Sonntag, 26. Januar 2014

AUS DER PRAXIS - Vom Wünschen ans Universum und dem Geheimnis der Seele


Es gibt Dinge, die verändern auf einen Schlag unser Leben. Solche Dinge sind mir oft passiert. Es waren nicht immer gute Dinge, es waren sogar oft ziemlich ungute Dinge. Eine ganze Zeit lang haben sie mich erschüttert in meinen Grundfesten als Mensch. Jedes mal, wenn mir solche Dinge passiert sind, dachte ich, du bist selbst schuld daran. Ich habe gejammert und geklagt. Vor allem habe ich mich selbst angeklagt. Ich war mein Staatsanwalt und mein Richter. Einen Anwalt gab es nicht, es ging um Totalvernichtung. Das Ende vom Lied war - ich habe mich verurteilt. Ich habe mir eine Strafe auferlegt, die darin bestand abzubüßen, was ich mir als Schuld vorwarf. Mein Urteil hieß sogar einmal lebenslänglich. Lange Jahre saß ich hinter den Gittern meines selbst errichteten Gefängnisses und beschränkte mein Leben um alles, was das Leben ausmacht. Ich arbeitete um zu überleben, aber ich gönnte mir keine Freude und keine Momente des Glücks, denn das hatte ich ja nicht verdient.

In dieser Zeit habe ich mich auf Spurensuche begeben. Ich habe versucht herauszufinden, warum ich so ein schlechter Mensch bin, dass mir immer wieder schlechte Dinge widerfahren. Ich war nämlich der festen Überzeugung, all die unguten Dinge passieren mir nur deshalb, weil ich nicht gut genug bin. Dass ich nicht gut bin, hatte ich als Kind gelernt. Einer der Glaubenssätze meiner Kinderjahre lautete: Wenn etwas schief läuft, dann, weil du es nicht besser verdient hast.

In dieser einsamen Zeit in meiner Zelle habe ich viele Bücher über die menschliche Psyche gelesen. Von Sigmund Freud über Alfred Adler, von Viktor Frankl bis zu Carl Gustav Jung. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, darüber wie kompliziert wir Menschen doch sind. Nicht, das ich das nicht schon längst gewusst hätte, aber all die klugen Bücher dieser weisen und lebenserfahren Männer, ihre Versuche und Methoden um die Seele und ihre Tiefe zu erfassen, flößten mir Ehrfurcht ein. Ich begriff, die Seele ist ein Mysterium, das sich unserem menschlichen Begreifen niemals in ihrer Ganzheit erschließt. Sie ist zu komplex und zutiefst geheimnisvoll. Aber gerade deshalb ist sie es, die mich fasziniert, was mich antreibt sich ihr anzunähern, auch wenn ich weiß ich, werde sie niemals fassen können, die meine nicht und die der Menschen nicht, die zu mir kommen und die ich ein Stück auf dem ihrem Weg begleiten darf. 

Neben dieser wertvollen Literatur las ich auch Selbsthilfebücher, um auf dem schnellen Weg herauszufinden was mit mir nicht in Ordnung war, dass mich so viel Unglück hintereinander traf. Die Autoren dieser einschlägigen Literatur versprachen mir endlich meines Glückes Schmied zu werden. Die Kunst des Glücklichseins, so lautete das Versprechen, liegt einzig und allein in der Macht meiner eigenen Gedanken.

Ich griff zu all den Büchern, die mich aufforderten positiv zu denken und weil ich dessen nicht fähig war, sonst wäre ich ja nicht einer ihrer Käufer gewesen, versprachen sie mir, es mir beizubringen. Wer positiv denkt, hat auch ein gutes Leben, so die Botschaft. Ich habe mich in diese Bücher vergraben um mein positives Denken auszugraben, denn das musste ja irgendwo in mir verborgen sein, wenn ich den Autoren Glauben schenkte. Ich bin der alleinige Schöpfer meiner Welt, welch eine Offenbarung, aber psst - das ist das Geheimnis des Lebens selbst, „The secret“. Ein Geheimnis also! Wie wunderbar es zu lüften, dachte ich. The secret war dann auch das erste jener Bücher, das ich verschlang wie eine lang ersehnte Wundermedizin für meine angeschlagene Seele.

Das Geheimnis, das sich mir offenbarte, war schlicht und einfach: Alle Probleme, die du im Leben hast liegen nur an deinen negativen Gedanken, mit deinen Gedanken ziehst du alles an wie ein Magnet, ob im Guten oder im Schlechten. Hast du gute Gedanken geschieht dir Gutes, sind sie schlecht, geschieht dir Schlechtes. Ich habe es doch gewusst, dachte ich, ich bin also doch ein schlechter Mensch, denn das war die unterschwellige Botschaft, die bei mir ankam, und sie klang genauso wie jene Botschaft aus meinen Kindertagen: An allem bist du selbst schuld!

Der Weg zum guten, glücklichen Leben, versprachen diese Bücher, sei ganz einfach. Ändere deine Denkweise, affimiere, sage dir hundertfach am Tag wie schön das Leben ist, wie wunderbar und wie mächtig deine guten Gedanken sind und es wird geschehen: dein Wunder.

Ich übte gute Gedanken zu denken, was nicht einfach war, denn die anderen, nicht so guten, tauchten ungerufen immer wieder dazwischen auf und manche waren so ungut zu mir, dass sie mich auslachten. Also noch nicht genug getan, entschied ich. Diese Übung war wohl nicht ausreichend für mein Glück und ich schickte meine Wünsche ans Universum. Wie mir im gleichnamigen Buch geraten wurde, wünschte ich, schickte den Wunsch ab und wartete ich geduldig. Ich war zuversichtlich, wissend, es würde Gold regnen wie im Märchen von der Goldmarie und der Pechmarie, war dies doch das märchenhafte Versprechen.

Weil ich mich aber nach einer langen Weile immer noch wie die Pechmarie fühlte und die Erfahrung mich gelehrt hatte, dass Versprechen allzu oft nicht eingehalten werden, begann ich daran zu zweifeln, dass aus mir irgendwann eine Goldmarie werden könnte. Aber ich wusste ja jetzt, Zweifel sind höchst ungute Gedanken und so verjagte ich sie tapfer und probierte es weiter, jeden einzelnen Tag, das mit dem positiven Denken und dem Wünschen. So leicht gebe ich nicht auf.

Es hat nicht geklappt. Im Gegenteil, je öfter ich in diesen Büchern las, desto mieser fühlte ich mich, trotz meiner positiven Gedankenübungen. Das Gefühl, du bist verkehrt, du denkst falsch und weil du falsch denkst, ist alles wie es ist - nämlich ungut, wuchs. Am Ende meines Übungsmarathons war ich der festen Überzeugung, ich bin eine Komplettversagerin und doch an allem selbst schuld, weil ich das mit dem positiven Denken absolut nicht schaffte. Es gab Haftverlängerung, was bei lebenslänglich ein erstaunliches Wunder ist.

Irgendwann hatte ich die Nase voll. Gut, ich bin zwar ein schlechter Mensch, dachte ich, aber kein Masochist. Und dann, nach einer Weile kam ganz leise etwas zum Vorschein, was mich ein Leben lang immmer wieder gerettet und alles Ungute hat überleben lassen: meine Zuversicht und mein Glaube daran, dass alles im Leben einen Sinn hat. Als das aus der hintesten Ecke meines Gefängnisses hervorkroch, kam auch mein gesunder Menschenverstand wieder. Mir wurde klar, ich kann einfach nicht alles in die Realität umsetzen, was ich mir in den Kopf gesetzt habe, respektive, habe setzen lassen. Ich bin schließlich keine Zauberin und schon gar nicht Gott, der in sieben Tagen eine Welt erschafft mit allem drum und dran und lauter glücklichen Lebewesen, die voller positiver Gedanken in Liebe, Frieden und Harmonie auf ihr umherwandeln und in Dauerschleife „Hallelujah“ singen. Ich habe begriffen, dass, gerade weil ich nicht allmächtig bin, Dinge geschehen, die ich mir nicht gedacht habe und schon gar nicht ausgedacht habe. Also mal ehrlich, wer ist denn so blöd und denkt sich für sich selbst schlimme Dinge aus? Keiner von uns tut das, der liebe Gott übrigens auch nicht, mit dem „Hallelujah singen“ ist es seit dem Sündenfall Evas auf Erden vorbei. 

Die Dinge geschehen, die Guten und die Unguten, ob man positiv denkt oder nicht, sie geschehen den Guten und den „Schlechten“ unter uns und warum das so ist, weiß der Teufel - oder die Seele? Beide sind unergründlich.

Als ich das begriffen hatte, wurde ich langsam wieder lebendig, dank meiner Verbündeten. Ich bewegte mich, Hand in Hand mit meiner Zuversicht und meinem Glauben an den Sinn der Dinge. Es dauerte bis wir stark genug waren um endlich den Schlüssel in die Hand zu nehmen und die Gefängnistür von innen aufzuschließen. Aber schließlich haben wir es getan und zwar nachdem ich mir all die Dinge vor Augen geführt hatte, die ich überlebt hatte und die ich gelernt hatte, trotz und gerade in den schlechten Zeiten.

Ich sagte mir, wenn du wirklich eine Versagerin wärst, wie hast du dann all das geschafft? Wie ist dir das gelungen? Nein, eben nicht mit positivem Denken und frommen Wünschen ans Universum abgeben, das mit Sicherheit besseres zu tun hat, als sich um alle frommen Wünsche der Menschheit zu kümmern, und schon gar nicht mit geduldigem Abwarten und positiven Affirmationen. Mein Geheimnis ist ein anderes: Ich habe am Boden gelegen und ich bin wieder aufgestanden, auch wenn es manchmal lange gedauert hat. Und nach jeder unguten Erfahrung, nach jedem Leid war ich mir selbst als bisschen näher, ich war gewachsen und ich war stärker als vorher. Ich habe gelernt, dass das Leben kein Wunschkonzert ist, kein Schlaraffenland und kein Paradies, und schon gar kein Spaziergang durch ewig blühende Wälder, immergrüne Wiesen, ruhige Flüsse und stille Meere. Ich habe begriffen, dass das größte Abenteuer in diesem Leben ich selbst bin mit dem, was mich ausmacht, und dass dazu alles gehört, das Gute und das Ungute, das Licht und der Schatten, und dass ich meine unschönen Lektionen brauchte, um ganz zu werden und einverstanden mit dem, was ist. Und ich habe begriffen, dass meine Zuversicht und meine Fähigkeit den Dingen Sinn zu verleihen meine Methode ist, um dieses Leben zu bestehen und es nicht zu verdammen, wenn mir schienbar Ungutes widerfährt. Der Weg ist mein Ziel, der Weg selbst ist der Antrieb immer weiter zu gehen -  für mich selbst, meinen Glauben, meine Leidenschaft und meine Vision und für die, die ich liebe.

Hätte ich mich auf die Ratschläge der Positivdenker eingelassen, hätte ich mich selbst verlassen, nämlich Dinge getan, die meinem Wesen in keiner Weise entsprechen. Ich hätte in der Tat lebenslänglich. Wenn ich heute Sätze lese oder höre, wie „du bist der alleinige Schöpfer deines Seins und wenn es dir nicht gelingt ein gutes Leben zu leben, liegt das an dir und deinen negativen Gedanken, werde ich nicht einmal mehr wütend. Ich lächle still und denke: Wem es hilft, fein!

Meine Methode um durch das Leben zu gehen ist das nicht. Sie kann es nicht sein, dazu weiß ich zuviel von der Komplexität der Psyche, von den Auswirkungen der Prägungen, die uns formen und ich weiß, wie schwer es ist, ihnen zu nicht glauben, ich weiß, wie schwer es ist unsere Glaubensmuster zu erkennen und zu unserem Besten zu wandeln und ich weiß, wie lang der Weg ist, um auch nur annähernd unser wahres Selbst zu finden und unserem ureigenen Wesen gemäß zu leben. Und wenn meine Kritiker nun anführen: auch das ist ein Glaubensmuster. Gut, sollen sie, aber es ist mein Glaube und er ist gewachsen aus vielen Erfahrungen, aus vielen Jahren Lernen und wieder lernen – und er hat mir geholfen nach vielen Jahren Leid ein gutes Leben zu leben.

Es geht nicht darum Methoden anzuwenden, die andere erfunden haben, es geht darum herauszufinden, was unsere Methode ist mit der wir das Leben meistern und unserer Methode zu vertrauen und sie nicht zu verdammen, weil sie uns nicht nur das Glück auf Erden beschert. Es geht darum zu begreifen, dass alles, was geschieht Leben ist und dass wir nicht verkehrt sind, nur weil wir nicht immer Glück haben und uns das Schöne und Gutes widerfährt, wenn wir uns das nur ganz doll wünschen. Es geht einzig und allein darum, mit unseren Werkzeugen, die uns der Schöpfer geschenkt hat, den Acker unseres Lebens zu bestellen und zwar auch dann, wenn es hagelt und stürmt und aussieht als würde die Welt untergehen. Sie geht nicht unter, sagt die Erfahrung, aber im Zweifel gehen wir unter, wenn wir anderen mehr glauben als uns selbst. 

Freitag, 24. Januar 2014

Aus der Praxis - Die Ursachen der mangelnden Abgrenzung






Wer gut für sich sorgen kann, der kann eines auch gut: Er ist in der Lage sich abzugrenzen, er ist in der Lage Ja zu sagen zu sich selbst und dem Raum, den er braucht, körperlich, geistig und seelisch. Wer sich abgrenzen kann sagt nicht Ja, wenn er Nein meint, er steht für sich selbst und seine Bedürfnisse ein, er schützt  und artikuliert sie. Das hört sich gar nicht so schwer an, ist es aber für viele Menschen. Wie oft sagen wir Ja, wo wir Nein sagen müssten, weil wir genau wissen, mit diesem, leicht dahingesagten Ja tun wir uns selbst nichts Gutes. Leicht gesagtes ja? Ja, weil das Nein viel schwerer zu sagen wäre.

Warum ist das so? Woran liegt es, dass ein Mensch sich nicht abgrenzen kann?

Der Urgrund für die Unfähigkeit uns abzugrenzen liegt in unserer Biografie. Ein Umfeld in dem die kindlichen Grenzen massiv überschritten werden, in dem es genötigt wird Dinge zu tun, die es nicht tun will, legt den Grundstein dafür, dass das Kind nicht lernt seine Integrität zu wahren. Wer als Kind mit Erwachsenenmacht, bis hin zum Missbrauch, konfrontiert wurde, erlebt Grenzüberschreitung. Dazu gehört auch der scheinbar harmlose Satz: „Du musst lieb sein.“

Kinder, die Grenzverletzungen erfahren haben, lernen nicht die eigenen Grenzen überhaupt wahrzunehmen. Sie verinnerlichen Übergriffigkeit als etwas, das zu ihrem Lebensgefühl gehört. Obwohl sie spüren, dass da etwas nicht stimmt, denn es fühlt sich ungut an, ja sogar bedrohlich, wenn Grenzen seelisch oder körperlich immer wieder verletzt werden, fehlen Ihnen die Mittel, um sich als kleiner Mensch gegen die Großen zur Wehr zu setzen. Jede Form von Übergriffigkeit ist ein gewaltsames Eindringen in die kleine Seele. Sie schreit innerlich. Es ist ein erstickter Schrei, der nicht hinaus darf, der stecken bleibt und sich verwandelt, in ein Gefühl von Ohnmacht. Ich kenne dieses Gefühl. Noch heute, wenn mir jemand körperlich oder seelisch zu nahe tritt, kommt es hoch. Dann spüre ich es wieder, dieses erstickte Nein und es aussprechen ist eine Überwindung, die mir noch immer nicht leicht fällt. Aber, wann ist es mir zu nah? Wann erwartet jemand etwas von mir, was ich nicht erfüllen will. Es ist schwer, das im selben Moment zu erkennen. Und selbst wenn ich es erkenne und spüre, das will ich jetzt nicht, ist es schwer das auch zu artikulieren. Der Versuch auf die eigene Grenze hinzuweisen, löst Schuldgefühle aus, er löst das Gefühl aus, das darf ich nicht. Heute weiß ich - weil dieses Nein nicht erlaubt war, als ich Kind war.

Menschen, die sich schwer abgrenzen können fehlt Selbstsicherheit. 
Sich seiner selbst sicher sein, dazu gehört die Fähigkeit, uns unserer eigene Bedürfnisse bewusst zu sein, sie aussprechen und zu leben. Die Fähigkeit uns abzugrenzen gehört zu einer gesunden sozialen Kompetenz. Diese soziale Kompetenz ist ein Entwicklungsprozess. Sie basiert auf Lernerfahrungen, welche jene, die sich nicht oder nur schwer abgrenzen können, nicht machen durften. Wer als Kind Grenzüberschreitungen erlebt hat, dem fehlt ein stabiles Selbstwertgefühl. Er hat sich als wertlos erlebt, so wertlos, dass man sein Selbst nicht achtete. Seine Erfahrung ist die des Machtlosen in einer Abhängigkeitsbeziehung von Erwachsenen, der Schritt in Selbstständigkeit und Autonomie, ein wesentlicher Schritt für das Selbstwertgefühl, konnte nicht gemacht werden. Sich selbst gestalten, den eigenen Impulsen nachzugehen, ohne Schuldgefühle, selbst wenn die Eltern davon nicht begeistert waren, wurde nicht erlernt. Doch genau diese Lernerfahrung ist die entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung einer selbstbewussten und selbstsicheren Persönlichkeit. Schon kleine Kinder brauchen einen eigenen geschützten Raum und Dinge, die für andere unantastbar sind. Wenn diese Individualbereiche, diese Grenzen, in der Erziehung nicht respektiert wurden, fällt es ihnen später schwer sie zu schützen oder gar zu erkennen. 

Ein Kind, das nicht es selbst sein darf, das sich nicht seinem Wesen entsprechend entfalten darf, verliert das Gefühl für sich selbst. Es dissoziiert, es spaltet das Unerträgliche ab, eben weil es unerträglich ist, es zerbricht in Stücke, die innere Stabilität seines kleinen inneren Hauses zerbirst, es kennt sich nicht mehr aus, weiß nicht wer es ist und wer es nicht ist. Es verliert das Gefühl für sich selbst. Jedes Kind will geliebt werden, darum wird es die Wünsche der Eltern zu erfüllen suchen und sogar Übergriffe ertragen. Das erklärt auch warum misshandelte und missbrauchte Kinder nicht von ihren Eltern weg wollen - sie lieben sie, auch wenn diese Liebe sie zerstört, es ist die einzige, die sie haben. Sie zählt mehr als alles und mehr als Selbstschutz. Die Eltern zu verlassen, die Liebe zu den Eltern zu verlieren, würde für diese Kinder den Sturz ins Bodenlose bedeuten. 

Die Fähigkeit zur Abgrenzung ist die Vorrausetzung für Selbstschutz. 

Ich möchte das nicht, klingt einfach. Doch allein dieser Satz führt bei vielen, die sich schlecht abgrenzen können, zu einem schlechtem Gewissen. Selbstwertgefühl und das daraus erwachsende Gefühl von Selbstsicherheit, ist zu wissen wer wir sind, was wir brauchen und damit die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse und Rechte auszusprechen und zu leben. Einem Menschen aber, dessen Widerstandskraft früh gebrochen wurde gelingt es nur schwer für sich einzustehen. Er hat eine Vulnerabilität, die ihn hochempfindlich macht, im Hinblick auf psychische Belastungen und im Hinblick auf das Nein sagen, denn auch das wäre für ihn eine psychische Belastung. 

Sie, die selbst verletzt wurden, wollen niemanden verletzen und tun es doch. Darin liegt die Paradoxie des erlernten Musters. Sich nicht abgrenzen können und selbst die Grenzen anderer zu überschreiten, das ist die andere Seite der Medaille. Wer Übergriffigkeit und Grenzverletzung erfahren hat, hat dies als Introjekte verinnerlicht. Er neigt selbst dazu unbewusst die Grenzen des anderen zu überschreiten. Introjekte sind Eigenschaften der Eltern. Als Kind übernehmen wir diese. Die Folge – wir behandeln uns als Erwachsene genauso, wie es die Mutter oder der Vater getan haben. Und wir suchen uns instinktiv andere, die uns ähnlich behandeln.

Abgrenzung ist demnach ein Kraftakt gegen die eigene Konditionierung und die unbewusst verinnerlichten Introjekte.
 
Dazu kommt: Das fehlende Selbstwertgefühl, die mangelnde Selbstsicherheit führen letztlich zum mangelnden Vertrauen, das Leben allein und autonom bewältigen zu können. Daher kommt der Impuls ständig die Erwartungen anderer Menschen erfüllen oder sogar erspüren zu müssen. Die zur Abgrenzung Unfähigen ertragen vieles aus der Angst heraus eine komplette Ablehnung ihres Menschseins zu erfahren. Eine Erwartung nicht zu erfüllen gibt ihnen das Gefühl, „ich bin ein schlechter Mensch“, sie fühlen sich schuldig, wenn sie Nein sagen sollten. Sie ertragen keine Zurückweisung und es fällt ihnen selbst schwer andere zurückzuweisen.

Was uns als Kind vertraut war kennen wir am Besten. 

In einer Art Wiederholungszwang versuchen wir daher als Erwachsene Vertrautes wiederherzustellen auch und paradoxerweise gerade, wenn es ungut war. Aber es ist uns vertraut. Wer Grenzverletzung erlebt hat, signalisiert als Erwachsener: Du darfst meine Grenzen zu überschreiten. Er signalisiert Schwäche, die andere instinktiv spüren und ausnutzen. Und wieder und wieder wird erlebt, was als Kind erlebt wurde. Ein Teufelskreis.

Grenzüberschreitungen haben mit Nähe zu tun, mit einem sehr nahe, einem zu nah.
 
Echte Nähe aber ist etwas anderes, sie basiert auf einem gegenseitigen Entgegenkommen und ist niemals einseitig. Nähe bei einer Grenzüberschreitung macht Angst. Ein Kind, das von seinem Vater oder der Mutter wider Willen ständig geknuddelt wird, das immer wieder die elterlichen Bedürfnisse nach Nähe erfüllen muss, erlebt keine echte Nähe, es erlebt einen Übergriff. Und es wird später Angst vor jeder Art von Nähe haben, die es sich nicht von sich aus wünscht und zulassen will. Dass diese Menschen Schwierigkeiten nicht nur mit sich selbst, sondern auch in Beziehungen haben, ist nicht verwunderlich. Sie tanzen mitunter lebenslang die Schritte, die man ihnen beigebracht hat. Ein Tanz, der von einer extremen Nähe -und Distanz - Choreografie lebt, ein Tanz, dem ihm das Dahingleiten, die Leichtigkeit des Seins, fehlt.


Wie ist die zu erreichen? Der erste Schritt ist, wie immer, sich bewusst zu machen welcher Choreografie wir folgen und uns zu beobachten, wie wir uns dabei fühlen. Sicher werden wir dann nicht sofort Nein sagen können, wo wir Nein meinen, aber wir werden achtsamer unserem leicht dahin gesagten Ja gegenüber, achtsamer auf unsere eigenen Grenzen.


Dienstag, 21. Januar 2014

wozu?





sie war schmal, ausgemergelt fast, bis auf den kleinen harten bauch, der sich über den bund der braunen cordhose drückte. ihr gesicht war blass und ihre wangen hohl. das rechte auge schielte an mir vorbei als sie auf mich einredete, mir wieder und wieder die frage stellte: warum? warum tut er mir das an, warum bleibe ich, warum ist das alles so, es war doch mal anders und warum schaffe ich es nicht ihn zu verlassen?

die vielen warums, sagte ich, wann glauben sie eine antwort darauf zu finden?

sie sah mich an, ihr auge drehte sich abrupt zur nase hin. an die sollte sie sich fassen, dachte ich, und dass es wohl noch schlimmer kommen musste, bis sie dazu bereit oder fähig war.

wissen sie, ich kann ihn nicht verlassen, wenn ich es tue geht er unter. schließlich habe ich ihn geheiratet. mitgefangen, mitgehangen. das ist doch so, oder?, sagte sie, zustimmung suchend.

ein ehemaliges schließlich ist das, antwortete ich, schließlich ist das im heute keine verpflichtung mehr, es sei denn, sie schließen es aus neu entscheiden zu dürfen, wenn die dinge anders sind, als sie waren und nicht besser für sie. ich spürte schon während ich die worte aussprach, ihre sinnlosigkeit für sie. sie wollte mithängen. zumindest war ihr wille sich dagegen zu entscheiden weitaus schwächer als der wille eines dafürs.

er hat halt diese männerkrankheit. die saufen doch alle!

woher wollen sie das wissen, fragte ich zurück, dass alle saufen?

mein vater hat auch gesoffen, kam es schwach aus dem harten bauch nach oben, tränen hervordrückend, die selbstmitleid mit nach oben spülten.

das ist ihre erfahrung bis jetzt, das ist eine alte erfahrung. sie ist zu nichts gut, außer zum mithängen wie sie es nennen. nicht alle männer saufen, genausowenig wie alle frauen saufen.

aber ich kenne es nur so, kam es trotzig zurück.

und weil sie es nur so kennen, ist das so?

schließlich habe ich ihn geheiratet. wenn ich jetzt gehe, geht er kaputt.

woher wollen sie das wissen?

 der kommt allein nicht klar.

und sie, kommen sie allein klar?

sie schneuzte sich in das zerknitterte taschentuch, das sie aus der hosentasche zog. ich schaff das nicht, ich verdiene nicht genug um mich alleine durchzubringen.

also, komme sie alleine nicht klar.

sie nickte unter tränen: ich habe angst.

ja, sagte ich, das verstehe ich. aber macht es ihnen nicht mehr angst zu bleiben? was ist mit dem rest ihres lebens?

aber was soll denn da noch kommen? ich bin kaputt, da kommt nichts mehr und für wen soll ich denn dann sorgen?

wie wäre es, wenn sie für sich selbst sorgen?

sie schüttelte vehement den kopf: er soll mit dem trinken aufhören. verdammt, warum hört er nicht endlich auf?

wieder dieses warum, antwortete ich, warum fragen sie sich nicht einmal: wozu ist es gut, dass ich bleibe?


Montag, 20. Januar 2014

Medea, eine Betrachtung

 

 

 

Medea


„Wir Menschen sind Halbierte, die sich nach Ganzheit sehnen.“

               Ein Gedanke aus Platons Symposion                       

 

                                    



Medea, ein Mythos, der sich in all seinen dramatischen Gestaltungen durch die Jahrhunderte von Euripides bis zur zeitgenössischen Literatur durchzieht, eine Tragödie, festgemacht an einer Frau, die leidenschaftlich liebt und leidenschaftlich tötet.

Medea ist eine tragische Figur von höchster Ambivalenz, eine Figur, deren Geschichte man folgen kann, deren Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen man verstehen oder gar nachvollziehen kann -  bis zu dem Punkt, der sprachlos macht - die Hybris der Tragödie, die Medea zum Sinnbild des Bösen macht: der Mord an ihren leiblichen Kindern.

Was macht diese Medea aktuell bis heute? Was ist es, das uns fasziniert an dieser Geschichte? 
Die Sehnsucht, die Liebe, die Angst, der Hass, die Rache, die Verzweiflung, die Schuld und der Tod - all das birgt der Mythos in sich. Archetypen, die unser Leben durchziehen, kollektiv und individuell. Medea ist ein Spiegel der zum Zerrspiegel wird, der es am Ende unmöglich macht hineinzuschauen, ohne den Impuls zu verspüren, sich abwenden zu müssen. Es ist das Böse das uns gegenübertritt in seiner dunkelsten und unbegreiflichsten Erscheinung, die Unfassbarkeit des Maßes an Zerstörung, die zu immer neuer Analyse herausfordert, die aber nur schwer gelingen kann, denn das Unbegreifliche existiert als ein Etwas das größer ist als wir.

Es sind überwiegend die weiblichen Literaten, wie Christa Wolf in ihren Medea Stimmen, die Argumente finden, um Medea in die Opferrolle zwängen. Denn Opfer sind entschuldbar. Und es sind die männlichen Stimmen in der Literatur, die sich am Wirken des Thymos festhalten, den Trieb dieser Frau in den Focus stellen, der jenseits von Ratio und Instinkt sich entfaltet, nach der Demütigung durch Jason, dem Geliebten, der Medea benutzt, betrügt und verrät. Es gibt Entschuldigungsgründe für Jason, wie bei Anouihl, der ihn seiner Schuld gar enthebt oder zumindest beide zu Opfern und Tätern macht, Opfer einer ungesunden, obsessiven Liebe, die scheitern muss.

Medea ist eine Frau, die den Männern suspekt ist, im Tiefsten allein.
Sie ist eine Frau, die anders ist, die sichtbar von der Norm abweicht, heute wie damals, eine Frau, die den Mythos der Weiblichkeit demontiert in allem was sie ausmacht und in allem was sie tut. Medea ist eine Gefahr für das Kollektiv und damit Symbol für etwas, womit das Kollektiv nicht umgehen kann. Was wir nicht sehen wollen verdrängen wir, wir schließen es aus, verbannen es, schicken es irgendwohin – wo es uns mit uns selbst und unseren Schatten nicht mehr konfrontieren kann.


Medea – die Ausgestoßene

 

Die Tragik dieser Figur ist die Tragik aller, die anders sind und ihren Platz im Leben nicht finden. Sie scheitert an sich selbst, an ihrer wesenhaften Disposition, die der Wirklichkeit nicht standhält. Leidenschaft, die Fähigkeit unbedingter Liebe, der Antrieb aus dieser Liebe heraus alles zu tun, ist Medeas tiefstes inneres Wollen. Ihre persönliche Odyssee beginnt, indem sie sich Jason als Objekt für ihre Liebe sucht. Er ist schwach und sie ist stark. Er nimmt ihre Stärke, solange sie ihm nützt und er hält sie nicht aus, weil sie ihn kleiner macht in seinen Augen. Dieser Mann ist klein, zu klein für eine große Frau.

Warum macht diese starke Frau die Erfüllung ihrer Sehnsucht an ihm fest?
Ist sie blind, oder im Innersten so einsam, dass sie im Gefühl endlich geliebt und gebraucht zu werden, seine Schwäche übersieht und verdrängt? Beginnt das Drama Medeas nicht dort, wo alle menschlichen Dramen beginnen? In ihr selbst, in ihrer psychischen Struktur. Und ist das Außen nicht nur der Spiegel dessen, was der Mensch in sich trägt?

Wir werden zu dem, was wir sind.
Medea ist zerrissen, heimatlos schon in der eigenen Heimat, nicht einverstanden mit dem Vater, die Mutter ist abwesend. Wir erfahren nichts von ihr. Sie ist eine Fremde im eigenen Land und damit auch im eigenen Leben, beseelt von einer Sehnsucht, die namenlos ist, beseelt davon sie festzumachen an einem anderen, dem Geliebten. Sie ist nicht souverän, sie hat keine wirkliche Ich-Stärke, sie ist eine Sucherin, maßlos, und weit davon entfernt, bei sich selbst zu sein. So ist der Mensch anfällig für die Opferrolle.

Medeas Tragödie ist die vieler Frauen. Noch heute, und immer wird es so sein, ist tief im Inneren der Frau ein leises, unbestimmtes Gefühl von Unvollständigsein, wenn sie ohne einen Gefährten durchs Leben geht. Und es gibt dieses unbewusste Wünschen - eine Lücke schließen zu wollen mit der Liebe, die sie in sich selbst nicht findet. Das hat nichts mit Zeitgeist zu tun, nichts mit einer bis heute fragwürdigen Emanzipation. Es ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis, das mit Adam und Eva beginnt - die Sehnsucht des halbierten Menschen nach Ganzheit, wie es Platons Symposion so bildhaft darstellt.

Egal ob Frau oder Mann, wir versuchen das Hineingeworfensein in die Welt zu überwinden. Nur dass Frauen diese Sehnsucht aufgrund ihrer seelischen Struktur intensiver spüren und  intensiver leben.

Die Anima ist empfänglicher für die Dinge. Im Wesenhaften des Weiblichen lebt Gaia, Mutter Erde, die Empfangende, die Lebensspendende, das Prinzip von Werden und Vergehen – das Sinnbild des Kreislaufs des Lebens schlechthin. Hingegen Animus: das männliche, das geistige Prinzip, das Klarheit und Struktur gebende. Pole wie sie konträrer nicht sein können. Seit C.G. Jung wissen wir, dass wir beides in uns tragen, die Frau den Animus, ebenso wie der Mann die Anima. Und es ist Ziel diesen Antagonismus in uns selbst zu integrieren um zur Individuation zu gelangen. Die Tragödie – wir schaffen es nicht, weder die Integration dieser beiden Anteile in uns selbst, noch die Vereinigung mit dem polaren Gegenüber zum Guten hin.

Die Beziehung zwischen Mann und Frau ist die vertrauteste und unheimlichste, die unbedingteste und konfliktreichste - Urgrund unzähliger Dramen, damals wie heute.
Es ist die Unfähigkeit, dem anderen sein Anderssein zu lassen. Weit ab von Einsicht, Akzeptanz und friedlicher Koexistenz, wabert der Kampf der Geschlechter, durchzogen vom Trieb uns fortzupflanzen. Nicht ohne einander und schlecht miteinander. Mann und Frau sind fähig zu verschmelzen. Für Momente in der Zeit eine Einheit zu sein - das Gefühlte von Einheit. Nach dem Verlassen des Bettes - das Gefühl von Getrenntsein. Medea erträgt dies nicht, sie ist mit Jason symbiotisch verschmolzen. Sie lebt durch ihn. Ihre Persönlichkeitsstruktur ist eine narzisstische. Sie ist die, die sich selbst im anderen liebt, sich selbst nur im anderen spüren kann, allein ist sie einsam, von einer inneren Einsamkeit, die sie verzweifeln lässt. Jason, der Komplementärnarziss, der sie braucht, um sich selbst wertvoller zu fühlen. Er wird zum Helden durch Medeas kompromissloses Handeln.

Mit Jasons Eintritt in Medeas Leben beginnt das Morden, durch Verrat am Vater, am Bruder. Alle Mittel sind recht, um das geliebte Objekt an sich zu binden. Sie hat ihn sich einverleibt – im wahrsten Sinne des Wortes und er lässt es zu. „Sieh, was ich für dich tue! Du musst mich also lieben“. Eine Motivation, die der Wunde des Ungeliebten entspringt. Hierin liegt sie begründet, die Pathologie der Medea, der Ursprung dieser Tragödie, ein metaphorischer Ausdruck des Innersten der Protagonistin im Außen.


Medeas In - der - Welt – sein, das fatale Folgen für die Welt hat in die sie geworfen ist, 
ist Dreh- und Angelpunkt des sich zuspitzenden Plots.



Medea ist eine Geschichte, die die Beziehung der Frau zu sich und die Beziehung von Mann und Frau  zum Inhalt hat. Sie erzählt von zwei Fremden, die sich vertraut miteinander machen, um am Ende zu erkennen, dass das Fremdsein ein Unüberwindbares ist. Das Blut der Kinder, das vergossen wird, ist das ihre - ihr miteinander vermischtes Blut. Es bringt den Tod und nicht das Leben in die Adern, weder für Medeas noch für Jasons Selbst, noch für die Zukunft der nachfolgenden Generation in Sachen Liebe. Das Töten der Kinder ist das Töten der Möglichkeit von dauertüchtiger Liebe. Das Sinnbild für das Sterben des Glaubens an einer Frau an die Liebe.

Eros oder Phylia - beides ist unlebbar.

Die Liebe hat keinen lang anhaltenden Effekt, sie ist flüchtig und  „Immer trägt sie den Charakter des Todes in sich“, wie André Breton einmal schreib. Anders zu denken ist ein Phantasma zwischen Männern und Frauen, das an einer Jahrtausende langen Gegenteilsbeweisführung zerplatzt.

Das Vergehen der Liebe, ihren Tod nicht zu akzeptieren ist Medeas größtes Vergehen.
Hierin liegen die Tragik und das Entsetzen über die Kindsmörderin Medea, die an der Seele des Medea Rezipienten andockt, verschlüsselt zwar, aber dennoch den Weg findet zu dem Erkennen: Jeder ist allein. Und das ist das Unerträglichste. Die Nichtakzeptanz dieser Wahrheit kann die sensible Seele in den Wahnsinn treiben.


Medea und der Wahn



Die Verzweiflung, die realitätsnah wird und schließlich handlungsleitend, die Verzweiflung, die das Ich von der Welt schrittweise abtrennt, die Existenz ad absurdum führt, das Versinken ins Leere und im Gewahrsein dessen: der Tod des Ichs und der darin eingeschlossene Wunsch nach Zerstörung dessen, was das Ich zerstört. Das Scheitern eines metaphysischen Liebesbegriffes.



Medea, die Kindsmörderin



Frauen töten um sich aus Beziehungen zu befreien, in denen sie gedemütigt wurden. Bevor sie zu Täterinnen wurden waren sie Opfer. In den meisten Fällen töten sie ihre Kinder.

Gedemütigte weibliche Opfer – von Männern gedemütigt? Oder von einem Ideal, einer unstillbaren, nicht erfüllbaren Sehnsucht nach der einen wahren Liebe - am Manne festgemacht?

Warum töten Frauen die Kinder dieser Männer?
Sie töten, um das zu vernichten, was das Liebste ist, dasjenige was ihre Liebe hervorgebracht hat: das eigene Fleisch und Blut. Scheitert die Liebe, scheitert elementares.
Ein Aufschrei der verwundeten Seele, der hörbar sein soll und fühlbar ... von der Welt.

„Es gibt kein größeres Verlangen als das eines Verwundeten nach einer anderen Wunde“, schreibt der Philosoph Georges Batailles.

Bei Euripides hat Medea am Ende ihre Katharsis – sie wird vom Sonnenwagen in den Himmel gehoben ...freigesprochen.

Bei Seneca ist sie die Furie.
Bei Anouilh ist sie das wilde Tier.
Bei Neill La Bute sitzt sie im Gefängnis.
Bei Christa Wolff ist sie der Sündenbock.

Die Medeas von heute sitzen in Psychiatrien und in Frauengefängnissen. Die meisten von ihnen sind Suizid gefährdet.




Malerei: ich

schmerz



wir glauben, der weg in ein besseres leben heißt, den schmerz zu eliminieren.
aber schmerz, ob seelisch oder körperlich, ist immer ein geschenk.
am boden des schmerzes liegen die antworten, die wir vielleicht schon lange suchen. 
der schmerz gibt uns ein tieferes verständnis für das, was wir nicht gelöst haben.