Donnerstag, 16. April 2020

Eine Zeit lang



Zeit gewinnen um die Infektionskurve abzuflachen und zu strecken. Es geht um Zeit, eine zeitlang, eine lange Zeit, länger als wir hofften am Anfang der Pandemie vor einigen Wochen, als wir das Ausmaß dessen, was uns überrollt und im Griff hat, noch nicht kannten. Als wir noch nicht ahnten, dass diese Zeit eine Zeit sein wird, die die alte Zeit ablöst. Die Zeit als wir frei waren, die Zeit der unendlichen Möglichkeiten, die Zeit als wir das, was da war als selbstverständlich genommen haben. Nichts ist mehr selbstverständlich. Alles ist kostbarer geworden, besonders unsere Gesundheit und die Gesundheit unserer Liebsten. 
Ich bin mir dessen bewusst,  jeden einzelnen Tag, wie kostbar meine Zeit ist, meine Gesundheit und die meines Sohnes. Mein Sohn, der gestern aus seiner WG ausgezogen ist, weil sein Mitbewohner jeden Abend Party gemacht hat, Leute eingeladen hat zum Feiern, zwei, drei Fremde.
Der Mitbewohner, einer der es nicht kapiert hat, der einfach so weiter macht, ohne Rücksicht auf das, was ist, ohne Achtung vor meinem Sohn, der ihn über Wochen immer wieder gebeten hat, acht zu geben, auf seine Gesundheit,auf die meines Sohnes. Die Ichbezogenheit, die Ignoranz war größer, die Dummheit erschreckend.
Gestern hat mein Sohn die Wohnung verlassen.
Ich bin froh, er hat richtig gehandelt. Ich sorge mich jetzt weniger um ihn. Er hat für sich gesorgt. Er wohnt jetzt erst mal in einer kleinen Wohnung. Er ist traurig, weil er sein schalldichtes Studio verloren hat, das er sich in der alten Wohnung eingerichtet hatte, in dem er seine Musik macht, von der er lebt. Jetzt hat er kein Studio mehr. "Ich mach meine Musik Mum, egal wo ich bin", sagt er, "ich finde eine Lösung."

Wir alle müssen Lösungen finden, weil uns Selbstverständliches weggenommen wird. Wir alle müssen auf so vieles verzichten was vertraut war und angenehm. Das ist bitter. Es ist bitter Vertrautes aufgeben zu müssen. Es ist noch bitterer den Arbeitsplatz zu verlieren und nicht mehr zu wissen wovon leben, außer Hartz IV als letzte Rettung um zu überleben. Das erleben in dieser Zeit viele Menschen.
Leben auf dem Minimum, weil das wovon sie vor dieser Zeit lebten, nicht mehr gelebt werden kann. Eine Zeit lang.

Wie lange diese Zeit dauert, das wissen wir nicht. Das macht es noch bitterer. Aber solange wir gesund sind, solange wir leben können wir Lösungen finden. Auch wenn sie erst mal anders sind als wir uns das wünschen. Auch wenn es bedeutet, es ist erst mal eine Weile richtig beschissen. Solange wir leben ist da Hoffnung, dass wieder eine andere, eine bessere Zeit kommt.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen