Liebe und Schmerz
Laudatio zur
Ausstellung von Angelika Wende
von Joachim Braun
14.11.2015 – 14.01.2016
Frauenfriedenskirche
Frankfurt am Main
„Warum
malst du?“ – Angelika Wende diese Frage zu stellen, ist, als würde man jemandem
die Frage stellen, warum er atme. „Ich male“, sagt sie, „weil Worte nicht
reichen. Meine Bilder sind die
Folgen meiner Erfahrungen, meiner Lebensspur. Meine Suche ist meine Aufgabe: zu
tragen und zu lösen, was mir widerfährt und aufgetragen wird. Mein Antrieb ist
die Achtung vor dem Geschenk meines Lebens.“[1]
Neben
Sprache und Beratung von Menschen sind Malerei und Fotografie Angelika Wendes
Leidenschaft. Aus eben jener inneren Notwendigkeit heraus, die der Maler Christian Felder so beschrieben hat: „Angelika Wende ist
keine staatlich lizenzierte Künstlerin. Sie hat keinen Abschluss einer
Kunsthochschule vorzuweisen. Doch sie hat etwas das vielen ,Meisterschülern’
fehlt: innere Notwendigkeit. Der Trieb die Ereignisse der Welt malerisch zu
verarbeiten ist tief in ihr verwurzelt. In jedem Zyklus werden wir mit einer
ungeschönten aber auch zugleich unumstößlich notwendigen Bildwelt konfrontiert.
Diese lockt durch ihre Intensität. Wendes ,Müssen’ ist deutlich sichtbar. Sie
wirft ihre Leidenschaften in die Waagschale, kämpft um jedes Bild und erzeugt
etwas, das in der Kunst unbezahlbar bleibt: Authentizität.“[2]
Immer geht es im Schaffen von Angelika Wende um Menschen, um die Gründe und Abgründe menschlicher Existenz. Wir sehen Figuren, als Einzelne, Paare, zu dritt. Existenzen, zurückgeworfen auf sich selbst, auf der Suche nach Ergänzung und Ganzheit. Gesichter, die nach innen schauen und auch den Blick des Betrachters nach innen ziehen, auslotend, was in der Tiefe des eigenen Selbst einen Interpretationsraum eröffnet.
„Liebe
und Schmerz“ – der Titel dieser Ausstellung ist inspiriert von ihrem Ort. Die
Idee der Frauenfriedenskirche entstand fast genau vor 100 Jahren, mitten im
Ersten Weltkrieg. Unter dem Eindruck des Kriegsleids ergriffen Frauen aus allen
Teilen Deutschlands, die den Tod ihrer Partner und Söhne auf den
Schlachtfeldern betrauern mussten, die Initiative zum Bau einer nationalen
Gedenkstätte, als Denkmal für die Toten und als Mahnmal für den Frieden. Bei
der Einweihung der Kirche 1929, in ihrer Ansprache zum Festakt, sagte Maria Heßberger
als Vertreterin des Katholischen Deutschen Frauenbundes: „Wir katholischen
Frauen haben diese Kirche erbaut als Ausdruck unseres großen, gewaltigen
Schmerzes ... Die Frauenfriedenskirche soll aber auch ein Ausdruck unserer
großen dankbaren Liebe sein für diejenigen, die ihr Leben hingaben, um unser
Leben zu schützen.“[3] Ausdruck
des Schmerzes und zugleich der Liebe - gerade angesichts der aktuellen Bilder
aus Paris scheint dieses Junktim aktueller denn je. Und mir scheint es, im
wahrsten Sinne des Wortes, not-wendig, davon zu schreiben, zu dichten, zu
komponieren – und zu malen.
Die Wahl dieses
ungewöhnlichen Ortes für diese Ausstellung hat noch eine zweite Brücke zum
Schaffen von Angelika Wende. Frauenfrieden ist eine Marienkirche, geweiht der
Mater Dolorosa (Schmerzensmutter). In der klassischen Gestalt der Pietá, wie
sie auch in der Krypta von Frauenfrieden, gestaltet von Ruth Schaumann, zu
finden ist, verbindet sich das Leiden Christi mit dem Leiden Mariens, der bereits
in den ersten Kapiteln des Lukasevangeliums aus dem Mund des greisen Simeon
geweissagt wird: „Durch ihn (deinen Sohn) werden viele aufgerichtet und viele
zu Fall kommen ... Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen“
(Lk 2, 34f.). Der Crucifixus leidet körperlich, die Dolorosa seelisch – ein
ohnmächtiges Leiden um des eigenen Kindes willen. Körperlicher Schmerz ist selten
beeinflussbar, seelischer schon eher. Maria als unsagbar Leidende hat dennoch
das Größere gesehen. Mütterlich, Leben schenkend hat sie Verantwortung für das
Leben übernommen, ihre Ohnmacht überwunden, ohne daran zu zerbrechen.
Angelika Wendes
Werke sind Ausdruck eben dieser Erfahrung. Ihre Figuren sind Psychogramme,
künstlerische Ausgestaltungen innerer Seelenzustände. Das Wesentliche daran ist
das Unsichtbare, Nicht-Gemalte, Abgespaltene, Verdrängte. Wir sehen weibliche Gestalten,
zumeist Köpfe, die verletzt und verwundet sind. Nicht selten fehlt das eine
Auge, als ob etwas nicht wahrgenommen, nicht gesehen werden dürfte. Schmerz ist
vielgestaltig: Trauer, Angst, Wut, Verlust, Traurigkeit, Liebeskummer, Ohnmacht
...
Gesichter stehen miteinander in Beziehung und sind sich doch verloren und fremd. Trotz des großen Schmerzes sind Wendes Köpfe irgendwie dennoch schön. Es ist eine fragile Schönheit – so wie die vieler Menschen, die gelitten haben und trotzdem die Liebe nicht verloren haben. Es ist eine tiefe und zugleich sehr berührende Liebesfähigkeit, die das geknickte Rohr nicht zerbricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht (Jes 42, 3).
Gesichter stehen miteinander in Beziehung und sind sich doch verloren und fremd. Trotz des großen Schmerzes sind Wendes Köpfe irgendwie dennoch schön. Es ist eine fragile Schönheit – so wie die vieler Menschen, die gelitten haben und trotzdem die Liebe nicht verloren haben. Es ist eine tiefe und zugleich sehr berührende Liebesfähigkeit, die das geknickte Rohr nicht zerbricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht (Jes 42, 3).
Die
Liebe zu sich selbst und zur Schöpfung zu behalten – als große Herausforderung
gegen Hass und Selbstzerstörung. Als Joseph Beuys 1976 seine Installation „Zeige
deine Wunde“ vorstellte, sagte er dazu: „Zeige deine Wunde, weil man die
Krankheit offenbaren muss, die man heilen will ... Eine Wunde, die man zeigt,
kann geheilt werden." Das Kunstwerk bleibe nicht bei der Verwundung
stehen. Es enthalte, so Beuys, darüber hinaus „Andeutungen, dass die
Todesstarre überwunden werden kann […] etwas […], das, wenn man genau hinhört,
einen Ausweg weist.“[4]
Eine
Wunde, die man zeigt, kann geheilt werden. Die Sehnsucht nach dieser Heilung,
dem Ganzwerden durch die letzte Annahme seiner selbst, mag eine starke,
treibende Kraft im Schaffen von Angelika Wende sein, die von sich selbst sagt:
„Ein starker Glaube hat mich im Leben getragen.“[5]
Es ist bemerkenswert, dass sich in den jüngsten ihrer Bilder, die teilweise in
dieser Ausstellung erstmalig zu sehen sind, ihre Art zu malen weiterentwickelt
hat. Ihre Bilder werden klarer, realistischer, weniger kompromissbereit, ihre
Farben weniger gebrochen, eindeutiger, tiefer. Was klärt sich gerade in diesen
Bildern? Was wird tiefer? Die Erkenntnis, dass nur die Liebe fähig ist, den
Schmerz zu heilen? Die Klarheit einer Antwort? Oder doch eher die Sehnsucht
nach dieser Antwort? Oder der, der sich uns mitteilt und sie mit uns teilt? Wer
Augen hat zu sehen, der sehe!
Joachim Braun
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