Donnerstag, 29. Februar 2024

"Mut ist, wenn du mit der Angst tanzt."


                                                         


 
Jede große Veränderung, jede Trennung, jeder Verlust, jede neue Erfahrung, jede Lebenskrise ist eingebettet in Angst. Angst ist ein Gefühl, eine Energie, die uns vollkommen ausfüllen kann. Manchmal ist sie übermächtig. Manchmal können wir sie nicht greifen. Dann liegt sie irgendwo tief auf dem Grund unserer Seele, so dass wir sie nicht benennen und nicht identifizieren können. Manchmal fühlt sie sich an wie eine dicke Nebelwand, die sich in unserem Inneren aufbaut. Wir versuchen dagegen anzukämpfen. Wir wollen durch diese Wand hindurch, die uns von uns selbst und der Welt trennt und uns handlungsunfähig macht, aber wir schaffen es nicht – eben, weil sie uns von uns selbst trennt und wir kein Licht mehr sehen durch die Nebelschwaden die sich in uns auftürmen. Da ist keiner, der uns die Angst nehmen kann und das macht uns noch mehr Angst. Wir allein müssen die Antwort finden. 
 
Manchmal ist unsere Angst nicht die unsere.
Wir haben sie von jemand übernommen. Angst ist ansteckend. In diesem Fall dürfen wir uns befreien von dem, was nicht das unsere ist. Manchmal sind unsere Ängste Phantome, die wir im Kopf erschaffen, Relikte einer erinnerten gelebten Vergangenheit, die uns großen Schaden zugefügt hat. Manchmal sind unsere Ängste gewachsen, weil wir das Vertrauen in die Menschen gründlich verloren haben. Manchmal haben den Glauben an uns selbst verloren, weil wir immer wieder in ungesunden Beziehungen gelandet und geblieben sind, trotz besseren Wissens. Wir haben es mit der Angst zu tun, wenn Menschen, die wir lieben, sich selbst zerstören und wir uns über Jahre abarbeiten, um sie zu retten und diese Menschen machen trotzdem weiter mit dem, was sie zerstört und wir müssen hilflos dabei zusehen, was diese Menschen sich selbst antun und uns. Manchmal haben wir Angst weil wir ein Trauma erlebt haben. Manchmal haben wir Angst weil wir einsam sind und niemanden haben, mit dem wir uns verbunden fühlen. Manchmal haben wir Angst vor Krankheiten, vor Schicksalsschlägen und vor dem Unberechenbaren. Oder wir haben Angst vor dem Leben und vor dem Tod. Wir Menschen haben vor so vielem Angst. Angst gehört zum Menschsein.
 
Die Angst ist nicht unser Feind, den wir mit allen Mitteln bekämpfen müssen. 
Jede Angst will uns etwas vor Augen führen, etwas, dessen wir uns vielleicht nicht bewusst ist. Aus lauter Angst schrecken davor zurück ihr ins Gesicht zu blicken und eine Wahrheit zu erkennen, die uns vielleicht nicht in den Kram passt. Aber das Zurückschrecken macht die Angst größer. Wir stecken den Kopf in den Sand und trösten uns mit der Hoffnung, dass Gott oder die Zeit oder ein anderer uns unsere Angst nimmt und damit machen wir uns machtlos. Indem wir die Lösung unserer Ängste dem lieben Gott, der Zeit oder anderen überlassen sind wir in der Rolle des hilflos Erwartenden, der sich von der Hoffnung nährt und nicht die entsprechenden Maßnahmen ergreift, um die Dinge für sich selbst zu wandeln. Dabei geschieht nur eins - unsere Angst wächst und macht uns klein und kleiner, so klein, dass wir uns gefühlt innerlich auflösen, uns nichts mehr zutrauen, erschöpft und müde werden, lebensmüde gar, weil wir uns den Herausforderungen des Lebens nicht mehr gewachsen fühlen. 
 
"Angst essen Seele auf", heißt ein Film von Rainer Werner Fassbinder, und so ist es - Angst zerfrisst die Seele wie ein Gift. 
Also dürfen wir entgiften. Wir dürfen die Angst ausleiten wie die Gifte einer Sucht ausgeleitet werden, damit der Organismus genesen kann. Entgiften bedeutet: Wir beginnen offen zu sein für die eigenen Gefühle, wir erlauben uns alle Gefühle zu fühlen, auch das Gefühl der Angst. Das Angstgefühl sucht sich viele Schauplätze, wenn wir nicht in der Lage sind es als das zu erkennen, was es im Kern ist. Ein Beispiel: Wir haben ständig Angst um unsere Liebsten. Im Kern ist unsere Angst gar nicht die Angst um die anderen, sondern unsere eigene Angst verlassen zu werden. Es nicht um die anderen, sondern allein um uns selbst. Es geht um eine Grundangst, die wir in uns tragen, seit wir Kind sind, die sich fest macht am Verlassenwerden, weil wir damals verlassen wurden. Noch immer stecken wir fest in der alten Angst der schmerzhaften Vergangenheit, wir fühlen uns hilflos und ohnmächtig im Jetzt, weil wir damals keine Helfer hatten. Die meisten Menschen haben Angstgefühle in sich gespeichert und wir nehmen umso mehr Angst auf, je mehr wir bereits gespeichert haben, denn wir sind dann geradezu darauf konditioniert Angst zu fühlen. Wir gehen in Resonanz. Gleich und gleich gesellt sich gern und genauso gesellt sich Angst zur Angst. Die Folge ist, dass sie wächst, wenn wir ihr nicht Einhalt gebieten. Aber wie?
 
Wir finden von der Angst zu Mut und Stärke.
Dazu müssen wir aufhören sie zu ignorieren, sie zu verdrängen oder sie auf andere zu projizieren. Angst zu ignorieren ist genauso als würden wir das Unkraut im Garten ignorieren, es wächst und wächst, bis es alle Blumen und Bäume überwuchert. Genauso ist es mit der Angst. Wenn wir versuchen den Frieden in uns dadurch zu finden, dass wir unsere Angst verdrängen, laufen wir ins Unkraut und ersticken darin. Wenn wir aber den Mut haben uns den Urgrund unserer Angst bewusst zu machen, sie vor uns selbst zuzugeben und sie zu respektieren, finden wir am Ende zu mehr innerem Frieden.
Natürlich ist das kein Allheilmittel um die Angst endgültig zu besiegen, aber es ist der Anfang um zu begreifen, dass wir die Angst, die wir ignorieren, füttern. Wenn wir sie fühlen und uns mit ihr auseinandersetzen, wenn wir sie aussprechen, aufschreiben, mitteilen, ihr das wahre Gesicht geben, das sich hinter all ihren maskierten Erscheinungsformen verbirgt, wird sie klein und kleiner Wir wachsen, wenn wir das tun. Wir schleichen das Gift aus, das unser Leben zerstören kann und wir wissen dabei, ja, es wird dauern.
 
Jedes Angstgefühl fordert uns auf, einen bestimmten Bereich in unserem Leben und in unserem Inneren zu untersuchen. 
Indem wir die Angst und ihren Urgrund erfassen, gelangen wir zum Bewusstsein unserer inneren Wahrheit. Wenn wir dort angelangt sind, sind wir fähig zu handeln und den nächsten Schritt zu gehen, mutig, trotz unserer Angst und mit jedem mutigen Schritt wieder ein bisschen stärker als zuvor.
„Mut ist, wenn du mit der Angst tanzt, das was du nicht ganz kannst, trotzdem versuchst“, singt Alexa Feser in ihrem gleichnamigen Lied. Und so ist es.
Wir tanzen nicht in die Angst - wir tanzen mit der Angst.
Es hört nicht auf, wir werden immer Ängste haben, es gibt kein Mittel um sie endgültig auszurotten. Darum geht es auch nicht, denn etwas ausrotten, was eine Funktion in unserem System hat, ist nicht sinnvoll. Aber wir können lernen und unseren Ängsten zu stellen und einen angemessen Umgang mit ihr zu finden, damit sie die Seele nicht aufisst.
Wenn wir die Angst nicht verdrängen, haben wir eine gute Chance uns aus ihrer Macht zu befreien und wieder Vertrauen in unsere Kraft zu finden, immer und immer wieder.
 
 

Freitag, 23. Februar 2024

Bewerten, beurteilen, verurteilen

 

                                                                 Foto: pixybay


"Urteile nie über einen anderen, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gelaufen bist“, lautet eine indianische Weisheit.
Urteilen und bewerten ist menschlich. Wir müssen bewerten und urteilen um Entscheidungen in allen Lebensbereichen zu treffen. Da ist werten und beurteilen notwendig und wichtig. Viele Menschen neigen aber dazu ständig alles und jeden zu bewerten. Das ist nicht notwendig und nicht wichtig, außer für diejenigen, die das tun.
Unsere Gesellschaft verführt regelrecht zum Bewerten.
Likes, Kommentare auf Facebook, Instagramm und Co, Sternchen für Produkte, Dienstleistungen etc.. das Bewerten boomt. Wir orientieren und richten uns mehr und mehr nach Bewertungen, statt nach eigenen Erfahrungswerten und vergessen dabei: Jeder bewertet anders.
Was dem einen gefällt oder gut tut, was für den einen wahr und richtig ist, was für den einen hilfreich ist, muss es für den anderen längst nicht sein. Und nein, nicht die Masse entscheidet was gut ist oder ungut, richtig und falsch. Die Masse ist niemals ein vertrauenswürdiger Seismograf, was die menschliche Geschichte hinreichend bewiesen hat und beweist. Wozu das führt, wenn die Massen entscheiden, haben wir in der jüngsten Vergangenheit erlebt. Zu einem globalem Trauma, das bis heute nicht bewältig ist. Das nur nebenbei. 
 
Wir sind ein Mensch unter Menschen. Jeder Mensch ist eine eigene Persönlichkeit, er ist einzigartig.
Das Bewerten und Veruteilen ist ein Weg dahin, genau das zu vergessen. Ein Weg, der wegführt von der Weisheit, dem anderen sein anderssein zu lassen, es zu achten und zu respektieren, denn nur so gelingt ein wertschätzendes, wohlwollendes Miteinander. Das vermisse ich in dieser Welt mehr und mehr. 
 
Aber warum bewerten manche Menschen ständig ihre Mitmenschen, ihre Erscheinung, ihre Gedanken, ihre Worte, ihre Gefühle, ihr Verhalten, ihren Wert?
Dafür gibt es einige Motive und Gründe.
 
Zum Beispiel ein geringes Selbstbewusstsein.
Wer sich seiner selbst nicht bewusst ist, wer sich nicht erkennt, mag und akzeptiert, wer selbstunsicher ist, ist nicht fähig andere in ihrem Sein zu akzeptieren wie sie sind. Wer häufig bewertet udn verurteilt, nutzt dieses Verhalten dazu, sich selbst zu erhöhen und in eine kontrollierende Position zu bringen. Es wird projiziert, heißt: die Bewertung anderer trifft meist auf den Bewertenden selbst zu. So werden eigene Unsicherheiten und ungelöste Themen ins außen verlagert, um sich selbst besser, klüger, wissender, größer, etc., zu fühlen.
Apropos Fühlen, ein weiterer Grund: Es wird bewertet anstatt sich mit den eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen.
Wer seine eigenen Gefühle nicht fühlt, nicht fühlen will, sie verdrängt oder abspaltet, kann mit schmerzhaften Situationen nicht angemessen umgehen. Er ist emotional taub oder blockiert. Alles was seinen Schmerz triggert wird bewertet und zwar negativ. Das muss weg, das will er nicht sehen, nicht hören und eben - nicht fühlen. Als Abwehrreaktion wird dann bewertet, attackiert und verurteilt. Alles zum Selbstschutz, der zu nichts gut ist, außer die emotionale Rüstung weiter zu verpanzern.
 
Besonders Neid, Verbitterung, Groll und Missgunst sind emotionale Zustände, die Menschen dazu bringen ständig andere zu bewerten und zu verurteilen.
Die Bewertung fungiert auch hier als Selbstschutz. Nichts wird emotional herangelassen und alles, was den Neid, die Missgunst oder den Groll triggert, und das kann alles sein, was besser scheint als das eigene Leid, wird gnadenlos verurteilt, um im eisernen Käfig der destruktiven Weltsicht sitzen bleiben zu können, denn ihn öffnen könnte bedeutet: ich öffne mich neuen Kränkungen, was unbedingt vermieden werden muss.
Verbitterung macht bitter, nicht nur uns selbst sondern auch anderen gegenüber. Sie macht hart, ungerecht, wütend und aggressiv. Neid und Missgunst sind giftig, sie vergiften nicht nur uns selbst, sondern auch andere und unsere Beziehungen.
Groll macht rachsüchtig und böse. „Groll mit uns herumtragen ist wie das Greifen nach einem glühenden Stück Kohle in der Absicht, es nach jemandem zu werfen“, sagt Buddha und genau so agiert der Groll: er wirft seinen eigenen Dreck auf andere. Der Grollende ist ein Miesmacher, der anderen das Leben vermiesen will, mit der Absicht sich selbst besser zu fühlen. 
 
Wer viel bewertet, dem fehlt Empathie
Menschen, die immer von sich selbst auf andere schließen, haben eine geringe oder keine Fähigkeit sich in andere hineinzuversetzen. Das eigene Denken und Empfinden ist Gesetz, der eigene Denkrahmen die Welt. Diese Menschen kommen gar nicht darauf, dass andere anders ticken, mit den Dingen anders umgehen, sie anders verarbeiten. Wenn sie damit konfrontiert sind wird bewertet, anstatt sich empathisch in den anderen einzufühlen oder sich auch nur im Geringsten dafür zu interessieren was im Mitmenschen vorgeht. Der eigene Narzissmus steht über allem und jedem und wird empathielos ausagiert. Wer unfähig ist, sich in andere hineinzuversetzen, ist nicht fähig den anderen auch nur im Ansatz zu erkennen, seine die Bedürfnisse, seine Gefühle, sein Weltbild überhaupt wahrzunehmen. Er kann und er will es auch nicht. Da fällt das Bewerten und Abwerten viel leichter als einem anderen Menschen gegenüber Achtung und Respekt zu erweisen. 
 
Bevor wir andere bewerten und verurteilen, macht es also durchaus Sinn uns zu fragen, warum wir das tun. Denn jede Bewertung, jede Verurteilung sagt viel über uns selbst und wenig über den anderen.
Wir könnten uns fragen, ob wir mit uns selbst im Reinen sind und uns als den Menschen akzeptieren, der wir sind. Erst dann können wir andere in ihrem Anderssein akzeptieren. Wir könnten uns mit unseren Mitmenschen wohlwollend verbinden und achtsam ihre Wahrheiten hören und sie achten.
By the way … wer nur die eigene Wahrheit glaubt, lernt nichts dazu.

Mittwoch, 21. Februar 2024

Aus der Praxis: Verbitterung: Die Gekränkten und ihre Wut auf andere

 

                                                                Malerei:A.Wende


Manche Menschen richten sich lieber im Ressentiment ein, als den Weg einer Heilung zu beschreiten. Sie leiden und gefallen sich im Wiederkäuen ihrer Kränkungen. Sie verweigern jeden Versuch, ihre Situation zu ändern. Sie verbittern und sie klagen.
„Klage bedeutet „Klage erheben“. Im psychologischen und emotionalen Universum muss man jedoch von der Klage Abstand nehmen, um nicht davon zerfressen zu werde und an einer Wut festzuhalten, die einen verzehrt“, schreibt die französischen Psychoanalytikerin und Philosophin Cynthia Fleury in ihrem sehr empfehlenswerten Buch: „Hier liegt Bitterkeit begraben. Über Ressentiments und ihre Heilung“
 
Aber was ist Verbitterung?
Verbitterung ist ein aus Verletzung und Kränkung geborenes langanhaltendes, innerlich zerfressendes Gefühl, das zu einer lebensverneinenden Lebenseinstellung führt. Hätte Verbitterung einen Geschmack wäre er bitter.
Der bittere Mensch fühlt sich ungerecht behandelt, gekränkt und und herabgewürdigt, hilflos, wütend, ohnmächtig und niedergeschlagen, im wahrsten Sinne des Wortes, und andere oder das Leben sind schuld. Er grollt. Zum Teil richtet sich der Groll auch gegen sich selbst. Er verzeiht anderen nicht und er verzeiht sich selbst nicht. Er hält fest am Unverzeihlichen, an der Kränkung, der Verletzung, dem Trauma, das ihm widerfahren ist und macht es zu seinem Lebensthema.
Verbitterung ist zwar eine mögliche seelische Verarbeitung einer Kränkung, aber sie ist unheilsam.
Wenn wir verbittern neigen wir dazu jeden Gedanken, der unsere Verbitterung betätigt und füttert, zu glauben. Unsere Wahrnehmung ist selektiv. Wir machen dicht und sind immun gegen jeden Tröstungsversuch und jede Hilfe von außen. Letztlich geht es bei der Verbitterung auch um unseren Stolz, der verletzt ist. 
 
Das Außen wird zum Feind, alles als ungut Empfundene legt sich auf das Bittere, verstärkt es und hält es aufrecht. Die Welt ist böse. Die Menschen schlecht. Das Leben unerträglich. Es wird zu einem Kampf gegen alles und jeden. Gegener ist jeder, der den eigenen Wert-, Welt und Moralvorstellungen nur im Geringsten widerspricht. Identitäre Abgrenzung, sozialen Rückzug, soziale Isolation und chronische Einsamkeit findet man oft im Zusammenhang mit Verbitterung. Der Mensch verschließt sich wie eine Auster. Aus Selbstschutz, der tragischerweise zur Selbst- und Weltverneinung führt. Je länger er in diesem Zustand verharrt, desto geringer ist die Chance aus der Verbitterung herauszufinden. Das ist es gar nicht so einfach. Denn die Verbitterung hat einen Gewinn.
Zitat aus dem Buch:
"Im psychologischen und emotionalen Universum muss man jedoch von der Klage Abstand nehmen, um nicht davon zerfressen zu werde und an einer Wut festzuhalten, die einen verzehrt. Das in das Ressentiment verliebte Subjekt geht nicht so weit die Realität zu verneinen, da es unter ihr leidet, aber das Subjekt funktioniert mit seinem Ressentiment, wie es dies mit einem „Fetisch“ tun könnte.
Wozu dient der Fetisch?
Genau dazu die Realität zu ersetzen, die für das Subjekt unerträglich ist. Anders gesagt, wenn das Subjekt Schwierigkeiten hat, sich von der Klage zu lösen, dann deshalb weil sie wie ein Fetisch funktioniert, sie bereitet ihm den gleichen Genuss, sie schirmt es ab, sie erlaubt die Realität zu ertragen, sie zu vermitteln, sie zu derealisieren. Die einzig lebbare Realität wird durch das Lustprinzip, zu dem sie verhilft zur Klage, und der Ressentiment-Fetisch wirkt wie ein Obsession. Das Ressentiment dient nicht nur dazu, die Erinnerung an das aufrechtzuerhalten, was als Verletzung empfunden wurde, es erlaubt auch den Genuss dieser Erinnerung , als ein Lebendigerhalten der Idee der Bestrafung.“
 
Verbitterung also als Versuch der Bestrafung für Verletzung und Kränkung. Für ein Leben, das es nicht gut meint, nicht gerecht ist, für Menschen, die uns Leid angetan haben. Verbitterung ist die Unfähigkeit zu vergeben.
Letztlich aber trifft Verbitterung aber nur den Verbitterten selbst. Sie ist eine Art der Selbstbestrafung voller selbstdestruktiver Tendenzen, die dann genau das entsprechende destruktive Verhalten innen wie außen nach sich ziehen. Sie ist letztlich genauso toxisch, wie das toxische Erleben, das zur Verbitterung geführt hat, weil es unverarbeitet blieb. Der Blick des Verbitterten senkt sich im worst case ins Dunkel der gesamten Existenz. Der Versuch aus der Verbitterung heraus lebensbejagend zu denken gelingt nicht, weil Gedanken „pro Leben“ einfach nicht den Gefühlen entsprechen.
Der Versuch positiv zu denken, hilft in diesem Fall also nicht.
Wir können aber die Gedanken und Gefühle, die wir mit der Verbitterung verbinden, identifizieren und hinterfragen um herauszufinden was wirklich das zugrunde liegende Thema ist, dass uns so gefangen hält um die Verbitterung zu überwinden.
Wir können die Bereitschaft entwickeln die Dinge nicht schwarz-weiß zu sehen und die Perspektive wechseln. Damit distanzieren wir uns von der Identifikation mit dem Bitteren. Wir wenden uns unserer Verbitterung selbstmitfühlend zu, wir kümmern uns um Auflösung, anstatt Wut, Hass und Groll ins außen zu projizieren.
Schließlich könnten wir entscheiden, dass nichts und niemand die Macht haben sollte unser Leben derart zu vergiften, dass wir verbittern. Wir dürfen unsere Verletzungen und unsere Kränkungen bedauern und betrauern.
Trauern ist heilsam. Verbittern nicht.
 
Wenn Du Dich angesprochen fühlst, bin ich gerne für Dich da.
 
Schreib mir eine Mail unter: aw@wende-praxis.de
Du bist herzlich willkommen.
Angelika Wende

Montag, 19. Februar 2024

Dankbar

 

                                                                      Foto: A.Wende
 
 
Dankbarkeit gehört zu den höchsten Energien, die wir erleben können. 
Dankbarkeit anstatt zu verurteilen, abzulehnen, zu bereuen, zu hadern, zu verbittern. 
Alle Erfahrungen im Leben, besonders die Unguten, tragen zu unserem Wesen bei und helfen uns zu wachsen.
Warum wachsen, könnte man jetzt fragen?
Weil das Gegenteil von wachsen eingehen bedeutet.
Warum also Energie verschwenden und sich dem was ungut ist, widersetzen?
Es gehört zu uns wie das Gute.

Samstag, 17. Februar 2024

Aus der Praxis: Herz, Verstand und Belohnungssystem

 

                                                                        Foto: pixybay

 

„Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt“, schrieb der französische Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal
Die Erfahrung gibt ihm recht.
Oft habe ich auf die Gründe meines Herzens gehört. Meist war es richtig und manchmal hat es mir Unheilsames eingebracht. Ich habe Menschen in mein Herz gelassen, die mir nicht gut taten, aber das Herz wollte das nicht wissen. Es war doch so sicher, dass es am richtigen Platz war, sich dem Richtigen geschenkt hatte.
Was sagt mir das? Auch das Herz kann irren.
Oder es will nicht wissen, was der Verstand sagt.
 
Herz und Verstand sind oft Gegenspieler.
Sie sind nicht immer im Einklang, besonders wenn es um Gefühle geht. Dann gewinnen die Gefühle fast immer. Gefühlt glauben wir auf dem richtigen Weg zu sein, obwohl der Verstand sagt: du bist auf dem Holzweg. Dann neigen wir dazu auf das Herz zu hören. Wie gesagt, das ist nicht immer hilfreich und zu unserem Besten.
 
Wenn wir rational denken um Entscheidungen zu treffen, benutzen wir die vordere Stirnhirnrinde, den präfrontalen Cortex. Dieser ist mit dem limbischen System, dem Ort an dem unsere Emotionen sitzen, verschaltet und kann Gefühle unter Kontrolle halten. Dann ist da noch der Nucleus accumbens, der Teil des mesolimbischen Systems, der eine zentrale Rolle im „Belohnungssystem“ des Gehirns spielt.
Er ist wesentlich an der Entstehung von Motivation und Glücksgefühlen beteiligt und damit auch an der Entstehung und Aufrechterhaltung von Sucht.
Dieses Wissen könnte uns zu denken geben.
Denn jetzt stellt sich die Frage: Ist es wirklich immer das Herz, das berechtigte Gründe hat, oder ist es das Belohnungssystem, das sich nach Glücksgefühlen und Dopamin-Ausschüttung sehnt und dem Herzen Gründe vorgaukel?
Eine Verwechslung ist durchaus möglich.
Das gilt auch für den Verstand. 
 
Ist das, was mein Verstand für mich will, immer FÜR mich?
Oder ist es vielleicht für mein Belohnungssystem, das dem Verstand suggeriert, es sei FÜR mich.
Eben nicht alles, was scheinbar be-lohnend ist, ist gut für mich. Nicht alles, was mir Glücksgefühle verspricht ist Glück. Das beste Beispiel sind Süchte, von der Alkohohlsucht bis zur Liebessucht. Da schreit das Belohnungssystem, Herz und Verstand übertönend, ständig: Konsumiere!
Aber dieser unheilsame Konsum macht gar nicht glücklich, sondern im Gegenteil: kaputt.
Herz, Verstand, Belohnungssystem - das Gehirn ist ebenso komplex wie unsere Persönlichkeit, voll mit verschiedenen Teilen, Geistesinformationen, Gewohnheitsmustern, Gemütszuständen, Anlagen, Gedanken und Gefühlen, die alle gleichzeitig in unserem Bewusstsein existieren, miteinander verbunden sind, sich wechsel-und gegenseitig beeinflussen und nicht selten gegeneinander im inneren Kampf liegen. 
 
Es ist nicht immer einfach die richtigen Teile zu aktivieren, wenn wir sie brauchen. Mal ist ein Teil aktiver, mal ein anderer. Psychologische, soziale und äußere Faktoren sind weitere Parameter, die bestimmte Teile in uns aktivieren oder triggern.
Idealerweise haben wir zu den Teilen Zugang, die wir brauchen um nicht auf dem Holzweg zu landen. Um da hin zu kommen, ist es hilfreich, sich der Komplexität der Ausstattung unserer Innenwelt gewahr zu werden.
Wie das geht?
Indem wir Bewusstheit über das komplexe Wunder unserer inneren Welt erlangen.

Montag, 12. Februar 2024

Lange Abschiede

 

                                                                    Foto: A.Wende


Viele von uns halten sehr lange an etwas fest. Es ist vertraut, ob es gut oder schlecht ist und weil es vertraut ist, glauben wir es gehört zu unserem Leben und muss da bleiben.
Aber das Leben ist Veränderung und alles hat irgendwann ein Ende. Ein Weg ist zu Ende gegangen. Situationen, Gewohnheiten oder Orte passen einfach nicht mehr zu uns. Bestimmte Dinge haben ihr Haltbarkeitsdatum überschritten und sind unbrauchbar geworden. Manche Menschen gehören einfach nicht mehr zu uns. 
All das wollen wir nicht wahrhaben, also machen wir weiter, wir lassen es wie es ist, obwohl wir längst spüren – nein, das passt einfach nicht mehr zu dem Weg, den wir gehen wollen oder den wir längst eingeschlagen haben. Irgendwie wollen wir versuchen etwas zu kitten, das Altbekannte soll bleiben. Wir wollen die Komfortzone nicht verlassen, denn was danach kommt, ist ungewiss und davor fürchten wir uns. Also schleppen wir den alten Ballast aus der Vergangenheit weiter mit, trotz des Wissens, ohne ihn wäre es leichter. Wir stecken weiter eine Menge Energie in etwas, was uns nur Energie raubt und unsere Entwicklung behindert und erschwert.
 
Ich selbst tue mir besonders schwer damit Menschen aus meinem Leben zu verabschieden. Ich bin das, was man eine treue Seele nennt. Was ich mir vertraut gemacht habe, ist mir wichtig. Daran halte ich fest. Das ist auf gewisse Weise ziemlich naiv, denn eine treue Seele will oft nicht wahrhaben, dass das, woran sie festhält, sie längst innerlich verlassen hat.
Manchmal halten wir an einem Menschen fest, der uns bereits losgelassen haben. Wir stecken eine Menge Energie hinein, weil wir immer noch an ihn und die Beziehung glauben. Wir halten fest. Damit versuchen wir künstlich ein Band aufrecht zu erhalten, wo es in Wahrheit keins mehr gibt. Wir ziehen an unserem Ende des Seils und wollen partout nicht wahrhaben, dass der andere längst losgelassen hat. Aber irgendwann kommt unweigerlich der Punkt wo wir spüren, dass das Seil schlaff in unseren Händen liegt. Am anderen Ende ist keiner mehr. Dann ist es Zeit es loszulassen. Endgültig und ohne wenn und aber. Zeit uns von einer Illusion, die wir selbst erschaffen haben, zu lösen.
 
Wir können nichts künstlich festhalten, was verloren ist. Damit behindern wir uns selbst. Damit hängen wir an einer Vergangenheit, die in unserem Jetzt keinen Sinn mehr erfüllt. Damit beschweren wir unsere Seele und blockieren unseren Lebensweg. Wir verhindern das Neue, das sich in unserem Leben zeigen will und es nicht kann, weil unser Blick im Vergangenen festhängt. 
 
Aber manche Abschiede sind eben lange Abschiede. Besonders dann, wenn ein Mensch uns viel bedeutet hat, wenn er vielleicht sogar der Mittelpunkt unseres Lebens war, wenn es Liebe war. Lange Abschiede sind okay, denn unsere treue Seele braucht diese Zeit um innerlich in ein „Leb wohl“ hineinzuwachsen. Lange Abschiede sind sanfte Abschiede, ein Herausgleiten, weil ein harter Bruch nicht gelingt. 
Ob das weniger schmerzhaft ist?
Der Schmerz ist breiter, dosierter. Ob er damit erträglicher ist? 
 
Abschiede tun weh, ganz gleich wie wir sie erleben.
Aber wie schrieb Herman Hesse in seinem wunderbaren Gedicht „Stufen“? 
 … „Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“

Dienstag, 6. Februar 2024

Frieden

                                                                    Art: Pablo Picasso
 

Wir müssen uns selbst so akzeptieren wie wir sind, damit wir zuerst einmal mit uns selbst Frieden schließen können. Denn, wer in Unfrieden mit sich selbst lebt, wie will er dann in Frieden mit anderen leben?

 

Wer mit sich selbst im Frieden ist und einsieht, dass er nicht ohne Fehler ist, dass er selbst schon andere verletzt hat, wer sich mit sich selbst versöhnt, kann jene innere Haltung ablegen, die immer bei anderen die Schuld sucht. Nur so kann sich auch der äußere, der kollektive Frieden entwickeln.


Wenn wir uns nicht auf den Weg zu unserem inneren Frieden machen, werden wir auch im Außen, in Beziehungen und im Zusammenleben mit anderen Menschen, keinen Frieden finden.
Art: Pablo Picasso

Sonntag, 4. Februar 2024

Die Suchtspirale

 

                                                                Foto: Pixybay

 

Co-Abhängigkeit ist eine Sucht, die ebenso wie die Alkoholsucht nur dann gestoppt werden kann, wenn echte Krankheitseinsicht und die Bereitschaft besteht, zu genesen.

 

Das Schlimmste für den Alkoholiker ist die Vorstellung, das Objekt seiner Begierde – den Alkohol – sein lassen zu müssen und nichts mehr trinken zu können.

Das Schlimmste für den Co-abhängigen ist die Vorstellung das Objekt seiner Begierde - den Alkoholkranken -  loslassen zu müssen, sich nicht mehr kümmern zu können und nicht mehr gebraucht zu werden.  

 

Beide brauchen und benutzen ihr Suchtmittel als Problemlösungsstrategie innerpsychischer Konflikte, Komplexe und Störungen, um zu kompensieren, zu verdrängen, sich der Realität nicht zu stellen, alles was ihnen zu viel ist nicht machen zu müssen und um die dysfunktionalen Gefühle, die für sie nicht aushaltbar erscheinen, zu betäuben, abzuwehren und zu verdrängen. Das verschafft ihnen immer wieder kurzzeitige Entlastung.

Das ist der Benefit von Sucht.

 

Dieser kurzeitige Benefit, der immer wieder hergestellt werden muss, eben weil er nur kurzzeitig ist, führt dazu, dass viele in der toxischen Verstrickung bleiben, auch wenn sie sich derer bewusst sind. Der Trinker mit dem Alkohol, der Co-abhängige mit dem Objekt seiner Begierde, anstatt die Stricke zu lösen, indem sie sich um sich selbst kümmern.

 

Sie bleiben abhängig, aus Angst ohne ihr Suchtmittel nur noch an sich selbst zu leiden. 

Sie schützen sich davor klar erkennen zu müssen, wieviel Schmerz, Trauer, Wut, Selbsthass, Scham, Schuldgefühle, Verzweiflung, Leere und Einsamkeit in ihnen wohnen, dann, wenn sie beginnen sich ernsthaft und wahrhaftig sich sich selbst zu stellen.

Was der Fall wäre, würden sie ihr Suchtmittel loslassen. 

 

Gelingt es Alkoholikern und Co-abhängigen nicht ihre Sucht durch heilsames Handeln zu stoppen, sich Hilfe zu suchen und Hilfe anzunehmen, dreht sich die Suchtspirale immer weiter nach Unten. 

 

Je weiter die Sucht nun fortschreitet, desto mehr verstärken sich Probleme auf körperlicher, geistiger, emotionaler und psychischer Ebene. Es kommt zum absoluten Kontrollverlust. 

In der Folge zum Zusammebruch und zum Verfall der ganzen Person und ihres gesamten Lebens.

 

Samstag, 3. Februar 2024

Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft

 


Manchmal haben wir Angst vor der Zukunft, deren unvermeidliches Kommen wir spüren und nicht wissen, wie sie sein wird. Oder wir haben Angst vor der unverarbeiteten Vergangenheit, die uns einholen könnte - und damit haben wir Angst vor einer daraus resultierenden Überforderung.

Die Gegenkraft zur Angst ist Vertrauen und Geborgenheit in der Zeit und in uns selbst. Neugier auf einen neuen Lebensabschnitt und die dankbare Erkenntnis, dass nur diese persönliche Vergangenheit in diese Gegenwart und Zukunft führen konnte und führen wird. Wer verstanden und gefühlt hat, dass alles in ihm ist, dass alles was er tut, immer er selbst ist, kann gelassen den weiteren Weg gehen. 

Vertrauen heißt: fühlen, dass die Dinge schon richtig sind, auch wenn wir nicht verstehen.