Samstag, 8. Februar 2025

Trost


 

Trost ist Teilnahme, Beistand, Besänftigung, Begleitung, Berührung, Beruhigung, Verständnis, tatkräftige Unterstützung, mitfühlende Zuwendung, Fürsorge, Mitgefühl, Ermutigung und Zuversicht in der Seelennot.
Trost ist die Erfahrung im Schmerz nicht allein zu sein.
Trost schenken uns Menschen, die die Fähigkeit haben einfach da zu sein, zuzuhören, sich in uns hineinzuversetzen, uns zu verstehen, uns keine Ratschläge um die Ohren hauen, was wir zu tun haben oder was wir nicht getan oder falsch haben, oder uns mit Sprüchen vertrösten wie: „Das wird schon wieder, nimm´s nicht so schwer!“, „Kopf hoch!“. und sich dann schnell wieder vom Acker machen, weil sie wahnsinnig Wichtiges zu tun haben. Auch der Satz: „Alles wird gut“, ist nicht hilfreich. 
Woher wollen wir das wissen? 
Wie können wir anderen Versprechen machen, die wir nicht sicher halten können?
Manchmal können sogar die Menschen, die uns sehr nahe stehen Trost nicht geben. Sie können nicht mitfühlen, was sie selbst nicht erfahren haben oder sie sind schlichtweg überfordert oder sie haben Angst, wenn sie einem leidenden Menschen zu nah kommen, Leid und Kummer könnten ansteckend sein. Manches ist so traurig oder furchtbar, dass Menschen nicht wissen, was sie sagen, geschweige denn tun sollen. Helfen wollen und nicht wissen wie – das sind Momente der Sprachlosigkeit und der Unsicherheit.
Entscheidend aber sind nicht Worte, sondern dass man füreinander da ist. 
 
Um Trauerarbeit zu leisten, braucht es Trost.
Wenn wir einen schweren Verlust erlitten haben, ist es essenziell, Menschen zu haben, die für uns da sind. Einfach da sein, mehr nicht, zuhören, die Hände halten, ohne dirigistisch eingreifen zu wollen. Trösten beinhaltet Verständnis, Empathie und Nähe.
Trost ist wichtig, um Mut zu schenken.
Trost ist kein Allheilmittel, dass alles wieder gut macht aber er ist ein Teil jeder Genesung. Spendet uns ein Mensch Trost fühlen wir uns gesehen und angenommen. Wir sind nicht allein. Das bedeutet viel. Trost kann Hoffnung spenden, wenn wir am Boden zerstört sind, aber nirgendwo lernen wir wie man sich selbst und andere tröstet. 
 
In Folge der zunehmenden Vereinzelung in unserer Gesellschaft, sind immer mehr Menschen auch in schmerzhaften Lebenssituationen auf sich selbst zurückgeworfen. 
Ich kenne viele dieser Menschen. Sie begegnen mir in der Praxis. Sie begegnen mir im Flur des kleinen Hinterhauses in dem ich lebe. Da ist der Nachbar, der jeden Morgen seine traurigen arabischen Lieder singt, da ist die alte Frau im Vorderhaus, die auf ihre Kinder wartet, die nicht kommen und ihre Sehnsucht mit What´s App Nachrichten beantworten. Sie begegnen mir auf der Bank in der Fußgängerzone wie die alte Dame, die mir unter Tränen erzählt, dass sie jeden Tag um die Mittagszeit auf dieser Bank sitzt, nur um Menschen zu sehen, weil sie die Einsamkeit in ihrer Wohnung nicht erträgt. 
 
Viele Menschen haben es nicht leicht, sogar schwer haben sie es, und ist da kein naher Mensch, dem sie sich anvertrauen können, wenn sie Trost brauchen, bleiben sie untröstlich. 
Sie versinken in ihrer traurigen Welt und niemand kümmert es. Sie verkümmern. Seltsamerweise taucht sogar in der Therapeutischen Literatur der Trost nicht auf und dabei ist er so wesentlich, denn Menschen brauchen Trost um zu genesen.
 
Was, wenn wir Trost suchen und da niemand ist, bei dem wir ihn finden?
Was können wir für uns selbst tun?
Was hilft, um uns zu besänftigen und uns selbst zu beruhigen? Welche Mittel haben wir zur Selbsttröstung?
Was sind unsere Trostquellen?
Für jeden von uns sind es andere. Gut sie zu kennen.
Es gibt Mittel und Wege die hilfreich sein können, wenn wir Trost brauchen. Das Wichtigste: Den Gefühlen Raum geben. Sie da sein lassen. Uns mit Selbstmitgefühl umfangen. Wenn wir traurig und untröstlich sind, hat es eine Berechtigung. Uns nicht drängen. Traurigkeit hat keine Regelzeit. Nichts wird besser, wenn wir uns zusammenreißen, aber es wird besser, wenn wir unsere Empathie auf uns selbst anwenden, durch tröstende, heilsame Selbstgespräche und indem wir, so gut es geht, auf uns selbst achten und für uns sorgen. Wenn da niemand ist, können wir lernen für uns selbst da zu sein – unser eigener bester Freund. 
 
Oftmals sind es die kleinen Dinge, die uns in dunklen Phasen trösten: Eine schöne Blume, ein Sonnenaufgang, die Wolken am Himmel, unser Lieblingslied, eine warme Suppe. Hilfreich ist es auch wenn wir immer wieder Ausnahmen zu dem finden, was uns emotional belastet. Spaziergänge in der Natur, Bewegung jeder Art, Gartenarbeit, Sauna, Schwimmen, ein warmes Bad, Tagebuch schreiben, Biografien von Menschen lesen, die Leid überwunden haben, Zeichnen, Malen, Fotografieren, Qi Gong, Yoga, Handarbeiten, Musik, Beten, Meditation, ein Besuch in der Kirche, ein Besuch im Museum, ein Haustier und nicht zuletzt alle Sinnesfreuden und das Schöne, das es trotz allem Kummer auch gibt und das wir bewusst wahrnehmen. All das sind Trostquellen, die unser Herz und unseren Blick auf etwas richten, was heilsam ist, uns emotional entlastet, uns erleichtert, den Kummer lindert, uns aus der seelischen Verhärtung löst, wärmt und befriedet, was uns quält. 
 
Trostquellen schenken uns Fülle, wenn wir im Zustand des Mangels sind.
Wir beschenken uns selbst mit dem, was unser Leben bereichert, wir wenden uns im aktiven Tun uns selbst zu, wir lassen uns berühren von dem, was unserer Seele und unserem Körper berührt. Wir trösten und beruhigen uns selbst. Wir finden langsam neue Zuversicht. Und wenn es nur ein Moment in der Zeit ist, in dem es uns gelingt uns selbst zu trösten, ist es immerhin dieser eine Moment, in dem wir gewahr werden, dass wir selbst viel mehr für uns tun können, als wir glaubten. Das verändert vieles. 
 
 
"Luft und Licht heilen, und Ruhe heilt, aber den besten Balsam spendet doch ein gütiges Herz."
Theodor Fontane
 
 
Angelika Wende

Mittwoch, 5. Februar 2025

Wenn alles zusammenbricht

 

                                                                Foto: A.Wende

 

Meine Klientin ist vollkommen entmutigt. Sie steckt in einer fundamentalen Krise. Sie ist eine starke, autonome und selbstbewusste Frau, die niemals aufgab, immer kämpfte und aus jeder Krise in ihrem bisherigen Leben gestärkt hervorging. Sie ist das, was man einen resilienten Menschen nennt. Ihre Resilienz hielt sie lange aufrecht, bis sie schließlich einen Nervenzusammenbruch erlitt. Alles was schief gehen konnte, ging schief, ein Verlust folgte dem anderen, egal was sie tat, nichts veränderte die Situation, im Gegenteil sie spitzte sich immer mehr zu. Die Versuche, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, schlugen fehl. Alle Säulen auf dem sie ihr Leben gebaut hatte brachen nacheinander zusammen. Nach der Trennung von ihrem Ehemann, der sie über Jahre belogen und betrogen hat, wurde sie krank. Weil sie krank wurde konnte sie im Job keine Leistung mehr bringen. Weil sie keine Leistung mehr brachte musste sie ihre freiberufliche Tätigkeit einstellen. Weil sie kein Geld mehr verdiente verlor sie ihre materielle Sicherheit und muss jetzt, sollte sich nichts ändern, aus ihrer Wohnung ausziehen.

Wie sagt man? „Ein Unglück kommt selten allein, oder Murphys Gesetz: „Alles, was schiefgehen kann, geht schief!", übrigens laut Wikipedia - ein Aphorismus über menschliches Versagen bzw. Fehlerquellen in komplexen Systemen. Leider ist es manchmal so, dass wir versagen und es dann obendrauf noch Fehlerquellen gibt, die unser komplexes System massiv stören, besonders wenn eine Krise der anderen folgt und nach und nach alle Säulen, auf denen wir unser Leben aufgebaut haben, gleichzeitig instabil werden oder gar zusammenbrechen. Warum ist das so? Weil sie in einem einander beeinflussenden und sich bedingenden komplexen Zusammenhang stehen.

Durch den Verrat und die Trennung, den Schmerz über den Verlust, den Liebeskummer und den damit verbundenen emotionalen Stress wurde meine Klientin krank. Durch die Krankheit verlor sie ihre Kraft für den Job, in der Folge brach die materielle Sicherheit weg, durch den Kummer zog sie sich monatelang in die Isolation zurück und ihr soziales Netzwerk ging verloren. „Es ist als würde sich alles nach und nach auflösen und ich selbst mit und ich kann nur noch tatenlos dabei zuschauen“, sagt sie.

Körper und Gesundheit, Soziales Netzwerk, Arbeit und Leistung, materielle Sicherheit, Werte und innere Haltung sind tragende Säulen unseres Lebens. Wackelt eine davon können wir damit umgehen, wackeln mehrere oder brechen nahezu alle zusammen befinden wir uns in einer tiefen existenziellen Krise. Nichts geht mehr.

Für meine Klientin wurde es zu viel. Sie ist kurz davor sich selbst aufzugeben. Sie versinkt schließlich in einer Depression. „Ich bin am Ende sagt sie, ich will nicht mehr leben, ich habe kein Wozu und kein Worum mehr, alles was ich versucht habe ist gescheitert. Nichts von allem, was mein Leben ausmachte, ist mehr übrig.“ Nachdem alle Versuche, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen gescheitert sind, fühlt sie sich wie betäubt. Sie erwartet nichts Gutes mehr. Sie hat resigniert. Sie braucht Hilfe.

Ich verstehe sie gut. Ich kenne existenzielle Krisen. Ich bin Krisenexpertin. Ich kenne die Resignation, dieses: „Es reicht, ich gebe auf“. Ich habe nicht aufgegeben. Und es ging weiter. Weil es weitergeht solange wir leben.

Jedes Mal, wenn alles zusammenbrach, habe ich mich gefragt:

Was hält mich noch, wenn alles sich auflöst?

Was bleibt von mir und meinem Leben übrig, wenn alles, was mir wertvoll und wichtig war, zerbricht und es sich anfühlt, wie im freien Fall und du nur noch auf den Aufschlag wartest? Was übrig blieb war meine innere Haltung und meine Werte. Auch wenn sie erschüttert wurden, diese Säule kippte hin und her, aber sie fiel nicht um, sie hielt. Und sie hat mich gerettet. Sich der eigenen Werte bewusst zu sein, nach ihnen zu leben, sie nicht zu verraten auch wenn sich jemand ganz viel Mühe gibt sie zu erschüttern, und ihnen zu folgen, verhilft uns nicht nur zu einem Grundselbstvertrauen, sondern gibt uns Kraft – die Kraft des Glaubens an uns selbst und das Leben, auch wenn es uns gerade die Fragmente einer alten Identität um die Ohren fliegen lässt.

 

In Krisen spielen Werte eine entscheidende Rolle.

Wenn im Außen alles wegbricht, wenn es keinen äußeren Halt und keinen sichtbaren Weg mehr gibt, sind sie es an denen wir uns festhalten können. Es geht um unsere innere Haltung und es geht um unsere Einstellung zu den Dingen und die hat wiederum mit unseren Werten zu tun. Das Wissen um unsere Werte hilft uns durch die Krise zu gehen und nicht in Apathie und Resignation zu versinken. Was nicht heißt es ist ein Spaziergang, nein, es ist ein Ritt durch die Hölle, aber what the fuck!, es ist unser Ritt und damit unsere Herausforderung, die es anzunehmen und zu bestehen gilt oder eben nicht – wir haben immer die Wahl. Wir haben die Wahl uns nicht unterkriegen zu lassen, auch wenn es schwer ist und wir allein, ohne den Rest der vertrauten Welt, dastehen. Wer aufgibt hat schon verloren.

 

„Aufgeben ist keine Option“ ist auch einer meiner Werte. Ich bin dankbar, dass ich bisher niemals aufgegeben habe, denn in jeder Krise bin ich gewachsen und habe mehr zu mir selbst gefunden.

Ich habe mich jedes Mal gefragt, was darf ich aus dieser Krise lernen?

Was will sie mir zeigen?

Stoppt mich die Krise, weil ich auf dem Holzweg bin?

Entspricht mir das Leben, das ich lebe, noch und bin ich nur zu feige oder zu bequem um etwas zu ändern?

Was will das Leben jetzt von mir?

Was passt nicht mehr, was ich mit Macht festhalten will?

Wessen bin ich mir nicht bewusst und was verdränge ich?

Dann: Innehalten. In die Stille gehen. Klar werden. Gewahr werden.

Den Wert der Krise erfassen.

Und dann die Frage: Was ist jetzt der nächste sinnvolle Schritt?

 

In jeder Krise steckt auch ein Wert – er ist die Chance, die sie in sich trägt und genau das habe ich versucht zu erkennen. Unsere innere Haltung hilft uns dabei aus der Opferrolle auszusteigen und trotzdem weiter zu gehen. Das ist der Wert: Eigenverantwortung.

Niemand von uns wird immer gewinnen. Manchmal lässt Gott oder das Universum oder das eigene Unbewusste, je nachdem woran wir glauben, uns in einen Abgrund fallen, um uns von uns selbst zu befreien. Hierin liegt der Wert des Vertrauens – das Vertrauen in das, woran wir im tiefsten Herzen glauben. Das vertrauensvolle Herz trägt durch die Krise und wieder heraus. Vertrauen - auf die ordnende Kraft im Chaos. „Du musst mit dir selbst am Ende sein, um in Gott den Anfang zu sehen“, habe ich kürzlich irgendwo gelesen. Für diejenigen, die nicht an Gott glauben mag das keinen Sinn machen. Für mich macht es Sinn, weil mich mein Glaube trägt. Für die, die nicht an Gott glauben, kann man es so formulieren: „Du muss mit dir selbst am Ende sein um in deinem wahren Wesen den Anfang zu sehen.“ Dazu sind existenzielle Krisen manchmal unausweichlich  – um uns dahin zu führen, was unser Leben wirklich ausmacht, was uns wirklich erfüllt, wer wir in Wahrheit sind, wenn alles andere zusammenbricht.

Wir sind größer als wir glauben, wenn wir es denn glauben.

Und manchmal braucht es jemanden, der uns das fühlen lässt und den können wir uns suchen, wenn wir es alleine nicht schaffen.

 

 

"Ich nenne die Fähigkeit, andere Hüllen des Bewusstseins zu betreten, Liebe. Die Liebe sagt, Ich bin alles. Die Weisheit sagt, Ich bin nichts. Zwischen diesen beiden fließt mein Leben."

 

Nisargadatta Maharaj

 

 

 

 


Dienstag, 4. Februar 2025

Aus der Praxis: Wieviel Trauer ist zu viel?

 

                                                                  Foto: A.Wende

 

Wie viel Trauer ist zu viel? Wann ist Trauer eine Krankheit?
Diese Fragen stellte mir gestern ein Klient, der nach dem Verlust seiner Frau, nach zwei Jahren noch immer trauert.
 
2019 beschließt Weltgesundheitsorganisation die sogenannte „anhaltende Trauerstörung“, als Pathologie in den internationalen Katalog klassifizierter Krankheiten, kurz ICD, aufzunehmen. Die anhaltente Trauer gilt seitdem als eine offiziell anerkannte Krankheit. Diese kennzeichnet sich durch: Eine Funktionseinschränkung im Alltag, ein starkes Verlangen nach dem Verstorbenen, eine anhaltende Beschäftigung mit dem Verstorbenen und starkem emotionalem Schmerz und das über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr.
Ein Jahr Trauer also ist normal. Wer länger trauert ist krank.
Trauer ist ein emotionaler Zustand.
Die Trauer hat uns, nicht wir haben sie.
Und manchmal verlässt sie uns nicht nach zwölf Monaten.
Sind wir deshalb krank? 
 
Trauer ist eine normale Reaktion auf einen Verlust.
Das muss nicht allein der Tod eines geliebten Menschen sein, das kann der Verlust durch eine Trennung sein, der Verlust unserer Gesundheit, unserer Heimat, einer Arbeit, die wir geliebt haben, der Verlust unserer Träume unserer alten Identität oder des Lebenssinns. Jeder Verlust zieht Trauer nach sich.
Trauer, ein Zustand, der unser Leben in eine graue Wolke hüllt, der schmerzt, der Sehnsucht in sich trägt, der wütend machen kann, der uns trennt vom normalen Lebensgefühl.
Trauer tut weh und das genau so lang wie es braucht um sie zu bewältigen. Dazu gesteht man uns ein Trauerjahr zu, alles was darüber hinaus geht, ist krank. Wieder wird menschliches Sein und Fühlen verallgemeinert. Werden Diagnosen vergeben.
Ich sehe das anders.
 
Trauer braucht Zeit, sie braucht genau die Zeit, die sie braucht.
Sie richtet sich nicht nach dem Ticken der Uhr: Und jetzt ist ein Jahr um und wir müssen unsere Trauer bewältigt haben.
Müssen wir das?
Müssen wir nicht, weil es für Gefühle kein Muss gibt, zumindest nicht geben sollte. Trauernde Menschen sollten nicht pathalogisiert und als krank diagnostiziert werden, das hilft ihnen nichts.
Trauer ist ein tiefes individuelles existenzielles Erleben ihre Bewältigung ist ein tiefer individueller Prozess. Das Existenzielle was wir in der Trauer erleben, geht tief rein und in jede Seele anders tief. Sie ist, wie das Trauma, nicht abhängig davon, was uns geschieht, sondern wie wir auf das antworten, was geschieht. Jeder Mensch antwortet anders. 
Jeder Mensch braucht seine eigene Zeit um seine Trauer zu bewältigen.
Bei einer Trennung beispielsweise sagt man: Die Verarbeitung dauert in etwa die Hälfte der Zeit, die wir mit einem Menschen gelebt und geliebt haben. Bei der Trauer um einen Verstorbenen gilt mehr als ein Jahr als krankhaft und als Störung.
 
Störung ist das, was stört, das, was störenden Einfluss auf das Normale hat.
Aber was ist das „Normale“?
Normal ist das, worauf sich viele einigen.
Wer nicht nach diesen Einigungen funktioniert, ist nicht normal.
Das ist übrigens nicht nur bei der Trauerverarbeitung so.
Es ist vollkommen egal was normal ist und was nicht – es ist unsere Trauer und wir allein müssen da durch, sie verarbeiten und damit leben lernen auf unsere ureigene Weise.
 
Es gibt keine Norm für Trauer.
Trauer ist etwas absolut Lebendiges. Was sie so schmerzhaft macht ist auch der Blick zurück auf das, was einmal war und verloren ist und nie mehr sein wird. Dieses "nie mehr," tut weh und quält. Die Ohnmacht nichts tun zu können, außer auszuhalten, was unveränderbar ist.
Und das sollen wir nach einem Jahr loslassen, es sein lassen? Wir Menschen, denen Loslassen, ganz gleich was es ist, so schwerfällt. Nein, darin sind wir keine Meister. Loslassen ist ein Prozess, der dauert, und manchmal dauert er eine gefühlte und gelebte Ewigkeit.
Ja, Heilung ist auch Akzeptieren und Loslassen. Heilung ist auch das, was in uns verwundet und wund ist, zu integrieren. Es schließlich zu akzeptieren als einen Teil unserer Ganzheit und unserer Lebenspur. Erst kommt die Akzeptanz und dann das Loslassen.
Alle Interventionen in der anhaltenden Trauerstörung beziehen sich auf die Verarbeitung der Vergangenheit. Was Sinn macht, denn der Blick zurück legt den Fokus auf die Auseinandersetzung mit dem Verlust mit dem Ziel eines endgültigen Abschieds.
Wir fallen aus dem Jetzt.
 
Irgendwann soll das aufhören. Nach einem Jahr wie gesagt. Nach all den Jahren und Jahrzehnten gemeinsamen Lebens - ein Jahr?
In diesem Jahr geht es für Trauernde nicht nur um die Verarbeitung ihrer Trauer, es geht auch um die Bewältigung der Gegenwart mit der Trauer. Es geht um den Umgang mit dem plötzlichen Alleinsein, der Einsamkeit weil die tiefe Verbindung zum geliebten Menschen fehlt und nicht ersetzbar ist. Es geht vielleicht auch um das dem Aufrechterhalten der monitären Existenz. Es geht um das Funktionieren und Dasein für die Familie und für das eigene Selbst. Da ist so viel was ein Verlust erschüttert und wegreißt und was zu bewältigen ist. So viel, was neu gelernt werden muss, so viel woran sich ein trauernder Mensch anpassen und neu lernen muss. Zu viel um es in einem Jahr zu schaffen. Es in diesem Zeitrahmen nicht zu schaffen, ist nicht krank, es ist Leben, nach dem Leben, das es zuvor gab, ein anderes Leben, das genau die Zeit braucht, die es braucht, um es neu zu gestalten.
Schaffen wir das alleine nicht, dürfen wir uns Hilfe holen.
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

 

Sonntag, 2. Februar 2025

Um was geht es wirklich

 

                                                                    Foto: A.Wende

 
Wofür strengst du dich an?
Was willst du kontrollieren?
Was meinst du besitzen zu müssen?
Woran bist du gebunden?
Womit bist du verstrickt?
Wer meinst du sein zu müssen?
Wer meinst du, bist du?
Was treibt dich an?
Wann fühlst du dich lebendig?
Wann fühlst du dich frei?
Wann fühlst du inneren Frieden?
Womit bist du tief verbunden?
Was erfüllt dich wirklich?
Was hält dich von innen, wenn alles im Außen wegfällt?
Was ist es, was dir Kraft gibt?
Wofür willst du diese Kraft einsetzen?
Was ist dein Warum?
Um was geht es wirklich? 
 
 
Angelika Wende

Montag, 27. Januar 2025

Geradewegs gegen eine Wand

 

                                                           Malerei: A.Wende

 

 

„Beschleunigte Prozesse werden dort problematisch werden, wo sie unser Weltverhältnis so verändern, dass es zu Entfremdung vom eigenen Dasein führt“, so der Soziologe Hartmut Rosa sinngemäß.  

Wir sind mittendrin in diesem Prozess der Entfremdung.

Höher, schneller, weiter. Selbstoptimierung, Prozessoptimierung und Maximierung als Maßstab. Und wir vergessen dabei: Ein zu schnelles und zu hohes Tempo in allen Lebensbereichen führt zu Überforderung und Anpassungsstörungen. Immer im Außen, immer im Funktionsmodus, immer informiert sein, überall mitreden können, nichts verpassen. So leben unzählige Menschen. 

Die Folge – sie verpassen sich selbst und sind irgendwann ausgebrannt.

Wie Rosa richtig sagt – Selbstentfremdung, vom eigenen Dasein entfremdet.

 

Von Oben betrachtet:

Funktionierende menschliche Teilchen einer sich selbst überholenden Geschwindigkeit. 

Das Gefühl für das Wesentliche schwindet im selben Maße wie diese Teilchen durchs Leben hetzen und rennen.

Alles ist flüchtig.

Flüchtig werden Headlines gelesen, flüchtig werden What´s App geschrieben, flüchtig wird im Internet gescrollt, flüchtig wird getextet, anstatt geredet. Ich war entsetzt als mir neulich ein Klient erzählte, er habe vom Tod der Mutter via Textnachricht erfahren.

Das ist nicht wahr habe ich gedacht, und doch es ist wahr. 

 

Die Selbstentfremdung und die Entfremdung vom Nächsten gehen nebeneinander her. 

Die Empathiebereitschaft und die Empathiefähigkeit uns selbst und anderen gegenüber sinkt.

Statt miteinander verbunden, verbinden wir uns mit technischen Geräten um uns verbunden zu fühlen. Ständig kleben wir an unseren Smartphones, als sei darin die Welt enthalten und sonst nirgendwo. Wir sind in Kontakt mit künstlicher Intelligenz, aber nicht mit uns selbst und unserem Nächsten.

Wohin führt das?

Vereinzelung, innere, äußere Isolation, Einsamkeit und Vereinsamung sind die Seuche unserer Zeit. Wir sind mehr und mehr emotional degenerierte narzisstische Wesen, die sich um sich selbst und um eine immer künstlicher werdende Welt drehen, bis uns schwindelig wird und der klare Geist aufweicht, ganz zu schweigen von den immer kälter werdenden Herzen. 

Eine Welt wie ein Irrenhaus in der man nicht einmal mehr weiß, wer die Irren sind – die Insassen oder die Betreuer oder beide.

 

Wir leben in einem virtuellen Raum, in dem wir täglich millionenfach filterlos Reize aufnehmen und kein Raum zwischen Reiz und Reaktion. Wahllos wird temporeich konsumiert ohne das Konsumierte überhaupt verdauen zu können. Flüchtig wird Essen hineingeschoben ohne es überhaupt zu schmecken. Flüchtig werden Beziehungen geführt und wieder beendet, per Textnachricht oder indem geghostet wird.

 

Flüchtig sind wir in hoher Geschwindigkeit auf der Flucht. 

Vor wem?

Vor uns selbst und wir merken es nicht einmal, eben wegen der rasend hohen Geschwindigkeit in der wir konsumieren und agieren.

Wo wir hinrasen? Geradewegs gegen eine Wand.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sonntag, 26. Januar 2025

Innere Ruhe finde

 



Stress basiert immer auf einem Gefühl. Zum Beispiel: Angst, Wut oder Trauer. 
Je stärker das Gefühl, desto stärker das Gefühl des Überwältigtseins, desto höher der Stresspegel.
Auch innere Ruhe ist ein Gefühl.
Innere Ruhe bedeutet, dass wir ganz bei uns sind, uns in unserer Mitte fühlen, uns innerlich ruhig fühlen und uns nicht stressen lassen.
Jeder Mensch reagiert anders auf innere und äußere Stresseinflüsse. 
Wie stark wir auf Stress reagieren hängt vor allem damit zusammen, wie schnell und wie stark das Erregungszentrum in unserem Gehirn aktiviert wird. Und das kann man verändern.
Dazu gibt es viele Wege und Methoden, die allerdings bei jedem unterschiedlich wirken.
Der eine beruhigt sich durch Meditation, der andere durch Atemübungen oder Yoga, der nächste indem er kreativ tätig wird, ein anderer indem er Spaziergänge in der Natur macht oder die Wohnung putzt. 
 
Es gibt keine Methode, die bei jedem wirkt. 
Daher sind Tipps und Methoden zur Selbstberuhigung zwar hilfreich, aber sie wirken eben nicht bei jedem gleich. Wichtig ist herauszufinden, was uns selbst hilft zur Ruhe zu kommen. Und das merken wir daran, dass wir spüren und wahrnehmen, dass wir zur Ruhe kommen. Es gilt also auszuprobieren, was für uns das Richtige ist. Und es kontinuierlich anzuwenden, wenn wir es herausgefunden haben.
 
 
 
Angelika Wende

Samstag, 25. Januar 2025

Aus der Praxis: Sich sorgen

 

                                                               Malerei: A.Wende

 
"Ständig kreist das Gedankenkarussell. Ein nagendes Gefühl breitet sich im Körper aus. Über allem liegt ein Schatten, der selbst in den hellsten Momenten nicht weicht. Immer sind da die Sorgen, die ohne Unterlass in den Gedanken herumgeistern, die leise flüstern, was alles schiefgehen könnte. Immerzu frage ich mich, ob ich den Erwartungen gerecht werde, die an mich gestellt werden. Jeder kleine Fehler, jede verpasste Gelegenheit, jede größere Herausforderung wird zu einem schweren Stein, der auf meine Seele drückt. Da ist die Angst, nicht gut genug zu sein, es nicht gut genug zu machen. Und immer ist da die Angst vor der ungewissen Zukunft. Tagsüber versuche ich, die Fassade aufrechtzuerhalten, während die innere Unruhe mich zerfrisst. Ich sehe die anderen, die scheinbar mühelos durchs Leben gehen und frage mich, warum ich nicht einfach loslassen kann, warum es mir so schwerfällt, selbst die kleinen Freuden des Lebens zu genießen. Die Nächte sind am schlimmsten. In der Dunkelheit überfällt mich dieses erdrückende Gefühl der Hilflosigkeit. Ich kann nicht einschlafen, zähle die Stunden und wünsche mir, dass die Sorgen einfach verschwinden. Aber sie verschwinden nicht, sie sie sind hartnäckig, sie flüstern mir zu, dass ich auf der Hut sein muss, dass die Welt ein gefährlicher Ort ist, voller Unsicherheiten und Unvorhersehbarkeiten. Ich sehne mich so sehr nach Frieden, nach einem Moment der Ruhe, in dem ich einfach sein kann, ohne von den ständigen Sorgen und Ängsten zerfressen zu werden. Hört das denn nie auf?"
So schildert meine Klientin ihre seelische Verfassung. 
 
Sorgen und Befürchtungen können tiefgreifende Auswirkungen auf einen Menschen haben, sowohl psychisch als auch physisch.  
Anhaltende Sorgen können zu chronischem Stress, Angstzuständen und Depressionen führen. Sie können das allgemeine Wohlbefinden beeinträchtigen und das Leben als überwältigend erscheinen lassen. Sorgen können die Konzentration und die Entscheidungsfindung beeinträchtigen. Menschen, die ständig besorgt sind, haben oft Schwierigkeiten, sich auf Aufgaben zu konzentrieren oder klare Entscheidungen zu treffen. Menschen, die unter starken Sorgen leiden, neigen dazu, sich von sozialen Interaktionen zurückzuziehen. Dies kann zu Einsamkeit und einem Gefühl der Isolation führen. Sorgen können körperliche Symptome hervorrufen wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Magenprobleme oder andere stressbedingte Erkrankungen. Langfristig kann chronischer Stress das Immunsystem schwächen und zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen führen. Sorgen können zu Verhaltensänderungen führen, wie z.B. zu erhöhtem Konsum von Alkohol oder Drogen, ungesunden Essgewohnheiten oder einer Abnahme der körperlichen Aktivität. Anhaltende Sorgen können dazu führen, dass ein Mensch in einem negativen Denkmuster gefangen sind, was die Perspektive auf das Leben und die Fähigkeit, positive Erfahrungen zu machen, massiv beeinträchtigen kann. Sorgen beeinflussen die Lebensqualität erheblich und machen auf Dauer krank.
 
Es gibt viele Tipps um sich das Sorgenmachen abzugewöhnen.
Zum Beispiel:
Indem man für Ablenkung sorgt, indem man Stoppsignale nutzt (laut „stopp“ sagen), indem man seine Gedanken aufschreibt um Abstand zu gewinnen, indem man Gespräche mit vertrauten Menschen führt und seine Sorgen ausspricht, indem man einen fixen Termin für das Sorgen festlegt und indem man Entspannungstechniken oder anderen Strategien zur Stressbewältigung nutzt um das Nervensystem zu beruhigen. 
 
All das ist hilfreich. Entscheidend aber ist, dem Sorgenmachen auf den Grund zu gehen.
Sich ständig sorgen ist eine Gewohnheit. Ein Mensch der sich ständig sorgt, muss daher lernen sich diese Gewohnheit abzugewöhnen, das bedeutet: Er muss lernen den Sorgen-Modus, der sich im Gehirn als Automatismus verankert hat, einzustellen. Er muss erkennen, dass er seinem Gehirn nicht hilflos ausgeliefert ist, sondern dazu fähig ist, diesen Automatismus zu regulieren und zu steuern. Um das zu erreichen ist es auch wichtig das eigene Selbstwertgefühl und das Gefühl von Selbstwirksamkeit zu hinterfragen und gegebenenfalls zu stärken. Um das Sorgenmachen nachhaltig loszulassen, ist es wichtig an die Wurzel des Problems gehen und nicht nur an den Symptomen herumdoktern. Es gilt zu erforschen, welche tieferen Auslöser es für die ständigen Befürchtungen gibt. Ständiges Sorgen hat immer einen Grund, den gilt es herauszufinden, damit eine tiefgreifende Veränderung gelingen kann. 
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de