Malerei: Angeika Wende
Endlich Wochenende!
Worauf sich viele Menschen freuen, bewirkt bei manchen Alleinstehende, ungute Gefühle. Was für andere Erholung oder Action bedeutet, bedeutet für sie emotionaler Stress. Wieder ein Sonntag, den sie alleine verbringen müssen. Niemand da. Kein Partner, die Freunde verbringen Zeit mit den Liebsten, die Familie lebt weit weg in einer anderen Stadt. Woche für Woche das Gleiche. Man fühlt sich schon am Freitagabend traurig, ängstlich oder depressiv oder alles zusammen – der Sonntagsblues naht.
Gloomy Sunday heißt das Lied vom traurigen Sonntag aus dem gleichnamigen Film, das den Sonntagsblues sehr gut beschreibt ...
"Sunday is gloomy
My hours are slumberless
Dearest, the shadows
I live with are numberless ...
(Der Sonntag ist düster
Verlebe schlaflose Stunden
Die liebsten Schatten
Mit denen ich lebe sind zahllos ...)"
Willkommen Sontagsblues, oder: Herr lass den (un)heiligen Sonntag bitte schnell vorübergehen.
Was ist der Sonntagsblues, oder psycholgisch ausgedrückt: die Sonntagneurose?
Der Begriff der Sonntagneurose beschreibt die gedrückte, depressive, ängstliche Stimmung am Wochenende und die Unfähigkeit, die freie Zeit genießen zu können. Typisch ist, dass sich diese Stimmung mit dem Wochenbeginn bessert, anders als bei der Depression, bei der die Symptome anhalten.
Das Phänomen der Sonntagsneurose wurde einst von dem ungarischer Neurologen und Psychoanalytiker. Sándor Ferenczi beschrieben, der sich intensiv mit dem Phänomen der Verdrängung und der damit verbundenen Entstehung von Neurosen befasste. Ferenczi bemerkte bei seinen PatientInnen eine auffällige Wiederkehr von psychosomatischen Beschwerden an Sonntagen. Beschwerden also, die nicht auf eine organische Ursache zurückgeführt werden konnten und als sonntägliche Reaktion des Körpers auf ungelöste innerseelische oder zwischenmenschliche Konflikte auftreten und am Montag wieder verschwanden.
Was sind die Ursachen?
Am Wochenende sind alleinlebende Menschen vollkommen auf sich selbst reduziert. Keine Pflichten, keine äußeren Zwänge, keine Erwartungen, die erfüllt werden müssen. Niemand, der sie braucht. Dieses Wegfallen von äußeren Zwängen bedeutet einerseits eine Befreiung, andererseits nehmen auch innere Zwänge des funktionieren Wollens ab.
Das "Über-Ich" hat Pause. Eine andere innerpsychische Instanz wird lebendig – das "Es", mit anderen Worten – das Unbewusste ploppt hoch. Im "Es" sitzen nach Sigmund Freud unsere Triebe, unsere Lust und unsere Bedürfnisse, die auf Befriedigung drängen. Es enthält außerdem alles Verdrängte, also Empfindungen, Gefühle, Leidenschaften, Wünsche, Sehnsüchte, Traumata und Objektbesetzungen, die allesamt unbewusst sind oder bewusst sind und nicht erlöst.
Am Sonntag wird die innere Welt lauter, je stiller es im Außen wird. In der Stille werden wir konfrontiert mit all dem, was im Alltag schweigt.
Je lebendiger diese innere Welt wird, desto massiver kommt all das nach Oben, was wir nicht sehen und fühlen können oder wollen. Wir fallen sozusagen in eine „passagère Melancholie“, die unsere inneren Schatten an die Wände des leeren Raums wirft. Ganz groß bäumen sie sich auf, und fordern uns heraus, sie anzuschauen. Sie lassen sich nicht mehr ignorieren.
Eigentlich gut, könnte man meinen, denn alles Ungelöste und Verdrängte drängt sich uns solange auf bis wir es angeschaut, erforscht und verarbeitet haben. Ungut, wenn die Schatten uns überfallen, wir uns klein und machtlos fühlen und keine Bewältigungsstrategien haben. Dann werden wir ob ihrer Großmacht sehr klein. Wir fühlen uns von allem getrennt und einsam wie ein verlassenes Kind. Wir fühlen uns bedroht und haben Angst ins Bodenlose zu fallen oder uns aufzulösen. Dieses Gefühl ist vernichtend. Es kann uns total mutlos machen. So mutlos, dass wir den ganzen Sonntag im Bett verbringen und uns die Decke über den Kopf ziehen, in der Hoffnung der Tag möge ein baldiges Ende haben. Nicht hilfreich. Was nicht heißt, ein Sonntag gemütlich im Bett sei ungut, es kommt aber auf die Motivation an, mit der wir das tun. Auch das Gegenteil, in blinden Aktionismus zu verfallen, um nicht zu fühlen, was wir fühlen, ist nicht hilfreich, denn dann laufen wir vor uns selbst davon. Es wird weiter verdrängt und nichts wird anders.
Keine guten Lösungsansätze also. Denn: der nächste Sonntag kommt mit Sicherheit. Und die Angst davor wird nicht kleiner.
Was ist der Sinn der Sonntagsneurose?
Vorausgesetzt wir sind bereit ihr einen zu geben.
Die Sonntagsneurose zeigt uns wo und was in unserem Leben nicht in Ordnung und ungelöst ist und was verändert werden will. Nun, könnte man fragen: Aber wie soll ich das denn ändern? Wie soll ich diesen Zustand ändern, die Umstände im Außen ändern sich ja nicht, ich habe schon alles versucht. Ich sitze Sonntag für Sonntag alleine da.
Wenn wir die äußeren Umstände nicht ändern können, dann liegt es doch nahe, den inneren Zustand zu ändern. Oder? Wir haben ja keine andere Wahl.
Zunächst einmal ist es gut zu wissen: Jeder Blues entsteht im Kopf. Auch der Sonntagsblues.
Unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen einer nur vorgestellten und einer tatsächlichen Bedrohung. Allein der Gedanke an eine Bedrohung kann zu belastenden Gefühlen führen, ohne, dass wir uns wirklich in der vorgestellten Situation befinden.
Wenn wir also an unseren Gedanken arbeiten, ist das hilfreich.
Dazu ist es gut, uns bewusst zu machen: Nicht der Sonntag ist die Bedrohung, sondern das in uns, was ihn gedanklich dazu macht.
Und dieses Denken können wir ändern.
Es hilft schon, wenn wir versuchen, den Sonntag ein wenig mehr wie jeden anderen Tag zu behandeln und unsere Erwartung zurückzuschrauben, es müsse ein besonderer Tag sein.
Wir können uns fragen: Was soll der Sonntag eigentlich erfüllen?
Welches Bedürfnis?
Was brauche ich wirklich?
Welches Bedürfnis zeigt mir der Blues, das unerfüllt ist?
Und dann: Wie kann ich mir selbst dieses Bedürfnis erfüllen, wenn es kein anderer für mich tut?
Womit kann ich kompensieren, was fehlt?
Womit kann ich meinen Sonntag optimieren?
Wenn die Einsamkeit hochkriecht können wir uns fragen:
Worin liegt die Qualität des Alleinseins? Und nicht: Ich bin so einsam, mit mir stimmt etwas nicht, ich bin nicht liebenswert, mich will keiner.
Nun vielleicht wollen wir ja keinen, zumindest jetzt nicht, weil wir innerlich gar nicht bereit sind, aber meinen wir sind es, oder wir sollten es sein.Darüber nachzudenken lohnt sich.
Übrigens: Einsamkeit hat nichts damit zu tun, dass uns keiner will, das sage ich immer wieder zu meinen Klienten, die diese Überzeugung haben. Einsamkeit, wenn sie als sehr schmerzhaft empfunden wird, ist ein Gefühl, und meistens ein sehr altes.
Da dürfen wir hinschauen und Wege suchen, wie wir das Gefühl liebevoll und mitfühlend mit uns selbst, annehmen lernen. Denn jetzt sind wir erwachsen und nicht mehr das verlassene, ungeliebte, hilflose Kind. Wir sind keine Opfer mehr – wir können eigenmächtig handeln und das heißt zuallererst: Uns selbst gut zu behandeln.
„Einsamkeit entsteht nicht dadurch, dass man keine Menschen um sich hat, sondern dadurch, dass man ihnen die Dinge, die einem wichtig erscheinen, nicht mitteilen kann“, sagte einmal C.G.Jung.
So sehe ich das auch. Manchmal gibt es diese Menschen nicht in unserem Leben. Dann ist das bedauerlich und traurig, aber es macht keinen Sinn sich zu grämen oder sich stattdessen mit Menschen zu umgeben, die uns nicht verstehen, nur um nicht einsam zu sein. Meiner Erfahrung nach verstärkt es das Gefühl. Und vielleicht ist es ja gar nicht so, dass da keiner ist, dem wir uns mittteilen können und es liegt an uns, dass wir es nicht tun, weil wir meinen, dass man uns nicht versteht. Also auch das dürfen wir hinterfragen, wenn wir uns einsam fühlen, nicht nur Sonntags.
Last but not least: Der Sonntag bedeutet nicht, das Maximum aus unserer Freizeit heraus zu holen, das Maximum an Erlebnissen zu erreichen, an Glück, an Freude oder sonst etwas Besonderem. Das ist ein hoher Anspruch, der zu nichts gut ist, als uns unter Druck zu setzen.
„Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“, schrieb einst Blaise Pascal.
Ein Gedanke über den sich das Nachdenken lohnt. Nicht nur Sonntags.
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