Mittwoch, 1. April 2020

R.I.P




Foto: www



Sie war keine Freundin, aber sie war mehr als eine Bekannte. Als wir uns vor zwei Jahren zum ersten Mal sahen waren wir uns gleich sehr nah. Unsere Begegnung hatte etwas Vertrautes. Wir haben einander berührt. Sie war schon damals sehr krank. Aber sie trug Ihre Krankheit mit einer Fassung, die mich an Demut erinnerte. Sie liebte das Theater, das Schauspielern, die Literatur, die Musik und die Philosophie ebenso wie ich. Wenn wir redeten wussten wir wovon wir redeten, wir mussten nichts erklären – es war eine gemeinsame Welt, in der wir uns gedanklich bewegten. Ich hatte sie gern. Ich erinnere mich wie ich einmal ihren Bauch berührte, als sie starke Schmerzen hatte und an ihr schönes Lächeln, das sie mir schenkte.
Gestern erfuhr ich, dass sie gestorben ist. Heute ist ihr Geburtstag. Sie ist viel zu früh gegangen, zu jung gegangen, zu plötzlich gegangen. Keiner ihrer Nächsten konnte sich von ihr verabschieden. Sie konnte sich nicht verabschieden. Der Tod hat sie geholt und ich bin traurig. Möge sie dort wo sie jetzt ist, in Frieden sein.
Danke, dass es dich gab.


Der Tod ist für sie etwas Persönliches geworden, für ihre Lieben, ihre Freunde, für mich.
Der Tod ist etwas mit dem ich nur schwer umgehen kann. Ich spüre eine seltsame Starre, ich kann nicht weinen, ich kann nicht wütend sein. Es ist als lege sich eine Schicht aus Eis auf mich, ich friere innerlich ein. Ich, die sonst so emotional ist, die so tief fühlt, so tief mitfühlen kann bin überfordert. Ich kann den Tod nicht fassen. Er lässt mich fassungslos und starr zurück. So wie er mich als kleines Mädchen zurückgelassen hat als meine geliebte Großmutter starb, die die ersten fünf Jahre lang für mich eine Mutter war. Großmutter war weg von einem Tag auf den anderen. Niemand sagte mir, was mit ihr geschehen war, keiner hat mir erklärt, was das ist – der Tod. Da war nur der Verlust, das Nichtmehrsein meiner Großmutter, diese Erschütterung, die meine vertraute Welt mit einem Schlag zerbrach, mich erstarren ließ. Ich konnte nicht weinen, ich konnte nicht mehr sprechen und für lange Zeit habe ich geschwiegen. Da war keiner, der mir Trost schenkte. Ich war allein in einem Schmerz, der keinen Ort fand an dem er sein durfte, keine Hand fand, die sich tröstend, wärmend und beruhigend auf ihn legte, keine Arme, die mich hielten, keine Worte, die mich beruhigten. Ich habe diesen Schmerz eingefroren und irgendwie steckt er noch heute in mir.

Immer wenn mir der Tod begegnet ist das eine Herausforderung für mich. Ich kann andere trösten, aber ich selbst finde keinen Trost. Ich zweifle an der Wiedergeburt, ich zweifle am Konzept des Lebens nach dem Tod. Ich glaube nicht an einen Himmel in den wir eingehen. Ich kann in diesen, von Menschen gemachten Konzepten, von der Unsterblichkeit der Seele keinen Trost finden. Ich glaube, dass mit dem Tod des Bewusstseins das Gleiche ist wie vor der Geburt – ein Nichts, ein Nichtvorhandensein.

Ich glaube an ein Leben im Jetzt, das einen Anfang hat und ein Ende, und das dieses Ende meinen Körper und mein Bewusstsein in die Erde eingehen lässt.
Manchmal raubt mir der Gedanke an meine Auslöschung und die der Menschen, die ich liebe, den Atem. Ich denke viel an den Tod. Ich versuche den Zustand des Nicht- mehr- Seins zu erfassen und je älter ich werde, desto öfter denke ich nach über das Sterben. Meine Welt wird sich auflösen und das macht mir Angst. Ich habe Angst vor dem Tod der Menschen, die ich liebe und hoffe, dass ich vor ihnen gehen darf.

Wir alle sind gerade Jetzt so direkt mit dem Tod konfrontiert, dass die Gedanken an unsere Sterblichkeit für viele von uns nicht mehr wegzudrängen sind. Die schreckliche Wahrheit der Vergänglichkeit ist so bewusst, so groß geworden seit ein potenziell tödliches Virus die Welt in Angst versetzt und wir jeden Tag mit Zahlen von all den Toten konfrontiert werden.
Es kann jeden von uns treffen. Das ist nichts, was wir nicht wissen. Wir wissen wir müssen sterben, aber diese direkte Nähe des Todes macht uns unsere Zerbrechlichkeit sehr bewusst. Das macht dünnhäutig und das macht vieles was vorher so groß und wichtig war klein und unbedeutend. Das macht Gedanken wie, ich könnte der Nächste sein, meine alte Mutter, mein kranker Vater, ja sogar mein Kind, könnte der Nächste sein. Die verdrängte Angst vor dem Tod sickert vielleicht in unsere Träume, wenn sie im Bewusstsein keinen Platz findet. Sie sucht sich Tarnmasken in anderen Problemen. Sie kann panisch machen in der Isolation wenn menschliche Nähe fehlt.

Tod bedeutet verlassen und verlassen werden ohne Wiederkehr.
Und egal woran wir glauben, egal was unsere Vorstellung von Tod auch sein mag – das ist sicher – es gibt keine Wiederkehr.
Es wird kein bewusstes Selbst mehr geben.
„So ist also der Tod, das schrecklichste der Übel, für uns ein Nichts: Solange wir da sind, ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr, schreibt der Philosoph Epikur.“
Das finde ich persönlich tröstlich wenn ich an den Tod denke.
Aber es tröstet nicht die, die einen Menschen verlieren. Es tröstet nicht die, die gerade trauern. Es gibt keinen Trost, den man im Angesicht des Verlustes wie einen Zaubertrank verordnen kann.
Es gibt Trauer und Schmerz und Wut und Verzweiflung.
Und das müssen wir aushalten.
Jeder für sich allein, jeder auf seine Weise.

Aber wir können einander beistehen, für einander das sein, zuhören, das Leid teilen, Hände halten. Solange bis der Schmerz des Verlustes breiter wird und uns nicht mehr zerreisst.
Der Mensch, den wir verloren haben, wird bleiben solange wir leben. Er bleibt dort wo er unvergänglich ist, in unserem Herzen. Ich weiß, das ist ein schwacher Trost.










2 Kommentare:

  1. Ein Freund sagte einmal den bestechend logischen und simplen Satz in einem Gespräch, in dem ich ebenfalls mein Unbehagen vor dem Gedanken der Nichtexistenz artikuliert hatte: "Na, denk' doch mal daran, wie es vor Deiner Geburt war? Hat Dich Nicht–Sein da gestört?"

    Man könnte den Satz beinahe für eine humoristische Replik halten, aber er war durchaus ernst gemeint.

    Ich kann Ihre Skepsis gegenüber den Konzepten einer nicht–materiellen Existenz jenseits unserer physischen Körper und dem Verlöschen der hier erlebten Identität durchaus gut nachvollziehen. Ich hatte mich in den vergangenen Jahren relativ intensiv dem Thema der Nahtoderfahrungen zugewandt, erstmalig schon mit ca. 14 Jahren als damals Raymond Moodys Buch veröffentlicht wurde. In den vergangenen Jahren und beim Zusammenstellen und Versuch der Aufarbeitung meiner eigenen Traumabiographie dann wieder und vermutlich in dem Wunsch, vielleicht das im hiesigen Leben stets wahrgenommene Gefühl der Deplatzierung durch die Vorstellung einer anderen Welt und der Zugehörigkeit dort kompensieren zu können. Aber es bleiben Zweifel, wenngleich sich die Mehrzahl, wenn nicht alle Nahtoderfahrenen darin einig zu sein scheinen, dass die Erfahrung als solche "realer als real" erlebt wird und bei der Mehrzahl der Betroffenen zur tiefen und anhalten Überzeugung führt, das Leben ende mit dem körperlichen Tod nicht. Aus vielen Gründen bleiben bei mir auch Zweifel obwohl ich gern an so eine Möglichkeit geglaubt hätte. (oder zumindest dachte, dass ich daran gern geglaubt hätte; inzwischen zweifle ich auch daran, dass mir diese Vorstellung Trost zu spenden vermocht hätte)

    Ich möchte Ihnen außerdem noch sagen, dass ich Sie als ungeheuer mutig empfinde in der radikalen Akzeptanz dessen, was für Sie das Leben bedeutet und wie es sich Ihnen heute präsentiert. Das beeindruckt mich schon seit ich Ihre Texte gefunden habe.

    Namaste, wie Sie immer selbst schließen... Bleiben Sie gesund! Und Danke!

    AntwortenLöschen
  2. Danke für Ihre Worte!
    Bleiben Sie auch gesund.

    Namaste

    AntwortenLöschen