ART: Frank Widmann
Sie haben eine besondere Begabung, verfügen über außergewöhnliche
Talente und Fähigkeiten, sie sind kreativ und haben eine hohe Intelligenz, die
besten Karten für Erfolg, könnte man meinen. Die Realität sieht leider anders
aus. Viele begabte Menschen haben es schwer. Eine besondere Begabung und ein
hoher Intelligenzquotient sind kein Garant für ein erfolgreiches Leben und
nicht wenige begabte Menschen scheitern.
In einer Welt, die Erfolg in
messbaren Ergebnissen und Zahlen misst, sind hochbegabte Menschen häufig mit einer
schmerzhaften Realität konfrontiert: Sie sind erfolglos, obwohl sie das Potenzial haben,
Großes zu erreichen. Dieses Scheitern aber ist nicht das Ergebnis mangelnder
Fähigkeiten oder Anstrengungen, sondern vielmehr das Produkt eines komplexen
Geflechts aus inneren und äußeren Herausforderungen und Schwellenhütern.
In ihrem Buch „Das
Drama des begabten Kindes“ beschreibt Alice Miller die emotionalen und
psychologischen Herausforderungen, mit denen hochbegabte Kinder konfrontiert
sind.
Hochbegabte Kinder stehen häufig unter dem Druck die hohen
Erwartungen der Eltern zu erfüllen. Die emotionalen Bedürfnisse dieser Kinder
werden dabei oft übersehen oder nicht ernst genommen. Dies kann zu dem Gefühl
führen, dass eigene Bedürfnisse und Wünsche nicht wichtig sind, was wiederum dazu
führt, dass diese Kinder ihre eigene Identität nicht entwickeln können, weil
sie sich anpassen, um den Erwartungen der Eltern oder der Lehrer gerecht zu
werden. Sie lernen, ihre Gefühle und Bedürfnisse zu unterdrücken oder abzuspalten.
Die Last unerfüllter Erwartungen liegt wie einen
schwerer Rucksack auf dem Rücken – sowohl die ihrer eigenen als auch
derjenigen, die von außen an sie herangetragen werden. Diese Erwartungen sind ein
ständiger Druck, der sie dazu zwingt, immer besser und erfolgreicher zu sein.
Doch was, wenn die Seele diesem
Druck nicht standhalten kann?
Wenn die Angst vor dem
Versagen lähmt und sie sich in einem ständigen Kampf zwischen ihren Gaben und
den Anforderungen der äußeren Welt verlieren?
Dann wird innere Zerrissenheit ein ständiger
Begleiter.
Die meisten hochbegabten
Menschen sind sich ihrer Talente bewusst, doch gleichzeitig plagz sie das zersetzende Gefühl, nicht gut genug zu sein. Sie sind
voller Zweifel, ob sie wirklich das Zeug dazu haben, ihre Begabungen und Fähigkeiten
zu entfalten und sich selbst und ihre Träume zu verwirklichen. Die innere
Stimme, die sie ständig kritisiert und zur Perfektion antreibt, die die Messlatte
so hoch hängt, dass sie nicht erreichbar ist, kann so laut werden, dass sie den
Mut verlieren, Risiken einzugehen und den Weg zu beschreiten, den ihre Begabung
ihnen zeigt. Manche von ihnen ziehen sich
zurück, aus Angst, die eigenen Erwartungen nicht zu erfüllen oder die
Erwartungen anderer zu enttäuschen. Manche haben das Gefühl, dass ihr Potenzial
nicht erkannt, gesehen oder gewürdigt wird und geben jeden Versuch auf
weiterzumachen. Sie resignieren und isolieren sich von der Welt.
Isolation ist ein schmerzhaftes Kapitel in der Biografie
hochbegabter Menschen.
Oft fühlen sie sich von anderen entfremdet, es fällt
ihnen schwer eine Verbindung zu denen herzustellen, die ihre Gedanken und
Gefühle nicht nachvollziehen können. Bereits als Kind können sie sich
nicht mit Gleichaltrigen identifizieren. Ihre besonderen Fähigkeiten und ihr
kluger Verstand, können sie von anderen entfremden, was dazu führt, dass sie
sich innerlich einsam fühlen. Diese innere Einsamkeit ist schmerzhaft und lähmend. Nicht wenige begabte Menschen ziehen sich aus
Mangel an Resonanz in der äußeren Welt in ihre eigene Welt zurück und verlieren sich darin, so dass
ihre Talente ungenutzt und ungesehen bleiben.
Sie sehnen sich nach Verständnis, Austausch und
Akzeptanz, doch die Kluft zwischen ihnen und anderen scheint unüberwindbar.
Ihr
Sosein bleibt ohne Antwort. Sie selbst allein.
Und da sitzen sie, auf einer Kiste voll mit innerem Gold und verhungern, weil es für sie nicht nutzbar ist.
Unsere gesellschaftlichen Normen zeichnen ein sehr
enges Bild von Erfolg.
Zum einen wird Erfolg stark mit der Identität verknüpft.
Wenn begabte Menschen keinen Erfolg haben, kann dies zu einer Identitätskrise
führen, in der sie sich fragen, wer sie üerhaupt sind und welchen Wert sie haben. Zum anderen leben wir in einer Welt, die materiellen
Erfolg, Statussymbole und Haben statt Sein glorifiziert. In dieser Welt fühlen sich hochbegabte
Menschen wie Aliens. Ihre Talente und Fähigkeiten werden nicht immer in
den Kontext gesetzt, in dem sie sich entfalten können. Oft überfordern sie andere, weil sie anders ist und damit sozial schwer oder nicht kompatibel.
Manche Begabte kämpfen lange gegen
die Vorstellung an, dass Erfolg nur in bestimmten, messbaren Formen existiert, prallen
aber an der Härte der Realität ab und verlieren irgendwann den Glauben an sich
selbst.
Statt Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung kommt es zu Entmutigung
und Frustration.
Zudem kann es zu Gefühlen von Schuld, Scham und Angst kommen.
Schuld und Scham, weil sie unfähig sind etwas aus ihren Gaben zu machen und
sich selbst dafür verurteilen, Angst, weil sie die eigenen Fähigkeiten nicht nutzen oder Angst komplett zu versagen. Diese Gefühle
sind destruktiv und lähmend. Letztlich können sie dazu führen, dass diese Menschen Gelegenheiten
und Chancen meiden oder sich nichts mehr zutrauen.
Ihre Begabung liegt brach wie
ein toter See auf dessen Grund die Depression wartet.
Ein Drama.
Das Drama des begabten Kindes ist nicht nur ein
ewiger Kampf gegen äußere Umstände und Schwellenhüter, sondern auch ein innerer Kampf um
Identität, Selbstwert und Selbstakzeptanz. Es ist eine Reise, die oft von
Schmerz, Enttäuschung, Trauer und dem ewigen Streben nach Anerkennung geprägt ist.
Doch in diesem Drama liegt auch das Potenzial, die eigenen Talente zu leben und Erfolg neu zu definieren – nicht als das
Erfüllen von Erwartungen oder materiellem Gewinn, sondern als das Streben nach
persönlichem Wachstum und Erfüllung. Diese Sichtweise kann helfen das Gefühl des Scheiterns zu überwinden und ein erfülltes, sinnvolles Leben
zu führen, unabhängig von äußeren Erfolgen und der Anerkennung anderer.
Angelika Wende
www.wende-praxis.de
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