Dienstag, 28. September 2010

Allein leben

Allein leben ist nichts für Feiglinge.
Diesen Satz habe ich irgendwo gelesen.
Er hat mich nicht losgelassen.
Vielleicht, weil ich allein lebe.

Ich mag den Moment in dem ich die Tür hinter mir schließe und kein Gesicht mehr auflegen muss, keine Rolle mehr spielen muss und Musik auflegen kann.
Ich mag es wenn ich am Morgen wach werde und kein fremdes Wort sich zwischen die Worte in meinem Kopf mischt und ich in Ruhe meinen Kaffee trinken kann.

Allein leben ist eine Entscheidung die Ursachen hat. Sie kommt aus den Erfahrungen, dem Erleben der Vergänglichkeit von Liebe und den Verlusten der gewesenen Jahre.
Manchmal wird die Entscheidung des Alleinlebens aus Misstrauen geboren. Auch das basiert auf Erfahrungen.

Manchmal im Allein leben kommt die Angst vor der Zukunft, vor den vielen Tagen an denen man nicht geliebt wird.

Allein leben ist nichts für Feiglinge. Es ist wahr.



Narzissmus, der Ursprung aller Kunst

Narzissmus ist der wahre Ursprung aller Kunst.

Indem das eigene Wesen und das eigene Ich geliebt werden, offenbart sich erst das Eigene im eigenen Ich. Erst dann gelangt das Ich zum Erkennen, dass es ein Teil der Schöpfung ist. Indem also das eigene Ich im kreativen Tun geliebt wird, erweist es dem Funken Gott in sich selbst Hingabe.

Da die Kunst, im Gegensatz zur Wissenschaft allein das Schöpferische auszudrücken sucht, es nicht erklären, nicht beweisen und nicht hinterfragen will, tritt es dem Göttlichen mit Zuneigung und Achtung entgegen.

Das Ich und das Ich im Schaffen sind eins und damit eins mit der Schöpfung. Wenn es das Göttliche liebt, wird es sich selbst lieben. Dann erst ist es im Stande mit dem Funken Himmel in sich selbst etwas verborgen Göttliches auszudrücken.

Von allen Schöpfern der Menschheit ist der Künstler Gott am nächsten. Denn er werkt nicht nicht nur in der Materie, sondern sucht in sich selbst und nur in sich selbst nach dem Geheimnis des Seins, ohne es lediglich nachvollziehen oder beschreiben zu wollen. In der Kunst lebt immer der Versuch den Ausdruck des Ewigen und Unendlichen im Sein bewusst zu machen, ohne dass eine Erklärung dazu notwendig wird, denn der Zugang zur Schöpfung ist nicht rational und mit Logik nicht zu erfassen.

Eine Ahnung erschließt sich über die Sinne. Mehr ist ohnehin nicht möglich.


Sonntag, 26. September 2010

Von Einer die auszog das Fürchten zu lernen

Von Einem, der auszog das Fürchten zu lernen.
Das ist ein Märchen. Vom wem es ist fällt mir gerade nicht ein. Spielt eigentlich auch keine Rolle. Eine die auszog das Fürchten zu lernen bin ich. Ja, ich bin das. Nein, nicht dass ich das vor hatte - das Fürchten zu lernen. Ich kann mich durchaus fürchten. Passiert mir allerdings selten. Angst habe ich öfter, aber Angst ist etwas völlig anderes als sich fürchten. Zum Fürchten gehört nämlich, dass da was Fürchterliches ist, so direkt vor einem. Also etwas, das einem unmittelbar situationsbedingt Furcht einflößt. Ein furchteinflößendes Ding, eine furchteinflößende Situation, ein furchteinflößender Mensch, ein furchteinflößendes Tier und so weiter, oder alles auf einmal.

Wer es genau wissen will, was Furcht von Angst unterscheidet kann ja jetzt mal googeln, damit er den Unterschied erkennt. Ich will mich grade nicht näher drüber auslassen.

Ich zog also aus via Wien, natürlich nicht um das Fürchten zu lernen, das hatte der Typ in dem Märchen, soweit ich mich erinnere, auch nicht direkt vor, war eher so eine Art Mutprobe, aber wir gesagt, ist jetzt egal.

Ich wollte mir ein paar schöne Tage machen und auch mal nachspüren, ob ich in Wien nicht vielleicht meine zweite Wohnstatt installiere. Wien ist wirklich eine inspirierenden Stadt. Sie atmet Historie und hat so was Melancholisches und das habe ich auch. Letzteres meine ich.

Ich kenne Wien auch schon ein bisschen, weil da mein Ex lebt bei dem ich zu unserer Zeit immer mal wieder einige Wochen verbracht habe. Ich fands schon damals inspirierend dieses Wien, vor allem weil es da fantastische Kunstausstellungen gibt und die Kunst, die liebe ich nun mal. "Art washes away the dust of every day life", wie Picasso so treffend erkannte. Na ja und ich hab immer ne Menge every day life dust an mir kleben, der weggewaschen werden muss. Es war also wieder mal Zeit für ein wash away.

Die ganze Zugfahrt, es sind exakt acht Stunden von Mainz nach Vienna, freu ich mich riesig auf die Kunst, aufs Wiener Schnitzel, die Mozartkugeln und die leckeren Käsewürstl am Stand vor der Albertina und die Kastaniensammlerei in den Prater Auen, vom Zentralfriedhof ganz zu schweigen.

Um halb acht hält der Zug am Wiener Westbahnhof. Ich bin ziemlich platt vom Zugfahren mangels Bewegung, die brauch ich nämlich mindestens ein Mal täglich, und setze mich gleich ins Taxi Richtung Ex, der mir freundlicherweise Unterkunft gewährt, weil er eh nicht da ist. Macht sich ein paar schöne Tage in Ibiza mit seiner Neuen und ich habe sturmfreie Bude. Denke ich mal so und freu mich weiter. Nachdem ich mir eine Pizza in den Ofen geschoben habe mache mir einen gemütlichen Abend vor seinem Riesen Flatscreen und gucke den Falco Film, der rumliegt um mich so richtig einzustimmen aufs Wiener Blut.

Der erste Tag verläuft dann auch überaus geschmeidig. Ein nettes Treffen mit einem netten Bekannten. Eine Latte im Central, ein leckeres Mittagessen in der warmen Wiener Herbstsonne und ein Aperolspritz im Museumsquartier zum Einstimmen auf das, was noch kommt.

Den Abend verbringe ich allein, weil ich zu viel Gesellschaft auf Dauer nicht aushalte und zum Schreiben kommen muss, sonst fehlt mir was. Bei Rotwein und Zigaretten tue ich das dann auch. Ich schreibe bis mir langsam die Augen zufallen und ich mich ins frisch gemachte Bett begebe. Morgen ist schließlich auch noch ein Tag. Vienna ich komme! Mit dem Gedanken an Picasso, der in der Albertina auf mich wartet, schlafe ich selig ein.

Träume ich? Klar, ich träume, was denn sonst? Oder? "Raus hier", brüllt eine schrille Frauenstimme und ich denke, is ja gut, träumst wieder mal schlecht und will mich auf die andere Seite drehen, denn das hilft in der Regel bei schlechten Träumen. "Raus hier", keift es wieder. Na, das mit dem Umdrehen funktioniert dieses Mal nicht, denke ich, und mache dann doch mal die Augen auf. Ne, das ist kein Traum, echt nicht. Da steht der Liebhaftige vor mir, allerdings in Frauengestalt. Käthe Kruse Puppengesicht nach einem siebzigjährigem Alterungsprozess, stechende graue Augen und ein weit aufgerissener Schlund, der gar nicht mehr aufhört wüste Drohungen auszustoßen.

Die kenn ich doch, denke ich, dass ist doch die Mutter vom meinem Ex, die konnte mich schon damals auf den Tod nicht leiden. Also die hat mich echt das Fürchten gelehrt. Klar, dass ich auszog.















Samstag, 25. September 2010

Was wir haben ...

Sie: Was haben wir?
Er: Einen Job.
Sie: Einen Job kann man verlieren.
Er: Ein Auto.
Sie: Das Auto kann man verlieren.
Er: Ein Zuhause.
Sie: Ein Zuhause kann man verlieren.
Er: Gesundheit.
Sie: Die Gesundheit kann man verlieren.
Er: Den Glauben?
Sie: Den Glauben kann man verlieren.
Er: Vertrauen.
Sie: Das Vertrauen kann man verlieren.
Er: Die Liebe?
Sie: Die Liebe kann man verlieren.
Er: Einen Sohn?
Sie: Den Sohn kann man verlieren.
Er: Eine Tochter, eine Mutter, einen Vater?
Sie. Kann man verlieren.
Er: Unsere Erinnerung?
Sie: Kann man verlieren.
Er: Ein Leben?
Sie: Das Leben verliert man ...





Freitag, 24. September 2010

Gedanken über die Schamlosigkeit

Woran liegt es, dass immer mehr Menschen sich schamlos benehmen, oder keine Scham mehr empfinden, sich sogar an der Beschämung und Demütigung anderer belustigen?
Haben sie sich von den Werten verabschiedet, die menschliche Kommunikation bestimmen und ausmachen sollte?

Der Schamlose hat sich von der Werten und den Idealen einer humanen Gesellschaft entfernt. Er empfindet die Diskrepanz zwischen seinem Verhalten und den eigenen inneren von Egoismus geprägten Idealen nicht mehr.

Egoismus führt zu Selbstverlust. Selbstverlust führt zu Empathieverlust.

Der Mitmensch wird nicht mehr gesehen, nur noch die eigenen Motive und Interessen sind von Bedeutung. Die Scham würde bei der Durchsetzung derselben nur hindern.

Der schamlose Mensch bezieht sich auf sich selbst.

Das auf sich selbst beziehen, verhindert in Beziehung treten. Der andere wird reduziert zum Spiegel des Egos. Der schamlose Mensch ist im Tiefsten allein.

Samstag, 18. September 2010

Mehr Bier

Samstag. Mittag. Im Zug.

Der Speisewagen des IC ist fast leer.

Trotzdem ist es laut. Eine weibliche Stimme mit schwerer Zunge, füllt die Leere .
Ich setze mich an einen kleinen Tisch in der hinteren Ecke, packe mein Notizbuch aus. Ich will schreiben. Die Stimme schreit nach mehr Bier. Der junge Kellner verrollt missbilligend die Augen, sucht Zustimmung in meine Richtung und serviert mehr Bier.

Die Frau, biertrinkend, biertrunken, formt laute Worte, die Mithörer einschließen.
Die Worte rutschen unverstanden ins Bierglas.

Die Frau ist in meinem Alter. Allein. Allein mit ihrem Bier. Mein Freund, lallt sie, der ist ein Schwein, der hat mich rausgeschmissen, einfach so. Ich fahre jetzt zu meiner Tochter. Die holt mich in Köln am Bahnhof ab. Wo soll ich denn sonst hin?
Sagen se mal, Frolein, wie kann denn der das mit mir machen?

Sie meint mich.

Ich weiß nicht was ich sagen soll.
Ich denke es ist gut, dass die Frau eine Tochter hat.
Und dann denke ich, dass es nicht gut ist für eine Tochter eine betrunken Mutter abzuholen.





Systemfehler

Irgendwie kann ich das nicht mehr hören: "Sei doch nicht so pessimistisch, denk doch mal positiv!" Besonders dieses: "Du hast so traurige Augen, an den Augen sieht man es dir an", ist mir unerträglich. Dann guck halt nicht hin, möchte ich sagen, sage es aber nicht, weil ich ein höflicher Mensch bin.

Manchmal komme ich mir vor wie ein Alien, wenn ich das alles höre, wie eine Ausserirdische, die es nach der letzten Landung ihrer Spezies auf der Erde nicht mehr geschafft hat das Raumschiff vor dem Abflug zu erreichen.

Und jetzt sitze ich da, wo ich nicht hingehöre, weil, ich bin ja pessimistisch und habe so traurige Augen. Das fühlt sich an, als sei ich krank oder nicht normal. Traurigsein ist nämlich nicht normal, hier auf der Erde, fast schon politisch nicht korrekt.

Vielleicht ist es das anderswo, aber ich habe ja den Abflug verpasst.

Ich bin hier und extra abholen werden die mich sicher nicht und dorthin bringen wo es andere gibt, die auch traurig sind und verstehen, dass es nun mal so ist und wo ich dann nicht mehr auffalle, weil die anderen eben so wie ich sind.

Was mache ich jetzt? Ich gebe mir echt Mühe, ganz sicher sogar, aber ich schaffe es nicht positiv zu sein wie die ganzen Erdenbürger, die ich so kenne. Die schaffen das. Die schaffen es sogar sich vorzumachen, dass alles gut ist, auch wenn es nicht gut ist, weil: der normale Erdenmensch hat gut drauf zu sein, sonst fällt er raus aus dem System. Systemfehler: nicht positiv drauf sein.

Was aber, wenn das gerade der Systemfehler ist? Alles gut, alles bestens - think positive und ... alles wird gut. Was, wenn das genauso unecht ist, wie all das andere künstlich Hervorgebrachte hier, wie was zu sein hat, wie man zu sein hat - alles damit es ins System passt.

Irgendwie ungesund, finde ich, noch ungesunder als traurig zu sein, wenn man es ist.
Das Ungesunde sieht man, man sieht es wirklich, wenn man genau hinguckt, in Gesichter guckt, die schief werden, wenn sie altern, auf Mundwinkel, die sich beleidigt nach unten ziehen.

Manche haben ganz stumpfe Augen. Das sieht wirklich traurig aus. Ich finde das sieht noch viel trauriger aus als meine traurigen Augen.

Pessimistisch? Hm... ich frage mich weshalb alle großen Philosophen pessimistisch waren.
Was hatten die für einen Systemfehler?





Freitag, 17. September 2010

Treffpunkt Internet

Ausser den Fotos und den Worten kenne ich nichts von ihm. Ich habe nicht einmal den Eindruck seiner Stimme. Nicht, das ich nicht versucht habe mit ihm zu telefonieren. Ich habe es versucht, mehrmals. Er sagte, er wolle das nicht. Ohne dieses Nichtwollen zu verstehen habe ich es akzeptiert.

Wir treffen uns fast täglich. Unser Treffpunkt ist das Internet. Wir verbringen Zeit miteinander. Wie in einer Tauschbörse wechseln wir unsere Gedanken und unsere Gefühle. Fremdes wird zu Vertrautem. Er sagt ich kenne dich gut. Ich sage ja und denke, kein Mensch kennt den anderen.

Wir haben viel gemeinsam, scheint es. Wir lieben was uns gleich ist. Das ist ein Satz von Rilke, den ich mag und den ich denke, manchmal, wenn ich seine Worte lese. An manchen Tagen denke ich an etwas wie lieb haben. Nicht Lieben, lieb haben. Das ist etwas anderes als Liebe.
Was die Liebe angeht, ich habe sie aus meinen Leben ausgeschlossen. Es gab sie. Sie war groß und dauerte lang und ich trage sie noch immer mit mir herum wie eine Last, die ich nicht abwerfen kann und abwerfen will. Er sagt, es gehe ihm ähnlich. Und dann denke ich wieder an den Satz von Rilke, der auch nichts ändert.

Auf eine gewissen Weise ist er ein Teil meines Lebens geworden. Ich weiß nicht, ob ich das gut finde. Wie können Fotos und Worte ein Teil meines Lebens ausmachen. Virtuelle Menschen sind flüchtiger als Menschen, denen wir ins Gesicht schauen.

Überhaupt, was machen wir da, frage ich mich. Und warum?
Vielleicht weil wir beide keinen haben, der uns beim Leben zuschaut. Das wollen wir alle, einen, der uns bei Leben zuschaut.

Ich weiß es ist ein illusionistisches Gebäude, an dem wir bauen. Es kann zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Aber andererseits, alles kann in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus.






Mittwoch, 15. September 2010

Ich dachte er ist ein Freund

Ich dachte er ist ein Freund.
Lange dachte ich das.
Wir haben vieles geteilt
gute und schlechte Tage
gute und schlechte Dinge
die da waren
in seinem und in meinem Leben.

Wir haben viel Zeit miteinander verbracht.
An Weihnachten aßen wir Gans und Rotkohl und lagen uns in den Armen, weil da niemand anderer war, um den wir die Arme hätten legen können.
Im Sommer saßen wir am Wasser und beobachteten die glänzenden Sterne, die die Sonne auf der blanken Fläche malte.
Am Abend haben wir Wein getrunken und über das Leben geredet, über das Banale und über das was kompliziert ist.
Wir hatten nie Geld, wichtig war, dass wir taten, was wir liebten.

Und dann kam plötzlich das Geld zu ihm und alles war anders.
Das Geld wurde immer wichtiger.
Seine Zeit wurde immer weniger und weniger wichtig.
Unsere Zeit, unwichtig.
Unsere Freundschaft wurde klein und kleiner.
Am Ende gab es sie nicht mehr.

Ich dachte er ist ein Freund.

Tränen

Tränen,
reinigen die Seele
sagen manche
Tränen
sind ein gutes Mittel um den Spiegel der Hirnsubstanzen, die Kummer auslösen, zu senken,
behauptet die Hirnforschung
Tränen weinen, sich tüchtig ausweinen
und alles ist wieder gut ...
sagte der, den ich liebe.

Er ist fort und mit ihm die Tränen.

Sonntag, 12. September 2010

Über die Sehnsucht

Sehnsucht
Balanceakt zwischen dem Jetzt und dem Noch-Nicht
Verwundbar unter den Blicken derer, die dem nicht Definierbaren ausweichen
Suspekt

Sehnsucht
Feuer im eigenen Inneren
Begehren nach dem Absoluten
Wunsch anzukommen
Sehnsucht
Anstoß zur Veränderung
Antrieb
so wie es ist kann es nicht bleiben
Resonanzboden der Sehnsucht des Göttlichen nach Befreiung

Was Du suchst, ist das, was sucht. (Franz von Assisi)

Einfach.
Einfach hören, sehen und handeln von dem Punkt aus, wo wir in uns selbst ruhen.


Leben in der Sehnsucht
sucht Identität ...


Was Du suchst, ist das, was sucht ... über die Grenzen des Ich hinaus.


Dienstag, 7. September 2010

Ein Ehrenmal für einen Aggressor

So jetzt sehen es endlich alle.
Herr Brunner wird posthum zum Helden gemacht.
Überlebensgroß steht der eiskalt glänzende Bronzemann vor einem kleinen Männchen.
Der große Beschützer, Denkmal der Selbstjustiz.

Die Menschen brauchen Helden.
Sie lieben diese Stellvertreter des eigenen Mangels an Rückgrat.
Der Rache des Volkes ist genüge getan, übergroß, über die Maßen.
Die Richter haben zwei junge Menschen als Mörder verurteilt, wohl wissend, dass es kein Mord wahr.
Gesetze sind auslegbar.
Die Richter haben zwei Leben zerstört. Mit ihnen zwei Familien.
Die Angeklagten müssen büßen, über die Maßen.
Übergroße Sühne ... auch dafür steht das Denkmal.

Da hat ein Großer zugeschlagen, draufgehauen.
Ihm wird Notwehr bekundet.
Die Buben haben zurückgeschlagen.
Ihnen wird Vorsatz zur Last gelegt.
Die Eltern Brunners sagen, der Sühne ist genüge getan.
Auge um Auge. Zahn um Zahn.

Tut das wirklich gut, löscht Sühne Leid?

Leiden werden zwei Jugendliche, die nicht töten wollten.
Opfer einer kaputten Jugend, die keine Aussicht auf Leben hat.
Nicht mehr.
Zehn Jahre weggesperrt.
Was ist danach?

Das Übergroße, das Übermaß, das Unverhältnismäßige dieser Geschichte spiegelt sich im Denkmal.
Kunst ist interpretierbar, abhängig vom Auge des Betrachters.
Ich betrachte.
Meine Augen sehen einen furchteinflößenden Roboter, der sich vor das Leben einen kleinen Menschen stellt um ihm den Weg in eine Zukunft zu versperren.

Meine Augen sehen die Schuld Brunners, des Aggressors, des Mannes der zuerst zugeschlagen hat. Übergroß.










Sonntag, 5. September 2010

Vollbremsung

Alle wollen mehr, immerzu.
Haben, haben, haben schreit die Welt wie ein unzufriedenes Kind.
Das Mitmischen im schnelllebigen Oberflächengesellschaftsrausch führt irgendwann in den Crash.
Überhöhte Geschwindigkeit ist lebensgefährlich.
Die rastlose Epoche der Menschheitsgeschichte fordert ihren Tribut vom Einzelnen.

Ich habe die Bremse gezogen. Tut gut, dann und wann eine Vollbremsung einzusetzen.
Rückzug ohne die Nuance der Feigheit vor dem Weitermachen.
Innehalten, langsam machen, beginnen das zu tun, was längst überfällig war, mich um mich selbst kümmern, sortieren und aussortieren, was wichtig ist und was nicht.
Das Wesentliche bleibt.
Was nicht zu uns gehört, fällt ab.
Weniger wollen schafft Raum für Persönliches.

Ich habe mich verabschiedet, erst mal. Rückzug ins private Atelier.
Parallelprozesse finden statt.
Raum für Erfindung öffnet sich.
Raum, frei vom Zwang der Zeit.
Zeit ist relativ.
Das "Noch nicht" gibt die Richtung vor in der Sphäre des Möglichen.
Das rechte Handeln zur rechten Zeit geschieht aus der Reife.
Es ist existentiell den inneren Zusammenhang zu erkennen.

In der Ruhe leuchtet die eigentliche Wirklichkeit auf.
Meine Wirklichkeit.
Hier wird der Augenblick geboren in dem ich die Maske ablege.
Frei von den Ablenkungen des Außen löst sich das Überflüssige ab.
Frei von Haben und Wollen entwickelt sich Selbstgestaltung.







Samstag, 4. September 2010

Schattenkünstler

In einer Welt von "es könnte sein und ich würde so gern", gefangen zwischen ihrem Traum vom Künstlersein, der Angst vor dem nicht gut genug sein und dem Versagen, leben die Schattenkünstler.

Schattenkünstler sind begabte Menschen, sensible, kreative Naturen mit Gaben, die gelebt werden wollen. Voller schöpferischer Energie, die brach liegt, die verpufft, aus dem Mangel am Glauben an die eigenen Potentiale. Meist wurde sie irgendwann, von irgendwem zunichte gemacht.

Ich denke dabei an Lisa, die jahrelang keinen Pinsel, keinen Zeichenstift in die Hand nahm, weil ein Lehrer ihre Arbeiten als Schrott bezeichnete. Sie hat diesem Lehrer geglaubt, mehr als sich selbst. Sie hat seinem Urteil vertraut, mehr als ihrem inneren Wissen, mehr als ihrem Antrieb malen zu müssen. Er liegt brach und ihre Seele hungert. In dem Glauben erwachsen geworden, dass sie keine Künstlerin ist, hat sie ihre Gabe verschenkt und damit ihr Lebensglück.

"Kunst, davon kann man keine Miete zahlen." Wie oft höre ich das. "Künstler sind brotlos, verrückt, schwierig." Auch das höre ich. Der Mythos vom Künstler ist in unserer Gesellschaft mit Negativem besetzt, es sei denn der Künstler ist erfolgreich. Nur selten erlauben Eltern angesichts des Mythos vom hungernden Künstler ihren Kindern eine Ausbildung als Künstler anzustreben. Sie meinen es wohl gut, wollen ihr Kind bewahren vor dem Scheitern.

Seine Kreativität nicht ausleben zu dürfen, es sich selbst verbieten, das zu tun, was man tun muss, führt zu einem noch tieferen Scheitern, als jenes, dass unsere Gesellschaft für ein Scheitern hält. Innerlich scheitern ist das wahre Drama. Die eigene Kreativität unterdrücken heißt die eigene Schöpferkraft unterdrücken. Es hinterlässt eine gähnende Leere, die durch nichts zu füllen ist.

Solche Menschen, die eigentlich Künstler sind, jedoch ihre wahre Identität verleugnen, sieht man sehr oft im Schatten von anderen Künstlern.

Diese anderen Künstler sind wie ein Spiegel, der dazu dient ihre Unfähigkeit zu erkennen, der ihnen zeigen soll, dass sie vielleicht selbst die Kreativität besitzen, die sie so bewundern. Schattenkünstler treffen oder gehen Beziehungen ein mit Menschen, die ihre künstlerische Karriere aktiv verfolgen, nach der sie sich selbst sehnen. Da ist dann der Andere, der ihren Traum stellvertretend für sie auslebt.

Schattenkünstler wählen oft Schattenkarrieren, die dem begehrten Künstlerleben nahe sind. Sie texten für andere, anstatt selbst zu schreiben, sie managen andere, anstatt sich selbst zu managen, sie sprechen für andere, anstatt für sich selbst zu sprechen. Sie vertreten andere, anstatt für sich selbst und ihre Gaben einzutreten.

Da ist dieser Traum, dieses Verlangen, dieses Gefühl und gleichzeitig dieses Unvermögen ihre wahre Rolle anzunehmen. Diese Rolle leben bedeutet: raus aus dem Schatten und hinein ins Licht der eigenen Begabung. Insgeheim verurteilen sich sich selbst, dass sie ihre Träume nicht leben.

All diese Schattenkünstler haben eins gemeinsam - eine tiefe Sehnsucht und ein Leben, das ein unbefriedigendes Ereignis ist, begleitet von dem Gefühl von verfehltem Sinn und unerfüllter Hoffnung.

Es gibt nur einen Weg aus dem Schattenkünstler einen Künstler werden zu lassen: er muss die Angst verlieren, unrecht zu haben.




Freitag, 3. September 2010

Lächeln

Sie sitzen am Tisch neben mir. Beide im mittleren Alter. Die Frau, Abwesenheit im Gesicht, ab und zu einen Schluck Kaffee in den Mund fließen lassend, ohne Gesten die Bedeutungen haben. Ein abgebrochenes Lächeln findet mich, als sie meine Blicke bemerkt. Ein Lächeln, das älter ist als sie selbst.
Er liest eine Zeitung. Die Zigarre in der rechten Hand stinkt nach noch älter werden.
Zusammen strömen sie Verlassenheit aus wie eine Ruine.
Sie treiben voran, aneinander vorbei.
Ob sie wissen warum sie einsam sitzen, einsam trinken, einsam lesen.
Menschen verlieben sich ineinander, heiraten einander um Liebe festzuschreiben.
Zuerst bedeckt sie die Gewohnheit, dann die Taubheit der Routine, dann die Rüstung der Enttäuschung. Der Rauch der Zigarre bläst Ungesundes in die Luft.
Ich lächle im Fortgehen.