Jede große Veränderung, jede Trennung, jeder Verlust, jede neue Erfahrung, jede Lebenskrise ist eingebettet in Angst. Angst ist ein Gefühl, eine Energie, die uns vollkommen ausfüllen kann. Manchmal ist sie übermächtig. Manchmal können wir sie nicht greifen. Dann liegt sie irgendwo tief auf dem Grund unserer Seele, so dass wir sie nicht benennen und nicht identifizieren können. Manchmal fühlt sie sich an wie eine dicke Nebelwand, die sich in unserem Inneren aufbaut. Wir versuchen dagegen anzukämpfen. Wir wollen durch diese Wand hindurch, die uns von uns selbst und der Welt trennt und uns handlungsunfähig macht, aber wir schaffen es nicht – eben, weil sie uns von uns selbst trennt und wir kein Licht mehr sehen durch die Nebelschwaden die sich in uns auftürmen. Da ist keiner, der uns die Angst nehmen kann und das macht uns noch mehr Angst. Wir allein müssen die Antwort finden.
Manchmal ist unsere Angst nicht die unsere.
Wir haben sie von jemand übernommen. Angst ist ansteckend. In diesem Fall dürfen wir uns befreien von dem, was nicht das unsere ist. Manchmal sind unsere Ängste Phantome, die wir im Kopf erschaffen, Relikte einer erinnerten gelebten Vergangenheit, die uns großen Schaden zugefügt hat. Manchmal sind unsere Ängste gewachsen, weil wir das Vertrauen in die Menschen gründlich verloren haben. Manchmal haben den Glauben an uns selbst verloren, weil wir immer wieder in ungesunden Beziehungen gelandet und geblieben sind, trotz besseren Wissens. Wir haben es mit der Angst zu tun, wenn Menschen, die wir lieben, sich selbst zerstören und wir uns über Jahre abarbeiten, um sie zu retten und diese Menschen machen trotzdem weiter mit dem, was sie zerstört und wir müssen hilflos dabei zusehen, was diese Menschen sich selbst antun und uns. Manchmal haben wir Angst weil wir ein Trauma erlebt haben. Manchmal haben wir Angst weil wir einsam sind und niemanden haben, mit dem wir uns verbunden fühlen. Manchmal haben wir Angst vor Krankheiten, vor Schicksalsschlägen und vor dem Unberechenbaren. Oder wir haben Angst vor dem Leben und vor dem Tod. Wir Menschen haben vor so vielem Angst. Angst gehört zum Menschsein.
Die Angst ist nicht unser Feind, den wir mit allen Mitteln bekämpfen müssen.
Jede Angst will uns etwas vor Augen führen, etwas, dessen wir uns vielleicht nicht bewusst ist. Aus lauter Angst schrecken davor zurück ihr ins Gesicht zu blicken und eine Wahrheit zu erkennen, die uns vielleicht nicht in den Kram passt. Aber das Zurückschrecken macht die Angst größer. Wir stecken den Kopf in den Sand und trösten uns mit der Hoffnung, dass Gott oder die Zeit oder ein anderer uns unsere Angst nimmt und damit machen wir uns machtlos. Indem wir die Lösung unserer Ängste dem lieben Gott, der Zeit oder anderen überlassen sind wir in der Rolle des hilflos Erwartenden, der sich von der Hoffnung nährt und nicht die entsprechenden Maßnahmen ergreift, um die Dinge für sich selbst zu wandeln. Dabei geschieht nur eins - unsere Angst wächst und macht uns klein und kleiner, so klein, dass wir uns gefühlt innerlich auflösen, uns nichts mehr zutrauen, erschöpft und müde werden, lebensmüde gar, weil wir uns den Herausforderungen des Lebens nicht mehr gewachsen fühlen.
"Angst essen Seele auf", heißt ein Film von Rainer Werner Fassbinder, und so ist es - Angst zerfrisst die Seele wie ein Gift.
Also dürfen wir entgiften. Wir dürfen die Angst ausleiten wie die Gifte einer Sucht ausgeleitet werden, damit der Organismus genesen kann. Entgiften bedeutet: Wir beginnen offen zu sein für die eigenen Gefühle, wir erlauben uns alle Gefühle zu fühlen, auch das Gefühl der Angst. Das Angstgefühl sucht sich viele Schauplätze, wenn wir nicht in der Lage sind es als das zu erkennen, was es im Kern ist. Ein Beispiel: Wir haben ständig Angst um unsere Liebsten. Im Kern ist unsere Angst gar nicht die Angst um die anderen, sondern unsere eigene Angst verlassen zu werden. Es nicht um die anderen, sondern allein um uns selbst. Es geht um eine Grundangst, die wir in uns tragen, seit wir Kind sind, die sich fest macht am Verlassenwerden, weil wir damals verlassen wurden. Noch immer stecken wir fest in der alten Angst der schmerzhaften Vergangenheit, wir fühlen uns hilflos und ohnmächtig im Jetzt, weil wir damals keine Helfer hatten. Die meisten Menschen haben Angstgefühle in sich gespeichert und wir nehmen umso mehr Angst auf, je mehr wir bereits gespeichert haben, denn wir sind dann geradezu darauf konditioniert Angst zu fühlen. Wir gehen in Resonanz. Gleich und gleich gesellt sich gern und genauso gesellt sich Angst zur Angst. Die Folge ist, dass sie wächst, wenn wir ihr nicht Einhalt gebieten. Aber wie?
Wir finden von der Angst zu Mut und Stärke.
Dazu müssen wir aufhören sie zu ignorieren, sie zu verdrängen oder sie auf andere zu projizieren. Angst zu ignorieren ist genauso als würden wir das Unkraut im Garten ignorieren, es wächst und wächst, bis es alle Blumen und Bäume überwuchert. Genauso ist es mit der Angst. Wenn wir versuchen den Frieden in uns dadurch zu finden, dass wir unsere Angst verdrängen, laufen wir ins Unkraut und ersticken darin. Wenn wir aber den Mut haben uns den Urgrund unserer Angst bewusst zu machen, sie vor uns selbst zuzugeben und sie zu respektieren, finden wir am Ende zu mehr innerem Frieden.
Natürlich ist das kein Allheilmittel um die Angst endgültig zu besiegen, aber es ist der Anfang um zu begreifen, dass wir die Angst, die wir ignorieren, füttern. Wenn wir sie fühlen und uns mit ihr auseinandersetzen, wenn wir sie aussprechen, aufschreiben, mitteilen, ihr das wahre Gesicht geben, das sich hinter all ihren maskierten Erscheinungsformen verbirgt, wird sie klein und kleiner Wir wachsen, wenn wir das tun. Wir schleichen das Gift aus, das unser Leben zerstören kann und wir wissen dabei, ja, es wird dauern.
Jedes Angstgefühl fordert uns auf, einen bestimmten Bereich in unserem Leben und in unserem Inneren zu untersuchen.
Indem wir die Angst und ihren Urgrund erfassen, gelangen wir zum Bewusstsein unserer inneren Wahrheit. Wenn wir dort angelangt sind, sind wir fähig zu handeln und den nächsten Schritt zu gehen, mutig, trotz unserer Angst und mit jedem mutigen Schritt wieder ein bisschen stärker als zuvor.
„Mut ist, wenn du mit der Angst tanzt, das was du nicht ganz kannst, trotzdem versuchst“, singt Alexa Feser in ihrem gleichnamigen Lied. Und so ist es.
Wir tanzen nicht in die Angst - wir tanzen mit der Angst.
Es hört nicht auf, wir werden immer Ängste haben, es gibt kein Mittel um sie endgültig auszurotten. Darum geht es auch nicht, denn etwas ausrotten, was eine Funktion in unserem System hat, ist nicht sinnvoll. Aber wir können lernen und unseren Ängsten zu stellen und einen angemessen Umgang mit ihr zu finden, damit sie die Seele nicht aufisst.
Wenn wir die Angst nicht verdrängen, haben wir eine gute Chance uns aus ihrer Macht zu befreien und wieder Vertrauen in unsere Kraft zu finden, immer und immer wieder.
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