich lieben und die du magst und für deine Talente. Seinen Worten zu folgen bedeutet: Wir haben die Wahl. Haben wir die? Wahl bedingt Möglichkeiten – im Rahmen der Möglichkeiten wählen wir. Immer sind es Möglichkeiten. Ohne Möglichkeiten ist keine Wahl möglich. Wer bestimmt Möglichkeiten? 

Möglichkeiten sind Gegebenheiten. Wir wählen in Gegebenheiten. Wer gibt, wer nimmt? Was wird gegeben, was nehmen wir? Und wann sagen wir ja und wann nein? Ein Vielleicht bedeutet Stillstand. Wir haben die Wahl – immer. Schließt Stillstand kippen aus? Still kippen ist möglich. Mancher ist aus dem Stand umgefallen.

Nimm die Theatralik raus, sagt Henry und zündet sich eine Zigarette an. Ich sage Henry, dass ich ihn liebe. Er beklagt sich, dass ich das in letzter Zeit immer öfter sage und ich frage mich, warum ich es ihm sage und immer öfter und ich weiß es nicht. Ich liebe ihn nicht wie man einen Mann liebt, oder einen Sohn, oder einen Vater. Vielleicht muss ich einfach irgendeinem sagen, ich liebe dich um auszusprechen was ich nicht mehr fühlen kann. Du liebst niemanden, außer deinem Sohn, sagt Henry und bläst Zigarettenrauch in die Nacht.

Wir trinken Wein, Henry Roten und Weißen, weil es warm ist heute zum ersten Mal in diesem frühen Jahr. Wenn es warm ist trinke ich keinen Rotwein mehr. Ich fühle mich sicher an seiner Seite und trotzdem verloren, weil die Sicherheit eine trügerische ist. Sie ist eine Augenblickssicherheit, damit ist sie eine Illusion. Alles ist eine Illusion behauptet Henry. Ich weiß, dass es stimmt und trotzdem erlaube ich sie mir, weil wir das alle tun, weil die Illusion uns rettet, wenn wir die Wirklichkeit nicht aushalten oder nicht sehen wollen. Henry wendet sich Anna zu, meiner Anna, die mich begleitet seit einigen Jahren, die schön ist und klug, die ihre Sehnsucht nach sich selbst unter einem Zuviel an Gewicht verpackt, die da ist wenn ich sie brauche und immer weiß, was das Beste für mich ist. Henrys Abwenden lässt mich die aufkommende Kühle der Nacht deutlich spüren.