Samstag, 30. November 2019

Die Hölle des Alkoholkranken


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Alkohol macht dich glücklich. 
Er gibt dir ein Gefühl der Erleichterung - eine Bewusstseinsveränderung in der sich alles gut anfühlt. Deine Probleme scheinen lösbar, deine Träume scheinen lebbar. 
Jeder Rausch - eine kleine Flucht aus der Realität.
Aber die Realität verschwindet nicht. Am nächsten Tag ist sie wieder da. 
Die Flucht ist kurz, die guten Gefühle halten nur kurz an. 
Jedes Mal nur für ein paar Stunden - endlich Ruhe im Kopf.
Der Alkohol betäubt alles - deinen Geist, deine Angst, deine Verzweiflung, deine Scham, deine Schuldgefühle.
Er betäubt alles, um dich dann in den Dreck zu drücken.

Am nächsten Tag bist du in der Hölle. Und je öfter du in der Hölle bist, desto schwieriger ist es, die Hölle zu verlassen.

Dein Leben ist aus den Fugen geraten. Kein Job, kein Geld, Beziehung kaputt. Kein Antrieb, nur Lähmung und müde und kraftlos und nicht aufstehen wollen. Wofür? Es gibt nichts wofür sich das Aufstehen wirklich lohnt. Und jeden Tag mach dem Rausch: Angst. Und diese Einsamkeit, die immer größer wird. Und dann wird dir bewusst, was der Alkohol mit dir macht und du leidest wie ein Hund.
Was hat der Alkohol für einen Idioten aus mir gemacht?, fragst du dich. Ich bin dabei mein Leben zu zerstören, sagst du dir.

Die Vernunft ploppt immer wieder kurz auf, wenn du nüchtern bist.
Dann, nach dem ersten Glas - kein Gedanke mehr mit dem Alkohol aufzuhören.

Weniger trinken. Ja, es in den Griff bekommen. Kontrolliert trinken.
Aber weniger trinken funktioniert nicht.
Jedes Mal gerätst du in den Sog. Ein Glas, zwei Gläser. „Ach ist jetzt auch schon egal."
Nein das Kontrollierte Trinken funktioniert nicht. 
Für dich nicht.
Du hast die Schwelle längst übertreten. Für dich gibt es kein Zurück, es gibt nur den völligen Ausstieg.
Du bist alkoholkrank. Das ist deine Wahrheit.
Du kannst nicht kontrolliert trinken, dafür bist du zu schwer erkrankt. Dein Geist und dein Körper sind abhängig.

Der Alkohol hat alles geschafft.
Deinen Job zerstört, deine Beziehungen zerstört, deine Familie zerstört, deine Freundschaften zerstört, dein Ansehen zerstört, deine Selbstachtung zerstört, dein Leben zerstört.
Jetzt bist du dran.
Jetzt sollst du krepieren.
Langsam aber gründlich sollst du zerstört werden.

Du siehst die Gefahr nicht. Du erkennst das Ausmaß der Bedrohung nicht. Du willst es nicht wahrhaben. Noch immer nicht. Der Alkohol hat deinen Geist schon so vergiftet, dass du es nicht sehen kannst. 

Der Alkohol wird dich umbringen.
Vorher werden dich all die Menschen, die dir etwas bedeuten, verlassen. Oder du wirst sie verlassen, damit du in Ruhe trinken kannst. Du und er Alkohol – ihr wollt eure Ruhe haben vor den Vorwürfen, den Bitten, den Ratschläge, der Wut, der Verzeiflung, dem Leid der anderen.
Egal, irgendwann egal, was scheren mich die anderen.
Der Alkohol verlässt mich nicht.

Du hast dich selbst verlassen.
Aber auch das ist dir egal.
Was solls. Du nimmst den ersten Schluck des Tages.
Und wieder Ruhe im Kopf.
Und ja, bald wird es ganz still ...

Freitag, 29. November 2019

Entschleunigen

Foto: Angelika Wende

Du hast dich aufgerieben an Problemen, die andauern und sich nicht lösen lassen. Dein Leben hat zu viele Baustellen. Du bist müde. Du fühlst dich ausgelaugt, deprimiert, leer und verbraucht. Dir fehlt die Luft zum Atmen. Du spürst nur noch Druck und die Leichtigkeit ist dir abhanden gekommen. Du zerbrichst dir Kopf und Herz ohne eine Besserung deiner Situation zu erreichen. Dein Alltag zieht an dir vorbei, ohne dass du ihn wirklich beherrscht. Du hastest und rennst und machst und tust. Du funktionierst nur noch. Jeden Tag rennst du los wie ein Hamster im Rad. Am Abend findest du keine Zeit für Muße. Du legst dich erschöpft ins Bett. Du schläfst schlecht und am nächsten Morgen wiederholt sich alles. 
Endlosschleife.

Es ist Zeit, die Reißleine zu ziehen und dir Ruhe zu gönnen. 
Es ist Zeit, dich aus diesem System zurückziehen und Abstand zu gewinnen. 
Es ist Zeit einmal ganz still zu sein.
Tust du das nicht, bleibst du gefangen im Rhythmus des Lebens. Fremdbestimmt.
Es ist Zeit, Ruhe zu finden. 
Ohne Ruhe zu finden wirst du es nicht schaffen herauszufinden. 
Entschleunigung.

Nimm dir Zeit Bilanz zu ziehen.
Was tut dir nicht mehr gut?
Was belastet dich schon eine gefühlte Ewigkeit?
Was kannst und willst du nicht mehr leisten?
Was überfordert dich?
An was oder wen verschwendest du deine Lebenskraft?
Wohin verpufft deine Energie?

Nimm dir jetzt Zeit für dich, erleichtere deinen Terminplan, nimm dir eine Auszeit um Dinge zu tun, für die du dir schon zu lange keine Zeit mehr genommen hast. 
Fang mit kleinen Dingen an.
Organisiere deinen Alltag neu, um Zeit für dich zu haben. 
Die scheinbar „verlorene“ Zeit wirst du wieder gewinnen.
Deine Genesung hängt von deiner Fähigkeit ab einen klaren Geist zu haben. 




Donnerstag, 28. November 2019

Mein Weg

Foto: Angelika Wende

Ich achte und respektiere den Weg, auf dem ich bin.
Ich vergleiche weder das Tempo noch die Gangart, noch mich selbst, noch die Art meiner Entwicklung mit anderen.
Ich wetteifere nicht mit anderen.
Es ist mein Weg.
Ich vertraue darauf, dass ich genau genau da bin, wo ich jetzt sein soll.
Anstatt mich mit anderen zu vergleichen, ander zu be-oder verurteilen, ihnen Ratschläge zu geben, oder sie zu belehren, kehre ich vor meiner eigenen Haustür. Da gibt es genug zu tun.
Ich achte auf das, was ich selbst zu lernen habe.
Ich habe die Bereitschaft und mache meine hilfreichen Übungen.
Ich mache sie, weil ich mich selbst ernst nehme.
Ich erinnere mich daran, dass ich von jedem Menschen und aus jeder Situation etwas Wertvolles lernen kann.
Ich bin mir bewusst: Meine Begegnungen und Erfahrungen sind Lektionen aus denen ich lernen darf. Sie sind es, wenn ich bereit bin das zuzulassen.
Ich bin offen für das Leben und dankbar für das, was ich habe.
Ich achte darauf mich nicht anzutreiben und einen Schritt nach dem anderen zu machen. Ich habe Geduld und Verständnis für mich selbst.
Ich schiebe anderen nicht die Verantwortung zu, die allein die meine ist. Das macht mich zum Opfer.
Ich erwarte von anderen nicht, dass sie meine Probleme lösen. Das ist meine Aufgabe.
Wenn ich das alleine nicht schaffe, habe ich die Stärke und hole mir Hilfe. 


Mittwoch, 27. November 2019

"Ich bin gelähmt" – Wenn wir in der Frust-Paralyse feststecken




Foto: Thinking Minds



Meine Klientin ist eine kluge, attraktive und hochqualifizierte junge Frau. Sie ist seit einem Jahr ohne Job. Sie ist krank. Sie bekommt massiven Druck von Außen. Sie soll machen, sich bewerben, sie soll endlich wieder funktionieren, hört sie von allen Seiten. Aber sie funktioniert nicht. Sie ist nicht einmal mehr fähig eine Bewerbung zu schreiben, geschweige denn sie abzuschicken. Es könnte ja nicht klappen. Sie könnte ja scheitern, sie könnte den Erwartungen nicht gerecht werden. Sie ist ja schon einmal gescheitert, damals als sie den Job verloren hat und dann auch noch krank wurde. Meine Klientin ist seelisch und mental am Ende. Sie traut sich nicht mehr zu etwas verändern zu können. Und je weniger sie handelt, desto schlechter wird ihr Zustand. Das zersetzende Gefühl: „Ich komme da nicht mehr raus“, führt zur Lähmung. Ihr Selbstwertgefühl ist auf dem Nullpunkt. Sie ist blockiert und total frustriert.

Wir alle kennen diese nagende Gefühl, das uns die Lebensenergie und die Zuversicht raubt: Frust.  
Wir tun was wir können und es klappt nicht. Wir haben Hoffnung und sie ist vergeblich. Wir haben einen Traum und er zerbricht an der Realität. Wir tun und machen und erreichen nicht das gewünschte Ergebnis. Wir hoffen auf Veränderung und es tut sich nichts. Wir wünschen und unsere Wünsche erfüllen sich nicht. Wir kämpfen und verlieren. Wir geben viel und bekommen wenig oder nichts zurück. Geschehen solche Erlebnisse häufiger oder gehäuft, landen wir wie meine Klientin, in einer Frust-Paralyse.

Frust-Paralyse klingt ungut. Und zwar so ungut wie sie sich anfühlt. 
Der Begriff Frust, von lat. frustra = vergeblich bzw. frustratio = Täuschung einer Erwartung, steht für einen unfreiwilligen Verzicht, dem eine Erwartung oder ein Wunsch vorausgegangen ist oder ein vergebliches Unterfangen. In der Psychologie folgt Frustration als emotionale Antwort auf einen inneren oder einen äußeren Widerstand. Frustration steht in enger Beziehung zur Enttäuschung. Je größer die Erwartungshaltung, desto massiver ist die Enttäuschung. Es kommt zur Frustration.

Es gibt innere und äußere Gründe für Frustration.  
Zur inneren Frustration kommt es immer dann, wenn wir unter einem Mangel leiden. Wenn sich also unsere Sehnsüchte oder Wünsche nicht erfüllen. Auch ein mangelndes Selbstwertgefühl oder Ängste führen zu Frustration. Ebenso können zwischenmenschliche Konflikte die Ursache für Frustration sein. Äußere Gründe für Frustration hängen mit dem Außen zusammen, das heißt: Wenn sich im Außen Widerstände zeigen, die wir glauben nicht zu überwinden zu können oder für die wir keine Lösung finden.

Je größer die Erwartungshaltung, desto massiver ist die Frustration. 
Enttäuschungen sind völlig normal, sie gehören zum Leben und sie sind meistens von kurzer Dauer. Mit der Verarbeitung der Enttäuschung legt sich erfahrungsgemäß auch unser Frust. 
Aber jeder von uns denkt, fühlt und reagiert anders. Was der eine locker wegsteckt führt beim anderen im schlimmsten Falle zu einer tiefen Krise.
Bei den meisten von uns führt Frustration zu Gefühlen wie Ohnmacht, Ärger, Wut oder Trauer, oder eins nach dem anderen, oder im Wechsel das eine oder das andere. Manche Menschen haben eine sehr geringe Frustrationstoleranz. Sie sind leichter und häufiger enttäuscht als andere. Sie neigen zu permanenten Ärgergefühlen, die sich in passiver Aggression oder in unkontrollierbaren Wutausbrüchen zeigen. Bei wieder anderen führt anhaltende Frustration sogar in eine Depression.

Bleiben wir über lange Zeit im Frust stecken entwickelt sich daraus eine sogenannte Frust-Paralyse.  
Was bedeutet das? 
Paralysiert durch Frust ist ein Mensch, der vor lauter Niederlagen völlig desillusioniert, sämtliche Bemühungen sich aus seiner Lage zu befreien, einstellt. Er ist am Boden zerstört und gelähmt. Er wird handlungsunfähig. „Frustration ist der Beginn der Kapitulation", schreibt der Denker Justus Vogt. Er hat Recht: Ein Mensch, der kapituliert hat verloren und zwar sich selbst. Wenn wir glauben keinerlei Handlungsoptionen mehr zu haben stecken wir mitten in einer Frust-Paralyse.

Es gibt mehrere Ursachen, die zur Frust-Paralyse führen können. In den meisten Fällen spielen mehrere Ursachen und Faktoren zusammen. Auf zwei davon möchte ich hier eingehen.

Perfektionismus  
Oft sind es übersteigerte Erwartungen an uns selbst, die uns blockieren. Wir wollen es perfekt machen. Und weil nie etwas perfekt sein kann, hinterfragen wir ständig was wir tun. Wir sind extrem selbstkritisch und selbstverurteilend. Wir verlieren uns in einem perfekten Bild unseres Selbst, welches der Realität nicht standhalten kann. Und dann geben wir irgendwann frustriert auf.  

Menschen die zu Perfektionismus neigen haben ein geringes Selbstwertgefühl, geboren aus der inneren Überzeugung, nicht gut genug zu sein oder nicht zu genügen. 
Diese Überzeugung führt dazu, dass sie alles perfekt machen wollen, was dann aber eben nie gelingt, weil es in ihren Augen nicht perfekt ist. Niemals. Ein derart hoher Perfektionsanspruch ist das sicherste Mittel um dauerhaft unglücklich zu sein, Dieser Mensch wird letztendlich immer wieder an sich selbst scheitern. Der Perfektionist definiert sich über die eigene Leistung. Er führt einen kräftezehrenden inneren Kampf, den er nicht gewinnen kann. Es wird immer jemanden geben, der etwas besser kann als er selbst. Es wird immer etwas geben, das besser ist, als er es macht. 

Der Perfektionist grübelt ständig über ein Problem oder eine Aufgabe nach. Sein Denken findet kein Ende. Bevor er etwas in Angriff nimmt wird analysiert, geplant und organisiert. Aus Angst eine falsche Entscheidung zu treffen, prokastiniert er oder er tut am Ende gar nichts von dem, was er sich vorgenommen hat. Tragischerweise empfindet der Perfektionist die Tatsache, dass er nicht immer der Beste ist und dass es immer möglich ist etwas besser zu machen als persönliches Scheitern und Versagen. 

Perfektionisten haben ständig Angst, Fehler zu machen. Ein Versagen bedeutet für sie die Vernichtung der ganzen Person. Sie kennen nur ein „perfekt" oder „schlecht" - dazwischen gibt es für sie nichts. Schon kleinste Fehler bedeuten für sie Versagen. Deshalb überprüfen sie alles mehrfach aus Angst Fehler zu machen. Dadurch, dass sie versuchen immer alles zu bedenken, verlieren sie sich in Details, sie verzetteln sie sich.
Traurig ist - die meisten Perfektionisten analysieren ihre Fehler nicht. Daher gewinnen sie auch keine Erkenntnisse, sondern sehen nur die eigene Unfähigkeit für die sie sich dann verurteilen. Ein Teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist und der seinen Urgrund in einer Kindheit hat, in der das Kind den Eltern nichts Recht machen konnte. Um die Anerkennung der Eltern zu erlangen und die innere Frustration abzuwehren, versuchten diese Kinder immer besser zu werden. Egal was sie tun, es reicht dem beurteilenden Blick der Eltern nicht. Dieses Denk- und Verhaltensmuster bleibt dann bis ins Erwachsenenalter erhalten.   
 
Erwartungen 
Es sind also auch die überzogenen Erwartungen, die andere an uns haben und denen wir in ihren Augen nicht gerecht werden können, die uns frustrieren. Das macht Druck, das schafft Selbstzweifel, das führt dazu, dass wir unsere ganze Energie in das Beweisen – ich bin gut genug – hineingeben und uns nach dem Bild richten, das andere gerne von uns hätten. Eltern zum Beispiel, die ihre eigenen Erwartungen den Kindern überstülpen um sie zum Erfüllungsgehilfen für ihre vergeigten Ziele, Wünsche und Träume zu machen. 
Fatal, wenn dann das erwachsene Kind nicht so spurt wie sie es wollen, für sich selbst wollen. Das Kind fungiert als erweitertes Objekt ihres narzisstischen Selbst. Es muss scheitern, denn einem Übervater oder einer Übermutter kann es nichts recht machen. Es verliert angesichts der an es gestellten hohen Erwartungen das Gefühl für sich selbst, es weiß nicht einmal mehr was es selbst will und wer es ist. Es lebt in einem falschen Selbst und muss scheitern – denn: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, wie Adorno so treffend formulierte. 

Genau das ist das Thema meiner Klientin. Sie lebt wie viele von uns im falschen Leben. Beladen von einer Kindheit, die ihr wahres Selbst verbeult und schwer ramponiert hat. 
Es ist kein leichtes Unterfangen einem Menschen mit einem so fetten Über-Ich sich selbst nahezubringen. Die Angst von den Eltern loszulassen ist größer als die Angst sich selbst aufzugeben, denn das hat er ja als Kind längst getan. Das innere Kind spürt, dass es sich selbst verloren hat und es hat panische Angst auch noch die Liebe der Eltern zu verlieren und mutterseelenallein und verlassen da zu stehen, ohne Halt und Orientierung, auch wenn diese Orientierung zerstörerische Wirkungen auf seine Seele hatte und hat.

Meine Klientin muss sich befreien, denn tut sie es nicht, wird sich nichts ändern. Ich sage hier bewusst „muss“ anstatt „darf", denn es ist lebenswichtig für sie zu ihrem wahren Selbst zu finden um endlich ein selbstbestimmtes Leben führen und gestalten zu können. Es ist lebenswichtig für sie herauszufinden, wer sie war, bevor man ihr wahres Selbst gebrochen hat. 
Der Weg für Menschen mit solchen existentiellen Themen wie sie meine Klientin hat, ist lang und kein einfacher. Denn Menschen, die derart psychisch belastet sind, können schlecht mit Rückschlägen umgehen. Sie vergraben sich im Leiden. Statt mit einer gesunden Zuversicht und dem festen Glauben an sich selbst davon auszugehen, dass die Dinge sich zum besseren entwickeln, blicken sie verunsichert und ängstlich in die Zukunft. Was gut gelaufen ist und was gut ist, können sie nur schwer oder gar nicht sehen. 

Sie leben in einer Art Dauerfrust, gefühlt in der Identität des Opfers, die Rolle, die man ihnen übertragen hat. Sie sind nur schwer in der Lage den eigenen Handlungs- und Einflussbereich zu  begreifen und zu nutzen. Meist verfügen sie zudem über wenig Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen. Sie erwarten insgeheim unmittelbare Belohnung wo Geduld und Langmut angesagt sind -  und vor allem Arbeit an sich selbst. Das bedeutet u.a, das eigene Verhalten zu reflektieren und zu analysieren und die unbedingte Bereitschaft es zum eigenen Wohl zu verändern. Das bedeutet auch die Konsequenzen zu tragen, welche die Veränderung nach sich zieht. Es bedeutet die Angst zu überwinden sich aus der Komfortzone herauszubewegen und darauf zu vertrauen, das genau das der richtige Weg ist um sich selbst zu entwickeln. Gelingt das nicht gibt es kaum einen Ausweg aus der Lähmung der Frust-Paralyse. 
Meine Klientin und ich haben noch viel zu tun.





Dienstag, 26. November 2019

Novembergrau



grau
nebel regen grau
graue morgen
graue tage
graue nächte


novembergrau 

erinnerung an dich
blau grau 


Donnerstag, 21. November 2019

Die Frage: Wie können wir uns vor Verletzungen schützen?, erübrigt sich.

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Es macht es etwas mit uns, wenn andere uns nicht so wertschätzend behandeln, wie wir es uns wünschen. Es macht etwas mit uns, wenn wir verletzt werden, egal ob es als Verletzung gemeint ist, oder ob wir das nur so empfinden.
Da kommen Gefühle wie Ohnmacht, Wut, Trauer und Angst hoch.

Wir alle wollen geliebt und geachtet werden. Wir wollen, dass wir uns gut fühlen und hoffen, dass andere das auch für uns wollen.

Die Realität aber ist: Wir werden verletzt. Immer wieder.
Wir werden nicht unverletzt durch dieses Leben gehen.
Die Realität ist: Verletzungen gehören zum Menschsein dazu.
Menschen verletzen Menschen. Und wir alle sind verletzte Menschen in irgendeiner Weise.
Hurt people hurt people.

Verletzungen wühlen uns auf.
Da setzen sich Neue auf Alte und die Wenigsten von uns sind sich ihrer selbst so bewusst, dass sie wissen, wann da eine neue Verletzung eine alte Verletzung triggert.
Das Kind in uns ist hochsensibel und empfindlich. Seine Wunden sind nicht alle verheilt, auch wenn wir jahrelang an uns selbst arbeiten.
Es gibt Verletzungen, die niemals heilen. Sie sind wie alte Wunden – vernarbt. Dennoch spüren wir sie, wenn sie berührt werden, schmerzhaft.
Das ist okay. Es ist kein Drama, wenn wir keins daraus machen.

Schmerz gehört zum Lebendigsein. Schmerz ist ein normaler Bestandteil des Lebens.
Ein zentraler Satz im Buddhismus lautet: „Leiden gehört zum Leben dazu.“
Schmerz und Leid folgen auf Verletzungen. Sie sind ist ein Teil jedes Lebens. Und jedes Lebewesen empfindet Schmerz.
Das zu akzeptieren ist gesund.
Sich dagegen zu wehren schafft dauerhaftes Leiden.

Die Frage: Wie können wir uns vor Verletzungen schützen?, erübrigt sich also.
Wir können es nicht. Ebenso wenig wie wir uns vor dem Schicksal schützen können, das bisweilen zuschlägt, ohne Vorwarnung, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Das ist Leben. Sich das bewusst zu machen ist wichtig. Es ist ein Zeichen menschlicher Reife.

Eine reife Frage ist: Wie gehe ich mit Verletzungen um?
Ganz entgegen der Unreife der heutigen Zeit, die uns vorgaukelt: Glücklich sein ist die Maxime. Verletzt zu sein, zu weinen, zu trauern, enttäuscht zu sein, traurig zu sein, dafür  müssen wir uns heute beinahe schon rechtfertigen oder gar entschuldigen. Wie uncool, der ist unglücklich! Der macht doch was falsch! Deswegen versuchen die meisten Menschen ihre Verletzungen und ihren Schmerz zu verstecken. Sie tun glücklich und sind rotzunglücklich. Sie gaukeln sich selbst und anderen etwas vor. Sie posten glückstrahlende Selfies auf Facebook und Instagram während sie zuhause sitzen und ganz anders aussehen.

Schöne neue Welt.
Nein, nicht schön. Verlogene neue Welt.
Eine Welt, die uns den Eindruck vermittelt, dass nur wir Schmerz erleben und dass Schmerz und Leid unnormal sind und etwas für die Schwachen, die Opfer. Schmerz ist Etwas, das nicht o. k. ist.
Was für ein Blödsinn, denn das führt genau dazu, was wir uns unglücklich macht: Wir versuchen krampfhaft den Schmerz zu verneinen und ihn zu vermeiden. Wir verdrängen und überspielen ihn. Und, hat er uns erwischt, wollen wir ihn ganz schnell wieder weghaben.
Und genau das funktioniert nicht.

Es gibt Verletzungen und Schmerzen, die wir eben nicht so einfach wegstecken, die uns lange, lange begleiten. Manche ein Leben lang.

So ist es und es ist wie es ist.
Nein wir können uns vor Verletzungen nicht schützen, aber wir können lernen auf gesunde Weise damit umzugehen. Hilfreich ist der pragmatische Weg des Buddhismus: „Verstehe die direkten Ursachen in dir selbst für dein Leiden. Und höre auf, zu den Ursachen beizutragen.“ Leiden wird im Buddhismus auch als Aufwachmoment betrachtet und wertgeschätzt. Schmerz als Hinweis auf eine Verbesserungsmöglichkeit in unserem Leben. 

Leiden ist unvermeidlich. Wir können aber entscheiden, wie wir damit umgehen.  
Wir selbst tragen die Verantwortung dafür ob wir Verletzungen die Macht über uns geben oder ob wir sie anschauen und uns fragen: Was mache ich damit? Was kann ich daraus lernen? Wie entscheide ich gesund damit umzugehen, so dass ich durch mein Denken und Handeln den Schmerz nicht unnötig verstärke?

Der Buddhismus lehrt uns den Weg nach Innen. Der Weg aus dem Leiden ist der Weg inneren Wachstums.
Schmerz, der weggedrückt wird schafft Leiden. Und Leiden stellen wir ab, indem wir abstellen, was in uns selbst Leiden erzeugt. Also, wenn wir wieder einmal verletzt werden, dürfen wir sagen: Ja, das ist schmerzhaft. Das tut weh. Und wir dürfen das Gefühl da sein lassen. Wir nehmen das Gefühl an. Wir akzeptieren, dass wir fühlen, was wir fühlen. Wir verneinen es nicht. Wir akzeptieren, dass da ist, was eben da ist. Wir umarmen das Gefühl. Wir spenden uns Trost, wir halten das Gefühl im Arm wie ein verletztes kleines Kind. Wir wiegen es. Wir beruhigen es, so wie wir ein Kind beruhigen würden. Wir üben Akzeptanz und lernen Selbstberuhigungskompetenz.

Wir lernen liebevoll für uns selbst zu sorgen, egal wie verletzt wir sind, gerade weil wir verletzt sind. 

Namaste



Mittwoch, 20. November 2019

Selbstschutz




"Dieser Mensch ist verletzend, schamlos und ohne Feingefühl."

Wenn wir das erkennen, können wir wegschauen und uns abwenden.

Wir müssen uns nicht fragen, warum er ist, wie er ist.
Es ist nicht unsere Augabe ihn zu verstehen.
Wir müssen nicht versuchen, ihn auf sein verletzendes Verhalten hinzuweisen, in der Hoffung ihn zu verändern.


Es ist nicht unsere Aufgabe.

Es ist unsere Aufgabe uns vor Verletzung zu schützen.
Es ist unsere Aufgabe auf uns achtzugeben.
Das ist genug.

Montag, 18. November 2019

Entscheiden

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Wir alle kennen das belastende Gefühl, uns nicht entscheiden zu können.Wir quälen uns Tage, Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre. Wir denken hin und her, wir wollen es so wie es ist nicht mehr haben, wissen aber nicht wie wir es haben wollen oder wie wir es so ändern könnten, dass wir es besser haben.

Hör auf deinen Bauch!, sagen manche.
Aber ist das immer die beste Wahl, das Gehirn auszuschalten und dem Bauchgefühl zu vertrauen?
Nein, denn auf das Bauchgefühl allein ist nicht immer Verlass.

Warum ist das so?
Hier spielt das Unterbewusstsein mit und das ist tricky. Wenn wir nur auf den Bauch hören vergessen wir dabei, das wir uns im Zweifel von unbewussten Ängsten und Assoziationen beeinflussen lassen.
Um dem Bauchgefühl vertrauen zu können und es in unsere Entscheidung miteinzubeziehen, ist es von großer Bedeutung, sich in der eigenen Gefühlswelt richtig gut auszukennen. Das bedeutet sich der eigenen Gefühle bewusst zu sein. Das ist gar nicht so einfach, denn, und das erlebe ich auch sehr oft in der Praxis: Vielen Menschen fällt es schwer, die eigenen Gefühle überhaupt wahrzunehmen und sie richtig einzuschätzen, geschweige denn sie in Worte zu fassen. 


Aus guten Gründen also hat der Mensch also beides: Gefühl und Verstand. Das Geheimnis guter Entscheidungen liegt darin beides miteinzubeziehen.
Die erstaunliche mentale Leistung unseres Verstandes ist in der Lage sich Situationen vorzustellen, bzw. zu imaginieren, zu denen unsere Entscheidung führen könnte. Er ist sogar dazu fähig abzuwägen, wie man sich dann fühlen würde.

Wer allerdings weder im Gefühl oder im Verstand ein Ja oder ein Nein findet, findet zu keiner Entscheidung. Er verirrt sich in seinen Wahlmöglichkeiten. Er hat weder im Herzen noch im Kopf Klarheit. Er bleibt also entscheidungsunfähig. Das ist fatal, denn das führt dazu, dass er in ständiger Konfliktspannung lebt. Ein enormer Stress für die Psyche.

Wie entscheiden die meisten Menschen?
Die meisten Menschen neigen bei Entscheidungen dazu, die vertrautere Alternative zu wählen. Forscher haben die Hirnströme von Versuchspersonen in Entscheidungssituationen gemessen.
Das Ergebnis: Das Gehirn überprüft in Sekundenschnelle welche Alternative ihm bekannter vorkommt, bevor es weitere Informationen überhaupt hervorholt. Das Vertraute beeinflusst also zunächst einmal jede Entscheidung, die wir treffen, auch wenn rational wenig oder nichts dafür spricht. Das erklärt, warum viele von uns dazu neigen, alles beim Alten zu lassen oder bei ihren Entscheidungen auf das Altbewährte zurückzugreifen. Das Hormon Dopamin, belohnt das Gehirn sogar noch dafür, die vertraute Option wiedererkannt zu haben und unser Hirn schüttet es fleißig aus.
Kein Wunder also, dass wir oft Entscheidungen treffen, die wir nur aus einem einzigen Grund treffen: Es fühlt sich vertraut an. 


Willkommen in der Komfortzone! Hier fühlen wir uns sicher, auch wenn sie sich noch so beschissen anfühlt. In der Komfortzone fühlen wir uns zuhause, während das Verlassen der Komfortzone die Angst vor dem Ungewissen schürt.  
Vielen Menschen fällt es daher schwer Entscheidungen zu treffen, die ihr Leben aus dieser Zone herauskatapultieren könnten. So banal es klingt: Das Vertraute fühlt sich weniger riskant an, auch wenn es rational vielleicht exakt das Gegenteil ist und auf Dauer der Seele schadet.
Doch nicht immer führt das zu einer guten Entscheidung. 


Was wenn Gefühl und Verstand einander widersprechen? Dann kommt es zur psychischen Kraftprobe.
Hier macht es erst einmal Sinn auf einem Blatt Papier jeweils die Vorteile und die Nachteile der einen wie der anderen Entscheidung aufzuschreiben.

Das kappt nicht immer. Das kann Stress machen, dann nämlich wenn der Bauch Angst hat und der Verstand genau weiß, dass diese Angst zwar begründet sein mag, aber es so wie es ist eben keine Situation mehr ist, die uns gut tut. Stress wiederum ist eine denkbar schlechte Voraussetzung, um klare und sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Daher sollten wir Stress bei der Entscheidungsfindung vermeiden. Er kann Entscheidungen negativ beeinflussen und zu unüberlegtem Handlungen führen.

Stressige Situationen überfordern uns. Sie können dazu führen, dass wir zu schnell und unklug reagieren. Zudem blockiert Stress das Denken. 
Rationale Entscheidungen sind dann nicht mehr möglich. Wir flüchten, greifen an oder erstarren. Keine gute Lösung um gut zu entscheiden.
Um klug zu entscheiden ist es wichtig zur Ruhe zu kommen und aus der Ruhe heraus Klarheit zu gewinnen.

Wichtige Lebensentscheidungen sind schwer zu treffen, dennoch ist langes Nachdenken nicht immer hilfreich. Das führt nicht selten zu Entscheidungsfrust.
„Ich kann mich nicht entscheiden“, höre ich oft und ich kenne es auch von mir selbst.

Bei Entscheidungsfrust spielt Verlustangst die größte Rolle. Wenn wir uns für das Eine entscheiden, verlieren wir das Andere und wir schließen damit diverse andere Möglichkeiten aus. Wir Menschen sind so gestrickt: Wir spüren eher dem Verlust nach, als auf das Unbekannte neugierig zu sein. Genau das führt jedoch häufig zu Entscheidungen, die lediglich mit kurzfristigen Belohnungen einhergehen. Nach dem Motto: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Und das sogar wenn uns der Spatz ständig auf die Hand kackt. 

Um sinnvolle Entscheidungen zu treffen, sollten wir sie also nicht zu lange aufschieben. Je länger wir über eine Entscheidung nachdenken, umso mehr für und wider Gründe fallen uns ein, die auf die Entscheidung Einfluss nehmen.  
Wir verlieren den Überblick bis wir gar nicht mehr wissen, was wir wollen. Wir trudeln orientierungslos im entscheidungslosen Raum und verlieren nach und nach unsere Selbstbestimmung und unserer Selbstwertgefühl. Im Zweifel verlieren wir sogar uns selbst.
Keine Entscheidung bereuen wir mehr als die, nichts getan zu haben. Und: Wer sich nicht entscheidet für den entscheiden andere oder das Leben.

Übrigens: Manche Entscheidungen können auch mit einem Kompromiss gelöst werden.

Sonntag, 17. November 2019

Alleinsein, die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Malerei: Angelika Wende


"Ist aber das Schwere wirklich schrecklich und das Leichte herrlich?
Das schwerste Gewicht beugt uns nieder, erdrückt uns, presst uns zu Boden. In der Liebeslyrik aller Zeiten aber sehnt sich die Frau nach der Schwere des männlichen Körpers. Das schwerste Gewicht ist also gleichzeitig ein Bild intensivster Lebenserfüllung. Je schwerer das Gewicht, desto näher ist unser Leben der Erde, desto wirklicher und wahrer ist es. Im Gegensatz dazu bewirkt die völlige Abwesenheit von Gewicht, dass der Mensch leichter wird als Luft, dass er emporschwebt und sich von der Erde, vom irdischen Sein entfernt, dass er nur noch zur Hälfte wirklich ist und seine Bewegungen ebenso frei wie bedeutungslos sind.
Was also soll man wählen? Das Schwere oder das Leichte?"
Worte aus Milan Kunderas "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins"

Ja, was soll man wählen? Und ist es wirklich so wie Kundera schreibt?
Sind wir ohne die völlige Abwesenheit vom Gewicht der Begleitung, so weit entfernt vom irdischen Sein, dass wir nur halb sind, frei und bedeutungslos?

Manchmal fühlt es sich so an. Dann wenn wir verlassen wurden vom Geliebten oder ihn verlassen haben. Ja, dann fühlen wir uns halb, frei und bedeutungslos. Wir sind wieder allein ohne diesen Einen, der uns beim Leben zusieht. Ungesehen fühlen wir uns bedeutungslos.
Kundera hat Recht. In diesen Moment ist das so. So habe ich es erlebt, einige Male schon, als das schwere Gewicht fort war. Da legt sich Schmerz über das Gefühl des Freiseins. Da fühlt sich halb an was ein Ganzes war. Da spürte ich sie, diese „unerträgliche Leichtigkeit des Seins“.

Alleinsein ist eine Kunst, die wir nicht sofort wieder beherrschen, wenn wir es lange nicht waren.
Immer mehr Menschen sind allein. Die Vereinzelung nimmt zu. Viele Menschen können dem Alleinsein nicht entgehen. Das ist traurig, denn jeder von uns braucht einen Gefährten. Menschen, die von sich behaupten, dass sie ihr Leben gern alleine leben scheinen stark zu sein.
Sie sind es geworden. Sie mussten es lernen, weil da ab einem Moment in der Zeit niemand mehr war, der blieb und keiner mehr kam um zu bleiben. Sie sind es geworden, weil sie müde wurden von den vielen Verlusten und Verletzungen, die Beziehungen mit sich bringen können. Sie haben gelernt damit zu leben, dass da kein Lieblingsmensch ist, der ganz nah ist, ganz vertraut, ganz zugewandt, keiner der mit ihnen in die gleiche Richtung schaut, der sie sieht, der sie liebt, der für sie da ist und für den sie da sein können. Sie mussten lernen alleine zu gehen. Viele von uns müssen alleine gehen. Einzeln. Halb. Frei.

Einzelgängertum ist Zeitgeist. Es ist das Symptom einer schizoid- narzisstischen Gesellschaft.
Die meisten Einzelgänger haben diese Lebensform nicht selbst gewählt.
 

Kein Mensch ist gern für immer mit sich allein. Niemand ist eine Insel. Wir alle brauchen Augen, die sich liebend auf uns legen. Wir alle brauchen das Gesehenwerden, das Geliebtwerden, das Verstandenwerden. Wir brauchen eine Hand, die sich in die unsere legt. Wir brauchen zärtliche Berührungen. Es ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis teilen zu wollen, was wir zu geben haben und zu empfangen was ein anderer Mensch zu geben hat. Sich etwas anderes vorzumachen ist Selbstschutz um den Schmerz des Alleinseins nicht spüren zu müssen. Alleinsein kann zu Einsamkeit werden, wenn es zu lange andauert. Und da kann ich mir selbst noch so viel Bedeutung zuschreiben, meine Freiheit noch so sehr lieben und feiern - die Sehnsucht nach einem Gefährten bleibt. 
Und das ist okay. Und nein, es ist kein Zeichen mangelnder Selbstliebe.

Samstag, 16. November 2019

Dr. Jeckyll und Mr. Hyde

Zeichnung: Angelika Wende

Meiner Klientin geht es nicht gut. Sie leidet unter Schlafstörungen und Ängsten. Ihren Alltag hat sie nur noch unter großer Anstrengung im Griff. Sie fühlt sich müde und ausgebrannt. Ständig kreisen ihre Gedanken um ihre Beziehung mit einem Alkoholiker.
„Wenn er betrunken ist beschimpft er mich aufs Übelste und schreit mich an. Er nennt mich Hure, Schlampe und Schlimmeres. Er beschwert sich, dass ich gemein und unfair zu ihm bin und alles kaputt mache. Er sucht immer etwas, an dem ich Schuld sein könnte und macht mich nieder. Am nächsten Morgen ist er zerknirscht und entschuldigt er sich. Er sagt mir wie lieb er mich hat und das ich eine wunderbare Frau sei. Ich halte das nicht mehr aus. Ich will wirklich nur, dass er sich ändert. Ich würde gerne wissen, was in Ihm vorgeht?"

„Versuche immer, wenn du nüchtern bist, das zu sagen was du gesagt hast, als du betrunken warst. Das wird dich lehren, deinen Mund zu halten“, soll Ernest Hemingway einst gesagt haben. Ob das der alkoholkranke Schriftsteller immer beherzigt hat. Wir wissen es nicht.

Alkohol enthemmt. Manche Menschen verändern wenn sie getrunken haben ihr Wesen. Bei manchen ist diese Wesensveränderung weitaus dramatischer als bei anderen.
Alkohol kann positive Gefühle freisetzen, aber auch negative. 
Alkohol wirkt auf jedes Gehirn anders. Manche macht lustig, andere depressiv, manche aggressiv und streitlustig. Manche spielen im Verlauf des Rausches hemmungslos alle emotionalen Klaviaturen durch, die die Psyche hergibt. Diese Menschen machen sich keine Gedanken über ihr betrunkenes Verhalten und die Konsequenzen, die es hat. Sie sprechen im Rausch die abscheulichsten Dinge aus. Worte, die ihnen im nüchternen Zustand niemals über die Lippen kommen würden. Sie sind verbal aggressiv, sie attackieren, beleidigen und demütigen ihr Gegenüber auf übelste Weise. Manche werden gewalttätig. Meistens trifft es ihnen nahestehende Menschen. Oft ist es der Partner, der zum Mülleimer für allen Frust und zum Fußabtreter für alle destruktiven Gefühle wird.
 
Man sagt: Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit. Zumindest sagen sie ihre Wahrheit.
Aggressive Betrunkene sind absolut hemmungslos. Sie sagen in ihrer Suff-Wut was ihnen gerade in den Sinn kommt und sprechen es unzensiert aus. Sie reißen dumme Witze über den anderen, machen sich über ihn lustig oder führen ihn vor.
 
Im fortschreitenden Rausch verwandeln sich ihr Wesen von einem Dr. Jeckyll in die dunkle Seite des Arztes: In den bösartigen Mister Hyde. Dieser Sauf-Typus verändere sich dramatisch. Er wird  unvorsichtig, feindselig, aufbrausend oder weinerlich. Er kann Grenzen nicht mehr einschätzen und verletzt andere ohne Rücksicht auf deren Gefühle.
Nüchtern folgt die Reue. 
Wie meine Klientin es schildert: "Er ist zerknirscht, sagt er meint es nicht so", er entschuldigt sich. Das ändert aber nichts. 
Es macht etwas mit dem Betroffenen. Er wird verunsichert. Er fragt sich: Ist das, was er im Suff ausgesprochen hat, was er in Wahrheit denkt und fühlt? Verdrängt er all das, was er dann rauslässt, sonst im Alltag? Ist er dieser beleidigende, bösartige, Gift spuckende Mr. Hyde sein wahres Wesen, das er sonst gut verbirgt?
 
Fakt ist: Alkohol löst kein Verhalten aus, das nicht schon im Menschen angelegt ist. Er verstärkt es.
Aggressive Betrunkene sind mit sich selbst und ihrem Leben chronisch unzufrieden. Im Tiefsten wertschätzen sie sich selbst nicht. Sie verachten sich vielleicht sogar. In jedem Falle aber haben sie eine große Wut in sich aufgestaut, die sie im nüchternen Zustand kontrollieren können und die dann, wenn sie enthemmt sind, wie ein Vulkan ausbricht. Die verdrängten destruktiven Emotionen sind unter Alkoholeinfluss nicht mehr zu beherrschen.

Zu viel Alkohol tut keinem gut. Und – er tut keiner Beziehung gut. Er ist der Beziehungskiller Nummer eins.
Es geht ja nicht nur um einen Moment in der Zeit in dem all die verletzenden Dinge gesagt oder getan werden, die der Betrunkene selbst vielleicht am nächsten Tag, dank Blackout, längst vergessen hat. Es geht um all die Momente, die sich Rausch für Rausch wiederholen – schmerzhafte Momente, die jener, der verletzt wurde, nicht vergessen kann. 

Kein Mensch vergisst Demütigungen und Beleidigungen. Verletzende Worte treffen – mitten in die Seele. Das wirkt auf das Selbstwertgefühl und es wirkt auf die Beziehung wie ein zersetzendes Gift.  
Dieses Gift wirkt gründlich und nachhaltig in der Seele des Attackierten. Er verliert das Vertrauen in sich selbst, weil er das mit sich machen lässt. Er verliert das Vertrauen in den anderen und in die Sinnhaftigkeit der Beziehung. Auch wenn sich der Trinker am nächsten Tag entschuldigt und Reue zeigt: Das Gesagte lässt sich aus Kopf und Herz nicht mehr löschen. So wie der Zweifel sich nicht löschen lässt. 

Wo gegenseitige Wertschätzung, Zuneigung, Liebe und Vertrauen sein sollten, sind Geringschätzung, Ablehnung, Wut und Misstrauen der Boden der Beziehung. Dieser Boden ist verdorben.
Ich frage meine Klienten: Was bringt ihnen nun dieses Wissen?
Wird sich dadurch etwas ändern?
Wird er sich dadurch ändern?
Ich sage: Es gibt da zwei Personen. Sie könnten ihn fragen, was kann er ändern kann und will.
Aber die entscheidende Frage ist: Was können sie für sich ändern, falls auf der anderen Seite keine Bereitschaft ist?
 
Sie weint, sagt, sie muss darüber nachdenken.



Mittwoch, 13. November 2019

Ein klarer Geist




Foto: Alexander Szugger

Du hast dich aufgerieben an Problemen, die andauern und sich nicht lösen lassen. Das schlägt sich auf deine Stimmung nieder. Du bist müde. Du fühlst dich ausgesaugt, deprimiert, leer und verbraucht. Dir fehlt die Luft zum Atmen. Du zerbrichst dir Kopf und Herz ohne eine Besserung der Situation zu erreichen. Dein Alltag zieht an dir vorbei, ohne dass du ihn wirklich beherrscht. Du funktionierst nur noch. Jeden Tag rennst du los wie ein Hamster im Rad. Am Abend legst du dich erschöpft ins Bett, du schläfst schlecht und am nächsten Morgen wiederholt sich alles. Endlosschleife.

Zeit, die Reißleine zu ziehen und dir Ruhe zu gönnen, dich aus diesem System eine Weile zurückziehen und Abstand zu gewinnen. Tust du das nicht, bleibst du gefangen im Rhythmus des Lebens. Mach dir klar: Ohne Ruhe zu finden wirst du es nicht schaffen herauszufinden. 

Nimm dir Zeit Bilanz zu ziehen.
Was tut dir nicht mehr gut?
Was belastet dich schon eine gefühlte Ewigkeit?
Was überfordert dich? 
Was tust du lieblos und ohne Freude? 
Wo behandeslt du dich selbst lieblos?
An was oder wen verschwendest du deine Lebenskraft?

Was willst du wirklich?

Nimm dir jetzt Zeit für dich, erleichtere deinen Terminplan, nimm dir eine Auszeit um Dinge zu tun, für die du dir schon zu lange keine Zeit mehr genommen hast. Organisiere deine Zeit neu, um Zeit für dich zu haben. Die scheinbar „verlorene“ Zeit wirst du wieder gewinnen. 

Dein Erfolg, gleich welcher Art,  hängt von deiner Fähigkeit ab einen klaren Geist zu haben. 
 

Alles ist euer Leben. Tag und Nacht, was immer euch begegnet, ist euer Leben; daher sollt ihr euer Leben der Situation anpassen, die euch im Augenblick begegnet. 
Verwendet eure Lebenskraft dazu, aus den Umständen, die auf euch zukommen, eine Einheit mit eurem Leben zu gestalten und die Dinge an ihren richtigen Platz zu setzen. 

Dogen Zenji

Montag, 11. November 2019

Was wir nicht lieben können

Foto: Angelika Wende


Uns selbst verstehen, wie schwer das ist. Uns selbst in all unseren Ambivalenzen begreifen, wie schwer das ist. Und wie schwer das ist, den anderen zu begreifen, wenn wir uns selbst schon nicht begreifen. Wie wirkliche Nähe fühlen? Wie sie halten?
Nähe zu uns selbst. Wirkliche Nähe, die nichts auschließt von dem, was uns ausmacht, dem, der wir sind mit all dem Fremden in uns, das sich über das vertraut Bekannte legt und irritiert.

Uns selbst nah sein verlangt viel von uns selbst. Uns selbst in dieser Nähe lieben ist schwer. Uns lieben mit all dem, was wir nicht verstehen und, weil wir es nicht verstehen, ablehnen - nicht lieben können. Lieben ist schwer wenn ich nicht weiß, was ich liebe. "Wir lieben was uns gleich ist", schreibt Hermann Hesse in seinem Gedicht "In Sand geschrieben".

Ja, was uns gleich ist verbindet uns, schafft Nähe. Doch manchmal trennt es uns, das Gleiche, weil wir uns erkennen im Spiegel des Gleichen - uns, mit dem, was wir nicht lieben an uns.

Sonntag, 10. November 2019

Warum bleiben einfacher ist als gehen


Foto: Angelika Wende

Glücklich sind wir längst nicht mehr. Wenn ich genau überlege gibt es im letzten Jahr kaum Momente in denen ich mit ihr glücklich war.  Wir streiten oder schweigen uns an, wir sind genervt, manchmal sind wir sogar respektlos zueinander. Glücklich, nein glücklich bin ich nicht. Aber ich schaffe es nicht zu gehen.
Mein Klient schaut mich an: Bin ich zu feige um mich zu trennen? 

Eine gute Frage.
Diese Frage stellen sich so manche von uns, wenn eine Beziehung sich nicht mehr gut anfühlt. Aber wie mein Klient, sind wir nicht in der Lage uns einzugestehen: Die Beziehung ist am Ende angelangt. Es geht nicht mehr. Wir müssen uns trennen.
Und dennoch tun wir es nicht.

Ist bleiben also besser als gehen?

Besser nicht, aber einfacher.
Besser sicher nicht, denn wer bleibt schon gerne dort, wo er sich nicht mehr geborgen, verstanden, gesehen, respektiert, begehrt, lebendig und geliebt fühlt? Dort wo ein täglicher Kleinkrieg herrscht, der immer neue Schauplätze aufmacht, auf denen sich die Enttäuschung, die Wut und die Trauer über das längst verlorene Glück der Zweisamkeit entlädt. 
Keiner von uns. Und trotzdem, es ist kaum zu glauben wie viele Menschen mit ihrer Beziehung unzufrieden sind und bleiben.

Manche legen sich einen Liebhaber oder eine Geliebte zu. Kleine Fluchten um den großen Ausstieg nicht vollziehen zu müssen. 
Trostpflaster für ein totes Liebesleben emotional und sexuell. Es wird gelogen und betrogen um auszuhalten, was nicht aushaltbar ist, es wird erträglich gemacht, was nicht erträglich ist. Würden wir gehen, müssten wir uns entscheiden. 
Wer sich nicht entscheidet, entscheidet sich trotzdem. Er bleibt.

Wer bleibt, bleibt aus Angst.  
Angst vor diesem Moment wo er aussprechen könnte was wahr ist, nämlich, dass er nicht mehr glücklich ist, sich nicht mehr wertgeschätzt, nicht mehr gesehen, nicht mehr geliebt fühlt und selbst nicht mehr wertschätzt, sieht und liebt. Angst vor dem Moment der Stille, die dann eintritt und den Diskussionen, die der Stille folgen.
Und dann die große Stille, die rießige Leere, die der Erleichterung folgt, wenn der andere weg ist. Das wollen wir nicht aushalten.
Wir fürchten uns vor der Einsamkeit, die dem Alleinsein folgen könnte, für immer vielleicht. 
Dass da noch mal ein Mensch kommt, der wirklich zu uns passt? Daran zu glauben fällt schwer. Die Erfahrung sagt: Es wird nicht viel besser, allenfalls anders.
Bleiben scheint also besser als Einsamkeit, das Schreckgespenst, das uns in den Käfig unguter Beziehungen einschließt und uns das Verlassen des Käfigs schwer macht.

Und dann ist da ja noch das liebe Geld, das man dann selbst verdienen müsste, der Luxus und die Bequemlichkeit die man dann aufgeben müsste. 
Da sind vielleicht die Kinder die darunter leiden und die Probleme von Kindeswohl und Kindessorge.  Nein, dann lieber bleiben und dem anderen und sich selbst weiter etwas vormachen oder weiter kalte oder heiße Kriege führen, die auf Dauer unendlich müde machen und das Leben und die Gesichtszüge immer bitterer. Von der Gesundheit ganz zu schweigen.

Es ist viel was Menschen in Kauf nehmen anstatt sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Nur, wer sich selbst gegenüber nicht ehrlich ist belügt den anderen genauso wie sich selbst.

Wir bleiben weil bleiben einfacher ist als gehen und weil das Verlassen der Komfortzone um einiges bedrohlicher erscheint als das Erlangen des eigenen Seelenheils durch die Gestaltung des eigenen Lebens. Zugegeben: Das ist auch nicht einfach.
Aber ist das ein Grund dort zu bleiben wo das Klima vor Lug und Betrug energetisch verdorben ist, wo Jammern, Klagen und Beklagen Dritten gegenüber die Mittel der Wahl sind um sich von all den destruktiven Gefühlen zu entlasten, die so eine abgelebte oder eine destruktive Beziehung mit sich bringt?
Ja. In der Tat. Für viele ist es das.
Viele bleiben. Sie bleiben solange es noch den kleinsten Benefit gibt
Sie erfinden hunderte von Ausreden um das Kleine nicht als das zu erkennen was es in Wahrheit ist – die eigene Kleinheit. Die mutlose Kleinheit, die feige Kleinheit, die große Angst vor dem Unbekannten, dem Loslassen, dem auf sich selbst gestellt sein, die dazu bringt, das eigene Leben zu vergeuden, weil die Bereitschaft fehlt es in die Hand zu nehmen und es wahrhaftig den eigenen Werten nach zu leben und zu gestalten und zwar mit allen unschönen Konsequenzen.
Mit Liebe hat Bleiben hier nichts mehr zu tun.

Übrigens: Liebe und Beziehung sind nicht eins.
Ich kann einen Menschen lieben und feststellen – wir passen nicht zusammen.
Ich kann erkennen: Bei aller Liebe, wir sind dermaßen konträr in allem was wir tun, wollen und leben. Unsere Werte und Bedürfnisse sind nicht kompatibel, wir schauen nicht in die gleiche Richtung.

Liebe allein genügt nicht um miteinander ein gutes Leben zu haben.

Das ist ein Irrglaube.
Und ein Grund warum viele Beziehungen scheitern, die aus Liebe Beziehung machen.
Die Liebe nutzt sich im alltäglichen Kampf nämlich langsam aber gründlich ab.
Und da wo nur Beziehung ohne Liebe ist, nutzt sich die Seele langsam aber gründlich ab.