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Zeichnung AW |
Wir alle mögen es die Dinge unter Kontrolle haben. Das Leben unter der eigenen Kontrolle stehend zu erleben gibt uns das sichere Gefühl von Eigenmacht und Selbstwirksamkeit. Julian Rotter führte 1966 erstmals den Kontrollbegriff in die Psychologie ein. Dabei ging es
ihm darum, eine Skala einzuführen, an deren positivem Pol sich die Leistungsmotivation und an deren negativem Pol sich die soziale Fremdgesteuertheit befand. Kontrolle in manchen Bereichen ist also zunächst einmal nichts ungutes, sie ist vielmehr ein menschliches Bedürfnis, denn wie sonst sollten wir bei allem Hineingeworfensein in das Sein nicht in grenzenloser Ohnmacht versinken, hätten wir nicht das Gefühl selbstbestimmt zu leben und unser Leben gestalten zu können.
Wir haben Kontrolle und wir haben sie nicht.
Wir müssen alle irgendwann schmerzhaft erkennen, dass wir im Grunde nichts unter Kontrolle haben, schon gar nicht das Schicksal und schon gar nicht andere Menschen in ihrem Denken, Fühlen und Handeln.
"Vertrauen ist gut, Kontolle ist besser", lautet ein Spruch.
Kontrolle ist möglich, wo es um meine eigenen Entscheidungen, mein Handeln und meine Lebensplanung geht und auch das nur bedingt, denn niemand ist eine Insel und wir alle leben in einem Kontext, den wir uns von Geburt an erst einmal nicht aussuchen können und auch im Laufe des Lebens erfahren wir immer wieder wie wenig wir doch kontrollieren können. Diese Einsicht ist nicht leicht anzuerkennen, denn sie zeigt deutlich wie fragil das Konzept von Kontrolle ist, so fragil wie der Mensch selbst.
Es gibt Menschen, die müssen mehr als andere das Gefühl haben Kontrolle über die Dinge und über ihre Mitmenschen zu haben. Sie sind ständig auf der Hut. Zum Einen, weil sie andere beobachten müssen,
um deren Verhalten berechnen zu können, zum Anderen weil sie das
beobachtete Verhalten interpretieren, beeinflussen, manipulieren und im Zweifel korrigieren müssen um sich sicher zu fühlen. Menschen die den Drang haben andere zu kontrollieren haben kein Vertrauen, nicht in
die anderen und nicht in sich selbst. Sie können die Dinge nicht sein
lassen und sie können die Menschen in ihrem Umfeld, besonders jene, mit
denen sie eine emotionale Bindung haben, nicht
sein lassen. Sie haben Angst, meist ist es Verlustangst und die existenteille Angst vor dem Verlassensein.
Die Angst vor dem Verlassensein hat ihre Ursache in der Kindheit.
Menschen, die als Kind unberechenbare, in ihren Worten, Handlungen und
Verhalten nicht klar fassbare und verlässliche, sicherheitsgebende Eltern erlebt haben, neigen als Erwachsene
zur Kontrolle. Das Thema, das sie ein Leben lang begleitet ist: Sein von Schein, also Klarheit von Unklarheit und Wahrheit von Unwahrhaftigkeit, unterscheiden zu müssen. Ein
schweres Unterfangen, denn wer im Elternhaus keine emotionale Sicherheit
erfahren hat, weiß nicht, was echt und was unecht ist. Ein Kind mir
dieser Erfahrung ist unsicher im Umgang mit Menschen und im Umgang mit
sich selbst. Diese Erfahrung von Unsicherheit führt dazu, dass es sich in seinem eigenen Sein und in der Welt vom grundgefühl her verlassen fühlt.
Das Kind, das mit Bezugspersonen aufwächst, deren Maske das wahre
Gesicht verbirgt weiß nicht woran es ist. Wer nicht weiß, woran er
ist, kann sich an nichts halten.
Durch die Janusköpfigkeit der Personen auf die es angewiesen ist, lebt das
Kind einsam und verlassen inmitten der Unberechenbarkeit und
Unwahrhaftigkeit des oder der Menschen, die es liebt, auf einer einsamen
Insel. Es lebt in einem Klima von ständig wankendem Boden. Was immer es im Verhalten des
janusköpfigen Elternteils erlebt, ist
diffus. Alles Diffuse macht Kindern Angst. Diese Angst führt dazu
Klarheit und Berechenbarkeit zu suchen. Ein
untauglicher Versuch. Auch das spüren Kinder instinktiv. Die
wiederholten untauglichen Versuche zu verstehen und einzuordnen was wahr
und was unwahr ist, was echt und was unecht ist, führen zum Erleben
tiefer Ohnmacht. Aber auch diese Ohnmacht kann das Kind weder benennen
noch rational begreifen. Es fühlt sie. Und was wir fühlen gräbt sich
ein.
Um sein Ohmachtsgefühl zu kompensieren lernt das Kind zu beobachten - die Mutter oder den Vater. Getrieben von der Sehnsucht das
Echte zu erkennen, ist es so ständig im Außen orientiert. Daher gelingt
es ihm nicht, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Was dazu führt,
dass es neben der Unfähigkeit zu vertrauen, zu einer sehr
bruchstückhaften Herausbildung eines eigenen Selbst kommt. Mit anderen
Worten, ein gesundes Selbst-Bewusstsein bekommt, noch bevor es sich
überhaupt entwickeln kann, Schlagseite.
Wer als Kind ständig im Teich eines nebulösen Elternbildes schwimmt, fischt im Trüben.
Das will es als erwachsener Mensch verhindern. Es entwickelt sich zum
Kontrolleur anderer. Es muss endlich Klarheit erlangen, die Sicherheit und den Halt
spüren, den es als Kind schmerzhaft vermisst hat. Es muss aus der
Position der Ohnmacht in die Position der Macht gelangen.
Übermäßige Kontrolle hat immer mit Macht zu tun. Ebenso wie mit Ohnmacht. Sie ist
der Gegenpol der Macht. Wer Ohnmacht erlebt hat, hat sich selbst als
Opfer erlebt und die anderen als Täter. Das Motiv der Kontrolle ist das
(wieder) Erlangen der als Kind verlorenen Macht über das eigene Sein.
Durch das Mittel der Kontrolle gelingt dieses Machtgefühl in der eigenen
Wahrnehmung. In Wahrheit ist diese Macht aber wieder nur scheinbar. Der
Kontrolleur ist in seinem alten Muster gefangen, er ist erneut Opfer,
das Opfer seiner eigenen Kontrollsucht, jedoch ohne sich dessen bewusst
zu sein. Er ist wieder Beobachter und wie als Kind abhängig vom Handeln
und Verhalten anderer. Er ist wieder im
Außen und nicht innen, bei sich selbst nämlich. Er verliert sich im
Außen, in der Anstrengung alles unter Kontrolle zu behalten.
Dass man Nichts und Niemanden kontrollieren kann ist ihm möglicherweise
auf der kognitiven Erwachsenenebene sogar bewusst, das innere Kind aber suggeriert ihm etwas anderes. So sind
Kontrolleure, solange sie sich das Unbewusste nicht bewusst machen,
Gefangene ihrer Sucht nach Berechenbarkeit. Um Macht zu erlangen werden
sie sogar zu Manipulatoren. Die Mittel der Macht sind vielfältig, aber
der Zweck ist immer Macht zu spüren um Ohnmachtsgefühle nicht (mehr) ertragen zu müssen.
Das Tragische ist: Menschen, die andere kontrollieren müssen, verlieren dabei die Kontrolle über sich selbst.
Sie sind streben nach einer Macht, die sie nie befriedigen kann, denn
die frühe Ohmachtserfahrung ist in jeder Zelle gespeichert. Ihre Macht
ist eine scheinbare, denn ihnen fehlt die einzige Macht, die sie erlösen
kann - die Macht über sich selbst. Die anderen merken das irgendwann
und entziehen sich dieser Macht. Das Ende vom Lied: Der Kontrolleur
ist wieder zurückgeworfen auf die alte Kindheitserfahrung - indem sich
das Subjekt der Kontrolle der Kontrolle entzieht, erlebt er die selbe
Einsamkeit, die selbe Haltlosigkeit und Ohnmacht, die Verlassenheit, die die Kindheit
vergiftet hat, wieder neu. Und dann beginnt der traurige Teufelskreis von vorne, mit der Suche nach einem neuen Subjekt, das zu kontrollieren ist.
Menschen die kontrollieren müssen sind arme Seelen, die sich nichts sehnlicher Wünschen als endlich Sicherheit und Verlässlichkeit zu spüren. Ihr Leben ist anstrengend und ein mühsamer Kampf, den sie niemals gewinnen können.
Ihre Verlustangst ist so groß, dass sie immer wieder ins Bodenlose stürzen, dann wenn eon Anderer sich ihrer Kontrolle entzieht.
Der heilsame Weg aus diesem Teufelskreis heraus ist zu lernen,
Kontrolle über das vernichtende Gefühl der Verlustangst zu erlangen. Ein langer schwerer Weg, den zu gehen sich lohnt, denn wer kontrolliert hat niemals das, was er sich so sehnlich wünscht: Das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen, das Gefühl von Aufgehobensein in sich selbst und der Welt.