Sonntag, 15. Dezember 2019

Komplementärnarziss - ein liebloses Leben




Malerei: Angelika Wende

Warum ziehen manche Menschen immer wieder Narzissten in ihr Leben?
Narzissten ziehen regressiv-narzisstische Menschen magisch an. Und umgekehrt ziehen regressiv- narzisstische Menschen narzisstische Persönlichkeiten an.
Unbewusstes erkennt Unbewusstes blind. 

Regressiv-narzisstische Menschen, auch Komplementärnarziss genannt, fühlen sich tief im Inneren wertlos. Ebenso wie beim Narziss, ist sein Seelenleben vom gleichen Unwertgefühl geprägt, wie beim Narziss, der dies aber durch seine Grandiosität gekonnt überspielt.

Hier gleichen sich die Gefühle geboren aus kindlichen Verletzungen.
Regressiv-narzisstische Menschen sind es von Kindheit an gewohnt, entwertet zu werden. Sie haben lernen müssen, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse nicht so wichtig zu nehmen und sich auf die Bedürfnisse anderer einzustellen. Sie neigen dazu um geliebt zu werden alles zu tun was in ihrer Macht steht. Sie neigen dazu ihr Ideal-Selbst, also die Vorstellung davon, wie sie gerne sein möchten, auf einen idealisierten Partner zu projizieren und sich derart mit ihm zu identifizieren, dass sie zu einem eigenen Ideal-Selbst zu gelangen.

„Der Komplementärnarzisst ist im Grunde ebenfalls narzisstisch strukturiert, jedoch mit umgekehrten Vorzeichen, denn wo der Narzisst nur sich selbst bewundern lassen will, will der Komplementärnarzisst sich ganz für einen anderen aufgeben. Da, wo der Narzisst sein Selbstgefühl erhöhen will, will sein Partner auf ein eigenes Selbst verzichten, um das Selbst eines anderen zu erhöhen, mit dem er sich identifiziert. Beide zeigen eine gleich geartete Grundstörung, denn beide haben ein ungenügend geformtes, in seiner Abgrenzung zu anderen gefährdetes und als minderwertig empfundenes Selbst. Die Art der Abwehr gegen diesen Mangel ist unterschiedlich, denn während der Narzisst versucht, sein schlechtes Selbst durch den Partner aufzuwerten, versucht der Komplementärnarzisst hingegen ein idealisiertes Selbst beim anderen zu entlehnen. Trifft ein Narzisst auf einen Komplementärnarzissten, so verschwindet dieser im Anderen. Er ordnet sich unter und übernimmt dessen Werte und Ideale. Einklang und Gemeinsamkeit werden ohne jegliche Beziehungsarbeit und ohne wechselseitiges Entgegenkommen hergestellt, d. h., dieses System basiert auf Macht und Unterwerfung. Der Narzisst betrachtet einen solchen Partner als Erweiterung seiner selbst und nicht als eigenständiges oder gar gleichberechtigtes Wesen, schafft klare hierarchische Strukturen, in denen er seine Autonomie bewahren und sich bei Bedarf Abstand und Distanz verschaffen kann, um nicht eingeengt zu werden. Komplementärnarzissten empfinden die eigennützige Behandlung zunächst nicht als eine Zurücksetzung, sondern empfinden eine große Genugtuung, ihnen zu Diensten zu sein und ihnen dadurch Freude zu bereiten, wollen es dem Narzissten in jeder Hinsicht recht zu machen und ärgern sich oder klagen sich selbst an, wenn es ihnen nicht gelingt.“
(Stangl, 2019. Komplementärnarzissmus)

Regressiv-narzisstische Menschen machen sich unbewusst klein, weil sie sich klein, unwichtig und unbedeutend fühlen und vor allem: Sie sind davon überzeugt nicht liebenswert zu sein und sich Liebe „verdienen“ zu müssen.  
Das selbstsicher erscheinende narzisstische Gegenüber, steht quasi im Schlagschatten der eigenen Minderwertigkeitsgefühle und wertet so das als unbedeutend und minderwertig empfundene Selbstbild auf. Zudem neigt der regressiv-narzisstische Mensch dazu sich unterzuordnen und zu "dienen", was jedoch in Folge eine emotionale Abhängigkeit produziert.

Menschen, die immer wieder narzisstische Persönlichkeiten anziehen haben in den meisten Fällen also selbst eine Persönlichkeitsstörung. Nur so kommt es zur Passung.
Der, der angeblich bedingungslos liebt, ist meist gar nicht so bedingungslos am lieben, wie er das für sich beansprucht. Ebenso wie der Narziss versucht er seine innere Leere zu füllen, und zwar indem er "geliebt und gebraucht" wird vom anderen. Die tiefe Sehnsucht geliebt und gebraucht zu werden führt dazu, dass er nahezu alles mit sich machen lässt sobald ein passendes Liebesobjekt in sein Leben tritt. Sein unbewusstes Unliebespiel ist: „Schau her, was ich für dich tue, du muss mich doch lieben.“ 
Weil das aber nicht gelingt, da der Narziss Liebe nicht spüren, nicht schenken und nicht annehmen kann, sondern lieben lässt, wird immer mehr getan. Je mehr der Komplementärnarziss tut, desto unterwürfiger wird er. Das Gefühl für die eigene Würde und die gesunden Grenzen seines Selbstschutzes lösen sich vollkommen auf. Sein ganzes Denken und Fühlen dreht sich um den narzisstischen Partner. Er wird zu seiner Droge, die seine Liebessehnsucht stillen soll.
Je mehr er sich abliebt, desto unterwürfiger er wird, desto mehr Selbstwertgefühl geht verloren. Je mehr Selbstwertgefühl verloren geht, desto abwertender wird der Narziss und umso frustrierter und seelisch demontierter wird der Komplementärnarziss. Es kommt zur Kollusion.

Zur Kollusion (Konflikt) in solchen Beziehungen kommt es dann, wenn sich die unbewussten Muster und Erwartungen nicht mehr automatisch gegenseitig einlösen und es nicht mehr ertragbar ist, dass der eine zu selbstherrlich und verletzend ist und der andere ihm trotz aller Demütigungen dennoch weiter nachläuft und um Liebe bettelt, oder sich nur noch kritisierend und anklagend äußert.
Es kommt vom inneren zum äußeren Krieg.
Der Komplementärnarziss setzt nun alles daran den Narziss zu ändern. Er beklagt sich, er fordert immer mehr ein, er fordert vom anderen Veränderung, damit es ihm selbst besser geht. Er stellt sich ständig Fragen wie: Was kann ich tun um ihm zu helfen und wie kann ich ihn heilen, damit er mich endlich lieben kann. Es geht immer um das „geliebt werden“. Und zwar von einem, der nicht lieben kann. Er arbeitet sich am Unveränderbaren ab. 
Diese Einsicht aber hat der Komplementärnarziss nicht. Aufgrund seiner Kindheitsverletzungen lebt er in einer Art Wiederholungszwang des als Kind erlernten Unliebespiels: Ich muss andere um jeden Preis glücklich machen, ich muss all ihre Bedürfnisse erfüllen um selbst geliebt zu werden.
Kein Wunder also, dass er im späteren Leben in Resonanz mit Menschen tritt, die sich nicht glücklich machen lassen, weil sie dazu einfach nicht fähig sind. 
Ein Mensch mit dieser Kindheitswunde muss scheitern, seine Liebe muss unbeantwortet und wirkungslos bleiben, er wird gegen die Lieblosigkeit nicht ankommen. Er muss scheitern um zu begreifen was seine Aufgabe ist: Nämlich sich seiner eigenen Bedürfnisse bewusst zu werde, sie sich zu erfüllen und im besten Falle sich selbst lieben zu lernen.  

Bis er allerdings zu dieser Erkenntnis gelangt wird er leiden.
All seine Kämpfe um Liebe sind untaugliche Versuche, die in Vergeblichkeit enden.
Der Komplementärnarziss fühlt sich immer ohnmächtiger, kleiner und hilfloser, wertloser. Er verzweifelt an seinen eigenen Bemühungen. Irgendwann fühlt er sich als Opfer des Narzissten, ohne auf den Gedanken zu kommen, dass er sich selbst zum Opfer macht. Seine Wut auf die zurückgewiesenen Liebesbezeugungen und Liebesdienste richtet sich dann auf den Narziss, der ihm das alles antut. Er begreift nicht: Die Sucht gebraucht und geliebt zu werden führt dazu, dass er nahezu alles mit sich machen lässt. Er ist ein emotional Abhängiger.

Ein Mensch, der sich selbst mag, der sich seiner selbst bewusst ist, der in sich selbst ruht, der keinen inneren Mangel verspürt, der emotional nicht abhängig ist, wird sich das selbst nicht antun. Er sorgt gut für sich und grenzt sich angemessen ab. Er erkennt seine Neurose und arbeitet an sich selbst um seiner ungesunden Liebesfalle zu entkommen.

Er erkennt: It takes two für Tango.
Nicht der Narziss ist der "Böse"( er hat eine Persönlichkeitsstörung, die er sich nicht ausgesucht hat), es gehören zu dieser ungesunden Kollusion immer zwei. Das einzusehen bedarf natürlich eine Menge Selbstreflexion und schonungslose Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Einfacher ist es natürlich den Anderen anzuklagen und als Täter zu verteufeln. Nur führt das keinen Schritt weiter. Das sogenannte Opfer des Narziss bleibt solange im Teufelskreis der Blindheit dem eigenen Anteil gegenüber stecken, bis es sich fragt: Was in mir lässt diesen Selbstmissbrauch zu?


6 Kommentare:

  1. Danke für diesen Beitrag.
    Mein Krieg hat 13 Jahre lang gedauert. Zuerst innerer Krieg und dann ein kurzer schmerzvoller äußerer Blitzkrieg. Nun lebe ich äußerlich im Frieden und arbeite daran in meinem inneren Krieg zwischen den Fronten zu vermitteln und alle Seiten zu Wort kommen zu lassen. Es ist oft anstrengend und ich komme nur in Mini-Schritten voran, aber alles in allem habe ich schon Meilen-Schritte hinter mich gebracht. Mein Weg ist gepflaster mit Selbstliebe und Mitgefühl für mich selbst und es geht mir dadurch schon so viel besser. Ich bin noch nicht am Ziel, aber nun fühlt sich zumindest der Weg schon mal richtig an. Der lange Kriegspfad war einfach nur destruktiv, auch wenn ich lange nicht sagen konnte, warum.

    Der Narzisst mit dem ich Krieg führte, war der Meinung, ich müsste den Frieden mit ihm aushandeln. Aber das wollte ich nicht. Und konnte ich nicht. Für mich ging nur der völlige Rückzug vom Schlachtfeld und Besinnung auf mich.

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    1. Oh Gott, was ist mit den Kindern, die in so einem Krieg aufwachsen? Ich kenne die Antwort aus eigener Erfahrung.. 😔

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    2. Oh Gott, was ist mit den Kindern, die in so einem Krieg aufwachsen? Ich kenne die Antwort aus eigener Erfahrung.. 😔

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    3. Nun habe ich gerade erst gesehen, dass jemand auf meinen Beitrag geantwortet hat.
      Ich bin extrem dankbar dafür, dass ich mit meinem Ex-Mann keine Kinder bekommen konnte. In der Situation damals war das für mich sehr belastend, weil ich unbedingt Kinder wollte. Im Nachhinein war *das* ein Segen. Noch heute wache ich manchmal morgens auf und bin einfach nur froh, dass ich so einen klaren Schlußstrich ziehen konnte und den Kontakt zu ihm völlig abbrechen konnte.
      Ich stelle es mir unglaublich schwierig und kräfteraubend vor, wenn man der Kinder wegen noch Kontakt haben muss und dieser Kampf dann auch nach der Trennung noch weitergeht.

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