Sonntag, 31. Oktober 2010

Auch Professorentum schütz vor Dumpfheit nicht ...oder wie die, die Unten sind noch tiefer gedrückt werden

Gerd Habermann, seines Zeichens Wirtschaftsphilosoph, Hochschullehrer, Publizist und Honorarprofessor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam.schreibt, heute morgen in der Welt online zu lesen:


Zitat: "Zur Menschenwürde gehört auch, dass der Mensch zur Selbsthilfe und zur Selbstverantwortung fähig ist und sich beschämt fühlt, wenn er auf Kosten anderer Leute, sei es auch über Staatsgeschenke, leben muss. Den Empfängern solcher Geschenke ohne Gegenleistung darf es nicht erspart bleiben, diese Situation als schmerzlich zu empfinden. Eben dies spornt an, aus dieser unwürdigen Lage wieder herauszukommen. "


Habemann beginnt den Artikel mit Thesen über die Freiheit und schlägt einen Bogen zur Selbstverantwortung. So weit, so richtig. Freiheit hat immer mit Selbstverantwortung zu tun. Mit Scham allerdings nichts. Auch mit Menschenwürde hat Scham nicht das Geringste zu tun. Ein Mensch der Würde empfindet, ist weit davon entfernt Scham zu fühlen. Allein die Verknüpfung solcher Thesen ist bizarr und schlicht falsch.


Niemals spornt Scham Menschen zum Handeln an, im Gegenteil: Scham macht den Menschen klein und unwürdig vor sich selbst. Scham ist ein vernichtendes Gefühl. Schmerzlich empfundene Scham führt zu Schuldgefühlen und diese wiederum sind niemals dazu geeignet ins Handeln zu kommen: Schuld lähmt. Schuld führt zu einer Spirale der Selbstanklage, die im vernichtenden Affekt der Verzweiflung endet. Schön der Philosoph Kierkegaard wusste, dass der Mensch in der Verzweiflung nur durch ein von Außen kommendes Helfen zu "retten" ist.


Wie, frage ich mich kann ein intelligenter Mensch solche nichtdurchdachten Tiraden schwingen. Wie frage ich mich ist so viel Oberflächlichkeit möglich und wie so viel Ignoranz und Gleichmacherei. Es ist möglich, es ist sogar möglich, dass derartige Dumpfheiten gedruckt werden, die allem Wissen, das wir errungen haben die kalte Schulter der Ignoranz zeigen.


Kein Schamgefühl lässt einen Hartz IV Empfänger die Flügel ausbreiten- Richtung Freiheit und Selbstbestimmung. Motivation, Chancen, Möglichkeiten und die Achtung seiner Menschenwürde, die Habermann ausreichend zitiert, nur eben zum Nutzen seiner Thesen instrumentalisiert, sind die Motoren, die einen, aus dem Arbeitsleben Gefallenen, ein Ansporn sein können zu handeln und zu kämpfen.


Habermann schert sich nicht um Individuelles, schonungslos macht er alle Armen gleich, rührt einen bedenklichen, übel riechenden Brei an, in dem auch die versinken, die arbeiten wollen. Den Manager zum Beispiel, der ausrangiert wurde, weil ein Jüngerer für weniger Geld arbeitet, oder weil er aufgrund seines Alters nicht mehr im Zeitgeist derer tickt, die Alter mit unqualifiziert verbinden, die Chefsekretärin, die wegen Firmeninsolvenz gekündigt wird und mit 55 Jahren auf dem Arbeitsmarkt als schwer vermittelbar gilt.

Die alleinerziehende Mutter, die keine Fulltimestelle findet, weil es keinen Hortplatz gibt und wegen der Kinder, die können ja immer mal krank werden, ein nicht zuverlässige Arbeitnehmerin ist.


Oh schnöde Welt, mir graut vor Dir, du Welt, die solchen Männern wie einem Gerd Habermann das öffentliche Wort erteilt. Auch das ist Zeitgeist. Und Zeitgeist ist auch: Wir stigmatisieren die, die Unten sind, ohne Hintergründe und Ursachen zu kennen, sie überhaupt zu erwähnen. Darüber nachdenken erfordert Zeit und behindert ein schnelles Herunterrotzen solcher Auswüchse.


Und was bedeutet eigentlich "Geschenke"? Wieviele der jetzigen Hartz IV Empfänger haben über Jahre diesen Staat mitgetragen, haben in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt? Geschenke?


Nein, Herr Professor, nicht alle die keine Job mehr haben sind selbst schuld dran und nicht alle sind Parasiten. Velmehr ist der Staat der Parasit, der unendlich viele Menschen aussaugt, damit Wenige satt und fett werden. Der Staat ist der größte Bankrotteur. Auch das scheint dem Autor entgangen zu sein.


Mit Schuheputzen, wie Habermann anführt, kommt auch der Willigste nicht wieder ins System, geschweige denn kann er davon eine Familie ernähren. Das ging auch schon im 19. Jahrhundert nicht. Überhaupt das 19. Jahrhundert hat es Habermann angetan.


Der Gipfel des Artikels mündet in die latente Erwägung allen Arbeitslosen und Bankrotteuren das Wahlrecht zu entziehen. Ich zitiere: "Im 19. Jahrhundert galt es dagegen als menschenwürdig, gerade nicht auf öffentliche Kosten zu leben. Vor 1918 entzog man Unterstützungsempfängern sogar das Wahlrecht (übrigens auch den „Bankrotteuren“). Da sind wir heute milder. "


Unfassbar aber wahr. Unfassbar wie ein mutmaßlich intelligenter Mensch solche unreflektierten Hetztiraden von sich geben kann, unfassbar wie diese unter dem Denkmäntelchen der Menschenwürde daher kommen werden, unfassbar, dass die Menschenwürde nicht verbietet solche dumpfen Schreibereien öffentlich zu machen.


Apropos Scham: Herr Professor, sie sollten sich schämen!


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