Donnerstag, 6. Oktober 2011

Sprachlosigkeit






heute früh las ich in facebook auf der seite eines menschen, den ich schätze, weil ich die worte schätze, die seine gedankenwelt ausdrücken, diesen satz: "je mehr ich zu sagen hätte, umso sprachloser werde ich." ich verstehe das gut, weil ich es kenne, weil ich es fühle, immer wieder, dieses "ich will sagen, will ausdrücken, was mich umtreibt, was sich sehe in der welt, die in mich eindringt, weil ich ein teil von ihr bin und in ihr lebe, weil ich noch keine andere gefunden habe. und dann ist da dieser moment, wo ich keine worte finde, die mein gedachtes, mein gefühltes ausdrücken könnten und dann frage, warum überhaupt etwas sagen, wo doch die sprache die quelle aller missverständnisse ist, wie elias canetti einmal schrieb. ganz gleich, was ich sage, missverstanden zu werden ist möglich und darüber hinaus, nicht verstanden zu werden ebenso und das ist ein einsames gefühl. in diesen momenten bin ich sprachlos.

es ist keine seltenheit, dass tief denkende menschen sprachlos werden und sich in die eigene innerlichkeit zurückziehen. wer sprachlos wird steht vor einem klaffenden abgrund zwischen der eigenen innerlichkeit und der welt, in der sprachlosigkeit entzieht sich das individuum dem außen. es fühlt sich allein, abgeschnitten von allem, es fühlt eine tiefe ohmacht, die aus enttäuschung geboren wird, über das, was das eigene innere verletzt. aus verletzung heraus, aus ohmacht heraus, wird sprachlosigkeit. sprachlosigkeit erwächst aus dem gewahrsein, dass kein wort die zustände und schon gar nicht die ändert, die die zustände schaffen. doch, was nützt dieser rückzug und was bedeutet er für das individuum und die welt in dem es lebt?
wenn sich der mensch jeder kommunikation entzieht, entzieht er sich auch der beschreibung seines ichs und so ist kein zugang zum anderen mehr möglich. schlussendlich bedeutet es, der mensch lässt sich auf keinen dialog mehr ein, ausser dem inneren dialog mit sich selbst. was dieser mensch tut oder nicht tut bleibt im verborgenen, es hat keine folgen, es bleibt bedeutungslos, was ihn selbst angeht, geht niemanden etwas an. ich habe das gelebt, ich habe es gelebt in einer zeit als die ohnmacht so groß war, dass kein wort, das sie hätte ausdrücken können, zu finden war. in mir war ein unüberwindbarer abgund und er war zwischen mir und den anderen. in diesem zustand verbrachte ich zwei jahre. es waren gefühlt hundert jahre einsamkeit. ich war so sprachlos, dass ich worte nicht einmal mehr schreiben konnte, weil sie mir als das untauglichste mittel erschienen auszudrücken, was den schmerz in mir auch nur im ansatz hätte fassbar machen können. nach diesen hundert jahren sprachlosigkeit und der emmigration ins eigene ich, die sie mit sich brachte, weiß ich, dass dieser rückzug in die sprachlosigkeit ein rückzug aus der welt war, und dass dieser rückzug aus der welt nichts anderes ist, als die weigerung auf die ansprüche der welt zu antworten. jeder persönliche ruckzug aus der welt bringt mit sich, dass die bezogenheit auf das leben zur bezogenheit auf das selbst wird, das sich damit seines platzes in der welt beraubt. das selbst verliert seine vitalen bedürfnisse und was am anfang noch wie eine splendid isolation empfunden wird, wird zum leiden an sich selbst und führt schlussendlich zum bedrohlichen affekt tiefer verzweiflung und dem gefühl von lebensmüdigkeit.

in der welt ändert das nichts. die welt kann ohne die sprachlosen sein, sie dreht sich weiter. sprachlosigkeit nützt niemandem, weder dem individuum noch der welt. aber jeder persönliche rückzug denkender, fühlender menschen amputiert die welt um ein stück humanität. ich wünsche mir, dass die sprachlosen zu sprechen anfangen. auch wenn worte die möglichkeit von missverständnissen in sich tragen, die möglichkeit nichts auszurichten, die möglickeit nichts zu ändern, so tragen sie doch auch genauso die möglichkeit in sich, dass sie verstanden werden, dass sie etwas ausrichten, dass sie etwas ändern bei denen, die verstehen. ich wünsche mir ein ende der sprachlosigeit derer, die wirklich etwas zu sagen haben, weil ich ich mich sonst noch einsamer fühle in der welt, denn ich bin ebenso wenig fähig allein zur wahrheit zu wandern wie alle anderen. und wenn ich doch wieder einmal in den zustand der sprachlosigkeit geraten sollte, werde ich mich an die worte von a.m.roviello erinnern, der einmal sagte: "wer sich aus der welt zurückzieht, der lässt die welt mit dem bösen, das sie besetzt zurück", und das will ich nicht.






2 Kommentare:

  1. Angelika, so wahr! Danke! Ich Teile!!

    Liebe Grüße an dich,

    Florian

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  2. lieber florian, du machst es in genialen bildern, ich in worten :-)

    liebe grüße an dich!
    anhelika

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