mit leeren augen sah sie ihn an.
ich bin ihr verteidiger, sagte er.
sie blieb still.
wenn sie nicht sprechen, wie soll ich ihnen helfen?
ich habe nichts zu sagen, antwortete sie.
man wird sie verurteilen, das ist ihnen hoffentlich klar, wenn sie weiter schweigen. sie müssen sich verteidigen.
sie drehte den kopf zum vergitterten fenster. ich muss nichts, sagte sie.
aber sie wissen was ihnen blüht, wenn wir nichts zu ihrer verteidigung vorzubringen haben.
ich wusste es vorher, sagte sie.
was? er sah sie erstaunt an.
was mir blüht, wie sie es nennen.
und?
er suchte nach worten über das undwort hinaus. irritiert spielte er mit seinem füller, drehte ihn hin und her, ein sich winden gegen die ohnmacht, die ihn umfing, jedes mal, wenn er sie besuchte. sie sind ein hartnäckiger fall, sagte er und versuchte ein lächeln, das keine erwiderung fand.
ich wusste, was ich tat.
das bedeutet, sie haben mit vorsatz gehandelt, hakte er nach.
ja, vorsätzlich, so kann man das nennen.
aber das bedeutet, es gibt keine entschuldigungsgründe, antwortete er.
ich will mich nicht entschuldigen, sagte sie. sie nahm eine zigarette aus der schachtel, die er ihr mitgebracht hatte. er gab ihr feuer. sie inhalierte und blies den rauch in aller seelenruhe aus.
ich verstehe sie nicht, wie können sie so ruhig bleiben, ihr leben steht auf dem spiel. sie werden lebenslänglich bekommen, ist ihnen das klar?
ja, das ist mir klar, sagte sie.
und? ist ihnen das egal.
mir ist es egal, ja.
er griff sich ins haar, mit einer hektischen bewegung fuhr er sich durch die dunklen locken.
wie alt sind sie?
alt genug, erwiderte sie.
alt genug, wofür?
alt genug für mich selbst zu entscheiden.
dann entscheiden sie für sich, fuhr er sie an. er war am ende mit seiner geduld.
ich habe entschieden, ich habe ihn getötet.
Mittwoch, 30. November 2011
Dienstag, 29. November 2011
HERZ 24
ich bin ein schwieriges herz, sagte das herz zu dem herzen, das es sich vertraut gemacht hatte. ich kann nirgends bleiben. ich bin ein schwieriges herz, sagte das herz, das sich vertraut gemacht hatte. ich will endlich ankommen.
ratlos blickten sie einander an. lass mich gehen, sagte das herz, das nirgends bleiben konnte. wenn ich wiederkomme, weiß ich, dass ich bleiben kann. aber was verlangst du von mir?, erwiderte das herz, das endlich ankommen wollte.ich verlange nichts von dir, lächelte das herz, das nirgends bleiben konnte. ich will nicht, dass du auf mich wartest. wenn ich wiederkomme und du noch da bist, sind wir angekommen.
Montag, 28. November 2011
TAUSEND UND EINE NACHT
lisa wischt sich das make-up vom gesicht. manchmal verändert sich alles, ohne dass man einfluss darauf hat. sie seufzte. sie würde alles verändern. altes mit neuen tauschen, die stadt verlassen, das haus, den alltag, den sie gewohnt war. nächste woche würde sie in der neuen wohnung sein.
die wimperntusche, die sie mit einem wattebausch von den augen rieb, hinterließ schwarze ränder. das sah traurig aus. es ist mein wirkliches gesicht, dachte sie. sie wischte die schwarze tusche mit reinigungsmilch weg. sie hatte um einen termin beim sendeleiter gebeten. sie würde ihm sagen, dass sie nicht mehr zur verfügung stand. sie hatte sich entschieden. sie fragte sich, ob es die richtige entscheidung war. seit ben im internat war, hatte sie sich mit der entscheidung herumgequält. sie ertrug den gedanken nicht, ihn nur noch in den ferien zu sehen.
ben hatte in das internat gewollt. gesagt, er wolle nicht mehr mit ihr allein leben, er wolle andere kinder um sich herum haben. lisa nahm ein handtuch um die letzten spuren des make-ups zu entfernen. sie hatte ihr gesicht lange genug in die kamera gehalten. es war die richtige zeit um zu gehen.
du musst ihn loslassen, hatte ihre freundin gesagt, er ist vierzehn. er wird erwachsen. lisa konnte nicht loslassen. in der nacht träumte sie vom fallen. sie hatte für ben gelebt, er war das leben, um das sie das ihre herumgebaut hatte. sie hoffte, dass es ihm gut ging. er schrieb selten, noch seltener rief er an. alles gut, mum, sagte er dann. ben redete nicht über gefühle.
es gab nur ihn, seit ihre ehe gescheitert war. sie hatte ben. einen mann hatte sie nicht mehr gewollt. jetzt hatte er den platz an ihrer seite verlassen. keine warme kinderhand, in die sie ihre hand legen konnte. kein kleiner körper, der am morgen schlaftrunken in ihr bett kroch, sich an sie drückte mit einem: mama ich hab dich lieb. sie nahm die zahnbürste und schrubbte die zähne bis das zahnfleisch blutete. es tat weh.
ihre freundin hatte gesagt, die kinder hat man nur geliehen, sie gehören sich selbst. sie hatte gesagt, ben sei noch klein, er brauche sie. mama, ich schaff das, hatte ben gesagt, als sie seine koffer im zimmer des internats abgestellt hatte. draussen vor dem tor hatte sie geweint. sie gewöhnte sich nicht an das leere haus. der fußball lag seit wochen an der gleichen stelle im garten. manchmal saß sie am fenster und sah ihn stundenlang an. am ende sah sie nur noch ein schwarzes loch.
mit kreisenden bewegungen verteilte sie tagescreme über ihr gesicht. ich habe falten, dachte sie. sie zog den mantel über und verließ den sender.
wie fast jeden abend stand er vor dem taxi und rauchte. sie fuhr taxi. sie hatte keinen führerschein. sein taxi war sauber. es roch nach leder, rasierwasser und tabak. er war perser. eigentlich war er bauingenieur. einmal, als sie im feierabendverkehr im stau standen, hatten sie sich unterhalten. er sagte, er habe kein glück gehabt, keine stelle gefunden in deutschland. sie wollten hier keine ausländer, die aus politischen gründen ihr land verlasssen haben.
er lächelte sie an und hielt ihr die beifahrertür auf. lisa spürte, dass er sie mochte. sie wusste nicht, ob sie ihn mochte.
sie schloss die wagentür und schnallte sich an. seine hände strichen über das lenkrad. lisa dachte, dass er schöne hände hatte. es war kein zufall, dass er sie heute heimfuhr. lisa wusste, dass es keinen zufall gab, nur etwas das einem zufiel. manchmal waren es menschen, die einem zufielen.
er machte den motor an und fuhr los. warum sind sie immer so traurig? fragte er sie und schaltete er das autoradio an. gut, dachte sie, das erspart mir die antwort. haben sie schon mal persisch gegessen?, er lächelte wieder. ich würde sie gern einladen, das heißt, falls sie mit einem taxifahrer ausgehen. lisa überlegte kurz und nickte.
vor dem restaurant bot er ihr eine zigarette an. rauchen sie, das beruhigt. man zieht an der zigarette, verinnerlicht etwas, verbindet sich mit etwas, man ist weniger allein. es ist nicht gut allein zu sein. lisa nahm die zigarette. er gab ihr feuer. seine finger berührten die ihren. es fühlte sich gut an. sie rauchten schweigend. als sie zu ende geraucht hatten, gingen sie in das restaurant.
er bestellte hammelfleisch und reis. das fleisch war zäh und der reis trocken. sie tranken schwarztee. er erzählte von seinem dorf am persischen golf, von seinem glauben, dem er abgeschworen hatte. ich glaube an die menschen, sagte er. lisa sagte, dass sie an nichts mehr glaubte, schon gar nicht an die menschen. sie sind traurig, sagte er, da verliert man manchmal den glauben, oder man glaubt, ihn verloren zu haben.
sein weißes hemd überstrahlte das schummrige licht. seine haut schien noch dunkler. sein haar glänzte nachtblau. seine augen strahlten unter den langen wimpern. er erinnerte sie an eine figur aus den märchen von tausendundeinenacht.
ich werde die stadt verlassen, sagte sie, und dass sie zu ben wollte, in seine nähe, um für ihn da zu sein. sie wollen nicht für ihn da sein, sie wollen, dass er für sie da ist, sagte er. sie schüttelte den kopf, was wissen sie über mein wollen. sie wollte gehen.
meine frau ist vor einigen jahren mit meiner tochter verschwunden, sagte er. ich habe sie lange gesucht. ich habe sie bis heute nicht gefunden. leila ist jetzt acht. ich suche sie nicht mehr. sie wird mich suchen, wenn sie alt genug ist. geben sie ben und sich eine chance.
ihr magen verkrampfte sich. sie stand auf und ging zur toilette. im spiegel blickte sie in ein verbittertes gesicht. als sie zurückkam lag die rechnung auf dem tisch. sie haben nur ein leben, denken sie daran. lisa lächelte schwach. sie werden es begreifen irgendwann, sagte er, wir sind uns ähnlich. lisa wollte niemandem ähnlich sein. ich muss nach hause sagte sie. er nickte und rief den kellner.
die nachtluft war mild. es war still. ihre schritte machten ein klackerndes geräusch auf dem kopfsteinplaster. einen moment lang dachte sie, dass sie schon lange nicht mehr neben einem mann eine straße entlang gegangen war.
er öffnete die wagentür der beifahrerseite und ließ sie einsteigen. geht es ihnen gut? fragte er. ich bin müde, sagte sie.
vor ihrem haus stellte er den motor ab. es ist nicht gut allein zu sein. nehmen sie eine zigarette mit. lisa schüttelte den kopf. er würde an seinen taxistand fahren und auf fahrgäste warten. sie würde die tür öffnen und das einzige geräusch dahinter würde die stille sein. sie stieg aus. machen sie es gut, rief er ihr nach.
sie ging die paar schritte zum haus, schloss die tür auf, hängte den mantel an die garderobe und ging in bens zimmer. zärtlich strich sie über die hellblauen laken und legte ihren kopf auf das kissen. sie dachte an die geschichten, die sie ben vorgelesen hatte, abend für abend, tausend und eine nacht.
die wimperntusche, die sie mit einem wattebausch von den augen rieb, hinterließ schwarze ränder. das sah traurig aus. es ist mein wirkliches gesicht, dachte sie. sie wischte die schwarze tusche mit reinigungsmilch weg. sie hatte um einen termin beim sendeleiter gebeten. sie würde ihm sagen, dass sie nicht mehr zur verfügung stand. sie hatte sich entschieden. sie fragte sich, ob es die richtige entscheidung war. seit ben im internat war, hatte sie sich mit der entscheidung herumgequält. sie ertrug den gedanken nicht, ihn nur noch in den ferien zu sehen.
ben hatte in das internat gewollt. gesagt, er wolle nicht mehr mit ihr allein leben, er wolle andere kinder um sich herum haben. lisa nahm ein handtuch um die letzten spuren des make-ups zu entfernen. sie hatte ihr gesicht lange genug in die kamera gehalten. es war die richtige zeit um zu gehen.
du musst ihn loslassen, hatte ihre freundin gesagt, er ist vierzehn. er wird erwachsen. lisa konnte nicht loslassen. in der nacht träumte sie vom fallen. sie hatte für ben gelebt, er war das leben, um das sie das ihre herumgebaut hatte. sie hoffte, dass es ihm gut ging. er schrieb selten, noch seltener rief er an. alles gut, mum, sagte er dann. ben redete nicht über gefühle.
es gab nur ihn, seit ihre ehe gescheitert war. sie hatte ben. einen mann hatte sie nicht mehr gewollt. jetzt hatte er den platz an ihrer seite verlassen. keine warme kinderhand, in die sie ihre hand legen konnte. kein kleiner körper, der am morgen schlaftrunken in ihr bett kroch, sich an sie drückte mit einem: mama ich hab dich lieb. sie nahm die zahnbürste und schrubbte die zähne bis das zahnfleisch blutete. es tat weh.
ihre freundin hatte gesagt, die kinder hat man nur geliehen, sie gehören sich selbst. sie hatte gesagt, ben sei noch klein, er brauche sie. mama, ich schaff das, hatte ben gesagt, als sie seine koffer im zimmer des internats abgestellt hatte. draussen vor dem tor hatte sie geweint. sie gewöhnte sich nicht an das leere haus. der fußball lag seit wochen an der gleichen stelle im garten. manchmal saß sie am fenster und sah ihn stundenlang an. am ende sah sie nur noch ein schwarzes loch.
mit kreisenden bewegungen verteilte sie tagescreme über ihr gesicht. ich habe falten, dachte sie. sie zog den mantel über und verließ den sender.
wie fast jeden abend stand er vor dem taxi und rauchte. sie fuhr taxi. sie hatte keinen führerschein. sein taxi war sauber. es roch nach leder, rasierwasser und tabak. er war perser. eigentlich war er bauingenieur. einmal, als sie im feierabendverkehr im stau standen, hatten sie sich unterhalten. er sagte, er habe kein glück gehabt, keine stelle gefunden in deutschland. sie wollten hier keine ausländer, die aus politischen gründen ihr land verlasssen haben.
er lächelte sie an und hielt ihr die beifahrertür auf. lisa spürte, dass er sie mochte. sie wusste nicht, ob sie ihn mochte.
sie schloss die wagentür und schnallte sich an. seine hände strichen über das lenkrad. lisa dachte, dass er schöne hände hatte. es war kein zufall, dass er sie heute heimfuhr. lisa wusste, dass es keinen zufall gab, nur etwas das einem zufiel. manchmal waren es menschen, die einem zufielen.
er machte den motor an und fuhr los. warum sind sie immer so traurig? fragte er sie und schaltete er das autoradio an. gut, dachte sie, das erspart mir die antwort. haben sie schon mal persisch gegessen?, er lächelte wieder. ich würde sie gern einladen, das heißt, falls sie mit einem taxifahrer ausgehen. lisa überlegte kurz und nickte.
vor dem restaurant bot er ihr eine zigarette an. rauchen sie, das beruhigt. man zieht an der zigarette, verinnerlicht etwas, verbindet sich mit etwas, man ist weniger allein. es ist nicht gut allein zu sein. lisa nahm die zigarette. er gab ihr feuer. seine finger berührten die ihren. es fühlte sich gut an. sie rauchten schweigend. als sie zu ende geraucht hatten, gingen sie in das restaurant.
er bestellte hammelfleisch und reis. das fleisch war zäh und der reis trocken. sie tranken schwarztee. er erzählte von seinem dorf am persischen golf, von seinem glauben, dem er abgeschworen hatte. ich glaube an die menschen, sagte er. lisa sagte, dass sie an nichts mehr glaubte, schon gar nicht an die menschen. sie sind traurig, sagte er, da verliert man manchmal den glauben, oder man glaubt, ihn verloren zu haben.
sein weißes hemd überstrahlte das schummrige licht. seine haut schien noch dunkler. sein haar glänzte nachtblau. seine augen strahlten unter den langen wimpern. er erinnerte sie an eine figur aus den märchen von tausendundeinenacht.
ich werde die stadt verlassen, sagte sie, und dass sie zu ben wollte, in seine nähe, um für ihn da zu sein. sie wollen nicht für ihn da sein, sie wollen, dass er für sie da ist, sagte er. sie schüttelte den kopf, was wissen sie über mein wollen. sie wollte gehen.
meine frau ist vor einigen jahren mit meiner tochter verschwunden, sagte er. ich habe sie lange gesucht. ich habe sie bis heute nicht gefunden. leila ist jetzt acht. ich suche sie nicht mehr. sie wird mich suchen, wenn sie alt genug ist. geben sie ben und sich eine chance.
ihr magen verkrampfte sich. sie stand auf und ging zur toilette. im spiegel blickte sie in ein verbittertes gesicht. als sie zurückkam lag die rechnung auf dem tisch. sie haben nur ein leben, denken sie daran. lisa lächelte schwach. sie werden es begreifen irgendwann, sagte er, wir sind uns ähnlich. lisa wollte niemandem ähnlich sein. ich muss nach hause sagte sie. er nickte und rief den kellner.
die nachtluft war mild. es war still. ihre schritte machten ein klackerndes geräusch auf dem kopfsteinplaster. einen moment lang dachte sie, dass sie schon lange nicht mehr neben einem mann eine straße entlang gegangen war.
er öffnete die wagentür der beifahrerseite und ließ sie einsteigen. geht es ihnen gut? fragte er. ich bin müde, sagte sie.
vor ihrem haus stellte er den motor ab. es ist nicht gut allein zu sein. nehmen sie eine zigarette mit. lisa schüttelte den kopf. er würde an seinen taxistand fahren und auf fahrgäste warten. sie würde die tür öffnen und das einzige geräusch dahinter würde die stille sein. sie stieg aus. machen sie es gut, rief er ihr nach.
sie ging die paar schritte zum haus, schloss die tür auf, hängte den mantel an die garderobe und ging in bens zimmer. zärtlich strich sie über die hellblauen laken und legte ihren kopf auf das kissen. sie dachte an die geschichten, die sie ben vorgelesen hatte, abend für abend, tausend und eine nacht.
Sonntag, 27. November 2011
DIE ERBSE
stell dir vor, du bist auf die größe einer erbse geschrumpft, grinste er sie an und spießte eine der dampfenden hüsenfrüchte auf die gabel. er wollte sie langsam vernichten. er steckte sie zwischen seine schneidezähne, schloss im zeitlupentempo oberkiefer und unterkiefer und teilte die erbse mit einem biss. zack!
sie dachte, dass sie mit sicherheit keine erbse sein wollte. sie hätte nichts sein wollen, das kleiner war als einmetersiebzig. das war ihre körpergröße. damit ragte sie vier zentimeter über ihn hinaus. er grinste genüßlich. er hatte es der erbse gezeigt. und er glaubte, dass er es ihr gezeigt hatte. wäre sie die auf die größe der erbse geschrumpfte frau gewesen, wäre sie jetzt tot.
sie ließ ihm den kleinen triumph und räumte den tisch ab. ohne eile spülte sie das geschirr und stellte es in den küchenschrank. währendesssen saß er, wie immer nach dem abendessen, in seinem abgewetzten braunen ledersessel, las die zeitung und sog mit schmatzenden geräuschen an seiner pfeife.
"bring mir mal nen cognac, kleines", rief er in richtung küche, "aber in dem großen schwenker und mach das glas diesmal gefälligst warm!"
sie öffnete die küchenschublade, nahm die kleine stimmgabel heraus und wickelte ein einmachgummi so kunstfertig um die gabel, bis sie mit dem ergebnis zufrieden war. dann nahm sie eine der rohen erbsen aus der vorratsdose, legte sie zwischen daumen und zeigefinger und platzierte sie in die mitte des gummis.
sie ging ins wohnzimmer. mit höchster konzentration zog sie das gummi samt der erbse nach hinten und zielte auf sein gesicht.
die erbse traf ihn mitten auf die stirn. "aua, verdammt, was soll das, bist du jetzt vollkommen verrückt geworden, du blöde kuh!", brüllte er sie an.
sie lächelte im ins wutrote gesicht:" durchaus nicht, stell dir einfach vor, ich sei auf die größe einer erbse geschrumpft!"
Dienstag, 22. November 2011
Unveränderbar
der mensch ändert sich nicht, niemals, sagte der vater und zog genüsslich an seiner havanna. josh war anderer ansicht. dass der wille alles möglich mache, daran glaubte er. er mochte dieses starre "niemals denken", das sein vater vehement vertrat, nicht.
ich weiß, lächelte der vater, dieses niemals, dieses alles ausschließende niemals, der endgültigkeit entsprechend, die unveränderbarkeit eines istzustandes – der gedanke schmerzt dich, aber das ändert nichts.
die ruhigen augen des vaters sahen dem rauch der havanna nach.
getrieben von einem kurz aufflackernden kindlichen trotz zerblies josh den blauen dunst in kleine fetzen. vehement schüttelte er den kopf. nein, jeder kann sich zum guten hin verändern, wenn er es wirklich will, verfocht er seine überzeugung mit der vom vater geerbten vehemenz. sein glaube an die veränderbarkeit war der grund weshalb er psychologe geworden war. seine arbeit gab ihm macht über die ohnmacht, macht über das schicksal, in dem für ihn zugleich ein machsal lag, wenn nur der wille da war. seine waffe war der glaube an die veränderbarkeit, schon als student hatte er sich vorgenommen sie im guten zu benutzen.
josh wand sich einen moment. dann erzählte er dem vater von dem mann, der seinen festen willen bekundete sich zu verändern, als er das erste mal in seiner praxis erschien. er habe unter seinem notorischem hang zum lügen lange genug gelitten und andere unter sich leiden lassen, er wolle das nicht mehr. josh solle ihm helfen damit aufzuhören.
der mann hatte zuversicht, lächelte josh.
der vater nickte wortlos.
josh nahm einen schluck des schweren rotweins, den der vater geöffnet hatte und fuhr fort. der mann kam ein mal pro woche, immer im gleichen schwarzen anzug mit dem weißen, am kragen offenstehenden, glatt gebügelten hemd, den eindruck eines saubermanns zitierend. der aufzug erschien mir wie ein hohn im gegensatz zum innersten des mannes, der sein leben auf der empathielosigkeit anderen gegenüber aufgebaut hatte, die verachtung jeglichen moralischen gesetzes in handeln umsetzte, als sei es seine persönliche herausforderung. ich fragte den mann, wozu er das tut. der mann sagte, dass ihm die lüge lust bereite, die lust an der enttäuschung derer, die er getäuscht habe, gebe ihm das gefühl eine rechung zu begleichen, mit wem wisse er nicht. allerdings, räumte er ein, lasse sich die auswirkung seiner lügen nicht immmer genau bestimmen, das mache es schwierig, aber auch reizvoll für ihn.
der vater nickt, hörte aufmerksam zu.
abgestoßen von der kalten berechung des mannes, versuchte ich dennoch zu verstehen und mahnte mich zur geduld. ich schlug ihm vor, seinen drang zu lügen und zu täuschen zu überdenken und dort zu beginnen wo das verborgene motiv lag. der mann meinte, er könne nicht anders, es sei stärker als er selbst, aber er ließ sich auf den vorschlag ein. gemeinsam fanden wir heraus, dass es das machtgefühl war, das in ihm entstand, wenn er log. es verschaffte ihm befriedigung, erkannte der mann nach vielen stunden, eine tiefe befriedigung, die er in nichts anderem finden konnte.
bitte sag nichts, sagte josh zum vater, der einen einwand vorbringen wollte, ich bin mir dessen bewusst, dass machtgier ein schwer therapierbares motiv ist. machtgier in solch starker ausprägung entsteht durch häufig erlebte ohnmachtsgefühle in der kindheit. ich beschloss der ursache tiefer auf den grund zu gehen. gemeinsam suchten wir nach ohnmachtserlebnissen in der kindheit des mannes. er begann sich zu erinnern, er erzählte von der lüge der mutter, um die er gewusst habe. dass der vater alkoholiker war habe er gerochen, er dünstete scharfes saures aus. die mutter habe oft geweint, wenn der vater in der nacht nicht nach hause kam. er habe sie trösten müssen, ihr gesagt, es sei besser wenn der stinkende vater nicht mehr zurück käme, besser für sie beide. sie habe gesagt, dass der vater nicht trinke, nur ab und zu, wie es alle taten und das er sich alles nur einbilde. das weinen hörte nicht auf bis er achtzehn war. die mutter sei an krebs gestorben und er habe den vater seither nie mehr sehen wollen. er weinte, sagte, die mutter habe gelogen und ihm das gefühl der falschen wahrnehmung vermittelt. sie sei eine schamlose lügenerin gewesen.
sie hielt es wohl für moralisch in ordnung sie belügen, gab ich ihm zu bedenken und hoffte auf das verständnis des mannes für die verzweiflung der mutter, die ihren sohn habe schützen wollen. er möge zu verstehen versuchen, dass sie damals kein anderes mittel zur vefügung hatte, sie habe nicht anders gekonnt.
der mann wurde wütend. die mutter sei der lüge verhaftet gewesen, sie habe ihn nicht ernst genommen, ihn tief verletzt. sie hätte seine verletztheit spüren müssen, insistierte er. nein, er sei auf keinen fall bereit ihr das zu verzeihen.
ich fragte mich, ob ich selbst in der gleichen situation von der eigenen mutter hätte belogen werden wollen und kam, im denken gestört von meiner empathie für die mutter, zu dem schluss, dass ich nicht zu bewerten vermochte, was mir nicht selbst widerfahren war. ich gestand dem mann seine unverzeihlichkeit zu.
aber sehen sie, versuchte ich ihm zu vermitteln, sie machen es wie ihre mutter, sie wiederholen was sie ihnen angetan hat, sie zahlen es anderen heim, etwas in ihnen glaubt, mit jeder bewussten lüge noch heute die mutter abstrafen zu können. sie wiederholen, was sie ihr nicht verzeihen können - die lüge, immer wieder. sie kommen aus dieser spirale der wiederholung heraus indem sie die veranwortung für sich selbst übernehmen. sie sind jetzt kein ohnmächtiges kind mehr, sie sind erwachsen, sie können wählen.
die mutter abstrafen, höhnte der mann, das ergebe keinen sinn, die mutter sei lange tot.
es spielt keine rolle, ob die mutter tot ist, erklärte ich ihm und dass sein unterbewusstsein sich dafür nicht interessiere. der drang zu lügen sei ein selbstläufer geworden, dessen antrieb die befriedigung des vormals kindlichen machtstrebens im jetzt sei, im grunde der immer neue versuch von der ohnmacht in die macht zu gelangen, dies sei die ursache, warum er mit dem lügen nicht aufhören könne.
der mann konterte, die lüge habe die liebe zur mutter getötet, er könne nicht lieben, das sei das größte verbrechen der mutter am sohn. es müsse gesühnt werden um ihn zu befreien.
ich sagte ihm, nur die wahrheit könne ihn befreien. das nahm der mann mir übel. er warf mir unverständnis vor und dass ich nichts weiter bewirke als seinen widerstand.
ich bat ihn um vertrauen. der mann solle den versuch zu vertrauen üben. er habe doch den willen sich zu verändern geäussert, einen versuch sei es also allemal wert.
verlorenes vertrauen, sei nicht wieder zu gewinnen, wenn man schon der eigenen mutter nicht habe vertrauen können, wem dann? hinterfragte der mann den wert der übung.
er braucht zeit, sagte ich mir, aber ich fühlte mich von sitzung zu sitzung ohnmächtiger. denoch, ich war nicht bereit aufzugeben. ich schlug dem mann ein lügenverbot für die dauer einer woche vor. er solle versuchen den kreislauf zu durchbrechen und zu beobachten was dann passiere. der mann stimmte zu, einen versuch sei es wert und willigte ein am ende der woche wieder zu kommen.
und? der vater drückte die havanna im aschenbecher aus, gehe ich recht in der annahme, dass er nicht wieder kam?
josh nickte wortlos.
Montag, 21. November 2011
Presse ...
"Es sind keine effekthascherischen, spektakulären Geschichten, trotzdem üben Wendes Texte eine Faszination aus, die vor allem darin begründet liegt, genau das schnörkellos und klar auf den Punkt zu bringen, was man oft fühlte oder unbestimmt dachte, aber noch nie ausformuliert hat."
(Zitat: Allgemeine Zeitung, 21. November 2011 )
Sonntag, 20. November 2011
DER BLICK
Er schaltete das Flurlicht an. Es war vier Uhr nachmittags. Seit fünfzehn Jahren lebt er in dem dreistöckigen Reihenhaus am Rande von Wien. Das Haus war dunkel. Anna hatte es gesagt und dass die Dunkelheit sie bedrücke. Das war im letzen Sommer, als sie das erste Mal zu Besuch kam. Da hat er es auch bemerkt, das Dunkle.
Er war tagsüber oft zuhause, es hätte ihm auffallen müssen. Sechs Stunden arbeitete er in der Versicherungsagentur. Wirklich zu tun hat er nichts. Wenn er um sechs aufstand war er um sieben Uhr in der Firma. Er konnte dann am frühen Nachmittag wieder gehen. Im Sommer legte er sich auf die Dachterrasse. Stundenlang lag er dort mit geschlossenen Augen, vor sich hindösend ließ er sich die Sonne auf die alternde Haut scheinen. Sie verbrannte, wurde noch älter. Am Abend klappte er den Liegestuhl zusammen, holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Er legte sich auf das Sofa und sah fern. Wenn er Hunger hatte aß er Wurst und ein Stück Brot. Es war ihm egal, was er aß.
Anna kochte gern. Es gefiel ihm, wenn sie in der Küche am Herd stand und er den Duft des warmen Essens roch.Sie war schön. In einem Buch hatte er gelesen, dass Frauen nicht nach schönen Männern suchen, sondern nach Männern, die schöne Frauen besessen haben. Warum das so war, wusste er nicht. Er war glücklich, dass er sie bekommen hatte. Seit es sie gab floss sein Atem freier durch die Brust. Er hatte sie im Internet kennen gelernt. Monatelang hatte er ihr geschrieben. Jedes Wort hatte er sich überlegt, bevor er es in die Tastatur tippte. Sie war anspruchsvoll. Er wollte ihrem Anspruch genügen. Anna lebte in einer Welt, die ihm fremd war. Sie war Schauspielerin und lebte von der Hand in den Mund. Im Gegensatz zu ihm war sie arm, fand er. Er dachte ihr Armsein könne es ihm leichter machen sie zu erobern. Es war keine Berechnung, er war kein berechnender Mensch.
Er besaß etwas Geld, das er auf die Seite gelegt hatte und Aktien. Das Haus am Wiener Stadtrand war abbezahlt, er fuhr den einen neuen Wagen und hatte sich die kleine Finca auf Ibiza gekauft. Seit Jahren verbrachte er eine Woche im Frühling und eine Woche im Herbst auf der Insel. Sieben Tage lang fuhr er das immer gleiche Programm. In der Sonne liegen, fünf, sechs Bier trinken und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Mehr brauchte er nicht. Ab und zu eine Frau, wenn es sich ergab. Unverbindlicher Sex, eine gemeinsam verbrachte Nacht ohne Folgen.
Mit Anna war es anders. Vom ersten Moment an, als er sie gesehen hatte, als er in ihre Augen gesehen hatte, hatte er gewusst, dass er ohne sie nicht mehr sein wollte.
Die Art und Weise wie sie ihren Blick auf ihn legte, der in ihn hinein ging, dieser Blick, der ihn erfasste und über ihn hinaus alles andere. Dieser Blick klebte ihn an sie, wie zäher Leim, der Fäden zog, wenn sie nicht bei ihm war.
Sie war pure Energie. Er selbst hatte bei allem und jedem nur an der Oberfläche gekratzt. Intensiv eingetaucht war er in nichts und niemanden. Anna lebte intensiv, ließ sich treiben ohne über Konsequenzen nachzudenken. Rein, raus ins Leben, fallen und aufstehen. Eine Achterbahnfahrt, manchmal ein Ausflug in die Geisterbahn, intensiv eben. Wenn er mit ihr schlief spürte er es. Es war als versinke er in ihrem ganzen Sein, ihre Vergangenheit und Gegenwart in sich hineinsaugend. Anna, durch den Schwanz in sein Herz. Da blieb sie, egal wo er war, egal wo sie war.
Mit der Dunkelheit im Haus hatte es angefangen. Seit er sie kannte sah er die Dinge anders. Er betrachtete sie anders, auch sich selbst. Manchmal schmerzte es, er konnte nicht sagen, weshalb und wo.
Es war ein Gefühl, fremd und zugleich seltsam vertraut, so als habe es dieses Gefühl vorher schon gegeben, wie ein stummes Fordern, dem er nicht nachzugeben bereit gewesen war. Immer öfter ertappte er sich dabei, dass er fernsah und nicht wusste, was er gesehen hatte. Er dachte nach über dieses und jenes, das war neu. Anna dachte immerzu, sprach aus, was sie dachte. Ein Gedanke ergab ein Nächstes und wieder ein Nächstes – ein tosendes Unwetter in ihrem schönen Kopf, das sie anstrengte. Er spürte es. Dann legte er seine Hand auf ihr weiches dunkles Haar, ließ sie dort liegen, bis sie ruhiger wurde.
Er war es nicht gewohnt viel nachzudenken. Seine Gewohnheiten waren die Dinge, die er tat, alltägliche Dinge über die man nicht nachdenken musste. Er sei ein Konsument, hatte sie ihm vorgeworfen, fixiert auf äußere Reize und Informationen, da sei nichts, was aus ihm selbst komme und dass er nur reagiere auf das, was ihm begegnete.
Was ihm begegnete war wenig, das immer Gleiche. Eine wabernde Monotonie. Schrecklich, hatte sie gestöhnt und ihn gefragt, wie er so leben konnte. Er hatte er nie darüber nachgedacht. Er tat es einfach. Es war einfacher die Dinge zu tun, wenn man sie einfach nur tat. Ohne zu hinterfragen gibt es keine Fragen, hatte er gesagt. Und keine Antworten, hatte sie geantwortet. Er hatte nie nach Antworten gesucht. Er hatte keine Fragen, glaubte sich fraglos zufrieden.
Vielleicht wäre er immer so geblieben, fraglos zufrieden, bis ans Ende seiner Tage. Viele Menschen leben so, er hatte es als normal empfunden, normales Leben eben. Jetzt wusste er nicht mehr was besser oder schlechter war, das Normale oder das Andere. Anna war das Andere. Ein Teil des Anderen war, dass sie unberechenbar war wie ein Segel im Wind. Am Anfang hatte er geglaubt, er habe die Kraft, das Steuer in die Hand zu nehmen. Manchmal gelang es ihm für Stunden, aber dann riss sie sich los, plötzlich und unerwartet.
Irgendwann hatte er die Angst gefühlt. Angst sie zu verlieren, mit leeren Händen dazustehen in dem dunklen Haus. Die Angst wurde groß, so groß, dass er ihr nachts in seinen Träumen begegnete. Er saß alleine in einem Boot, das ziellos im Meer trieb, hin und her gepeitscht vom Sturm, der hohen Wellen schlug. Sie schwappten ins Boot, es sank. In Schweiß gebadet, von seinen eigenen Schreien geweckt, rief er ihren Namen im Sinken. Wenn sie neben im lag beruhigte er sich schnell. Er legte die Decke fester über ihren Körper, betrachtete ihr Gesicht und lauschte ihrem Atem, bis er darüber einschlief. Wenn sie nicht da war lag er wach und dachte nach, über die Zeit, die vor Anna gewesen war. Er blickte er in eine graue Leere und fand keine Erinnerung in Farbe, die ihn in den Schlaf hinüber rettete.
Es hatte andere Frauen gegeben. Sie hatten in sein Leben gepasst wie ein Teil eines Puzzles, der am Ganzen nichts verändert. Er war ein Mann, der den Frauen gefiel, er war charmant, nicht von der plumpen Schwerfälligkeit, die als männlich galt. Er war kein Verführer, eher ein Beantworter des Zufalls, der ihm die Frauen zugespielt hatte. Nach kurzer Zeit hatte er sie betrogen, weil ihn ein neuer fremder Körper gereizt hatte. Sie hatten es herausgefunden und ihn verlassen. Tiefe Spuren hinterlassen hatte keine. Ein Mal wäre er beinahe Vater geworden. Manchmal dachte er noch an die Frau und das Kind, das es nicht hatte geben sollen. Eine verlorene Möglichkeit, nichts weiter.
Bevor Anna kam war er lange Zeit allein gewesen. Nach der ersten Nacht mit Anna hatte er sie gebeten zu bleiben. Sie hatte ihn mit ihren traurigen braunen Augen angesehen und gesagt,dass alles vergänglich sei und jeder Anfang schon das Ende in sich trägt und dass die Liebe zwischen Mann und Frau keinen anhaltenden Effekt habe, anderes zu denken sei ein Phantasma zwischen Frauen und Männern, das an einer jahrtausendelangen Gegenteilsbeweißführung zerplatze. Er fragte sie, wie es mit ihm und ihr sei. Sie sagte, sie wisse es nicht und wolle es nicht wissen.
Sie blieb. Er genoss die Nächte mit ihr. Manchmal weinte sie. Er verstand es nicht. Es sei dieser kleine Tod des Ichs, das Versinken im anderen, wo man nicht mehr eins ist, sondern eins und zwei, ein Ganzes für den Moment. Sie sagte, sie wünschte sich, es in sich selbst zu fühlen, das Ganzsein. Es machte ihn traurig sie so reden zu hören. Manchmal kam es ihm vor, als mache seine Anwesenheit ihre Melancholie größer. Sein Dasein, eine stets angezweifelte Sache, die sie umso tiefer in ihre Eiswüste zurückwarf. Er wollte sie glücklich sehen, ihr die Freude schenken, die er fühlte, einfach weil er lebte. Manchmal teilte sie sie, aber sie konnte das Gefühl nicht festhalten.
Sie glaubte nicht an Dauerhaftes. Alles sind Momente der Einzigartigkeit, nicht zu halten und nicht wiederholbar, sagte sie oft, und dass alles in einer Beziehung unterschiedliche Stadien einer Auseinanderentwicklung seien, unzählige Szenen zwischen dominieren und dominiert werden, zwischen Aufeinander zugehen und voneinander weggehen, ein immerzu variierender Rhythmus in den unterschiedlichsten Tönungen, an deren Anfang der erste Kuss stehe und am Ende unausweichlich der Schluss.
Es half nichts, dass er mit seiner Idee von der Ausnahme kam, der Zuversicht, des Vertrauens und dem Glauben an das Veränderbare. Sie wollte wissen, woran sich sein Glaube festmache, er selbst habe noch keine Liebe halten können. Er habe sie alle betrogen. Er verstummte. Sein Inneres kämpfte den Kampf weiter.
Er beobachtete ihr Kommen und Gehen und hielt an der Zuversicht fest. Manchmal blieb sie für eine Weile. Er zeigte ihr Wien, er führte sie zum Essen aus, sie tranken Wein und hörten Musik, sie liebten sich, in den Nächten hielt er sie in seinen Armen. Sie schrieb Geschichten, die sie ihm am Abend vorlas. Er schlug ihr vor zu ihm zu ziehen, sie habe nichts zu verlieren. Sie sagte, sie habe ihre Freiheit zu verlieren.
Wenn sie fort war, war das Haus still, so still dass es ihm körperlich wehtat. Er rief sie an, jeden Tag am Morgen und am Abend. Die Gespräche ließen ihn unsicher zurück. Es war als sei sie unendlich weit weg von ihm, ein Wegsein, dass mehr als räumliche Trennung war. Es fühlte sich an, als habe sie ihn von sich abgeschnitten und all das was sie miteinander geteilt hatten. Wenn er den Hörer auflegte fühlte er nichts als Leere.
Während er auf Annas Wiederkommen wartete ging er ins Internet. Aus Langeweile, um sich abzulenken sah er sich die Fotos der Frauen an. Die, die ihm gefielen schrieb er an. Eines Tages fand er eine Einladung zu einem Treffen unter den Antworten in seinem Nachrichtenpostfach. Die Frau war aus Wien. Sie tat geheimnisvoll. Sie hatte kein Foto in ihrem Profil, aber was er las gefiel ihm, es hatte etwas Leichtes, Unbeschwertes. Warum nicht, dachte er.
Anna hatte damit nichts zu tun, sie war die, die er liebte, auf die er wartete, die wiederkommen würde. Bis dahin musste er der Leere in seinem dunklen Haus entkommen. Ein Abend, der nicht vor dem Fernsehgerät endete, eine kleine Ablenkung, nichts weiter.
Er nahm die Einladung an. Die Frau schlug ein Restaurant in der Nähe der Hofburg vor. Am Samstagabend, ob ihm das Recht sei? Er schrieb zurück, dass er sich freue und da sein würde. Sie würde ihn an den langen schwarzen Haaren und an dem schwarzen Mantel erkennen.
Es war eines der vielen Wochenenden, an dem Anna nicht kommen würde. Gegen sechs ging er unter die Dusche. Er genoss das warme Wasser, das über seinen Körper floss, rasierte sich sorgfältig und cremte sich ein. Er zog seine Lieblingsjeans und ein schwarzes Hemd an. Als Duft wählte er das Eau de Toilette aus Ibiza, das Anna so gern mochte.
Mit einem Glas Whisky setzte er sich an den Schreibtisch und wählte ihre Nummer. Sie nahm nicht ab. Er trank den Whisky und probierte es noch einmal. Dann wählte er ihre Handynummer. Es war ausgeschaltet. Er war enttäuscht, er hätte gerne ihre Stimme gehört, bevor er das Haus verlies. Sie war manchmal tagelang nicht erreichbar. Er hatte sie ein paar Mal gebeten, das Handy nicht auszuschalten, aber sie hatte gesagt, sie brauche diesen Schutzraum ohne Kommunikation mit dem Aussen um Ruhe zu finden.
Deprimiert verließ er das Haus, lief er zum Parkplatz, setze sich ins Auto und machte den Motor an. Es war bereits dunkel. Es war November und eiskalt. Auf der Fahrt in die Stadt dachte er an den Winter, der bald kommen würde und wie froh er war in diesem Jahr Weihnachten nicht alleine verbringen zu müssen. Sie würden es gemeinsam feiern hatte sie gesagt und die ganze Zeit im Bett bleiben, wenn ihnen danach war. Er fühlte wie das Begehren in ihm hochstieg. Es gab keine andere, es gab kein Ende, für ihn nicht und für sie nicht, es ging um mehr als einen Moment in der Zeit. Er würde ihr beweisen, dass Liebe etwas anderes sein konnte, als die abgemessene Strecke zwischen einem Anfang und einem Ende, zwischen Kuss und Schluss. Seine Stimmung besserte sich.
In der Nähe des Restaurants fand er einen Parkplatz. Sein Blick in den Rückspiegel. Die Liebe zu Anna machte ihn attraktiver, die Konturen seines Gesichts wirkten schärfer. Zufrieden zog er den Schlüssel aus dem Zündschloss, öffnete die Wagentür und stieg aus. Leichtfüßig ging er die wenigen Schritte zur Hofburg.
Als er das Lokal betrat sah er sie sofort. Sie saß gegenüber dem Eingang und rauchte. Seine Augen verhakten sich in ihrem Blick. Der Blick, dieser Blick, der ihn erfasste und über ihn hinaus alles andere.
EPILOG
Er steht auf der Strasse. Kotzt in den Rinnstein. Kotzt sich selbst an. Hose versaut. Leben versaut. Herz kalt. Steigt in sein Auto, dreht den Zündschlüssel um. Schaltet den Motor an, gibt Gas, mehr Gas, tritt das Gaspedal durch. Anna im Kopf. Druck innen, Druck zum zerplatzen. Platzt nicht. Man platzt nicht wenn es weh tut. Warum eigentlich nicht. Er fragt sich das. Findet keine Antwort. Auch egal. Gas geben und fahren. Immer geradeaus. Auf die Landstrasse. Herz kalt. Eiskalt. Mehr Gas geben. Steuer loslassen. Loslassen. Druck von außen. Viel Druck. Tut weh. Dann nicht mehr.
Freitag, 18. November 2011
Worte
er hatte es bis ins kleinste detail geplant. wenn er genau überlegte, eigentlich von anfang an. vom anfang seines bewusst denkenden und fühlenden lebens an.
es war ungutes, was er zuerst gefühlt und dann gedacht hatte. es war ungutes unter den menschen und in ihm. das ungut gedachte wuchs mit ihm und es war so hässlich wie er. er war immer hässlich gewesen, schon als kind. er sah es auf den fotos, die sie von ihm gemacht hatten. er hatte sich nie fotografieren lassen wollen, aber sie hatten ihn nicht gefragt, ihm das ungute zugemutet, auch dieses ungute.
sie hatten ihn aufgefordert zu lächeln und seine schiefen zähne zu zeigen. es sah aus, wie das blecken eines ackergaules. er sah es und fragte sich, ob sie es nicht sahen. sie sahen es wohl nicht.
als er ihnen zu nichts mehr verpflichtet war, ließ er sich nicht mehr fotografieren. er verschloss die lippen so gut es ging. wenn er sprechen musste, presste er die worte zwischen ihnen hindurch, was den worten einen verzogenen klang gab. er sprach nur das nötige, lächen tat er nie.
er schrieb. seit er denken konnte schrieb er. sie würden dabei sein, die worte, wenn er es tun würde.
auf die idee, wie sie dabei sein konnten, hatte ihn die fotografin gebracht, als sie das foto von ihm machte, dass er machen lassen musste, weil sie ihn interviewt hatten, wegen des buches, das er geschrieben hatte, das buch, das ein erfolg war. er war sich sicher, dass es das einzige gute war, was er zurücklassen konnte, also hatte er zugesagt und gewusst, es würde das letzte foto von ihm sein.
er hatte die fotografin gebeten keine nahaufnahme zu machen. am liebsten, er von hinten beim schreiben, oder nur die hände auf der tastatur, oder zumindest von der seite im profil, hatte er vorgeschlagen.
sie hatte gesagt, dass sei unmöglich, man wolle ihn sehen, den autor, und dass es gut sei, wenn da ein gesicht war zu dem buch. die leute mochten gesichter. er wusste es.
aber sie hatte verstanden. sie hatte sich etwas einfallen lassen, um sein gesicht nicht nackt dem blitzlicht preiszugeben. er war ihr dankbar.
sie hatte eine seite aus seinem buch kopiert und die schwarzen worte weiß gemacht und sie auf schwarzen grund gelegt. sie hatte das weiß auf schwarze in eine datei gepackt auf ihrem laptop und den laptop an einen beamer angeschlossen. im studio hatte sie ihn an eine weiße wand gestellt, den beamer angeschaltet und auf sein gesicht gerichtet. da waren sie, die worte auf seinem gesicht, wie hineingeschrieben in die blasse haut. das hatte ihm gefallen.
er hatte sich einen beamer besorgt und es so gemacht wie die fotografin es ihm vorgemacht hatte. der beamer lief seit stunden. die buchstaben tanzten schwarz auf der weißen wand seines arbeitszimmers. er saß in dem bequemen lederstuhl an seinem schreibtisch und sah ihnen dabei zu. das bleckendende lächeln legte die schiefen zähne frei.
jetzt war es genug. er erhob sich aus dem lederstuhl, ging zur wand, stellte sich mit dem rücken dagegen und nahm die pistole aus der jackentasche. er öffnete den mund, umschloss den kalten lauf mit seinen lippen und drückte ab, nicht ohne vorher den gedanken gehabt zu haben, dass es gut war mit den worten bedeckt zu sterben, bei all dem unguten was es gab.
es war ungutes, was er zuerst gefühlt und dann gedacht hatte. es war ungutes unter den menschen und in ihm. das ungut gedachte wuchs mit ihm und es war so hässlich wie er. er war immer hässlich gewesen, schon als kind. er sah es auf den fotos, die sie von ihm gemacht hatten. er hatte sich nie fotografieren lassen wollen, aber sie hatten ihn nicht gefragt, ihm das ungute zugemutet, auch dieses ungute.
sie hatten ihn aufgefordert zu lächeln und seine schiefen zähne zu zeigen. es sah aus, wie das blecken eines ackergaules. er sah es und fragte sich, ob sie es nicht sahen. sie sahen es wohl nicht.
als er ihnen zu nichts mehr verpflichtet war, ließ er sich nicht mehr fotografieren. er verschloss die lippen so gut es ging. wenn er sprechen musste, presste er die worte zwischen ihnen hindurch, was den worten einen verzogenen klang gab. er sprach nur das nötige, lächen tat er nie.
er schrieb. seit er denken konnte schrieb er. sie würden dabei sein, die worte, wenn er es tun würde.
auf die idee, wie sie dabei sein konnten, hatte ihn die fotografin gebracht, als sie das foto von ihm machte, dass er machen lassen musste, weil sie ihn interviewt hatten, wegen des buches, das er geschrieben hatte, das buch, das ein erfolg war. er war sich sicher, dass es das einzige gute war, was er zurücklassen konnte, also hatte er zugesagt und gewusst, es würde das letzte foto von ihm sein.
er hatte die fotografin gebeten keine nahaufnahme zu machen. am liebsten, er von hinten beim schreiben, oder nur die hände auf der tastatur, oder zumindest von der seite im profil, hatte er vorgeschlagen.
sie hatte gesagt, dass sei unmöglich, man wolle ihn sehen, den autor, und dass es gut sei, wenn da ein gesicht war zu dem buch. die leute mochten gesichter. er wusste es.
aber sie hatte verstanden. sie hatte sich etwas einfallen lassen, um sein gesicht nicht nackt dem blitzlicht preiszugeben. er war ihr dankbar.
sie hatte eine seite aus seinem buch kopiert und die schwarzen worte weiß gemacht und sie auf schwarzen grund gelegt. sie hatte das weiß auf schwarze in eine datei gepackt auf ihrem laptop und den laptop an einen beamer angeschlossen. im studio hatte sie ihn an eine weiße wand gestellt, den beamer angeschaltet und auf sein gesicht gerichtet. da waren sie, die worte auf seinem gesicht, wie hineingeschrieben in die blasse haut. das hatte ihm gefallen.
er hatte sich einen beamer besorgt und es so gemacht wie die fotografin es ihm vorgemacht hatte. der beamer lief seit stunden. die buchstaben tanzten schwarz auf der weißen wand seines arbeitszimmers. er saß in dem bequemen lederstuhl an seinem schreibtisch und sah ihnen dabei zu. das bleckendende lächeln legte die schiefen zähne frei.
jetzt war es genug. er erhob sich aus dem lederstuhl, ging zur wand, stellte sich mit dem rücken dagegen und nahm die pistole aus der jackentasche. er öffnete den mund, umschloss den kalten lauf mit seinen lippen und drückte ab, nicht ohne vorher den gedanken gehabt zu haben, dass es gut war mit den worten bedeckt zu sterben, bei all dem unguten was es gab.
wahr
die wahrheit
lauert
irgendwo da unten
in mir
ich spüre sie
werde das lauern dadurch nicht los
es lässt sich nicht vertreiben
es?
das spüren nicht
das ist wahr.
die utopie von liebe
ich liebe dich hatte er gesagt, immer wieder hatte er es gesagt, jeden tag hatte er es gesagt, nicht müde werdend es zu sagen. sie, ermüdet vom oft gesagten, hatte sich gefragt, ob er es sagte, so oft sagte, viel zu oft sagte, um sie seiner liebe zu versichern oder sich selbst seiner liebe. sprachwort liebe, hatte sie gedacht, und dass sie es schon zu oft gehört hatte, von anderen, die gewesen waren und gegangen. dass liebe kein sprachwort sei, sondern ein ohne worte auskommendes still gefühltes, im besten falle ein tatwort, hatte sie zu ihm gesagt.
und er, geantwortet, dass es aus ihm heraus müsse das wort, weil es so sei, dass er sie liebe und nicht gehört auf ihr bitten, es nicht immer wieder zu sagen, weil es inflationär benutzt an bedeutung verlor.
ich sage es nicht mehr, hatte er gesagt und es durchgehalten eine weile. es wieder gesagt nach einer weile des durchhaltens, was ihm schwer fiel, so schwer das unausgesprochene wort, das auf seiner zunge lag die ganze zeit des durchhaltens, und es wieder gesagt, immer wieder. und sie, gedacht, dass er sich in ihr liebte, weil ihm das sich selbst lieben so wenig gelang und sie auch jemand anderer hätte sein können und austauschbar.
sie, müde geworden vom vielgesagten, misstraute der gesagten liebe immer mehr, misstraute dem sprachwort liebe, an dessen ende immer das wort kummer stand, um den sie wusste. der kummer, der sie zurückgelassenen hatte, immer wieder, lieblos und mit dem gedanken, dass liebe nichts weiter war als eine utopie, die zwei teilten um dem wirklichkeitsraum zu entkommen, in einen besseren raum, und dass das niemals gelang und wenn nur eine weile und, dass sie scheitern musste, die utopie von liebe, wie jede andere utopie scheitern musste - an der wirklichkeit, zu der sie dann wurde.
und er, geantwortet, dass es aus ihm heraus müsse das wort, weil es so sei, dass er sie liebe und nicht gehört auf ihr bitten, es nicht immer wieder zu sagen, weil es inflationär benutzt an bedeutung verlor.
ich sage es nicht mehr, hatte er gesagt und es durchgehalten eine weile. es wieder gesagt nach einer weile des durchhaltens, was ihm schwer fiel, so schwer das unausgesprochene wort, das auf seiner zunge lag die ganze zeit des durchhaltens, und es wieder gesagt, immer wieder. und sie, gedacht, dass er sich in ihr liebte, weil ihm das sich selbst lieben so wenig gelang und sie auch jemand anderer hätte sein können und austauschbar.
sie, müde geworden vom vielgesagten, misstraute der gesagten liebe immer mehr, misstraute dem sprachwort liebe, an dessen ende immer das wort kummer stand, um den sie wusste. der kummer, der sie zurückgelassenen hatte, immer wieder, lieblos und mit dem gedanken, dass liebe nichts weiter war als eine utopie, die zwei teilten um dem wirklichkeitsraum zu entkommen, in einen besseren raum, und dass das niemals gelang und wenn nur eine weile und, dass sie scheitern musste, die utopie von liebe, wie jede andere utopie scheitern musste - an der wirklichkeit, zu der sie dann wurde.
Mittwoch, 16. November 2011
trialog
sie: der fehler im system ist der mensch!
er: echt? sollen wir den mensch abschaffen?
sie: der mensch sollte sich darauf besinnen, was der mensch sein könnte.
ein anderer: ersetzen wir ihn durch döner
sie: döner macht schöner und blöder wie ich sehe.
er: der mensch besitzt ein unendliches potential!
sie: gut versteckt im döner!
(ähnlichkeiten mit lebenden personen sind rein zufällig)
erfolg
ich bin nicht erfolgreich, nicht im sinne dessen, was unsere gesellschaft unter erfolg versteht. es gab zeiten wo ich es war, im sinne dessen, was unsere gesellschaft unter erfolg versteht. also im sinne von, etwas tun, was geld bringt, im sinne von angesehen sein, im sinne von haben.
heute habe ich nicht mehr viel, nicht im sinne von erfolg, den unsere gesellschaft als solchen wertet. ich hab so ziemlich alles verloren von jenen attributen, die mich als erfolgreich auszeichnen würden. ich konnte dabei zusehen wie innerhalb von sieben jahren stück für stück zusammenbrach, was ich als die säulen meiner existenz angesehen hatte. alles weggerissen. das tat weh, richtig weh. ich habe schwer losgelassen, mich lange festgekrallt am haben und darum hat es so richtig weh getan. es waren harte zeiten, zeiten in denen ich manchmal nicht mehr wusste, wie ich meine miete zahlen soll. ich war verzweifelt. aber der verlust der dinge war nicht genug, ich habe das wertvollste verloren, meinen lieblingsmenschen. das leben erschien mir sinnlos. ich war am boden, so am boden, dass ich nicht mehr aufstehen wollte.
eine weile bin ich liegen geblieben, am boden, und als ich so da lag am boden, habe ich geglaubt, ich schaffe es niemals wieder aufzustehen. ich habe mich selbst verurteilt, ich habe die welt verurteilt, eine weile. und dann bin ich aufgestanden vom boden, nach einer weile, weil es meinen lieblingsmenschen gab. weil ich leben wollte für ihn und für mich. das sind zwei gewichtige gründe um aufzustehen und weiterzumachen, die wichtigsten gründe.
ich habe begriffen, dass ich kein recht habe aufzugeben, weil es menschen gibt, für die es sich zu leben lohnt, nämlich unsere lieblingsmenschen und wir selbst. das ist es, was den sinn ausmacht, bei all den sinnfragen, die das leben in sich trägt und auf die wir niemals wirklich antworten finden werden.
ich habe sie verstanden, die lektionen, die mir das leben gab. das wesentliche, sind die menschen, die wir lieben. für diese menschen lohnt es sich zu kämpfen, gegen alle widerstände und trotz aller schläge, die uns das schicksal versetzt, trotz aller fehler, die wir machen, weil wir menschen sind.
als ich die enstscheidung getroffen habe aufzustehen, kam hilfe. es traten menschen in mein leben, die mir halfen weiter zu gegen, menschen, die mir ohne etwas zu erwarten unterstützung gaben. sie tun das noch heute. sie sind an meiner seite und an der seite meines lieblingsmenschen, der wieder kam. ich hatte ihn niemals wirklich verloren.
heute bin ich nicht erfolgreich im sinne dessen, was unsere gesellschaft als erfolg versteht, aber ich tue heute was ich damals, als ich erfolgreich war, nicht tat - ich tue, was mir entspricht. ich komme mit viel weniger aus als damals, ich muss mit jedem cent rechnen, aber ich tue das, was mir gut tut und das beste daran ist - ich weiß, mit dem was ich tue, tue ich auch anderen gut. das tut gut, das fühlt sich viel besser an als der erfolg, den ich hatte, im sinne dessen, was die gesellschaft unter erfolg versteht.
heute weiß ich, das nichts was uns geschieht ohne grund geschieht, auch wenn es weh. heute weiß ich, ich habe all die verluste gebraucht um die zu werden, die ich bin, für mich und meinen lieblingsmenschen und all die menschen, denen das gut tut, was ich tue.
heute habe ich nicht mehr viel, nicht im sinne von erfolg, den unsere gesellschaft als solchen wertet. ich hab so ziemlich alles verloren von jenen attributen, die mich als erfolgreich auszeichnen würden. ich konnte dabei zusehen wie innerhalb von sieben jahren stück für stück zusammenbrach, was ich als die säulen meiner existenz angesehen hatte. alles weggerissen. das tat weh, richtig weh. ich habe schwer losgelassen, mich lange festgekrallt am haben und darum hat es so richtig weh getan. es waren harte zeiten, zeiten in denen ich manchmal nicht mehr wusste, wie ich meine miete zahlen soll. ich war verzweifelt. aber der verlust der dinge war nicht genug, ich habe das wertvollste verloren, meinen lieblingsmenschen. das leben erschien mir sinnlos. ich war am boden, so am boden, dass ich nicht mehr aufstehen wollte.
eine weile bin ich liegen geblieben, am boden, und als ich so da lag am boden, habe ich geglaubt, ich schaffe es niemals wieder aufzustehen. ich habe mich selbst verurteilt, ich habe die welt verurteilt, eine weile. und dann bin ich aufgestanden vom boden, nach einer weile, weil es meinen lieblingsmenschen gab. weil ich leben wollte für ihn und für mich. das sind zwei gewichtige gründe um aufzustehen und weiterzumachen, die wichtigsten gründe.
ich habe begriffen, dass ich kein recht habe aufzugeben, weil es menschen gibt, für die es sich zu leben lohnt, nämlich unsere lieblingsmenschen und wir selbst. das ist es, was den sinn ausmacht, bei all den sinnfragen, die das leben in sich trägt und auf die wir niemals wirklich antworten finden werden.
ich habe sie verstanden, die lektionen, die mir das leben gab. das wesentliche, sind die menschen, die wir lieben. für diese menschen lohnt es sich zu kämpfen, gegen alle widerstände und trotz aller schläge, die uns das schicksal versetzt, trotz aller fehler, die wir machen, weil wir menschen sind.
als ich die enstscheidung getroffen habe aufzustehen, kam hilfe. es traten menschen in mein leben, die mir halfen weiter zu gegen, menschen, die mir ohne etwas zu erwarten unterstützung gaben. sie tun das noch heute. sie sind an meiner seite und an der seite meines lieblingsmenschen, der wieder kam. ich hatte ihn niemals wirklich verloren.
heute bin ich nicht erfolgreich im sinne dessen, was unsere gesellschaft als erfolg versteht, aber ich tue heute was ich damals, als ich erfolgreich war, nicht tat - ich tue, was mir entspricht. ich komme mit viel weniger aus als damals, ich muss mit jedem cent rechnen, aber ich tue das, was mir gut tut und das beste daran ist - ich weiß, mit dem was ich tue, tue ich auch anderen gut. das tut gut, das fühlt sich viel besser an als der erfolg, den ich hatte, im sinne dessen, was die gesellschaft unter erfolg versteht.
heute weiß ich, das nichts was uns geschieht ohne grund geschieht, auch wenn es weh. heute weiß ich, ich habe all die verluste gebraucht um die zu werden, die ich bin, für mich und meinen lieblingsmenschen und all die menschen, denen das gut tut, was ich tue.
Montag, 14. November 2011
Die schwarze Dame oder vom Sinn einer depressiven Episode
Ich leide unter einer depressiven Episode. Das habe ich selbst diagnostiziert. Wie, geht nicht? Doch geht! Erstens, weil ich das von mir kenne. Zweitens, weil ich eine Ausbildung habe, die mir die Diagnose erlaubt. Davon abgesehen, es reicht auch schon der gesunde Menschenverstand um es zu erkennen, vorausgesetzt man besitzt ihn noch, aber das ist eine andere Krankheit, um die ich mich jetzt nicht kümmere. Ok, ich habe eine depressive Eisode. So nennt man eine rezidivierende depressive Phase, die, wenn sie persistiert, heißt - bestehen bleibt - in eine echte Depression münden kann.
Ich bin noch episodisch befallen, also nicht reif für die Klapse.
Woran merke ich, dass es wieder mal so weit ist?
Manche depressiven Episoden haben Auslöser, die von außen kommen. Bei anderen kommen sie von innen – endogene Depression – was für ein Wort, das hört sich schon ziemlich nach Krankheit an. Die endogenen sind die Schlimmsten, weil da die eigene Seele nicht mehr mitmachen will, die die von Außen kommenden haben einen Grund. Also meine depressive Epsiode hat einen Grund. Das spüre ich.
Einen?
Mein Therapeut ist da nicht ganz meiner Meinung. Für den ist das Alarmstufe ROT. Er wedelt mit dem Rezeptblock: „Mittelchen gefällig?“ Obwohl er genau weiß, dass ich von Mittelchen, die die Symptome beheben und nichts an den Ursachen ändern gar nicht schätze. Mir ist es auch völlig egal ob diese Mittelchen mich dann besser drauf machen würden. Das hilft nämlich auf lange Sicht nichts, ist nur Selbstbetrug und der hat fatale Folgen, wie jeder einigermaßen intelligente Mensch weiß.
Ich habe einen Grund depressiv zu sein und den will ich herausfinden und wenn ich dann nach der Einnahme des Mittelchens gut drauf bin finde ich nichts heraus und mache so weiter wie bisher. Bis zu nächsten Episode, denn die kommt bestimmt, spätestens sobald das Mittelchen abgesetzt werden muss, wegen der Suchtgefahr.
„Na gut, dann eben kein Mittelchen, erst mal runterkommen“, meint mein Therapeut. Runterkommen? Ich bin unten. Genau das heißt ja Depression - lat. deprimiere – zu deutsch: es drückt nach unten. Und warum? Damit ich mal gucke, was da unten so los ist, im Schattenreich des Verdrängten.
Also dann guck ich mal nach unten und vorher sage ich mir: Wenn du depressiv bist dann ist das jetzt so. Ist wie ein Winterschläfchen. Fakt ist, mein System hat keinen Bock mehr. Es schaltet sich aus und es wird wissen warum. Oder kommt vielleicht einer auf die Idee ein Tierchen beim Winterschlaf zu wecken: „Hey du Penner, das geht ja mal gar nicht. pennen, ne, du musst was schaffen und wenn du das nicht mehr kannst, weil du müde bist, dann nimm gefälligst ein Mittelchen! Also, wenn so ein Winterschläfer sprechen könnte, na der würde uns was erzählen. Oder beißen im Zweifel.
Gut, dass ich depressiv bin habe ich jetzt erst mal akzeptiert. Aber, warum bin ich depressiv? Das ist hier die Frage, die sehr an das Hamletsche „Sein oder nicht Sein“ erinnert.
Weil - „Sein“ ist nicht depressiv der Wunsch nach „nicht Sein“ ist eindeutig depressiv. War Hamlet übrigens auch, oder war der manisch-depressiv? Aber Hamlet will ich jetzt nicht analysieren, jetzt bin ich dran. Der kluge Therapeut weiß: die Lösung liegt im Patienten selbst. Und er kluge Therapeut bringt ihn da auch hin, zur Lösung. Also ran an die Lösungsfindung. Jetzt bin ich Therapeut und Klient in persona unica. Das funktioniert nicht? Na, das will ich jetzt aber wissen.
Ich guck jetzt mal, was mir meine depressive Episode sagen will. Ich lade sie zu einer Flasche Rotwein ein und höre ihr zu. Die Epsiode interessiert auch überhaupt nicht wie ich gerade aussehe, der ist das völlig schnurz, ob ich Ringe unter den Augen habe und Kaffeeflecken auf dem Bademantel - die mag mich nämlich so wie ich bin. Nicht wie all die lieben sogenannten Freunde, die nur da sind, wenn es mir gut geht und es gar nicht mögen wenn es mir nicht gut geht. Könnte ich gerade gut gebrauchen, echte Freunde, die das sind wenn es mir nicht gut geht. Aha, das ist ein Grund für meine depressive Episode – die sogenannten Freunde, die gar keine sind oder die Menschen, die sagen, dass sie mich nicht verletzen wollen und obwohl ich sie hundert Mal eindringlich gewarnt habe, meine Grenzen nicht überschreiten. Das brauchst du nicht mehr, sagt meine depressive Episode, und Recht hat sie.
Weiter geht’s! Noch ein Glas Wein, Episode? Sie ist schon ein bisschen kleiner geworden, aber noch immer schön schwarz. So sieht sie nämlich aus, die Depression – schwarz. Eine schwarze Dame, wie der von mir hoch geschätzte C. G. Jung es einmal formuliert hat, und die Empfehlung gab, dass man sie zu Tisch bitten soll, weil sie einem etwas zu sagen hat.
Eine schwarze Dame am Tisch, na das ist doch mal was anderes . Sonst bin ich da immer die schwarze Dame. Ich gebe nämlich gern die Diva. Was will man auch machen, wenn die Jugend der Vergänglichkeit anheim fällt und der verbleibende Rest einstiger Schönheit sich noch nicht vollendends verflüchtigt hat?
Alternative? Eine dicke gemütliche Mama? Nein, dick steht mir nicht und gemütlich bin ich nicht. Die Diva andererseits ist auf Dauer anstrengend und vor allem nutzt sie mehr Anderen als mir selbst. Ich mache nämlich bei künstlerischen Veranstaltungen einen überzeugenden Eindruck, nur verdienen tu ich da nichts mit, trotz der Arbeit die mir das macht. Nach Kosten - Nutzen Abwägung sage ich mir – das lässt du ab jetzt mal schön bleiben. Danke, schwarze Dame, dass du mir das so schön spiegelst.
Nicht das ich jetzt doch dick und gemütlich werden will, ich neige ja zu Extremen, aber anstatt mir schöne Texte für Leute auszudenken, die für das, was mein kluger Kopf so alles zum Vorschein bringt, nicht mal ein paar Euros springen lassen wollen, schreib ich doch endlich mal meinen Roman zu Ende und nutze meine Klugheit für mein eigenes Werk, heißt, ich denke nicht mehr für andere, sondern für mich selbst. Fein, fühlt sich gut an.
Vermissen wir mich niemand. Wir sind alle ersetzbar, nur nicht für uns selbst und daran habe ich schon lange nicht mehr gedacht - an mich selbst.
Mein Unterberwusstsein allerdings schon. Sonst hätte ich, also mein Unterbewusstsein für mich, nicht meinem softskillarmen cholerischen Chef empfohlen, er kann mich mal. Dass dies das Ende meiner Agenturkarriere war, war meinem Vorbewusstsein klar, aber das Unterbewusstsein war stärker und hat mich herauskatapultiert aus der Welt des monitären Habens und emotionalen Nichthabens.
Hilfe, stimmt ja. ich habe keinen festen Job mehr! Und schon droht die schwarze Dame wieder und ich muss jetzt noch einen Wein trinken, sonst kommt die schwarze Katze Angst und die will ich nicht auch noch einladen, ausserdem habe ich eine Katzenallerige. Davon abgesehen, der Wein reicht auch nur für zwei. Ich bin joblos und bald pleite - also wer da nicht depressiv wird. Kann da ein Mittelchen helfen?
Etwa so: Nimm Fluctin, dann klappts vielleicht mit nem neuen Job. Mal ehrlich zu mir selbst, so einen Job will ich gar nicht, nur damit ich mir einen gewissen Luxus leisten kann, ich will machen was mir entspricht und was für mich Sinn macht, und nicht irgendwelchen verblödeten Leuten verblödete Events verkaufen, die sie noch blöder machen. Danke, schwarze Dame, auch da hast du Recht!
Andererseits, will ich lieber Hartz IV Empfängerin sein und von 380 Euro im Monat leben? Da hat sich’s dann auch mit meiner neunzig Quadratmeter Wohnung erledigt. Ist das den Preis wert? fragt mich jetzt hämisch grinsend die schwarze Dame. Ich nehme erst mal noch einen Schluck aus dem Weinglas um die Angst runterzuspülen bevor sie doch noch anschleicht.
Nutzt nix. Das sitzt. Ich bin immer noch am Boden - tief deprimiert. Und weit und breit keiner der mich aufhebt. Die schwarze Dame sieht nicht so aus, als würde sie ihren Hintern heben und mir die rettende Hand reichen. Die hat mit sich selbst genug zu tun. Wie jeder eben. Auch so was. Wenn du gut drauf bist sind sie alle da, aber wehe du schwächelst. Hatte ich schon, stimmt, das war das mit den Freunden, die keine sind. Ich glaube, die meisten Menschen haben keinen Bock auf Drama oder Depris - weil sie befürchten sie könnten sich anstecken. Und Zeit für andere haben die meisten nur wenn sich’s lohnt und ich lohne mich zur Zeit für niemanden.
Ich bemerke, das Damoklesschwert, das da über mir schwebt, ist die Vereinsamung aufgrund des nicht mehr Teilnehmens an der Arbeits- und Freizeitwelt mangels monitärer Kompetenz. Dabei - ich bin noch genauso klug, genauso unterhaltsam, genauso adrett, wenn ich mich rausputze, wie zuvor. Aber, wer nicht zahlen kann, zählt nicht.
Jetzt tue ich mir richtig leid. Die depressive Stimmung steigt wieder und das ist entschieden nicht der Zweck der Übung. Oder doch?
Wann habe ich mir denn mal so richtig Leid getan? Mir tun immer die Anderen leid. Mein Sohnemann, der es erst mal verbockt hat und seine Freundin, die leidet, weil sie es mit verbockt hat und der Galerist, der mich braucht, damit sein Laden nicht vor die Hunde geht und mein Exmann, der wieder mal in der Sinnkrise der Midlifecrisis steckt und mein bester Freund, der todunglücklich ist weil er eine Malblockade hat und die ganzen haltlosen Kids, die sich mit Drogen voll dröhnen und anderen aufs Maul hauen aus purer Verzweiflung und der arme Künstler, der eine Ausstellung will und sie nicht kriegt und das ganze Leid in der Welt, das mir jeden Tag entgegen schreit - nein, wer und was mir nicht alles leid tut. Da kann ich mich ja gleich im Rhein ertränken, weil ich das ganze Mitleiden auf Dauer nicht mehr aushalte.
Ich will jetzt Mitleid! Nein, Mitgefühl will ich und Trost will ich und keine Mittelchen.
Diagnose nach eingehender Exploration des Klienten: Das System ist überfordert. Darum schaltet es jetzt mal ab. Indikation: Nutzen sie ihre depressive Episode, gehen sie auf Tauchstation, behandeln sie sich wie eine gute Mutter ihr Kind behandeln würde und nehmen sie an diesem Wahnsinn eine Weile nicht mehr teil. Ok, ich stelle mich tot. Das hat den Vorteil, dass ich kaum Energie verbrauche und nebenbei ist das Kosten sparend in jeder Hinsicht.
Tschüss, und morgen ist auch noch ein Tag...
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