Foto: A. Wende
Angst
steht am Beginn vieler neurotischer Störungen wie z.B. Phobien, soziale Ängste,
Zwangserkrankungen, Krankheitsangst, Hysterie, Borderline u.a.
Die
Reduktion der Angst durch Vermeidungsverhalten hält diese Störungen aufrecht.
Dasselbe
gilt für psychosomatische Störungen, deren gemeinsame Ursache eine lang
anhaltende erhöhte Aktivierung durch unkontrollierbare und/oder belastende
Lebensbedingungen- und Ereignisse darstellt. Auch am Beginn vieler Süchte,
besonders der Alkoholsucht, steht die angstreduzierende Funktion. Im Rahmen der
Verhaltensmodifikation wurden einige Behandlungsverfahren zur Reduktion
verschiedener Formen der Angst entwickelt. Allgemein geht dabei vom Konzept der
Angst als Reaktion auf psychologischer, physiologischer und der Verhaltensebene
aus. Ziel jeder Angstbehandlung ist das Herunterfahren des erhöhten
zentralnervösen vegetativen Erregungsniveaus. Bei vielen Angsterkrankungen
gelingt das. Schwer behandelbar allerdings sind Zwänge und Krankheitsangst. Letztere,
auch Hypochondrie genannt, wird oft verlacht. Dabei
leidet jeder Mensch irgendwann einmal unter der Angst krank zu werden. Man
denke an die Corona-Pandemie, die eine nahezu zwanghafte Massenkrankheitsangst
ausgelöst hat.
Angst
vor Krankheit ist ein normales gesundes Phänomen. Erst wenn diese Angst über
mindestens ein halbes Jahr bestehen bleibt und trotz ärztlicher Untersuchungen
und positiver Rückversicherung weiter anhält, es also aus medizinischer Sicht
keinen akuten Grund gibt, dass der Betroffene krank ist, spricht man von
Krankheitsangst.
Wer sie kennt, weiß,
sie ist die ganz und gar nicht zum Lachen. Sie ist eine ernstzunehmende
psychische Störung, die das ganze Leben beherrschen und destruktiv beeinflussen
kann. Typische
Gedanken bei Krankheitsangst sind beim kleinsten Unwohlsein oder einer
körperlichen Missempfindung: „Es könnte etwas Schlimmes sein. Ich könnte
ernsthaft krank sein oder es werden.“ Je bedrohlicher die angenommene
Erkrankung scheint, desto mehr steigert sich die Angst der Betroffenen. Das
geht bis hin zum Katastrophisieren, das mit den Gedanken an ein qualvolles
Leiden, Sterben und Tod endet. Das Fatale ist, Betroffene können die Gedanken
nicht abstellen. Es
gelingt ihnen nicht gelassen das Verschwinden der Symptome abzuwarten oder der
Diagnose eines Arztes zu vertrauen, dass es nichts Schlimmes ist, sie zweifeln
und grübeln weiter. Sie fühlen ja etwas im Körper, was sonst nicht da ist. Sie
haben eine kleine Verletzung, Magenprobleme oder Herzrythmusstörungen und sie
wissen nicht, was daraus entstehen kann.
Sie fühlen sich ohnmächtig und hilflos bei der Vorstellung, es könnte so
kommen wie sie befürchten.
Die
Angst ist ja nicht ausgedacht, sie stellt sich bei dem meisten Betroffenen als
emotionale Reaktion auf ein unbekanntes oder ein schmerzhaftes Körpergefühl
ein.
Nur,
die Angst ist meist nicht angemessen, was aber einem Menschen mit
Krankheitsangst, auch wenn er das kognitiv weiß, nicht hilft die Angst herunter
zu regulieren oder die Überzeugung schlimm krank zu sein rational zu entkräften.
Manche
Betroffene haben diese Ängste ständig, bei anderen treten sie in belastenden
Lebenssituationen, in Phasen von emotionalem Stress und/oder in seelischen
Krisen auf.
Das
typische Verhalten bei der Krankheitsangst ist die Suche nach absoluter Sicherheit.
Was wir wissen: Der tiefe Grund der
Krankheitsangst ist, ähnlich wie bei der Zwangsstörung, das Verlangen nach
absoluter Sicherheit und eine niedrige Toleranzschwelle gegenüber Unsicherheit.
Darum ist die Sicherheitssuche für Betroffene so wichtig. Diese besteht darin: Zum
Arzt gehen, eine Bezugsperson um Versicherung bitten, dass es nicht so schlimm
ist, in der Recherche der Symptome bei Dr. Google und in Selbstuntersuchungen.
Krankheitsangst beinhaltet ein komplexes
System der Selbstbeobachtung.
In der Folge kommt es bei vielen Betroffenen
zu Angst, Zwängen, Rückversicherung, Vermeidung, Rückzug und gar zu Isolation. Alle Aufmerksamkeit wird auf den Körper gelenkt und
von den eigenen äußeren Empfindungen und inneren Zuständen absorbiert. Es ist
ein ständiger Versuch den Körper im Gleichgewicht zu halten. Immer ist da das
diffuse Gefühl der Bedrohung von Leib und Leben, verbunden mit dem Erleben von
Ohnmacht, Hilflosigkeit und Kontrollverlust über den eigenen Körper. Die Körperwahrnehmung
verändert sich. Das sympathische Nervensystem ist dauerhaft auf einem hohen
Erregungsniveau und bildet dann tatsächlich körperliche Symptome aus. Daraus
folgt die Überzeugung, dass wirklich etwas nicht stimmt. Alle Aufmerksamkeit
wird für Stunden darauf ausgerichtet, getreu dem Motto: Alles, dem wir
Aufmerksamkeit widmen, wächst, wachsen die Symptome. Es wird recherchiert bis
eine passende Diagnose gefunden ist. Dabei geraten Betroffene in einen Sog mit
dem Ziel sich von der Angst zu befreien, werden dabei aber immer weiter in das
Angstsystem verstrickt. Die Selbstdiagnose z.B. Darmkrebs bei häufigen
Darmproblemen, so erschreckend sie ist, hat paradoxerweise eine angstbindende
ordnende Funktion, indem sie für den Moment das Gefühl von Kontrolle herstellt.
Das diffuse Gefühl hat jetzt einen Namen. Die Selbstbeobachtung und die Diagnose
wirken wie ein inneres Ordnungssystem, das die befürchtete Katastrophe in
Schach hält, der letzte Versuch noch irgendwie Kontrolle und Sicherheit zu
erlangen und so das innere psychische Gleichgewicht, angesichts einer
existentiellen Bedrohung zu halten. Das Gefühl von Sicherheit („Ich weiß jetzt,
was es ist“) wirkt dann für den Moment angstreduzierend. Genau diese Sicherheit
wird bei der Recherche gesucht. Ein Teufelskreis, der aufgrund der momentanen
angstlösenden Wirkung nicht aufgegeben werden kann und wiederholt werden muss. In selteneren Fällen kann Krankheitsangst auftreten, wenn überhaupt
keine körperlichen Probleme vorliegen. Es reicht allein die Vorstellung einer Erkrankung aus, um Ängste zu erzeugen. Dann spricht man von einer Krankheitsphobie.
Die
Ursachen der Krankheitsangst
Die Forschung zum Thema Krankhietsangst ist noch nicht ganz dahintergekommen, wodurch sich eine solche Störung entwickelt. Vermutlich spielen Persönlichkeitsmerkmale wie hohe Ängstlichkeit sowie die Erziehung eine Rolle. Viele Therapeuten sind davon überzeugt, dass Krankheitsangst
etwas Übernommenes oder Erlerntes ist, z.B. von der Mutter, die ständig krank
war, oder durch einen Todesfall, der nicht verarbeitet werden konnte, das
Aufwachsen in einem Umfeld, das ein unangemessenes Umgehen mit Krankheiten
hatte, überbehütende Eltern oder alles zusammen. Eine weitere Annahme:
Krankheitsangst ist eine Ablenkung von anderen Problemen und Gedanken an
Bedrohliches. Mein Supervisor meinte neulich, als wir darüber sprachen: Wenn
man sich damit beschäftigt, dass man möglicherweise schwer krank ist, muss man
sich nicht mit anderen Problemen auseinandersetzen. Die Angst krank zu sein fungiert
dann wie eine Art Abwehr oder Kompensation um nicht anschauen zu müssen, was
wirklich schlimm im eigenen Leben ist. Auch von Langeweile könne
man sich unterbewusst ablenken, indem man sich mehrere Stunden am Tag mit
möglichen Krankheiten beschäftigt.
Bei jedem Betroffenen ist der
Auslöser, sind die Gründe und Ursachen zur Entstehung der Störung andere. Weil
jeder Mensch anders ist und keiner auf das gleiche Ereignis gleich reagiert und
emotional darauf antwortet.
Eine typische allgemeingültige Ursache
gibt es nicht um eine Krankheitsangst zu entwickeln. Aber es gibt eine sehr
tief liegende, die die Psychoanalyse als solche erkennt. Die Annahme ist hier: Die
befürchtete Krankheit ist der Behälter für das Unerträgliche, das ein Mensch
sich trägt. Im Kern geht es bei der Krankheitsangst um die Angst vor der
eigenen Auslöschung, dem Ich-Verlust, um Todesangst. Eine Krankheit kommt
bei Betroffenen dem psychischen Zusammenbruch gleich. In jedem Symptom, in
jeder Befürchtung steckt gefühlt der Kern des totalen Ausgeliefertseins, des
totalen Kontrollverlustes, der Auslöschung. Im Grunde ist die Angst und die
Beschäftigung damit der untaugliche Versuch ein Gefühl von Sicherheit
herzustellen, das nie erfahren wurde. Mit anderen Worten: Krankheitsangst ist,
nach der psychoanalytischen Auffassung, der sich wiederholende Versuch der
nachträglichen Bewältigung eines sehr frühen psychischen Zusammenbruchs.
Was Menschen mit starker
Krankheitsangst in der Kindheit fehlte ist die Erfahrung einer Halt und
Sicherheit gebenden Bindungsperson. Das, was in der Krankheitsangst
befürchtet wird, ist längst passiert: Die Erfahrung existentieller,
katastrophisch-traumatischer Verlassenheit, die Erfahrung von Auflösung und
Todesangst. Die Erfahrung mit Bezugspersonen, die das Kind in seiner inneren
Not alleingelassen haben, Bindungspersonen, die emotional abwesend und/oder emotional
nicht erreichbar und haltgebend waren, oder im schlimmsten Falle - das Kind
emotional vernichtet haben.
Eine
emotionale Regulierung über die Zuwendung einer Bindungsperson ist nie
gelungen. Stattdessen - Verlassenheitserfahrung durch fehlenden Halt, mangelnde
Zuwendung und Liebe.
Die unbewusste innere Überzeugung ist: Ich
bin ganz allein. Ich muss mich auf mich selbst verlassen können und dazu
brauche ich einen gesunden, starken, funktionierenden Körper (als schützendes Gefäß
für meine fragile Seele). Kann ich mich auf ihn nicht verlassen, kann ich mich
auf nichts verlassen. Dann bin ich verloren. Ich muss gesund sein, sonst bin
ich abhängig von Fremden, denen ich ausgeliefert bin und von denen ich nicht
weiß, ob sie es gut mit mir meinen. Dann muss ich im Zweifel sterben. Wahr ist:
Die Seele dieses Menschen ist als Kind längst gestorben. Sprich: Der Teil, der
erfahren hat: Ich bin in meiner Not mutterseelenallein.
In
der Krankheitsangst bildet sich dann als Bewältigungsversuch des kindlichen
Traumas ein inneres System der Selbstregulation, das auf Autonomie setzt. Die
Verlassenheitsängste sind quasi in die Krankheitsangst verbaut, wo Gefühle wie
Ohnmacht, Hilflosigkeit und die existentiell bedrohliche Erfahrung von
Getrenntsein und existentieller Vernichtung, mittels Selbstbeobachtung und
Kontrolle in Schach gehalten werden. Der tiefe Grund der Krankheitsangst ist
wie bei der Zwangsstörung, das Verlangen nach emotionaler Sicherheit, allerdings mit den falschen Mitteln. Was Menschen mit
Krankheitsangst wieder und weder befürchten, ist längst geschehen, aber nicht
verarbeitet worden.
Wenn
Krankheitsangst als psychische Störung vorliegt, schaffen es Betroffene in den
meisten Fällen nicht alleine sie zu überwinden. Was sie vor allem brauchen ist das Erleben einer
sicheren, haltgebenden Beziehung, die ihnen als Kind gefehlt hat. Darum ist es
empfehlenswert eine Therapie zu beginnen um im Nachhinein die Erahrung einer sicheren Bindung zu machen. Ziel jeder Art von Therapie ist: Einen angemessenernUmgang mit dem Körper und Körpersymptomen zu etablieren, um das Vertrauen in den eigenen Körper und in die eigenen Bewältigungsstrategien zu erlangen.