Samstag, 28. September 2024

Dich neu (er)finden

 

                                                                     Foto: pixybay

 
Etwas, was gewohnt und vertraut war ist zu Ende. Etwas was dir sehr wichtig war, etwas von dem du geglaubt hast, es ist eine tragende Säule deines Lebens, etwas, wovon du meintest, es gehört unabdingbar zu dir und zu deinem Leben ist unwiederbringlich vorbei, etwas in das du deine ganze Hoffnung gelegt hast, in das du Zeit, Liebe und Energie investiert hast – ein Projekt ein Traum, eine Beziehung, deine Arbeit. Und manchmal bricht sogar alles auf einmal oder kurz nacheinander weg, was vertraut war.
In diesem Moment fühlt es sich an, als würde dir der Boden unter den Füßen weggezogen. Deine Welt bricht zusammen. Du hast das Gefühl versagt zu haben. Du fragst dich, wie du jetzt weiter machen sollst und weit und breit ist keine Lösung in Sicht. In diesem Moment siehst du nur, was du verloren hast und bist nicht fähig zu sehen was du noch hast und unfähig zu ermessen, was du gewinnen wirst. Aber du wirst etwas gewinnen, auch wenn du es jetzt nicht glauben kannst. 
 
Wenn das Alte zusammenbricht heißt das, etwas hat sich überlebt. 
Eine Beziehung, die schon lange nicht mehr funktioniert hat, ein Job, den du schon lange nicht mehr machen wolltest, ein Ort, an dem du dich nicht wohl gefühlt hast und den du schon lange verlassen wolltest, eine Weltanschauung, die schon lange nicht mehr zu dem Menschen passte, der du in diesem Moment in der Zeit bist. Du hast es verleugnet, du hast dich selbst getäuscht um das, was ungut war, nicht verändern zu müssen. Du hast in deiner Komfortzone gelebt um etwas vor dir selbst zu leugnen, und dieses Etwas war: So wie es ist, ist es nicht richtig für mich. Ich bin nicht zufrieden und schon gar nicht glücklich.
 
Jetzt hast du keine Wahl: Du musst du dich der Veränderung stellen. Das bedeutet: Neu anzufangen. Dich neu (er)finden. Wieder mal. Und du hast keine Ahnung wie das gehen soll.
Du wirst vielleicht viele Abende alleine dasitzen. Du wirst lernen mit dir allein zu sein. Du wirst lernen die Zeit mit dir allein zu schätzen. Du wirst lernen dir Zeit zu geben um zu genesen und geduldig deine Wunden zu versorgen, die durch den Verlust entstanden sind.
Du wirst dich vielleicht einsam fühlen, elend und von aller Welt verlassen. Du wirst Angst bekommen, denn du allein bist es, die jetzt dafür sorgen muss, dass es weiter geht. Niemand wird dich retten, egal wie viel Unterstützung du hast, das ist jetzt dein Job.
Du wirst praktische Dinge regeln müssen, du wirst dir eine neue Struktur schaffen müssen, ein Zuhause, indem du dich wohl und geborgen fühlst, einen Ort des Friedens, von wo aus du deine neue Lebensrichtung finden und planen kannst. Du wirst Tage und Nächte der Verzweiflung, des Schmerzes, der Trauer, der Ohnmacht und des scheinbar nicht enden wollenden Kummers erleben. Du wirst Angst haben, es nicht zu schaffen, dein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen und neu zu beginnen. Du hast keine Ahnung wohin die Reise geht und akzeptierst, dass du keine Ahnung hast. Du bist dir in nichts sicher, die Zukunft ist eine unbekannte Größe und weil du das weißt, konzentrierst du dich auf das Jetzt. 
 
Als Erstes wirst du aussortieren.
Was dir dient, wirst du behalten und pflegen, was dir nicht mehr dient, wirst du sein lassen.
Du wirst allen Ballast abwerfen, der dich am Weitergehen hindert. Alte schädliche Glaubenssätze und blockierende innere Überzeugungen, Gewohnheiten und Menschen, die dir nicht guttun, Vorstellungen, die dich blockieren, Bedürfnisse, die sich nicht erfüllen lassen, auf die Art und Weise wie du es zuvor versucht hast. Alles was in deinem Leben längst abgestorben ist, alles, was nicht funktioniert hat, wirst du sein lassen. Wenn all das aussortiert ist, kann sich das verdammt leer anfühlen. Das musst du erst einmal aushalten. Ich weiß, das ist eine schwere Übung, aber sie wird dich stark machen, denn du wirst aushalten, mehr als du dir zugetraut hast. 
 
Du wirst dir Zeit geben müssen um zu trauern.
Zeit um zu genesen und Zeit um den Schaden, der entstanden ist, zu reparieren. Und dann beginnst du mit dem, was du noch hast. Von da aus, wo du jetzt bist. Im Jetzt.
Das bedeutet dich zunächst dem anzupassen wie es ist.
Den Ist-Zustand anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Tag für Tag. Nur für heute. Es bedeutet dir eine Vision zu erschaffen von dem Leben, das dich zufrieden macht, und nicht von einem Leben, von dem man dir beigebracht hat, wie es zu sein hat, damit es ein Leben ist oder von dem du glaubtest, es sei das einzig Richtige. Du wirst erkennen was deine Stärken und Ressourcen sind und sie dir bewusst machen um sie zu nutzen. Du wirst Dinge (wieder)finden und tun, die dich nähren und dir Energie geben. Und mehr davon machen. Du wirst lernen dich selbst an erste Stelle zu setzen, denn nur wenn du stabil und klar bist, kannst du für andere da sein. Du wirst Frieden mit der Vergangenheit schließen.
 
Jeden Tag auf Neue wirst du etwas tun, um zu genesen, so gut du es kannst, ohne dir Druck zu machen, ohne zu denken, das muss schnell gehen. Und wenn du einen Tag gar nichts schaffst, ist das auch okay. Ruh dich aus. Morgen ist auch noch ein Tag.
Wir beginnen zu genesen, wenn wir den Widerstand aufgeben, gegen das, was unveränderbar ist und wenn wir bereit sind die Fragen zu beantworten, die das Leben uns in diesem Moment unserer Reise stellt. Mit Widerstand meine ich auch all die Widerstände in dir selbst, die gegen dich selbst sind. Die hohen Erwartungen, die du an dich selbst stellst, die Gedanken, die du über dich selbst hast: Dieses Ewige: Ich bin nicht gut genug.
Du bist gut genug und du warst es schon immer!
 
Wenn dir das Leben etwas nimmt, heißt es nicht, dass es dich strafen will, es nimmt dir das, was du nicht mehr brauchst und gibt dir, was du brauchst, um aus deinem abgestorben Ich herauszukommen und dich zu dem Menschen werden zu lassen, der du sein willst. 
Wenn du das erkannt hast, wirst du neu beginnen und das, was dir wirklich entspricht, leben, erfüllen und Wirklichkeit werden lassen.
All dies erfordert Zeit, Geduld mit dir selbst, Mitgefühl mit dir selbst, Fürsorge für dich selbst, radikale Selbsterkenntnis, Bewusstheit, Klarheit und eine große Portion Mut.
Es bedeutet auch: Mit der Angst und trotz der Angst weiter zu gehen. Neugierig. Immer weiter gehen. In Bewegung bleiben und nicht aufgeben. Wer jetzt denkt: "Die hat gut reden, wenn das mal so einfach wäre." Ich stehe wie vielleicht du jetzt, genau an diesem Punkt. Ich muss mich neu erfinden und ich bin bereit dazu. 
 
"Often, when we say it is “too late” for us to begin something, what we are really saying is that we aren’t willing to be a beginner. But when we are willing to dip our toe in, even just a little, we are rewarded with a sense of youthful wonder. Never give in, never give in, never, never, never, never. 
 ~Julia Cameron, It's Never Too Late to Begin Again

Donnerstag, 26. September 2024

Aus der Praxis: Sichere Bindung

 



Wir Menschen brauchen sichere Bindung. Sichere Bindung ist existenziell für eine gesunde psychische und soziale Entwicklung. Wir brauchen sie um zu überleben.

Aber was bedeutet sichere Bindung?

Um es kurz zusammenzufassen: Eine sichere Bindung entsteht dann, wenn wir als Kind von unseren Bezugspersonen Liebe, Nähe, Fürsorge, Annahme, Vertrauen und Sicherheit erhalten, wenn wir erfahren und lernen, dass die eigenen Bedürfnisse gesehen und konstant wichtig genommen werden. Dann erfahren, erleben und verinnerlichen wir Bindung als konsistente und verlässliche Quelle von Sicherheit, Verlässlichkeit, Geborgenheit und Schutz. Wir lernen zu vertrauen: In andere Menschen, in Welt und in uns selbst.

Leider ist bei vielen von uns eine gesunde Bindungserfahrung in der Kindheit nicht gelungen, was schlicht und einfach daran liegt, dass auch unsere Bindungspersonen sichere Bindung nicht erfahren haben und somit nicht an uns weitergeben konnten. Sie haben das an uns weitergegeben, was sie selbst als Bindungserfahrung erlebt und verinnerlicht haben, es sei denn, sie haben an sich gearbeitet und ihre inneren Baustellen aufgeräumt.

Je ungesunder, instabiler und destruktiver unsere frühen Bindungserfahrungen waren, desto bindungsgestörter sind wir im späteren Leben. Darum ist es wichtig, besonders, wenn wir immer wieder in unheilsame Beziehungen geraten (dazu gehören co-abhängige oder emotional abhängige Beziehungen) uns unsere frühen Kindheitserfahrungen in Bezug auf Bindung sehr genau anzuschauen.

Eine einfache Frage ist: Wie sicher bist du heute als Erwachsener gebunden?

Das kann jeder, der mag, für sich selbst beantworten.

Die ehrliche Antwort wird bei vielen lauten: „Geht so“ oder „wenig sicher“ oder „gar nicht“. Und je mehr "geht so" und je mehr "wenig sicher", desto sicherer ist es, dass uns gesunde Beziehungen nicht gelingen und unser Beziehungsleben misslingt. Klingt logisch. Aber manchmal ist es genau das, was wir brauchen, um etwas zu begreifen und um aufzuwachen: Logik. Nicht umsonst hat uns der Herr Herz und Hirn gegeben. Hilfreich ist es in den meisten Fällen beides zu benutzen.

Solange wir uns unsere Bindungserfahrungen und die Muster, die wie daraus entwickeln und automatisch abspulen, nicht erforschen, wird sich nichts ändern. Wir werden weiter versuchen in unseren Beziehungen den anderen zu ändern, dem anderen den schwarzen Peter zuschieben, dem anderen die Verantwortung oder die Schuld geben, warum es nicht klappt, den anderen retten oder gar heilen wollen und vor lauter Bezogenheit auf den anderen, nicht bei uns selbst ankommen und die Beziehung, die wir zu uns selbst haben, nicht klar erkennen. Selbstkenntnis ist Arbeit. Das ist verdammt anstrengende Arbeit und sie kann dauern. Genau darum wird sie von vielen Menschen vermieden, auch wenn sie durchaus auf die Idee kommen, wenn ich immer wieder im Beziehungssumpf lande, könnte das irgendwie auch an mir liegen.

Jedes extreme Bezogenheit auf den anderen, vor allem auf einen anderen, der uns nicht gut tut, hat den sekundären Benefit, dass wir uns nicht auf uns selbst beziehen müssen. Jedes emotionale- oder co-abhängige Verhalten trägt dieses - hin zum anderen, um weg von mir selbst zu sein – in sich. Das geschieht meist unbewusst.

Achtung! Es geht nicht darum uns die Schuld zu geben, dass es mit der Beziehung nicht klappt, sondern es geht darum, die Verantwortung zu übernehmen und zu erkennen, dass es an uns selbst liegt, waru wir uns von bestimmten Menschen angezogen fühlen, wie wir Bindung inszenieren und warum wir das genau so tun, wie wir es tun, wieder und wieder - und, wie wir das ändern können.

Es gibt einen Weg: Wir dürfen lernen eine gesunde Beziehung mit uns selbst herzustellen. Damit sind wir wieder am Anfang: Die frühe misslungene Bindungserfahrung muss verstanden, bedauert, betrauert und integriert werden. 

Letzteres bedeutet: Es war wie es war. Was war ist ein Teil meines Ganzen. Ich akzeptiere es. Ich werde das, was nicht war, von niemanden jemals bekommen, denn die, die es mir hätten geben können, konnten es nicht und es macht keinen Sinn mir ein Leben lang Stellvertreter für sie zu suchen, die das wieder gut machen sollen. Jeder Stellvertreter – und genau das macht ihn oder sie aus - wird genau das in sich tragen, was meine Bindungspersonen in sich trugen – all die Eigenschaften und Charakterzüge, die mir schon damals nicht gut taten oder Schaden zufügten, die mich magisch anziehen, weil sie sich so nach Heimat anfühlen, auch wenn diese Heimat eine unselige war – hier kenne ich mich aus, das ist mir vertraut, mir, der kein Urvertrauen in Bindung erfahren durfte.  

Worum geht es jetzt?

Es geht jetzt darum zu mir selbst eine hinreichend gesunde Bindung aufzubauen, Vertrauen in mir selbst zu finden, es in mir, mit mir selbst besser zu machen, mich selbst zu ermächtigen und mir das zu geben, was ich mir so sehnsüchtig wünsche: Liebe, Nähe, Fürsorge, Annahme, Vertrauen und Sicherheit – in mir selbst, durch mich selbst. 

Und es geht darum mir Unterstützung zu holen, um es zu verwirklichen, denn alleine schaffen das nur sehr wenige.Wir brauchen auf diesem Weg einen Menschen, der ihn mit uns geht. Am besten einen, der diesen Weg selbst gegangen ist. Wenn du in den Sumpf geraten bist und nicht mehr rausfindest, brauchst du einen, der dich da rausholt und das kann nur einer sein, der den Sumpf kennt und herausgefunden hat.

„Aber es ist Schweres, was uns aufgetragen wurde, fast alles Ernste ist schwer, und alles ist ernst“, schreibt Reiner Maria Rilke in seinen Briefen an einen jungen Dichter. Ja, es ist schwer und es ist ernst, aber es ist möglich das Schwere zu wandeln mit allem Ernst, der ihm gebührt.  

 

Angelika Wende

 

 

Dienstag, 24. September 2024

Aus der Praxis: Anhedonie - wenn wir keine Freude mehr empfinden

 

                                                                 Foto:pixybay


"Die Mutter der Ausschweifung ist nicht die Freude, sondern die Freudlosigkeit", schrieb einst Friedrich Nietzsche, der selbst unter Freudlosigkeit gelitten hat.
Sich an nichts mehr freuen können, führt vielleicht zunächst zur Ausschweifung, wie Nietzsche postulierte, im weiteren Verlauf aber, macht es für das Leben taub.
„Ich kann mich an nichts mehr freuen. Auch Dinge die mir früher Spaß gemacht haben, interessieren mich nicht mehr. Ich habe auf nichts mehr Lust. Irgendwie fühlt sich alles so gedämpft an. Mich interessiert nichts mehr wirklich. Mit ist alles gleichgültig. Nichts gibt mir mehr das Gefühl von Befriedigung, geschweige denn Begeisterung. Ich bin abgestumpft. Ich ziehe mich mehr und mehr in mich selbst zurück. Alles was ich fühle, ist eine müde Langeweile und eine innere Leere.“
So beschreibt mein Klient seinen Gemütszustand.
Er ist gemütskrank, hätte man früher gesagt.
Er leidet unter Anhedonie, sagt man heute.
 
Leidet ein Mensch nicht an einer Depression, aber ihm fehlt die Lebensfreude, spricht man von Anhedonie.
Das Wort kommt aus dem griechischen und bedeutet: ohne Freude. Ohne Freude lebt es sich so dahin. Ohne Freude lebt es sich schwer. Ohne Freude ist das Leben schal, taub und lustlos.
Keine Lebensfreude mehr empfinden, kennen viele von uns. Meist aber klingen diese Anhedonie-Episoden nach ein paar Stunden oder Tagen ab wieder ab. Je länger dieser Zustand jedoch anhält oder sich chronifiziert, desto wahrscheinlicher wird es, dass wir in eine Depression gleiten, zugleich kann die Anhedonie auch ein Begleitsymptom der Depression sein.
 
In der Anhedonie ist die Empfindung von Freude, Lust oder Vergnügen dauerhaft eingeschränkt oder vollkommen aufgehoben. Es stellt sich Freudlosigkeit ein und zwar nicht durch das Auftreten negativer Emotionen, sondern durch die Abwesenheit positiver Emotionen. Diese Freudlosigkeit ist nicht mit Traurigkeit gleichzusetzen. Betroffene beschreiben sich selbst nicht als traurig, vielmehr erleben sie ihre Gefühle als gedämpft oder kaum noch vorhanden. Sie erkennen auch keinen Sinn mehr darin überhaupt noch nach freudigen Erlebnissen zu suchen.
Anhedonie gilt nicht als eigenständige Erkrankung, sie ist ein Symptom für andere psychische oder physische Erkrankungen. Man weiß, dass Betroffene Veränderungen im Gehirn aufweisen, insbesondere im Belohnungssystem, hier kommt es zur Dysregulation von Hormonen kommen, darunter Dopamin und GABA. Die Ursachen sind oft chronischer Stress, Krisen, Traumata, Verlusterfahrungen, Anpassungsstörungen, psychsiche udn mentale Erschöpfung und andere belastende Lebensereignisse, die nicht verarbeitet werden können.
Auch Alkoholismus, Drogenkonsum wie das Kiffen, bestimmte Medikamente, Schizophrenie, Psychosen und ADHS stehen mit einer Anhedonie im Zusammenhang. Auch gibt es Menschen, die von Natur aus anfälliger für Freudlosigkeit sind, dann ist die Anhedonie eine Charaktereigenschaft.
Man unterscheidet bei der Anhedonie zwischen sozialer und physischer Ausprägung. Bei der sozialen Ausprägung kann keine Freude aus sozialen Interaktionen gezogen werden. Bei der physischen Ausprägung wird keine Freude an körperlichen Reizen, wie z.B. Essen, Bewegung, Berührung oder Sex, empfunden.
 
Ein Leben ohne Freude ist schwer auszuhalten und alles andere als erfüllend. Eine länger anhaltende Anhedonie ist ein Alarmzeichen, das wir ernst nehmen müssen. 
Sie verschwindet nicht von allein. Sie muss behandelt werden. Primäres Ziel ist die Wiederherstellung positiver Empfindungen. Dafür müssen zunächst die Ursachen der Freudlosigkeit gefunden und bewältigt werden. Im zweiten Schritt werden Bewältigungsstrategien erlernt um einer weiteren anhedonischen Episode vorzubeugen.
Was können wir selbst tun, wenn uns die Freudlosigkeit packt, um nicht in eine Anhedonie zu gleiten?
Freude empfinden lässt sich üben, u.a indem wir unsere Achtsamkeit kulitvieren und unsere Aufmerksamkeit auf die positiven Momente des Alltags lenken, auch wenn sie noch so klein erscheinen mögen. Und indem wir herausfinden, was uns gut tut und mehr von dem machen, was uns gut tut.
 
 
Angelika Wende 

Freitag, 20. September 2024

Kollektives Trauma - was kann der Einzelne zur Bewältigung beitragen?

 

                                                        Foto: Pixybay
 
 
Kriege, Wetterkatastrophen und Pandemien sind Ereignisse, die ein kollektives Trauma auslösen. Definiert wird ein kollektives Trauma als ein Ereignis oder eine Reihe von Ereignissen, die das Sicherheitsgefühl einer oder mehrerer Gruppen von Menschen zerstört. Ein kollektives Trauma ist eine tiefe Erschütterung unseres Vertrauens in die Kontrollierbarkeit des Lebens. Ein Trauma bedeutet immer: maximalen Kontrollverlust. Auch wenn wir wissen, dass wir wenig Kontrolle über die Dinge haben, so nimmt das Trauma uns das Gefühl, sie zu überhaupt zu haben.
Ein kollektives Trauma hat individuelle Auswirkungen auf jeden Einzelnen in der Gemeinschaft. Es bedeutet Stress, Verunsicherung, Angst. Es führt zu Gefühlen von Kontrollverlust, Ohnmacht, Gefühlen der Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins, zu Ängsten, Grübeln, Schlafstörungen, erhöhter Wachsamkeit, Hypervigilianz, ständige innerer Unruhe, Scham – und Schuldgefühlen, und vor allen auch zu einer Veränderung wie Menschen die Welt sehen.
Das einst Vertraute ist erschüttert. Ein permanentes Gefühl von Verunsicherung, Orientierungslosigkeit und Haltlosigkeit kann sich einstellen. Die Erfahrung eines kollektiven Traumas zeigt uns, wie fragil die eigene Existenz ist. 
 
Wie nach jeder traumatischen Erfahrung kann es zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung kommen.
Folgen davon sind:
Angsterkrankungen, Zwangsstörungen, Depressionen, psychosomatische Störungen, körperliche Erkrankungen, Gefühl der Entfremdung, erhöhte Aggressivität, verringerte Impulskontrolle, Misstrauen, Desorientierung, sozialer Rückzug, Selbstisolation, Misstrauen anderen und dem Leben gegenüber, Angst vor weiteren Bedrohungen, Zukunftsangst.
Es kann zu Bewältigungsstrategien wie Alkohol- und Drogenmissbrauch kommen.
 
Die Auswirkungen eines kollektiven Traumas sind bei jedem von uns andere. Diese sind u.a. auch abhängig von der persönlichen Resilienz, dem eigenen Verhalten und dem Umgang mit dem traumatischen Ereignis im Moment des Geschehens und wie wir es empfunden haben, wie wir darauf reagiert und uns verhalten haben. Hier gilt der weise Satz von Dr. Gabor Maté: "Trauma ist nicht das, was mit dir passiert, sondern das, was in dir passiert."
"Ein Trauma ist eine psychische Wunde, die uns auf seelischer Ebene hart macht und in der Folge unsere Fähigkeit, zu wachsen und uns zu entwickeln, beeinträchtigt, konstatiert Dr. Gabor Maté weiter.
Ein kollektives Trauma hinterlässt eine unsichtbare kollektive Wunde. Diese Wunde wird über nachfolgende Generationen weitergegeben, wenn das Trauma nicht aufgearbeitet wird.
Aufarbeitung bedingt, das Trauma im kollektiven Kontext anzuerkennen und es aufzuarbeiten, anstatt es zu ignorieren, klein zu reden oder zu verdrängen. 
 
Was wenn das nicht geschieht?
Was können wir als Einzelne zur Traumabewältigung für das Ganze beitragen?
Als erstes den Satz: „Was kann ich schon tun?“, in unserem Denkapparat streichen. Jeder von uns kann etwas zur Bewältigung beitragen, indem er sich fragt, was die Auswirkungen des Traumas auf sich selbst sind. Wir können uns darüber klar werden, was das Ereignis mit uns gemacht hat.
Dazu gehört das Erforschen und Erkennen der eigenen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen, während und nach dem traumatischen Ereignis.
Dazu gehört zu erkennen, welche Folgen uns belasten, z.B. in welcher Weise wir uns und unser Leben, unsere Beziehungen und unseren Alltag verändert haben.
Die bewusste Auseinandersetzung hilft uns unsere Rektionen zu verstehen und sie einzuordnen – das ist die Voraussetzung um den Genesungsprozess in Gang zu setzen.
Es hilft mit anderen darüber zu reden, zuzuhören, sich einander mitfühlend zuzuwenden, Verbundenheit herzustellen, auszusprechen, was man denkt und fühlt, Erfahrungen auszutauschenund sich, wenn wir spüren, dass wir die Verarbeitung alleine nicht bewältigen können, oder andere nicht zu Gesprächen bereit sind, professionelle Unterstützung zu holen um mit den Folgen umgehen zu lernen, die das Trauma in uns ausgelöst hat.
 
Die Verarbeitung ist für jedes Trauma von entscheidender Bedeutung, um unsere psychische Widerstandsfähigkeit zu stärken und um Wachstum nach dem Trauma möglich zu machen. Das ist nur möglich, wenn wir in der Lage sind es zu integrieren. Nur ein integriertes Trauma kann zu dem führen, was wir postraumatisches Wachstum nennen.
Gelingt die Integration nicht, wird das kollektive Trauma mit seinen destruktiven Folgen aufrechterhalten. Es verändert nicht nur den Einzelnen in unheilsamer Weise, sondern das ganze Kollektiv und die, die nach uns kommen. 
 
An dieser Stelle möchte ich Euch, bei Interesse, dieses Buch empfehlen: Vom Mythos des Normalen: Wie unsere Gesellschaft uns krank macht und traumatisiert – Neue Wege zur Heilung von Dr. Gabor Maté
 
Angelika Wende

Donnerstag, 19. September 2024

Angst essen Seelen auf

 

                                                        Foto: Pixybay

Was ist geschehen?
Viele Menschen sind kaum noch fähig Gegensätzliches auszuhalten. Sie sind kaum noch fähig konträre Meinungen stehen zu lassen. Seit Corona gibt es eine starke Tendenz, dass eine offene Diskurskultur kaum noch gelingt.
Anstatt achtungsvolles Miteinander herrscht ein aggressives Gegeneinander.
Respekt, Verständnis, Toleranz, Mitgefühl, Güte und Nächstenliebe findet man immer weniger. Dafür immer mehr Ichbezogenheit, Aggression, Wut und emotionale Verrohung.
Wir leben in einem Milieu der Spaltung und der Trennung.
Was ist geschehen, dass Qualitäten wie Respekt, Mitgefühl, Friedfertigkeit und Achtung vor dem anderen immer mehr fehlen, ebenso wie Güte, Offenheit und Zugewandtheit?
Was ist geschehen, das sich immer mehr Menschen ins Eigene zurückziehen, sich von der Gesellschaft abwenden und Selbstisolation wählen?
Was ist geschehen, dass Beziehungen immer schwerer herzustellen und zu leben sind und immer mehr Menschen, egal welchen Alters, zunehmend vereinsamen?
Was ist geschehen, dass die Basis eines gelingenden sozialen Miteinanders mehr und mehr zerbröselt?
Was ist geschehen, dass ein friedliches Miteinander und Nebeneinander kaum mehr gelingt?
Mit dem Beginn der Coronapandemie und ihren Maßnahmen wurde ein Klima der Angst geschaffen.
 
Es wurde ein Klima der Spaltung und der Trennung geschaffen.
Es wurde die Erlaubnis geschaffen andere, die anderer Meinung sind, zu diskriminieren, zu attackieren, anzugreifen, zu beleidigen und zu demütigen und von der Gemeinschaft auszugrenzen.
Akzeptanz gegenüber anders Denkenden löste sich auf.
Es wurde ein Klima des Durcheinanders geschaffen. Aus dem Durcheinander wurde ein Gegeneinander, das bis heute geblieben ist.
Die Corona Jahre haben unser Miteinander gestört, verstört und nachhaltig zerstört. Freundschaften, Partnerschaften, Gemeinschaften, Familien haben sich entzweit und sind zerbrochen. Über drei Jahre fand eine schleichende Destruktion von ethischem Verhalten statt, das moralische Werte ihres Wertes und ihrer Bedeutung für ein mitfühlendes menschliches Miteinander, enthob. Wahrheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde verloren an Bedeutung und Gültigkeit.
Ein Milieu von Druck, Angst und Panik wurde zum Alltag.
Diese Angst wurde durch den Ausbruch des Krieges in der Ukraine weiter verstärkt.
Aus Frieden bewahren wollen wurde Kriegstreiberei.
Menschen, die sich gegen den Krieg aussprechen, werden diskriminiert. 
 
Seit vier Jahren herrscht Angst.
Seit vier Jahren dominiert die Angst.
Angst vor dem Virus, Angst krank zu werden, Angst zu sterben, Angst vor einem möglichen Weltkrieg, Angst vor Klimawandel, Angst die eigene Existenz zu verlieren, Angst die eigene Meinung zu sagen, Angst sich gegen den Mainstream zu stellen, Zukunftsangst.
Angst, Angst Angst.
Und kaum einer redet darüber.
Was in den Coronajahren mit jedem Einzelnen und kollektiv geschehen ist, wird verdrängt und totgeschwiegen. Eine Aufarbeitung findet nicht statt.
Angst ist die Wurzel und die Folge von Traumata.
 
Corona als kollektives Trauma hat die Angst in unser Leben gepflanzt. Wie eine Krebsgeschwulst metastasiert sie in der Psyche der Menschen und in der menschlichen Gemeinschaft.
Angst ist eine zerstörerische Emotion, je länger sie anhält, desto zerstörerischer ist ihre Wirkung. Angst führt zu Flucht, Starre oder Angriff. Angst schüchtert ein. Angst verhindert klares Denken. Angst führt zu Ohnmacht. Ohnmacht führt zu Frustration, Wut und Aggression.
Was also ist geschehen?
Die Angst ist in unser Leben eingezogen. Sie dominiert unser Fühlen, unser Denken, unser Verhalten und unser menschliches Miteinander.
Angst essen nicht nur Seelen auf.
Angst essen Mitgefühl, Güte, Wärme, Barmherzigkeit, Würde, Liebe und Nächstenliebe auf.
 
"You cannot get through a single day without having an impact on the world around you. What you do makes a difference, and you have to decide what kind of difference you want to make."
~Dr. Jane Goodall
 
Angelika Wende

Sonntag, 15. September 2024

Lebenswege




Ich weiß, dass es nicht einfach ist, seinen Träumen näher zu kommen, noch schwieriger ist es sie zu verwirklichen. Und manchmal lösen sich Träume in Wohlgefallen auf. Sie zerbrechen an der Realität, an äußeren und inneren Hindernissen, oder am Vergehen der Zeit. Es heißt, dass man die Zukunft verstehen kann, wenn man die Vergangenheit betrachtet. In der Tat ist es so, es besteht eine Verbindung zwischen Leben im Jetzt und den Erfahrungen, die wir auf dem Weg gemacht haben. Es besteht eine Verbindung zwischen den Entscheidungen, die wir einst getroffen haben und der Gegenwart in der wir zuhause sind.

Manchmal stellen wir Entscheidungen in Frage, die wir in der Vergangenheit getroffen haben. Was auch immer wir in der Vergangenheit entschieden haben – wir haben so entschieden, weil wir in diesen Momenten in der Zeit mit dem Wissen und den Informationen, die wir hatten, nicht anders entscheiden konnten. Wir haben Schritte gemacht, die wir nur so machen konnten. Wir sind Wege gegangen, die wir gehen mussten, weil wir keine anderen gehen konnten. Wir wussten es einfach nicht besser. Gut, das akzeptieren zu können und gut, das Hadern mit dem, was war, sein zu lassen. Was wir getan haben, was wir erlebt haben, hat uns zu dem gemacht, der wir sind. Und auch wenn wir, was wir sind, gerade nicht so mögen, es sollte uns nicht entmutigen.

Die Vergangenheit können wir nicht ändern. Ich behaupte sogar, wir können sie nicht loslassen, wir können sie auch nicht gehen lassen.
Wohin soll sie denn gehen?
Unsere Vergangenheit ist ein immanenter Teil des ganzen Menschen, der wir sind. Wir gehen mit dem, was wir erfahren haben, weiter. Im besten Falle sind wir weiser geworden.
„Die Vergangenheit ist ein Leuchtturm, kein Hafen“, sagt ein Sprichwort.

Jeder von uns hat eine Bestimmung in diesem Leben, daran glaube ich. Diese Bestimmung zu finden ist eine Aufgabe und eine Herausforderung. Das mag man wollen oder nicht wollen. Das ist eine persönliche Entscheidung.
Wenn wir unsere Bestimmung gefunden haben, fühlen wir es. Wir wissen, wer wir sind und wir sind mit dem, was ist und wie es ist, einverstanden. Es fühlt sich ruhig an Innen. Angekommen. Was nicht heißt, wir leben problemlos und in Glückseligkeit. Es gibt immer wieder Herausforderungen und Probleme, auch wenn wir unsere Bestimmung gefunden haben. Es kann dauern bis wir ankommen. Bis dahin gehen wir den Weg, unseren ureigenen Weg. Und der geht nicht immer sanft geradeaus, er hat Höhen und Tiefen, es gibt Gutes und Ungutes. Er ist verschlungen und anstrengend, er ist mal leicht und er ist mal schön. Manchmal wissen wir auch nicht weiter, weil sich uns ein Hindernis in den Weg stellt. Manchmal fallen wir auf diesem Weg sogar gefühlt ins Bodenlose, weil wir Wertvolles verlieren. All das ist der Weg. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Alles ist eins – ein ganzes Leben.

Jede Entscheidung hat Einfluss auf den Weg, weil wir immer die Wahl haben, selbst auf den dunkelsten Etappen. An jeder Weggabelung fragen wir uns: Was ist jetzt die richtige Entscheidung? Wir haben doch vermeintlich oder wirklich, einmal falsch entschieden. Oder mehrmals. Dann kommen Zweifel. Manchmal haben wir tiefe Zweifel, wenn wir an die Vergangenheit und an die Zukunft denken. Manchmal glauben wir, dass sich die Dinge in unserem Leben nicht weiterentwickeln. Es fühlt sich an, als ob alles stagniert. Wir stehen still. Oder wir machen wieder die gleichen Fehler, tanzen immer wieder den gleichen Tanz – um uns selbst herum. Nur um nicht in uns hinein tanzen zu müssen.

Wir leugnen, dass wir ein Problem haben. Wir leugnen die Wahrheit. Und mit jedem Leugnen, mit jedem Beschönigen, ergeben sich negative Konsequenzen auf unserem weiteren Weg. Weil wir uns selbst etwas vormachen, sind wir (wieder mal) gefühlt auf dem Holzweg gelandet.

Oft geschieht das, weil wir den Irrtümern über uns selbst glauben. Wie soll da ein Ankommen gelingen an dem Ort, wo es ruhig ist, in uns?
Innere Unruhe ist ein Wegweiser: Wir nicht bereit uns einzugestehen, dass wir ein Problem haben. Es dauert mitunter lange bis wir erkennen: Ich muss mir mal genau anschauen, wo ich Irrtümern über mich selbst unterliege. Und dann ist die Herausforderung sie aufzudecken und meine eigene Wahrheit herauszufinden. Sie ist für mich der beste Wegweiser für einen gelingenden Lebensweg.

Angelika Wende
www.wende-praxis.de

Donnerstag, 12. September 2024

Routine


 
 
„Das Klammern an Routine ist die Angst vor dem Scheitern“, lautet ein Zitat von Franz Böck. Ich frage mich, ob das so wahr ist? Vielleicht ist es wahr, vielleicht nicht.
Ist es für mich wahr?
Ich mag Routine.
Habe ich deshalb Angst vor dem Scheitern? Ich bin oft gescheitert. Ich weiß, wie Scheitern geht und ich weiß wie wieder neu beginnen geht.
Immer gab mir meine Routine Halt um mich nicht vollkommen zu verlieren, um nicht in eine Depression zu gleiten, um das zu tun, was wesentlich ist, um meinen Alltag zu bewältigen und mich selbst wieder aufzurichten.
Routinen können besänftigen, Halt und Orientierung geben und sie können die Angst zum Herrscher über alles erheben, was Lebendigkeit bedeutet, und sie abtöten.
Beides ist wahr.

Dienstag, 10. September 2024

Meinungen

 

                                                                  Foto: Pixybay


Menschen meinen. Menschen haben Meinungen.
Sie geben ihre Meinungen zum Besten, haben Meinungen über die Dinge, die Welt, das Leben. Manche haben Meinungen zu allem und jedem und über andere, gefragt und ungefragt. Sogar über andere, die sie gar nicht kennen, in deren Schuhen sie nicht gelaufen sind, bilden sie sich eine Meinung. Manchmal fragen wir andere nach ihrer Meinung oder sie fragen uns nach unserer Meinung. Manche sind abhängig von der Meinung anderer, weil sie keine eigene Meinung haben oder meinen, was andere meinen sei klüger, richtiger, besser als das, was sie meinen würden, wenn die denn meinten.
Es wird viel “gemeint“ unter uns Menschen.
„Gib die „gute Meinung“ anderer auf!“
Dieser Satz ist von Wayne Deyer.
Und was dann?
 
Dann geben wir den Wunsch nach Anerkennung und Gefallenwollen auf. Wir lassen den Wunsch nach Beliebtsein sein, wir hören auf, dem Bild, das andere sich von uns machen, entsprechen zu wollen und wir malen kein Bild, das mit uns nicht viel zu tun hat, um anderen zu gefallen. Wir hören auf zu manipulieren und uns von den guten Meinungen anderer über uns, manipulieren zu lassen.
Je größer die Abhängigkeit von der guten Meinung anderer ist, desto mehr ist da Angst, sie könnten nicht gut über uns denken. Diese Angst bestimmt dann unser Denken, unser Verhalten und unsere Entscheidungen. Wir sagen nicht, was wir denken, wir machen nicht, was wir wollen, wir entscheiden nicht, wie wir wollen, wir wagen uns nicht uns ganz zu zeigen – alles, um der guten Meinung anderer Willen.
 
Wenn wir aufhören, uns um die gute Meinung anderer zu kümmern, werden wir unweigerlich da ankommen, wo es um unsere Meinung über uns selbst geht.
Wir übernehmen Verantwortung für die Meinung über uns selbst, unabhängig von den Ansichten, Meinungen Bewertungen und Urteilen anderer. Wir stehen zu uns selbst, egal, was andere über uns denken. Wir sind echt, authentisch. Wir folgen nicht mehr dem nach Anerkennung heischenden Ego, sondern dem Teil in uns, der sich selbst vertraut, sich wertschätzt und annimmt, so wie wir sind – ganz, mit unserem Licht und mit unseren Schatten. 
 
Übrigens:
Was andere über uns meinen, können wir niemals beeinflussen, auch wenn wir das meinen. Wir können niemals kontrollieren, was andere über uns denken, ob sie eine gute oder eine schlechte Meinung von uns haben, egal wie sehr wir uns darum bemühen. Jeder Versuch, die Wahrnehmung anderer beeinflussen und zu kontrollieren zu wollen, lenkt uns von unserer eigentlichen Arbeit ab – eine gute Meinung von uns selbst zu haben um ein selbstbestimmtes, selbstverantwortliches, freies Leben zu führen.
 
 
Angelika Wende

 

 

Sonntag, 8. September 2024

Seelenplan

 

                                                                Foto: A.Wende


„Je glücklicher du bist, desto mehr lebst du nach deinem Seelenplan.“
Diese Behauptung findet man in gewissen spirituellen Kreisen.
Manche Menschen glauben daran.
Sie glauben, jede Seele, die auf der Erde inkarniert, hat einen Seelenplan, der vor der Geburt entsteht.
Die Überzeugung dieses Glaubens: Die Seele eines Menschen weiß um den Weg, den sie gehen möchte.
Und die nächste Überzeugung: Je glücklicher wir sind, desto mehr leben wir in unserem Seelenplan.
Vielleicht ist es so, vielleicht ist es nicht so.
Wahr ist: Wir wissen es nicht.
Das Fatale an dieser Konstruktion ist, dass Menschen, die daran glauben, verstört und unzufrieden sind, wenn sie nicht glücklich sind, weil sie glauben, sie sind unglücklich aus dem einen Grund - nicht ihrem Seelenplan zu folgen.
Ich schaffe es nicht, denken sie dann, ich habe den Plan meiner Seele nicht erkannt, ich bin ihm nicht gefolgt. Ich habs verbockt. Und dann sind sie noch unglücklicher, weil sie ja der eigenen Seele gegenüber versagt haben.
Wie traurig das ist. 
 
Alle menschengemachten Konstruktionen die einseitigen Überzeugungen folgen und starre Wahrheiten behaupten, sind schlechte Lehrer für das Leben und das Fühlen. Sie können mehr Schaden anrichten, als für die liebe Seele gut ist.
Was wenn der Seelenplan nicht aufs glücklich sein ausgerichtet ist? Was, wenn das gar nichts stimmt, das wir am Glück abmessen können, ob wir dem Plan unserer Seele folgen?
Was wenn die Seele einen ganz anderen Plan hat, nämlich alles zu erfahren, was Leben ist und Menschsein ausmacht?
 
Was, wenn der Seele andere Erfahrungen wichtig sind, als Dauerglück und Freude?
Es gibt kein Leben in dem es nur Glück gibt.
Es gibt sogar viele Leben, in denen es kein oder nur wenig und nur für Augenblicke in der Zeit, Glück gibt.
Leben diese Menschen alle nicht in ihrem Seelenplan?
Haben die ihren Seelenplan nicht gecheckt?
An ihm vorbei gelebt und ihn nicht verwirklicht?
Ist es wirklich so banal und einfach Menschen die Seele und das Leben zu erklären?
Und wozu soll das gut sein?
Dass sie am Ende bitter werden und ihren Lebensweg bedauern und bereuen, weil sie den Seelenglücksplan nicht erfüllt haben?
Es ist zu nichts weiter gut, als dass es uns zu Opfern eines Konstruktes macht, das für mich nicht menschenfreundlich ist.
Für mich ist die Seele ein Geheimnis, ein Mysterium und auch wenn wir viel tun um Selbstkenntnis zu erlangen, in ihre tiefsten Tiefen werden wir nicht eindringen.
 
Jede Seele ist anders.
Sie weiß vielleicht auch ihren Plan. Das ist möglich. Wer bin ich behaupten zu wollen, sie weiß es nicht?
Aber dieser Plan kann eben alles sein.
Jede menschliche Erfahrung kann zum Plan gehören, auch das Unglücklichsein, die Trauer, die Verluste und das Leid, weil die Seele vielleicht auch diese Erfahrungen machen will um die ganze Fülle des Lebens zu erfahren.
Und mal ehrlich, immer nur glücklich sein?
Ziemlich langweilig wäre das Leben und ohne Tiefen.
Gerade in der Tiefe liegt unser Gold, das wir, ohne abzutauchen, niemals finden würden.
In der Tiefe, besonders in der tiefen Nacht der Seele finden wir Vieles was uns lernen und wachsen lässt. Sogar über uns selbst hinaus. Es ist viel mehr als wir im Glücklichsein erfahren. So habe ich es erfahren dürfen in meinem Leben und im Leben vieler Menschen, die zu mir kommen.
Alle Kunst, alles große Denken, alles Schöpfertum das unsere Welt bereichert, wird aus der Tiefe geboren. 
 
Kann es sein, dass die Seele nach Ganzheit strebt, und das Glück gehört nur als Teil dazu und ist nicht der ultimative Plan? Kann es sein, dass die Seele nach Ganzheit strebt, nichts weiter und doch so viel?
 
„Die schönsten Menschen, die ich kennengelernt habe, sind diejenigen, die Niederlagen, Leiden, Kämpfe und Verluste erlebt haben und den Weg aus der Tiefe gefunden haben. Diese Menschen haben eine Wertschätzung, eine Sensibilität und ein Verständnis für das Leben. Das erfüllt sie mit Mitgefühl, Sanftmut und einer tiefen, liebevollen Fürsorge. Schöne Menschen passieren nicht von ungefähr“, schreibt Elizabeth Kübler-Ross.
Ich fühle diese Aussage ist weise. 
Die Aussage: „Je glücklicher du bist, desto mehr lebst du in deinem Seelenplan“, fühle ich nicht. 
 
Übrigens: Ich halte mich an Menschen, die die Wahrheit suchen, nicht an diejenigen, die glauben, sie gefunden zu haben.
 
Angelika Wende

Montag, 2. September 2024

Die Ambivalenz der Hoffnung

 

                                                                    Foto: Pixybay


Einem Menschen, der resigniert hat, zu sagen: "Gib die Hoffnung nicht auf!", ist wirkungslos. Zu tief ist die Verzweiflung. Sie ist ins Innerste gesackt, in den Grund der Seele, die taub ist für das Hoffen, weil sie das Leid nicht mehr erträgt, erfahren hat, dass langgehegte Hoffnung zu nichts geführt hat als zu immer wieder neuer Enttäuschung. Der Hoffnungslose will nicht mehr enttäuscht werden, also will er auch nicht mehr hoffen.
Was ist das eigentlich mit der Hoffnung, von der man sagt: Sie stirbt zuletzt?
Ist Hoffnung immer hilfreich und sinnvoll?
Oder gibt es Situtionen in denen wir sie besser sein lassen oder gar aufgeben sollten?
 
Das mit der Hoffnung ist ambivalent.
"Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren!", steht als Inschrift auf dem Tor zur Hölle in Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“. In der Lutherbibel findet man die Worte: „Unweise Leute betrügen sich selbst mit törichten Hoffnungen, und Narren verlassen sich auf Träume.“ Ganz unten in der Büchse der Pandora lag die Hoffnung. Doch Pandora schloss die Büchse , sodass die Hoffnung nicht entfliehen konnte, da sie eine Quelle von Illusionen, Selbsttäuschung und Enttäuschung sei. Hoffnung, ein grundloser, naiver Optimismus, der uns Menschen leiden lässt.
 
"Hope is bleeding."
Worte, die mir einmal die Seele gerettet haben, als ich ins sinnlose Hoffen verstrickt war. Es gibt sie, diese sinnlose Hoffnung, die uns innerlich verbluten lässt, dann wenn wir an etwas oder jemanden festhalten, obwohl wir im Tiefsten wissen, dieses Etwas oder dieser Jemand ist für uns oder für sich selbst hoffnungslos verloren. Dann ist Hoffnung eine Qual, die uns geißelt, auf der Stelle treten lässt und zerstörerisch wirkt. Egal wie sehr wir hoffen, die Enttäuschung liegt hier bereits im Hoffen selbst. "Gib die Hoffnung nicht auf!", ist hier der schlechteste Rat, den wir uns selbst geben können.
Es gibt Menschen, die an ihrer Hoffnung leiden und innerlich verbluten. Sie hoffen lieber als das, woran sie hoffungsvoll anhaften und festhalten als ginge es um ihr Leben, loszulassen. Ihr Verlangen nach dem Objekt oder dem Subjekt ihrer Begierde ist so groß, dass es ihre sinnlose Hoffnung beständig füttert.
Sie betrügen sich selbst mit törichten Hoffnungen.
Sie wollen die Hoffnung nicht aufgeben.
In Wahrheit wollen sie haben, was sie längst aufgegeben hat.
Das ist höchst unheilsam.
 
Was dürfen wir hoffen?
Kant stellt die Frage: Was „dürfen“ wir hoffen? Wohlgemerkt: Dürfen?
Nicht, was sollen wir hoffen, oder was müssen wir hoffen, oder was wollen wir hoffen.
Wir können zu niemandem sagen: „Du sollst oder du musst hoffen.“
Es wird nichts für ihn tun.
Hoffnung kommt nicht von außen, sie kann nicht erzeugt werden, sie kommt von innen. Hoffnung ist eine innere Haltung, die wir nicht erzwingen können, weder in uns selbst noch im anderen. Hoffnung, die von innen kommt, trotzt der Resignation. Hoffnung wirkt angesichts Resignation und Verzweiflung. Wer Resignation und Verzweiflung kennt, weiß um den Wert des Hoffen-Dürfens.
 
Was also dürfen wir hoffen?
Dass wir Klarheit finden, ob dessen, was wir erhoffen.
Denn bloßes, sinnloses Hoffen bewirkt nichts, es ist in der Tat grundloser naiver Optimismus, der sich in Illusionen, Selbsttäuschung und Enttäuschung verstrickt.
Und Hoffen bewirkt nichts, wenn es nicht von innen als motivierende Kraft für das wirkt, was wir erhoffen, indem wir etwas dafür tun, dass es sich einstellt.
Was wir tun können, ist nur das, was in unserem Einflussbereich liegt, anderes zu hoffen ist sinnlos und führt immer zu Leiden. 
 
 
"Sobald wir bereit sind, die Hoffnung aufzugeben, dass Unsicherheit und Schmerz beseitigt werden können, entwickeln wir den Mut uns in der Bodenlosigkeit unserer Situation zu entspannen. Das ist der erste Schritt auf dem Pfad.
Pema Chödrön
 
Angelika Wende


Sonntag, 1. September 2024

Standpunkte

 

                                                                            Foto: Pixybay                                                                                       

 

Was wenn es uns nicht gelingt zu einer Sache, einer Situation, einem Menschen einen eindeutigen Standpunkt einzunehmen?

Dann ist das nichts Ungewöhnliches.

Die Dinge sind manchmal so komplex und kompliziert, dass eine eindeutige Haltung nicht immer gleich gelingt. Dann gibt es mehr als einen oder zwei Standpunkte. Mehr als eine Sichtweise, mehr als ein Gefühl und mehr als den einen oder den anderen Gedanken dafür oder dagegen. Es gibt einen ganzen Cocktail von all dem.

Dann haben wir gerade keinen Standpunkt, den wir klar und eindeutig einzunehmen fähig sind. Heißt: wir kommen zu keiner Hatung und keiner Entscheidung. Wir haben das Gefühl wir stecken fest.

Manchmal ist es so.

Es ist okay.

Auch Feststecken ist okay.

Wir müssen nicht immer gleich einen Standpunkt finden und einnehmen.

Sich mit diesem Gedanken anzufreunden nimmt den Druck raus. Wir müssen uns nicht beeilen, uns selbst drängen, uns selbst Druck machen. 

Manches braucht Zeit und keinen Standpunkt.

Wir können es so machen: Wenn wir noch keinen eindeutigen Standpunkt haben, wenn wir uns gerade noch nicht entscheiden können, dürfen wir uns für folgende Lektion öffen: Umarme den Ort an dem du gerade bist, anstatt vor ihm zu fliehen.