Montag, 27. April 2020

Alles was uns berührt, ist heilsam.


 
Foto: Angelika Wende

Notgedrungen gehen wir seit Wochen auf soziale Distanz. Und es wird lange so bleiben. 
Das bedeutet für viele Menschen, dass sie auf Berührungen verzichten müssen. Hände werden nicht mehr gegeben, Küsschen auf die Wangen werden nicht mehr gegeben. Tröstend die Arme um einen anderen legen bedeutet Ansteckungsgefahr. Getrennt lebenden Paaren fehlen Zärtlichkeit und Sexualität. Singles müssen oft ganz auf Berührung verzichten

Körperkontakt ist jedoch fundamental. Berührungen sind elementar wichtig für Körper und Seele.
Wenn wir uns gegenseitig berühren, wird im Gehirn das Glückshormon Oxytocin aktiviert und ausgeschüttet. Es kommt es zum Abbau von Stresshormonen und in der Folge zur Verlangsamung von Atmung und Herzschlag. Der Körper entspannt sich und wir fühlen uns wohl. Berührungen beeinflussen unsere Gefühle positiv und stärken unser Verbundenheitsgefühl mit anderen. Die Umarmung eines vertrauten Menschen ist das beste Mittel gegen emotionalen Stress. Berührung entspannt und ist heilsam und das nicht nur für die Psyche. So werden zum Beispiel Massagen ergänzend zur Behandlung von Krebs eingesetzt, vor allem um die Nebeneffekte von Chemotherapie und Bestrahlungen zu lindern. Verschiedene Meta-Studien haben gezeigt, dass Massagen helfen Depressionen zu lindern,  Ängste abzubauen und Schmerzen zu mindern. Eine Studie belegt, dass eine Umarmung und bloßes Händehalten über etwa 10 Minuten Blutdruck und Herzschlag senken. Durch die Ausschüttung von Oxytocin bei jeder Art von liebevoller Berührung werden also Stresshormone abgebaut. Berührung führt auch dazu Aggressionen zu reduzieren und sie stärken unser Immunsystem.
Das Heilsame der Berührung geht jetzt für viele verloren.
Was tun?
Gut, wir können uns emotional berühren, auf Distanz durch digitalen Kontakt. Wir können mit vertrauten Menschen reden, ihnen in die Augen sehen, wir können mit ihnen über unsere Gefühle reden und unsere Zuneigung und unsere Liebe in Worten ausdrücken. Das schafft Nähe in Zeiten der Distanz. Wir berühren einander mit Worten. 
Aber reicht das? Füllt das unser elementares menschliches Bedürfnis nach Berührung?
Ein klares: Nein.

Eine Klientin, die alleine lebt, sagte neulich zu mir: Ich werde noch verrückt, weil ich niemanden mehr anfassen kann. Ich fühle mich krank. Ich habe Angst, dass ich nie wieder jemanden berühren kann, jedenfalls lange nicht, denn die Pandemie ist ja noch lange nicht vorbei. Ich habe das Gefühl innerlich mehr und mehr einzufrieren. Manchmal bin ich depressiv und habe zu nichts mehr Lust.

Gefühle wie sie meine Klientin beschreibt sind nicht unnormal. Sie sind vielmehr gesund. Sie sind das gesunde Empfinden eines Menschen, der auf etwas Wesentliches unfreiwillig verzichten muss, das er für sein Wohlbefinden braucht.
Wer einsam ist und ohne Berührungen leben muss lebt und darunter leidet, hat, das beweisen viele Studien, ein höheres Krankheitsrisiko und eine kürzere Lebenserwartung. Traurig aber wahr. Das Fehlen von Körperkontakt wenn wir darunter leiden, macht genauso krank wie unfreiwillige Einsamkeit. Nicht jeder ist zum Eremiten geboren – die meisten von uns sind es nicht.

Können wir das nicht-berührt-werden kompensieren? 
Eine Zeit lang schon.
Wir können kreativ werden. 
Wer etwas Kreatives macht kommt in den Flow und empfindet den Mangel an Berührung oft weniger schmerzhaft als jemand, der nichts mit sich anzufangen weiß.
Auch körperliche Bewegung im Garten oder in der Natur und jede Art von Sport kann helfen den Körper zu beruhigen, wenn er auf Berührungen verzichten muss.
Auch durch Musik und das Betrachten von schönen Dingen können wir uns berühren lassen.
Ein gutes Buch kann uns berühren.
Ein Haustier berührt uns. 
Etwas mit Hingabe und Achtsamkeit kochen und ein gutes Essen, können uns berühren.
In der Meditation und mit Achtsamkeitsübungen berühren wir uns.

Und der Körper?
Wir können uns selbst umarmen.
Wir können unseren Körper, unser Gesicht, unsere Hände achtsam berühren, unsere Füße bewusst massieren, uns liebevoll eincremen und unsere Haut sanft streicheln.
Wir können als Übergangsobjekt den alten Teddy aus Kindertagen in den Arm nehmen und mit ihm einschlafen.

Letzteres mag jetzt für den einen albern und für den anderen gar ein wenig traurig klingen, aber es ist hilfreich und einen Versuch wert. 
Alles was uns berührt, ist heilsam. 




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