Montag, 31. Oktober 2022

Smile

 



Gestern habe ich mich nach längerer Zeit wieder einmal unter Menschen begeben. 
In meiner Stadt hatten an diesem Sonntag Künstlerateliers ihre Türen offen. Weil ich Kunst liebe und dachte, ein bisschen Inspiration und Komunikation können nicht schaden, habe ich mich auf den Weg gemacht. 
Bei der ersten Station begegnet mir ein lieber Bekannter. Er grüßt mich herzlich. Wir kommen ins Gespräch. "Ach, schön, dich lachen zu sehen", meint er plötzlich. 
"Aha, wieso?", frage ich ihn. "Weil deine facebook posts immer so nachdenklich sind", antwortet er.
Darüber denke ich nach.
Ja, ich bin ein nachdenklicher Mensch. Ich denke nach über das, was ich erfahre und erlebe, über das, was ich lese und lerne, über die Menschen, das Leben und den Tod, über die Liebe und all die anderen Dinge, die ein Leben ausmachen. Ich denke vor und ich denke zurück. Ich denke gern. Ich liebe es zu denken. Und ich liebe Menschen, die es lieben zu denken. Ich mache mir meine Gedanken und ich schreibe sie auf. Ich spüre den Dingen nach und ich spüre viel. Und weil ich so viel spüre, denke ich viel. Das Gespürte sortiere ich so für mich und indem ich es aufschreibe. Und manchmal denke ich auch nichts, dann wenn ich still da sitze und meditiere. Dann beobachte ich meinen Atem und lasse die Gedanken vorüberziehen ohne über sie nachzudenken.
Und ja, ich kann trotzdem lachen. Und ich kann lächeln.
Wie heißt es so tröstlich in dem Lied von Charles Chaplin: Smile though your heart is aching.

Sonntag, 30. Oktober 2022

JA

 

 


 

Ja, es ist gerade nicht gut.

Ja, es ist schwierig.

Ja, ich akzeptiere es ist schwierig.

Ja, ich habe keine Ahnung wie es weiter geht.

Ja, ich habe noch keine Lösung.

 

Ich versuche Abstand zu gewinnen.

Ich suche mir Dinge, die mir gut tun, ich tue Dinge, die mir gut tun, 

auch wenn es mir gerade nicht gut geht.


Samstag, 29. Oktober 2022

Aus der Praxis: Einsamkeit ... E A S E ist nicht easy, aber es ist einen Versuch wert.

 

                                                            Foto: www

Die Annahme, dass nur einsam ist, wer allein ist, ist ein Trugschluss. Wer allein ist, muss nicht zwingend einsam sein. Und wer unter Menschen ist, kann sich trotzdem einsam fühlen. Beziehungen und Freundschaften schützen nicht automatisch vor Einsamkeit. „Einsamkeit kommt nicht davon, keine Menschen um sich herum zu haben, sondern davon, unfähig zu sein, die Dinge zu äußern, die einem wichtig sind oder seine eigenen Standpunkte zu vertreten, die andere als unzulässig finden“, schreibt Carl Gustav Jung. 
 
In der Psychologie unterscheidet man zwei Grundformen der Einsamkeit.
Die „Emotionale Einsamkeit“: Betroffene haben zwar soziale Kontakte, fühlen sich aber mit ihren Mitmenschen nicht verbunden oder verstanden und fühlen sich dadurch einsam. Ein emotional einsamer Mensch kann selbst einem Menschen, den er liebt, nicht nah sein. Der Fokus liegt hier auf dem subjektiven Gefühl.
 
Die „Soziale Einsamkeit“: Betroffene haben keine Freunde, kaum oder keine sozialen Kontakte und keinen Anschluss an die Gesellschaft. Soziale Einsamkeit ist das schmerzliche Gefühl, nicht dazu zu gehören, als stünde man hinter einer gläsernen Wand, die von allem trennt. Bei dieser Form der Einsamkeit ist man aufgrund des Alleinseins einsam.
 
Alleinsein kann angenehm sein, wir können es sogar bewusst wählen. Im Alleinsein tanken wir Kraft und finden im besten Falle zu uns selbst. Im Alleinsein entsteht alles Schöpferische.  
Schopenhauer, der sein Leben als Einzelgänger verbrachte, war der Meinung, dass nur geistreiche Menschen das Alleinsein genießen können. Die großen Philosophen Nietzsche und Kierkegaard verlegten sich auf das Alleinsein, Emily Dickinson und Hermann Hesse, Van Gogh und Leonardo da Vinci ebenfalls. Letzterer war sogar davon überzeugt, dass man nur sich ganz gehöre, wenn man allein ist.
 
Wenn das Alleinsein jedoch quält, dann wird es zu Einsamkeit. Wer sich Einsamkeit nicht selbst aussucht, leidet darunter.
Für den Psychologen John Cacioppo von der University of Chicago ist das Gefühl von Einsamkeit ein Schmerz, den wir ernst nehmen sollten, denn er ist ein Warnsignal der Psyche. Dieser Schmerz erinnert uns daran, dass wir soziale Wesen sind, die Kontakt zu anderen Menschen brauchen. 
 
Wer in der Einsamkeit gefangen ist, kommt nur schwer wieder heraus. Einsamkeit führt dazu eine starke Selbstbezogenheit zu entwickeln. Wir beginnen uns um uns selbst zu drehen und bleiben im eigenen Universum hängen.  
Das führt, je länger der Zustand andauert, zur Entfremdung von Welt und hält andere Menschen auf Abstand. Wen seine Einsamkeit schmerzt und wer sich in seiner Einsamkeit nicht verlieren will, muss sich an die Verbindung mit der Welt und anderen Menschen erinnern, heißt: sich immer wieder zu sozialen Kontakten zwingen, auch wenn es Überwindung kostet. 
 
Man kann sich nur selbst helfen, die Einsamkeit hinter sich zu lassen, kein anderer kann das für uns tun.
Um der Einsamkeit zu entrinnen entwicklete Cacioppo vier Schritte.
Er bezeichnet diese mit dem englischen Verb „ease“, was so viel bedeutet wie „lindern“.
Das sind die Schritte:
 
Schritt 1: E = Erweitern des Aktionsradius.
Wer sich einsam fühlt, läuft Gefahr, sich passiv zu verhalten. Deshalb ist es wichtig, aus eigenem Antrieb immer wieder nach Begegnungen zu suchen, so klein sie auch sein mögen, z.B. ein Wortwechsel mit der Bäckereiverkäuferin. Der Besuch von Veranstaltungen, Gruppenführungen im Museum, ein Kurs in der VHS – all das sind Möglichkeiten den Aktionsradius nach und nach zu erweitern.
 
Schritt 2: A = Aktionsplan.
Mut fassen, einen Plan machen. Raus gehen, sich in eine Gemeinschaft einbringen, Aktionen in der Nachbarschaft besuchen, in eine Theatergruppe, einen Chor gehen oder ein Freiwilligenamt übernehmen.
 
Schritt 3: S = Selektieren.
Einsamkeit schärft die Wahrnehmung für Signale der Mitmenschen. Doch um ihre Worte oder Gesten richtig zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren, ist es wichtig zu erkennen, welche Beziehung bereichernd und inspirierend ist und welche bestenfalls als Zerstreuung und Ablenkung dient. Man sollte darauf achten, dass man nicht immer nur als Zuhörer für Monologe benutzt wird, sondern dass ein Dialog entsteht. Reines Zuhören verstärkt das Gefühl von Einsamkeit, denn so entsteht keine Verbundenheit. Einsame Menschen sollten sich genau überlegen, mit welchen Menschen sie Umgang haben möchten – und sich dann darum bemühen und diese Kontakte pflegen.
 
Schritt 4: E = Erwartung des Besten
„Erwarte das Beste!“ Das ist ein Appell an einsame Menschen, Misstrauen fallen zu lassen. Je freundlicher man selbst auf andere zugeht, je offener man ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, in Kontakt zu kommen und ähnliche Reaktionen zu wecken. Dabei ist es wichtig möglichst wenig vom Gegenüber zu erwarten – vor allem aber Gutes.
Das ist gar nicht so leicht, denn wer viele ungute Erfahrungen gesammelt hat, hat hier ein Problem. Es macht allein durch den Willen zum Mut nicht einfach „Klick“ und das Misstrauen verschwindet. Ungute Erfahrungen und Enttäuschungen dürfen verarbeitet werden um wieder Vertrauen und die Zuversicht zu erlangen, dass das was war, nicht immer so sein muss.
 
E A S E ist nicht easy, aber es ist einen Versuch wert, wenn die Einsamkeit unaushaltbar geworden ist.

Freitag, 28. Oktober 2022

Stimmt nicht! Stimmt!

 


 
Alles Gelesene, von anderen über eine Sache verfasste, mit der man selbst sich befasst, beeinflusst unsere Sicht der Dinge. Alles Gelernte, alles Erfahrene, jede Begegnung, beeinflusst unser In- der- Welt sein. Unsere Erfahrungen und Wahrnehmungen bilden die Summe unserer Wirklichkeit und unserer Wahrheiten über diese Wirklichkeit.
Carl Gustaf Jung sagte einmal: „Es hängt alles davon ab, wie wir die Dinge sehen und nicht wie sie sind.“
Folge ich diesem Gedanken so sind wir alle Illusionen verfallen, denn es gibt keine allgemeingültige Wahrheit.
Was für den einen stimmt ist für den anderen nicht stimmig.
Was für den einen wahr ist ist für den anderen unwahr.
Es gibt Fragen und es gibt die Suche nach Antworten, die wir, finden wir sie und entsprechen sie unserer Wahrnehmung, dann für wahr halten. Und in jeder wahren Antwort liegt immer auch die Möglichkeit einer anderen Wahrheit – so liegt in jeder Frage und in jeder Antwort auch immer der Zweifel.
 
Was ist Wahrheit?
Ein Ausschnitt von Welt, der niemals eindeutig ist.
Und dennoch klammern sich Menschen an ihre Wahrheiten.
Sie verteidigen sie, wenn sie sie angegriffen fühlen. Sie sagen: Stimmt nicht!, ohne absolute Beweise zu haben. Weil es für sie stimmt, muss es wahr sein. Und sie erwarten, dass man die Wahrheit selbstverständlich so sehen muss, wie sie ist, heißt: wie sie sie sehen.
Die Wahrheit: „Grundsätzlich handelt es sich um die Überzeugung, dass es nur eine richtige Auffassung gibt: die eigene.“, schreibt Paul Watzlawik.
Menschen beziehen sich auf Wissen, das sie kennen. Aber Wissen ist immer nur Teil des Ganzen, das wir nicht kennen. Denn niemand kennt das Ganze. Niemand erfasst die Komplexität des großen Ganzen. Niemand kennt die allgemeingültige Wahrheit.
 
Ich, du, er, sie, es spekulieren. Wir erschaffen und folgen Konstruktionen von Wahrheit und Wirklichkeit. Ziehen daraus Substrate, die immer subjektiv sind. Auch wenn sich viele darin wiederfinden, es gibt sie nicht die objektive, absolute Wahrheit, egal wie groß die Anzahl ihre Vertreter ist. Wie man an die Wirklichkeit herangeht, ist für das ausschlaggebend, was man an Wahrheiten finden kann. Wir gestalten Wahrheit, wie wir Wirklichkeit gestalten.
Vielerlei Wirklichkeiten. Vielerlei Wahrheiten.

Montag, 24. Oktober 2022

Über das Alleinsein und das Eins am Sein

 

                                                        Malerei: Vilhelm Hammershøi

 
„Nur wenn ich mit Menschen zusammen bin, fühle ich mich glücklich. Wenn ich alleine bin, fühle ich mich einsam und unglücklich. Ich habe das Gefühl, ich löse mich auf. Wenn ich alleine bin fühle ich mich falsch, ich schäme mich sogar dafür, dass ich alleine bin. Und dann sitze ich in meinem Zimmer und bin gelähmt vor Angst."
So schildert mein Klient sein Alleinsein. Alleinsein verbindet er mit einsam sein. Ich kenne das Alleinsein gut. Ich bin viel allein, mein Leben lang schon. Ich lebe allein, auch wenn ich eine Beziehung habe, weil ich viel Zeit und Raum für mich brauche und all die Dinge, die ich liebe und die ich nur im Alleinsein tun kann. Ich kenne auch das Gefühl von einsam sein. Deshalb kann ich nachfühlen, was mein Klient empfindet. 
 
Alleinsein und einsam sein sind existentielle Erfahrungen Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen.  
Irgendwann sind die meisten Menschen allein, für eine Weile, manche sind es schon lange und manche werden es bleiben, freiwillig oder unfreiwillig. Wir suchen uns das nicht immer selbst aus. Alleinsein geschieht, einsam sein geschieht.
In unserem Alleinsein ist niemand da.
Niemand, mit dem wir uns austauschen können, niemand, der uns in den Arm nimmt, niemand, der uns eine Suppe kocht, wenn wir krank sind. Wir sind auf uns selbst reduziert. Allein im Zimmer ohne Anknüpfungspunkte, allein mit unseren Gedanken und uns selbst.
Und wir sind allein mit den Überzeugungen über das Alleinsein, die man uns beigebracht hat. Das sind viele und jeder hat seine eigenen. An dieser Stelle könnt ihr, wenn Ihr mögt, darüber nachdenken, welche die Euren sind.
Mir hat man beigebracht, wer allein ist, ist nicht liebenswert, zu kompliziert, zu anstrengend. Keiner will etwas von ihm wissen. Das habe ich lange geglaubt. Ich glaube es manchmal noch heute, wenn die Einsamkeit sich ins leere Zimmer schleicht, obwohl mir das Leben zeigte und zeigt: Das ist nicht wahr. Die Kinderseele glaubt es nicht immer und ich muss sie dann besänftigen, wenn die alte Scham und die Traurigkeit sie erfasst.
 
Warum haben so viele Menschen Angst wenn sie alleine sind?
So wie mein Klient, der mit seiner Angst vor dem Alleinsein zu mir kommt. Es ist eine alte Angst. Sie ist so alt wie die Menschheit. Früher konnte der Mensch allein nicht lange überleben. War er ohne seine Sippe, war er nicht überlebensfähig. Wobei, ich bin mir sicher, auch damals schon gab es Ausnahmen. Es ist auch eine Angst, wie wir irgendwann erlebt haben, als Kind, in Momenten, wo wir verlassen wurden, als wir Menschen brauchten. In Momenten wo wir nicht gesehen, nicht gefühlt, nicht angenommen, nicht gehalten, nicht geliebt wurden. In Momenten, wo wir traumatisiert wurden. Diese alte Angst ist mächtig, so mächtig, dass es ein Leben lang dauern kann, um angemessen mit ihr umzugehen.
 
Allein zu sein ist, wenn wir es nicht bewerten, einfach ein Zustand. Und es ist eine Erfahrung. Alleinsein ist für mich eine Form von Freiheit. Die Freiheit tun und lassen zu können, was ich will. Keiner, der etwas von mir will, nichts, was ich tun muss um anerkannt, gesehen, geliebt zu werden. Nichts und niemand, der meine Kreise stört. Ruhe und Stille. Und das Beste: Ich kann fühlen was ich will. Dieses Fühlen ist es, was viele Menschen im Alleinsein nicht aushalten. Sie halten sich selbst nicht aus. „Nur wenn ich mit Menschen zusammen bin, fühle ich mich glücklich“, sagt mein Klient.
„Das ist eine Illusion“, sage ich. Das ist dein Verstand, der dir das sagt. Das ist etwas, was man in dein Hirn gepflanzt hat, irgendwann vor langer Zeit. Etwas, was du gelernt und verinnerlicht hast, als Wahrheit.
Aber ist das wirklich wahr? Fühlst du dich wirklich glücklich, nur wenn du mit Menschen zusammen bist?
Und welcher Teil von dir fühlt sich dann glücklich?
Der, der gesehen werden muss um zu sein?“
Ich weiß, das klingt provokativ. Aber ist es nicht so? Fühlen wir uns nicht dann einsam, wenn wir das Gefühl haben, nicht gesehen zu werden? Denn im Nicht gesehen sein fühlen wir uns nicht verbunden – mit anderen. Aber ist es nichts so, dass wir das nur fühlen, weil wir nicht mit uns selbst verbunden sind?
Und ist es nicht so, dass wir, wenn uns niemand sieht, wir uns selbst nicht sehen? Wirklich sehen, als der, der wir sind? Ein wundervolles, einzigartiges fühlendes Wesen, das aus sich selbst heraus einfach ist? Auch und gerade wenn es allein ist mit sich selbst?
Und dann kommt die Angst vor diesem Selbst, das wir nicht kennen, weil es sich Tag für Tag, von Kindheit an anstrengen muss um dazu zugehören, sich verbiegt, eine Rolle spielt, etwas vorgibt zu sein um all das zu bekommen, was es sich selbst nicht geben kann, weil man ihm niemals beigebracht hat, es sich selbst zu geben, sich selbst zu vertrauen, sich selbst zu wertschätzen und zu lieben. Nur der hat das Gefühl orientierungs-und haltlos in der Welt zu sein, der nicht weiß, was er sucht, noch, wo er es finden kann und meint, es zu finden – im Außen, im Anderen. 
 
Ja, das Ich braucht das Du, aber es braucht auch sich selbst. 
Und zwar sein wahres Selbst, nicht das Falsche, mit dem es unterwegs ist und das es in unendlich viele Fallen tappen lässt, eben weil es kein richtiges Leben im Falschen gibt.
Wer zu sich selbst gefunden hat, hat keine Angst mehr vorm Alleinsein. Er fürchtet sich nicht vor der Einsamkeit. Er weiß, beides gehört zu seinem Menschsein und er weiß, dass sie ihm nichts Böses wollen. Vielmehr sind sie der Raum in dem er etwas Wundervolles findet: Die Entspannung in das hinein, was er selbst in seiner Essenz ist.

Sonntag, 23. Oktober 2022

Manchmal schaffen wie es nicht alleine

 

                                                                    Foto: www

 
Manchmal haben wir tiefe Zweifel, wenn wir an die Zukunft denken. Manchmal glauben wir, dass sich die Dinge in unserem Leben nicht entwickeln, manchmal haben wir das Gefühl, dass alles stagniert oder gar den Gedanken: Das war´s jetzt.
Wir verlieren die Zuversicht, dass sich die Dinge jemals wieder gut für uns entwickeln und die Hoffnung ist nur noch ein blasser Schimmer am Ende eines dunklen Tunnels.
Wir wissen nicht mehr weiter.
Wir glauben alles ist verloren Wir glauben wir sind verloren. Wir fühlen uns verloren. Ohne Halt, ohne Liebe, ohne Verbundenheit, kraftlos und müde. Wir haben Angst, dass das nie mehr anders wird.
 
Aber so ist es nicht. Auch wenn es sich so anfühlt und wir für eine Weile orientierungslos herumirren. So ist es nicht. Solange wir leben, solange wir gesund sind, solange wir bereit sind zu handeln, solange wir uns bewegen, zeigen sich neue Möglichkeiten. Indem wir uns innerlich öffnen und nicht im Tunnel unserer dunklen Gedanken stecken bleiben öffnet sich unser Blick auf das, was das Leben alles in sich birgt. Aber auch das gelingt uns nicht mehr so recht, denn was wir sehen, erscheint uns nicht attraktiv genug um es zu erleben oder die Angst wieder zu scheitern oder wieder verletzt zu werden, baut sich auf wie ein Schwellenhüter und wir verharren in der Stagnation.
Dann haben wir ein Problem. 
 
Wie können wir damit umgehen?
Wir können die Stagnation akzeptieren. Radikal akzeptieren.
Neulich sagte ein Freund zu mir, dem es gerade nicht gut geht: „Es kommen wieder bessere Zeiten, ich weiß es. Jetzt geht es ums Aushalten, da durchgehen. Der Winter kommt bald, einsam und kalt wird es, darauf stelle ich mich ein, es wird noch schlimmer. Aber f.... dich Leben. Na und? Es wird auch wieder Frühling und zwar noch so oft, wie ich da bin. Also, f.... dich, scheiss Zeit!“
Wow, dachte ich. Was für ein kraftvolles „Ja“ zu dem was ist, und in der Akzeptanz liegen Zuversicht und die Bereitschaft aushalten. Aushalten im Wissen, dass das Leben zyklisch ist, dass nichts bleibt wie es ist, dass sich alles verändert, dass alles vorüber geht, auch die schweren Zeiten. 
 
Aber was, wenn wir nicht akzeptieren können, was ist?
Was, wenn wir denken: Schlimmer geht immer! Was, wenn der Schmerz so groß ist, wenn der innere Widerstand so groß ist, dass wir nicht fähig sind zu akzeptieren was ist?
Was, wenn wir im tiefen Seelenwinter erfrieren, wenn wir den Frühling nicht sehen können oder nicht daran glauben können, dass er auch für uns wieder kommt, mit besseren Tagen?
Dann wird unser Schmerz zu Leiden.
Dann empfinden wir jeden Tag wie eine schwere Last, die uns immer weiter nach Unten drückt und am Ende landen wir in einer Depression oder in tiefer Verzweiflung.
Das sollten wir nicht zulassen. Dann sollten wir uns Hilfe suchen.
Manchmal schaffen wir es nicht alleine. Auch wenn wir es bis zu diesem Punkt unseres Weges immer alleine geschafft haben. Auch diese Erfahrung dürfen wir machen. 
Wir dürfen sagen: Ich muss reden. Ich brauche jetzt Hilfe. Ich schaff das nicht mehr! Bevor aus dem „nicht mehr schaffen“ ein Aufgeben wird. 
 
 

Sonntag, 16. Oktober 2022

Lebenskunst in Zeiten der Katastrophe

 



Heute Morgen lese ich im Feuilleton der Süddeutschen einen Artikel über Albert Camus in dem sich der Autor fragt: Was hat der große Philosoph uns heute noch zu sagen? Und auch gleich die Antwort gibt: Viel, sehr viel.
Was denn das genau sein soll, erschließt sich mir aus dem Artikel nicht wirklich, aber es gibt diesen einen Satz von Camus, der zitiert wird, den ich absolut bejahen kann: „Man muss sich selbst eine Lebenskunst in Zeiten der Katastrophe schmieden, um den Todestrieb der Geschichte zu bekämpfen."
Lebenskunst, Lebenskünstler, das sind große Worte. Worte, die jeder von uns mit etwas anderem füllt. Für mich ist das Leben selbst eine Kunst, die Herausforderndste aller Künste.
Wir alle sind Lebenskünstler. Jeder von uns sucht und geht mit seinen Werkzeugen, seinen Fähigkeiten, Potenzialen und Gaben, seinen Traumata, Verletzungen und Wunden seinen ureigenen Weg - das ist LebensKunst. 
 
Die Kunst zu Leben gleicht dem, was der Künstler macht: Er ist schöpferisch, er bringt Inneres ins Außen, er kreiert etwas aus sich selbst heraus, ein Bild, eine Skulptur, ein Buch, ein Musikstück - er schafft ein Werk – so wie das Leben jedes Einzelnen von uns das Werk ist, das wir schaffen, aus uns selbst heraus, mit unseren Gedanken, Gefühlen und Taten ... und immer spielt auch der Zufall mit, wie in der Kunst.
Und immer spielen im Leben auch äußere Umstände mit, Verstrickungen, Schicksalsschläge, die Zeit, die sich ändert, die Menschen ändert und Lebensweisen, die verändert werden müssen um weiter machen zu können, wenn es so wie es war, nicht mehr weiter geht. Das erleben wir jetzt. 
 
Was ist dann Lebenskunst in Zeiten der Katastrophe?
Für mich gehrt Flexibilität dazu. Die Fähigkeit mich den Umständen anzupassen.
Die Fähigkeit loszulassen vom Bedürfnis nach Kontrolle.
Radikale Akzeptanz der Dinge, die wir nicht beienflussen und nicht ändern können.
Loslassen vom Gedanken, wie es zu sein hat und angemessen reagieren auf das, was ist. Das Beste daraus machen.
Lösungen suchen, die anders sind, als die alten Lösungsversuche, die nicht mehr greifen, weil das Alte sich verabschiedet hat.
Das was möglich tun, aktiv im eigenen Einfluss- und Gestaltungsbereich. Und egal was draußen tobt und droht: Ruhe bewahren, so gut es geht. Die kann ich selbst herstellen.
Ruhe bewahren ist essentiell wichtig in unruhigen Zeiten, denn nur aus der Ruhe heraus, finden wir zu Klarheit und sind weiter handlungsfähig. Schauen: Wo ist in all dem Chaos meine Insel? Und mir diese Insel schaffen. So klein sie auch sein mag. Einen Ort schaffen, an dem mitten im Sturm Ruhe zu finden ist. Ein kleines Universum gestalten, wie immer es auch aussehen mag, ruhig muss es sein, Raum geben für das, was ich liebe und was mich von Innen hält, aus diesem Gefühl von Liebe heraus. Und es tun, jeden Tag.
Und was, wenn die Katastrophe in diesen ruhigen Raum einbricht?
Wenn die große Katastrophe uns trifft, uns alle?
Dann ist das so.
Aber noch können wir „selbst eine Lebenskunst in Zeiten der Katastrophe schmieden, um den Todestrieb der Geschichte zu bekämpfen.“ Jeden Tag an dem wir lebendig sind, dem Todestrieb das Leben entgegensetzen.
Möge es uns gelingen.

Freitag, 14. Oktober 2022

Gewöhnung

 



 

Er trank. Irgendwann hatte er sich auf das Trinken verlegt.

Trinken, vergessen, betäuben, was weh tat.

Abend für Abend saß er da vor seiner Flasche. Mal war es roter, mal weißer Wein.

Der Rote floss schneller ins Blut, machte schneller betrunken, zog ihn schneller ins Trübe. Dann lallte er, wenn er zu ihr hin redete.

Sie hasste sein Lallen. Es schob ihn weg von ihr.

Weg gehen, dachte sie dann jedes Mal. Ich muss weg gehen.

Sie blieb. Mochte ihn nicht, mochte sich selbst noch weniger, weil sie blieb.

Sie wusste nicht einmal mehr warum sie blieb. Bleiben war eine Gewohnheit geworden wie sein Trinken.

Manchmal trank sie mit. Es schob sie nicht zu ihm hin, nur weiter von sich selbst weg.

Am Morgen war im schlecht.

Sie sah ihn an und dachte, gut so, selbst schuld. Das schob sie noch weiter von ihm weg. Nur nicht zu sich selbst hin. Da hin musste sie, zu sich selbst, zu der, die sie war, ohne ihn und sein Trinken. Ohne ihn sein war schwer vorstellbar, sie war so an ihn gewöhnt.

Eine Entwöhnung, immer wieder sagte sie es, du brauchst eine Entwöhnung.

Er nickte, sagte ja. Am Abend trank er wieder, weil er gewöhnt war an den Alkohol.

Er wird sich niemals entwöhnen, dachte sie, weil es schon zu lange war wie es war.

Und sie mitgefangen in der Gewohnheit, gewöhnte sich an den Gedanken.

An das Trinken würde sie sich niemals gewöhnen.

Ohne ihn sein, daran würde sie sich gewöhnen, irgendwann.  

 

Mittwoch, 12. Oktober 2022

Hochmut versus Demut

 

                                                  Malerei: Angelika Wende, Hiob

Wenn ich manchmal so lese, was Mensch alles sein muss, haben muss, können muss, denken muss um glücklich zu sein, kann ich mich nur fragen: Leute, was sind das für Glaubenssätze?
Das sind Sätze wie:
Ich kann andere nur lieben, wenn ich mich selbst liebe, ich kann erst glücklich sein, wenn ich mein Ego aufgebe, ich kann nur reich sein, wenn ich das Geld liebe, ich werde immer gewinnen, egal was kommt, ich kann mit der Macht meiner Gedanken alles erreichen und und und.
Alles von Menschen gedachte Behauptungen, die einem erklären wollen, wie ein gutes Leben funktioniert und woran es hapert, wenn es nicht gut ist und als Krönung wird noch oben drauf gesetzt: Wenn es am guten Leben hapert, dann liegt das nur an dir selbst!
So ein Bullshit!
 
Es liegt nicht alles an dir selbst. Das Leben ist so komplex, so unergründlich, ein solches Geheimnis, dass Niemand es jemals begreifen wird. Für dieses komplexe Leben gibt es kein Rezept, schon gar keins, das für alles und jeden funktioniert.
Kein Mensch hat die Macht sein Leben so zu gestalten, dass es nach seinem alleinigen Willen geht. Das ist Verblendung, das ist Superbia, der Hochmut.
Wir können das Leben gestalten, ja, aber eben nicht alles.
Und manchmal oder sogar öfter, legen uns das Leben oder unsere Mitmenschen Steine in den Weg. Oder ein Wahnsinniger wirft mit Bomben. Und dann stimmen solche bescheuerten Glaubenssätze wie: „Du kannst mit der Macht deiner Gedanken alles erreichen! oder: "Dir geschieht nach deinem Denken!", schon gar nicht. Nein, da haben deine Gedanken keinen Einfluss auf das Leben und du brauchst verdammtes Glück um zu überleben.
 
Ich wünsche mir, dass man all diese Glaubensätze endlich mal sein lässt, besonders wenn man Menschen wirklich helfen will.
Jeder Glaubenssatz, der eine Forderung an uns stellt oder die Message sendet: "Weil du nicht okay bist, ist das Leben, das du führst nicht okay", ist unheilsam. Das führt zu nichts Gutem, das führt vielmehr dazu, dass Menschen glauben, sie seien der alleinige Schöpfer ihres Daseins und wenn ihnen ihre eigene Schöpfung nicht gelingt, haben sie etwas falsch gemacht.
Das Leben ist kein Kuchen, den wir backen, kein Bild, das wir malen, kein Schal den wir stricken, kein Roman, den wir schreiben, das Leben ist alles – das, was wir beeinflussen und gestalten können und das, was sich unserem Einfluss und unserer Gestaltungsmacht entzieht. Das ist kein Glaubenssatz, das ist die Lebenserfahrung von Millionen von Menschen.
Das anzuerkennen bedarf allerdings der Demut vor dem Leben selbst.

Donnerstag, 6. Oktober 2022

Und Punkt

 
                                                                        Foto: www
 
 
Mit der Zeit habe ich gelernt, dass es nichts gibt, was ich tun kann, damit mich ein anderer liebt, wertschätzt oder respektiert.
Egal was ich tue, egal was ich sage, es verändert nichts.
Tut er es nicht, tut er es nicht.
Und Punkt.
Dann ist es besser diesen Menschen gehen zu lassen.
Keine Fragen zu stellen und keine Antworten zu erwarten.
Nicht zu erwarten verstanden zu werden, mich nicht zu erklären.
Mein Leben wird friedlicher, wenn ich mich nicht abhängig mache von dem, was andere tun oder was sie über mich denken. Es wird friedlicher, wenn ich mich um das kümmere, was ich tue und was ich denke. Das ist es, was ich für meinen Frieden tun kann.

Samstag, 1. Oktober 2022

Aus der Praxis: Wozu das alles?

 



Gestern hatte ich eine intensive Sitzung mit einer Klientin, die absolut keinen Sinn mehr in ihrem Leben sieht. Sie hat keine Depression, sie hat einfach den Sinn verloren. Das gibt es. Auch mir ist das nicht fremd. Irgendwann kämpfen die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens mit der Sinnfrage, manche sogar immer wieder. Bei Begegnungen mit der eigenen Endlichkeit, einer schweren Krankheit, einer Trennung, einem Schicksalsschlag oder dem Tod.
Krisensituationen führen oft in die Frage nach dem Sinn des Ganzen.
Wenn Menschen, die tief in einer Krise stecken zu mir kommen, stellen sie Fragen wie:
Wozu das alles?
Wozu bin ich überhaupt da?
Gibt es überhaupt einen übergeordneten Sinn?
Welchen Sinn hat mein Leben?
 
Die Sinnfrage ist ein existentielles Problem und immer ist sie begleitet von tiefen emotionalen Zweifeln, an dem was ist, an dem was wir sind, an dem, was wir unser Leben nennen. Mit der Suche nach dem Sinn beschäftigen sich die Philosophie, die Psychologie, die Soziologie, die Künste und die Literatur seit ewigen Zeiten, ohne dass eindeutige und für alle Menschen allgemeingültige Antworten gefunden werden.
Die Suche nach dem Sinnhaften der Existenz ist ein Grundmotiv der Menschheit. Hinter all den Anstrengungen, die wir im Leben machen, steckt die Suche nach dem eigenen Lebenssinn. Sie begleitet uns wenn es darum geht den eigenen Weg zu finden, die eigene Biografie zu verstehen, um mit der eigenen Vergänglichkeit umzugehen und wenn es darum geht Verluste und Scheitern zu verarbeiten. Letztlich alles mit dem Ziel uns im Leben und in der Welt orientieren zu können.
 
Ohne Sinn sind wir orientierungslos, Suchende, die kein Ziel haben.
Hat der Mensch das Gefühl für den Sinn verlorenen, verliert er nicht nur die Orientierung, sondern den Halt. Er wird passiv, depressiv, resigniert, hoffnungslos. Am Ende verzweifelt er im Zweifel, er verzagt und ergibt sich dem, was ist oder er löscht sich im schlimmsten Falle selbst aus, weil da nichts mehr ist.
Das zeigt wie existentiell es ist Antworten auf die Frage nach dem Sinn zu finden.
Nur, dass uns die eben niemand geben kann. Kein anderer kann uns den Sinn erklären, vorleben, vorbeten oder schenken.
Natürlich kann die Liebe zu anderen uns Sinn schenken, die Verbundenheit mit anderen, das was wir für unsere Nächsten tun. All das ist sinnvoll. Aber, was wenn es diese anderen plötzlich nicht mehr gibt? Wenn sie uns verlassen oder wenn sie uns genommen werden. Dann löst sich der Sinn auf. Und wir stehen da und wissen nicht mehr wofür, für wen wir da sind. 
 
Was, wenn wir verlieren woran unser Herz hing, egal was es war?
Dann bricht der Sinn leicht zusammen. Er löst sich auf und wir gefühlt mit ihm. Wir werden uns der Fremdheit dieser Welt in der wir allein sind, schmerzhaft bewusst.
Vor dem Hintergrund eingestürzter Lebenskonstrukte und zerbrochener Bindungen, beschleichen uns düstere Gedanken, ob der Absurdität unseres Daseins. Nichts mehr, dem wir einen Sinn verleihen können. Nichts mehr, was uns als Licht im Dunkel leuchtet. Nichts.
Nichts ist für uns Menschen nur schwer vorstellbar. Vielleicht bekommen wir eine Ahnung davon im Schlaf, fassen können wir es nicht. Das Nichts ist kein Ding, keine Sache, nicht das Mindeste. Das Nichts ist der Gegenpol des Seins, Abwesenheit des Seins, das Nichtsein, nicht das Für-sich-Sein und nicht das Für-Andere-Sein, eine absolute Leere.
So etwa fühlt sich eine tiefe Sinnkrise an. Da ist nichts mehr.
Und was jetzt?
 
Wir könnten uns fragen: Welchen Sinn hat diese Welt für mich?
Damit könnten wir uns ein neues Ziel setzen. Aus der kosmischen Perspektive ist das allerdings vollkommen bedeutungslos. Dem Universum ist das egal.
Wie könnte unser Dasein also sinnvoll sein, wenn es den großen vorgegebenen Sinn nicht gibt? Ist es dann nicht das Einzige, was wir tun können, ihn uns selbst zu schaffen?
Und dann wieder stellt sich die Frage: Was genau bedeutet es, meinem Leben einen eigenen Sinn zu geben? Ist es nicht nur wieder eine Konstruktion, die die Tiefe der Antwort auf mein Dasein nicht einmal berührt. Ein Selbstbetrug, den wir begehen, weil wir eben nichts wissen.
Woran merken wir, was stimmt, was für uns wahr ist und zutiefst sinnhaft? Daran, dass das, was wir tun uns ein Gefühl von Sinnhaftigkeit vermittelt? Vielleicht ist es so, velleicht ist es nicht so.
Oder könnten wir gar offen dafür sein, dass es keinen Sinn gibt?
Und was wäre dann?