Foto: Angelika Wende |
"Ich kann es nicht mehr aushalten. Ich wünsche mir so sehr Veränderung, aber ich habe keine Kraft mehr!" Ich kenne diese Aussagen und ich kenne das Gefühl dahinter. Ich weiß, wie tief Menschen leiden können. Ich erfahre es in meiner Arbeit. Menschen, die so fühlen verbindet ein Kummer im Herzen, der so groß ist, dass er untröstlich scheint.
Ein Herz erfriert nicht durch einen einzigen Kälteschock von Außen. So ein Herz ist warm, sehr warm. Es braucht viele dieser Schocks bis es nach und nach einfriert und schließlich im Eis erstarrt. Es sind die warmen Herzen, die ganz weichen Herzen, die irgendwann nicht mehr auftauen, weil es unerträglich für sie wäre, all das noch einmal spüren zu müssen, was sie in die ewige Eiswüste gebracht hat. All das Leid, all die schmerzlichen Erfahrungen, all die Erschütterungen. "Nein, nie mehr wieder!", sagen sich diese Herzen und verharren in der eisigen Landschaft grenzenloser Trauer.
Nach und nach wird so ein armes Herz müde vom Frieren, müde vom Aushalten und müde vom Hoffen. Hoffen hilft nicht, wo Zuversicht fehlt. Ach, es hat doch alles schon versucht, aber der Kummer ist nicht weggegangen. Es wurde nicht besser, auch wenn es für einen Moment in der Zeit einmal besser war. Das Herz hat all das Bessere nicht halten können, weil es nicht durch den Verstand zu erreichen ist, weil es taub ist gegenüber Worten und gut gemeinten Ratschlägen, weil es fühlt, was es gefühlt hat und immer noch so fühlt, ganz gleich was ihm gesagt wird.
Veränderung geht niemals über den Kopf. Sie geht über das Gefühl und dafür muss noch ein Rest an Glaube, ein Rest an Zuversicht und Selbstmitgefühl übrig sein, damit der Verstand mit seinen Werkzeugen etwas ausrichten kann. Ein erfrorenes Herz fühlt nichts mehr, außer kühlem Schmerz, stumme Verzweiflung und tiefe Resignation. Es ist schwer es aufzuwärmen, denn es vertraut nicht mehr. Es hat es zu oft getan und es ist zu oft enttäuscht und zu tief verletzt worden. Das Gefühl hat gelernt und das ist die Wahrheit des Herzens. Eine traurige Wahrheit, die diese armen Herzen in sich tragen. Und so leben sie Tag für Tag in ihrem ewigen Eis, das ihren Kummer umschließt wie ein Schutzmantel. Es verlangt Demut das so zu akzeptieren. Und es braucht etwas von Außen, etwas das über die Selbstliebe, die diese Menschen verloren haben, hinausgeht. Es braucht Anerkennung für ihren Schmerz, es braucht Zeit und viel Geduld um ihr Vertrauen in das Leben, in sich selbst und in andere wieder aufzubauen. Es braucht Liebe, eine verlässliche, verstehende, nichts fordernde, gebende Liebe. Aber die kommt nicht so einfach daher, wenn sie gebraucht wird, auch wenn es immer wieder Wunder gibt.
Ein erfrorenes Herz braucht ein Feuer an dem es sich wärmen kann. Es braucht die Erfahrung einer Beziehung, die stabil ist und tragfähig. Es braucht jemanden, der ihm zuhört und es annimmt in seinem Schmerz. Es braucht Mitgefühl. Im Idealfall geben wir uns das selbst, dann wenn wir selbstmitfühlend werden, dann wenn wir uns selbst in all den Gefühlen, die da sind, anzunehmen bereit sind. Es geht um die Bereitschaft uns selbst Trost zu schenken und uns nach und nach aus der Eiswüste herauszuziehen. Es braucht den absoluten Willen uns selbst gut zu tun und uns mit dem zu füttern, was heilsam für uns ist. Uns füttern, Tag für Tag, mit ganz kleinen Digen am Anfang, die uns gut tun, die wir immer wieder tun. Und nach und nach dürfen wir erleben, dass wir es können – für uns da sein, uns selbst gut tun, uns Wärme schenken.
Schafft man das nicht alleine kann eine gute therapeutische Beziehung hilfreich sein. Hier kann durch Einfühlungsvermögen, Empathie, Sympathie, lösungsorientiertes Vorgehen, respektvollen Umgang und genügend Zeit langsam wieder Vertrauen in sich selbst und das Leben aufgebaut werden. Im Idealfall wird hier eine tragfähige Beziehung gestaltet und erfahren, die das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle, nach verlässlicher Bindung, nach Lustgewinn und Unlustvermeidung und nach Selbstwirksamkeit und Selbstwerterhöhung erfüllt.
Der Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung braucht Zeit und Geduld auf beiden Seiten. Heilsame Erfahrungen brauchen genau die Zeit, die sie brauchen und sie sind anstrengend Doch es lohnt sich, denn auf dieser Basis können im Verlauf destruktive Verhaltensmuster und unheilsame innere Überzeugungen ins Bewusstsein geholt werden und so in der Folge verändert werden.
Was in Beziehung krank wurde, kann nur in Beziehung heilen.
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