Samstag, 30. Oktober 2010

Nach dem Silbernen Salon ...

Bücher interessieren mich besonders dann, wenn sie Allgemeingültiges zu sagen haben. Dinge, die jeden von uns angehen, in irgendeiner Weise. Die Literatur in den Salon zu nehmen war ein Experiment. Es ist kein leichtes Unterfangen eine Diskussion über ein Buch anzustrengen, welches das Publikum nicht gelesen hat.

Bei der Novelle "Schlägt die Nachtigall am Tag" von Marion Tauschwitz war das nicht unbedingt Vorraussetzung. In dem dünnen Büchlein geht es um Tod, um Trauer, um den Umgang damit. Die Protagonistin der autobiografischen Geschichte baut sich nach dem Verlust ihres Mannes eine zweite Realität auf. "Sie lebt in einem Wahn, zeitweise", wie mein Talkgast, der Psychologe Dr. Heller befand. "Sie idealisiert den Verstorbenen", meinte der Verleger, und dass dies der entscheidende Punkt gewesen sei, der ihn gereizt habe, das Buch zu drucken.

Das Ideal, so André Thiele ( VAT Verlag Mainz), funktioniert im Leben nicht. Denn dann hören Dinge auf zu sein und beginnen zu bedeuten. Ich gebe ihm Recht, das Ideal kann ein Ziel sein, wird es wirklich, erkennen wir das Ideal als ärmer, als es in unserer Vorstellung war. Es folgt die Enttäuschung, die Desillusionierung.

Wir lieben Idealisierungen, sie sind ein Salzkorn in der Suppe des Lebens. All die Wünsche, Träume und Visionen geben uns Kraft, verleihen unserem Leben Sinn, wo es eigentlich keinen gibt. Der Mensch ist Sinnsucher und damit ist alles erlaubt, was ihn schafft. Im tiefsten Inneren wissen wir, wie es Charlie Chaplin einst auf den Punkt brachte: "Pass auf, was du dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen!"

Wir wünschen - nicht allein im und für das Leben - unsere Wünsche sind auch über das Leben hinaus gerichtet. Wir wünschen uns leicht zu sterben, wenn es denn schon sein muss, wir wünschen uns den Eingang in den Himmel, wenn es den bloß gibt. Pfarrer Ralf Schmidt glaubt daran. Eingang ins Himmelreich, damit tröstet er Sterbende und Trauernde und all die anderen, die in seine Kirche kommen, denen das Leben auf Erden kein Himmel ist. Ich denke, ob Himmel oder Hölle, wir machen uns beides irgendwie selbst und das zu Lebzeiten.

Der Tod ist ein Dieb. Er nimmt uns das Leben. Der Gedanke an ihn wird verdrängt. Gut so, oder nicht gut. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Alle Rationaliserungsversuche der Philosophie ob der Endlichkeit menschlichen Seins münden in Fragen, behelfen sich von Platon bis Nietzsche mit dem Fazit: Akzeptanz des Unvermeidlichen und ein Leben suchen, dass keinen Nachschlag verlangt, eine Leben, das ohne die Idealisierung eines versöhnenden Paradieses oder einer fragwürdigen Wiedergeburt auskommt. Leben ist jetzt!

Man stirbt wie man lebt. Daran glaube ich. Es hat mit Loslassen zu tun. Wir lassen dann los, wenn wir mit dem was ist, wie es ist, einverstanden sind. Eine lebenslange Übung. Meine Mutter sagte im Alter: "Schreibt auf meinen Grabstein: "Hier ruht ein ungelebtes Leben". Das hat mich traurig gemacht als Kind. Ich habe mir selbst versprochen, in dieser Weise am Ende meines Lebens nicht fühlen zu müssen. Ich arbeite daran. Ich lebe und erfinde mich immer wieder neu. Auf meinem Grabstein soll geschrieben stehen: What the hell! Ich habe gelebt! Ich habe geliebt! "

Ich brauche keinen Nachschlag. Das Ende ist der Anfang von Etwas. Was es ist will ich nicht wissen. Ich lasse mich überraschen.

Der Salon war nicht so voll wie ich es gewohnt bin. Themen wie diese sind keine Reisser, die das Haus voll machen. Ich wusste es und ich habe es dennoch gemacht. Ich mache so Manches, ohne auf den Erfolg zu zielen. Ich mache es, weil ich es für wichtig halte, weil ich weiß, dass Dinge auch sinnvoll sind, wenn sie nicht zur Massenbespaßung oder zur kurzweiligen Unterhaltung taugen. Wenn ich nur einen wirklich erreiche ist das viel, wenn nur einer nach Hause geht und berührt ist oder nachdenkt, ist das schön. Am großen Rad kann niemand drehen, aber es gibt Millionen kleine und an einem der kleinen Rädchen drehe ich bisweilen. Was es bringt? Muss man das immer wissen?

Die Zeitung schreibt: "Ein waghalsiger Kopfsprung in das Thema Tod. Das Ziel der Diskussion war erreicht: Enttabuisierung des Schreckens, Entkrampfung im Umgang mit dem Unvermeidlichen. Der Kopfsprung hat sich gelohnt."




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