|
"Erschütterung", Acryl auf Leinwand, Angelika Wende |
an einem tag ist das leben die ansammlung der
dinge, die wir tun und plötzlich kommt das unerwartbare - ein unglück.
das unglück, das ist der moment der das leben in zwei teile bricht, der
moment in dem alles was es vorher gegeben hat zur erinnerung an eine
blasse vergangenheit ohne konturen wird und den gedanken an "wie
weiterleben? " zu einer unmöglichkeit macht.
in jedem leben ist
immer auch die möglichkeit des unglücks, im leben jedes einzelnen von
uns. menschen, die ein unglück trifft, gibt es jeden tag, immer und
überall auf der welt. es gibt so viel unglück.
das unglück
schafft schmerz, es macht fassungslos, es lähmt, es macht wütend und
immer hat es die frage nach dem warum zur folge.
das unglück hat
wieder viele menschen getroffen, es hat ein ganzes land getroffen, so
hören und lesen wir in den medien. das unglück hat uns alle getroffen,
uns, die ganze welt und die ganze welt trauert um das schreckliche
unglück, weil es so unfassbar ist, so überraschend kam, so unvorstellbar
grausam ist, so unvorstellbar unmenschlich, so unvorstellbar
gewalttätig und so unvorstellbar groß. das unglück ist geschehen
und die welt hält für einen kurzen moment den atem an.
und dann wird
kommentiert, in der presse, im fernsehen. die bilder des unglücks gehen
um die ganze welt und die ganze welt liest darüber, sieht sich die
bilder an, gibt ihnen raum im alltag, ist fassungslos, schockiert und
wütend und voller hass auf die, die das unglück erschaffen haben. das böse wird der welt wieder bewusst und sie ist in allem unglück doch
irgendwie beruhigt, dass die täter identifiziert sind und man sie zur
rechenschaft ziehen wird.
das böse hat wieder ein gesicht und
die welteinwohnerschaft darf es benutzen für die wut, die ohnmacht, den
schmerz, die trauer und den hass, den sie empfindet. ja, es ist gut
dieses gesicht zu haben, das man am liebsten zerstören würde,
auslöschen, weil es das unglück gebracht hat über so viele menschen und
die angst hat so groß werden lassen vor dem bösen, die angst, die man
sonst so gut verdrängt, wenn kein unglück geschieht. und alle
stürzen sich auf das böse und suchen zeichen und spuren, wann es denn
angefangen hat und fragen sich, warum es denn nicht gesehen wurde,
beizeiten, das böse und das kommende unglück und antworten finden sich
keine.
das unglück lässt uns antwortlos zurück, uns und die
menschen, die es getroffen hat und anhalten hat lassen, mit einem
schmerz, der uns unbegreiflich ist, uns, die wir das unglück nur in den
bildern der medien sehen. menschen, die sterben mussten, weil einige andere menschen es so entschieden haben
und ich denke an all die anghörigen dieser menschen, die unendlich
leiden, die leiden werden ein leben lang.
über das leid dieser
menschen erfahren wir nichts. wir wissen darum, aber thematisiert in den
medien wird es nur am rande. es würde auch nichts nützen es zu
thematisieren, wir spüren es doch alle und reden besser nicht drüber,
denn irgendwo wissen wir, leid ist unteilbar und keiner von uns kann es
diesen menschen abnehmen. auch unser mitleid ändert nichts. das
mitleiden macht dieses leid nicht kleiner - es macht ohnmächtig, die,
die es ertragen müssen und die, die wir darum wissen.
nach all
der fassungslosigkeit, dem entsetzen und dem schock über das unglück
bleibt der welt nur der blick das böse. das böse, dem wir die
verantwortung geben können, gott sei dank!, denn wir sind die guten und
das ist gut so, dass die guten das böse ausfindig gemacht haben, das
böse, das uns so schreckliches antut, das böse in menschengestalt, das
voller hass ist und aus diesem hass heraus das unfassbar grausame getan
hat, das menschen leiden macht und eine ganze welt in schockzustand
versetzt.
noch tagelang wird man den spuren des bösen folgen in
den medien wird man sie verfolgen und irgendwann wird es aufhören, dann,
wenn wir genau wissen, wie und was da alles vorging in den bösen
tätern, dann, wenn wir genau wissen, warum sie es getan haben, warum sie
dieses unglück über die welt gebracht haben und das leid über die
familien, die ihr liebstes verloren haben und über das wir nichts hören. dann wird es aufhören.
was wir jetzt hören, laut hören, sind die
stimmen der politiker, die den opfern und ihren angehörigen ihr beileid
bekunden und wir hören in allen bekundungen: "das böse ist unser
gemeinsamer feind."
ja, das böse ist unser gemeinsamer feind, denken wir.
aber das böse ist viel mehr - es ist der feind in uns selbst, den wir
nach außen projizieren, den wir mit jeder projektion weiter pflegen, den
wir füttern, so lange bis er auf uns zurückschlägt - der hass, den
auch das böse in sich trägt. das böse ist unser gemeinsamer
feind, den wir hassen, weil diese welt niemals lernen wird, dass der
hass die liebe getötet hat, längst schon. machen wir weiter mit dem
hassen und dem kampf gegen den hass, damit er weiter der urgrund des
unglücks sein wird. irgendwo, irgendwann, jeden tag, jede minute in
dieser welt, die nie begreifen wird, dass sie erntet, was sie säat.