Foto: A.Wende
Ständige Geschäftigkeit, ewiges Funktionieren, Stress, Selbstüberforderung, das Sorgen und Kümmern um andere, das Anhaften an Dingen, die wir zu brauchen meinen - all das enthebt uns der Verantwortung wirklich lebendig zu sein und unser Leben nach sinnhaften Werten zu gestalten, Werte im Sinne von Vorstellungen davon, was unser Leben lebenswert macht.
Es ist kein Wunder, dass immer mehr Menschen seelisch verkümmern, dass Depressionen und Angst- und Suchterkrankungen zunehmen.
Viele Menschen sind voller Frust, Wut und innerer Leere ob der ständigen Überanstrengung, die die Wahrnehmung dessen, was wirklich zählt, einschränkt. Zählt das neue Auto, die nächste Reise, das teure Abendessen, das neue Outfit, das neue Handy und, und, und? Zählt das wirklich, macht das glücklich oder nachhaltig zufrieden?
Nein, sagt die Erfahrung vieler Menschen und dennoch machen sie mit ihrem sinnlosen Streben weiter, den Fokus auf Dinge gerichtet, die scheinbar ein Leben ausmachen, weil sie glauben dieses Leben entspricht ihrer Identität. Viele von uns aber leben in einer Identität, die unserem wahren Wesen nicht entspricht und diesem Bild von uns selbst folgen wir oft ein Leben lang. Ist das Meiste dieses Lebens gelebt, kommt dann die ernüchternde Frage: War das alles? Soll es das gewesen sein?
Nein, das kann nicht sein.
Die gute Nachricht: Das muss nicht sein.
Identitäten lassen sich verändern und neu formieren, ebenso wie sich Werte und Sinn neu suchen, finden und in unser Leben intergrieren lassen. Schon die Vorstellung davon führt dazu, dass wir anders zu denken anfangen und demzufolge, im besten Falle, anders handeln.
"Eine Vorstellung ist nur wahr, solange es für unser Leben nützlich ist, sie zu glauben", schreibt William James.
Ein weiser Impuls der mich zum Nachdenken anregt:
Welche Vorstellungen habe ich von einem gelingenden Leben?
Was gehört dazu?
Wie kann ich das im Rahmen meiner Möglichkeiten realisieren?
Schon bei diesen Fragen stellt sich bei manchem eine innere Abwehrhaltung ein.
Oha, da müsste man dann ja ziemlich viel verändern.
Ja, müsste man.
Und dabei könnte auch so einiges an Gewohnheiten wegfallen. Nichts gegen Gewohnheiten. Gewohnheiten haben Bedeutung für unsere Lebensführung. Gewohnheiten bedürfen keines großen Kraftaufwands, sie geben uns Halt, weil sie von Verlässlichkeit geprägt sind. Sie können uns auffangen und sorgen für Vertrautheit.
Aber nicht alle Gewohnheiten sind uns dienlich. Manche schreien geradzu danach, dass wir sie durchbrechen, das sind die, die unheilsam sind. Welche das sind wissen wir.
Daher macht die Frage Sinn: Sind meine Gewohnheiten alle nützlich für mein Leben oder sind sie eher eine Art Ablenkung von mir selbst? Führen so manche Gewohnheiten nicht vielmehr dazu, dass ich mich selbst nicht wahrnehme, meine wahren Gedanken und Gefühle, die da unter der Macht der Gewohnheit schlummern?
Uns selbst wahrnehmen um uns selbst nicht weiter zu schädigen. Darum geht es.
Deshalb ist es so wichtig achtsam auf unsere Gefühle zu hören und sie wertzuschätzen, als Seismograf dafür, wie es uns wirklich geht. Um uns selbst zu bejahen und das, was uns fehlt, zu erkennnen. Und das ist sicher nicht das neueste Handy und auch nicht der nächste Urlaub. Das ist auch nicht, stets die Erwartungen unserer Umwelt zu erfüllen um uns gut zu fühlen.
"Mein Leben lang versuchte ich "gut" zu sein, um geliebt zu werden. Es wird aber niemand dafür geliebt, dass er gut ist, er wird vielleicht bewundert, manchmal auch belächelt, benutzt oder sogar abgelehnt. Ich habe versucht, es allen recht zu machen, und bekam immer zu wenig. Und jetzt ist da ein Loch und ich weiß nicht, womit ich es füllen soll."
Das sagte neulich ein Klient zu mir.
Viele von uns würden dieser Aussage spontan zustimmen. Viele von uns tun ständig was anderen gut tut, viele von uns vernachlässigen was uns selbst gut tut. Und plötzlich stehen wir da, den Anderen geht es prima und wir selbst sind ausgelaugt und blicken in eine große Leere. Die Kinder brauchen uns nicht mehr, die Familie hat sich entfremdet, der Partner hat sich vom Acker gemacht, der Job ist auch nicht mehr das Gelbe vom Ei - das Loch ist groß. Die alten Gewohnheiten finden keinen Anker mehr an dem sie sich fest machen und der Mensch weiß nicht mehr wozu er da ist.
Für sich selbst sind sie da! Jetzt, erst mal.
"Sie haben eine leere Schale in den Händen und das ist kein Drama. Das ist ein Geschenk", sagte ich zu meinem Klienten, der mich ungläubig anschaute.
Die leere Schale, ein schönes Bild, wie ich finde.
Nur eine leere Schale lässt sich füllen. Welch ein Reichtum an Möglichkeiten!
Dazu müssen wir zunächst herausfinden, welche Einstellungen und Glaubenssysteme wir haben, die uns von dem abhalten, was wir wirklich wollen.
Und uns fragen: Warum glaube ich das, was ich glaube?
Dann erst kommen Fragen wie:
Womit will ich die Schale füllen?
Welche Lebensbereiche will ich mit Handlungen füllen, die mein Leben besser machen?
Wohin soll die Reise gehen?
Brauche ich dazu all das, was sich in meinem Leben an Dingen angehäuft hat oder reise ich ab jetzt mit leichtem Gepäck?
Was tue ich nur aus Gewohnheit und nicht, weil es mir gut tut?
Worauf kann ich verzichten?
Und: Welche Erfahrungen will ich künftig machen?
Mit mir selbst und mit welchen Menschen?
Um diese Fragen zu beantworten ist Bewusstheit und Ehrlichkeit uns selbst gegenüber das Wesentliche.
Nur wer sich selbst würdigt, würdigt auch sein Leben und geht so damit um, dass es auch ein Leben ist.
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