Mittwoch, 30. Juni 2021

Lektionen

 

                                                                        Foto: A.W.


Gerade wenn wir denken – so ist es gut, so kann es bleiben, kommt sie plötzlich, die nächste Lektion. Nicht schon wieder, denken wir und haben überhaupt keine Lust darauf. Wir haben doch genug gelernt über uns, das Leben, andere. Wir haben doch jahrelang an uns selbst gearbeitet. Irgendwann müssten wir doch mal Ruhe haben.
Denken wir. Ist aber nicht so. Lektionen, immer wieder Lektionen. Immer wieder gibt es etwas zu lernen. Einige Lektionen verbergen sich hinter Problemen, die gelöst werden müssen. Andere sind normales Beiwerk des Lebens, zum Beispiel, dass wir älter oder krank werden.Und manche Lektionen erschüttern unser Menschenbild.
 
Gestern sagte ein Klient, der einen schmerzhaften Betrug erfahren musste: „Ich habe immer geglaubt, dass Menschen von Grund auf gut sind.“ Sein Menschenbild ist erschüttert, weil ihm Ungutes durch einen geliebten Menschen widerfahren ist.
Er zweifelt an sich selbst, fragt sich, ob er zu naiv war. Zu gutmütig, zu gutgläubig, zu vertrauensselig. Was ist meine Lektion?, fragt er mich. Soll ich jetzt keinem mehr vertrauen, weil ich verletzt werden könnte?
 
Ein gebrochenes Herz reagiert oft so: Ich werde nie mehr lieben, nie mehr vertrauen. Und das ist am Anfang verständlich. Es will zumachen, um nicht mehr verletzt zu werden. Das Leid, wenn uns ein geliebter ein Mensch betrogen hat, ist unermesslich groß. Es stürzt uns nicht nur in eine schmerzhafte Trauerphase, die dauern kann, es stürzt uns auch in die Konfrontation mit unseren Annahmen über das Leben, die Menschen und unser Selbstbild.
Warum ist mir das passiert? Warum hat der andere mir das angetan? Warum war ich so blind?
 
Wir haben Schuldgefühle, glauben wir hätten es verhindern können, wenn wir achtsamer gewesen wäre, besser aufgepasst hätten oder weniger vertraut hätten.
Schuldgefühle sind mit Abstand das Schlimmste. Sie lähmen. Über den Schmerz der Verletzung hinaus peinigen sie uns. Wie ein Quälgeist besetzen sie unsere Gedanken und hindern uns anzuerkennen was ist – nämlich, dass wir immer dann, wenn wir einem Menschen unser Herz öffnen und schenken im selben Moment riskieren verletzt zu werden. Und oft geschieht genau das.
Es hilft nichts, sich dann die Schuld zu geben. 
 
Schuldgefühle gegen oft so weit, dass wir denken: Du hast es nicht verdient, geliebt zu werden. Du hast es nicht verdient, glücklich zu sein. Ja, sie können sogar soweit gehen, dass wir denken: Du hast es nicht verdient, zu leben. Schuldgefühle sind gemein und tückisch, sie sind voller Vorwürfe und niederschmetternd. Aber auch unsere Schuldgefühle sind Lektionen, die wir lernen dürfen. 
 
Wenn wir genau zuhören, was sie uns einreden, lernen wir viel über unser Selbstbild. Wir erfahren, was wir über uns selbst denken. Wie mies wir über uns denken. So mies, dass wir glauben, wir allein sind schuld daran, dass andere nicht gut zu uns sind oder dass uns das Leben immer wieder Schmerz beschert oder dass wir, wie mein Klient denkt – so naiv sind an das Gute im Menschen glauben.
 
Wenn wir uns mit den Botschaften unserer Schuldgefühle auseinandersetzen werden wir erkennen, was wir in Bezug auf unsere Annahmen über uns selbst und andere hinterfragen und korrigieren können. Sie können uns helfen zu erkennen, was wirklich ist - nämlich, dass das Leben und Menschen, ja auch wir selbst, nicht berechenbar sind und nicht nur gut oder nur böse. Es ist immer beides. Wo das eine ist, ist immer das andere darin enthalten.
Schuldgefühle sind auch eine Abwehrreaktion– wir wehren ab, was wir nicht akzeptieren und annehmen können. Wenn wir uns die Schuld geben, können wir glauben – WIR hätten die Lektion verhindern können, hätten wir anders gedacht oder uns anders verhalten. So müssen wir uns unsere Ohnmacht nicht eingestehen. Aber das dürfen wir, wir sind auch ohnmächtig. Und es ist okay. 
 
Auch das ist eine Lektion die in den Schuldgefühlen verborgen liegt: Wir dürfen lernen unsere Ohnmacht anzunehmen, wir dürfen lernen anzuerkennen: Wir haben keine Macht über andere Menschen. Menschen können uns verletzen. Aber wenn wir uns daran die Schuld geben, verletzen wir uns selbst noch mehr. Wir behandeln uns weiter, so wie wir behandelt wurden. Und das nicht zu tun, das liegt in unserer Macht.
Wenn diese Lektion hinter uns liegt, dürfen wir sie nicht vergessen. Wie werden sie brauchen, wenn die nächste kommt.

Dienstag, 29. Juni 2021

Was machen, wenn du nicht mehr kannst? Sicher nicht weiter machen!

 



Es ist mir unverständlich, wie viele Menschen, die längst nicht mehr können, sich selbst weiter antreiben. Am Ende ihrer mentalen, körperlichen und emotionalen Kräfte angelangt, halten sie nicht inne. Noch in der Erschöpfung motivieren sie sich mit Sätzen wie: Du kannst! Mach weiter! Du schaffst das! Ausruhen kannst du dich irgendwann, jetzt geht das nicht. Hauptsache nicht schwächeln.
Manch einer kommt sich dabei sogar noch heldenhaft vor und blendet aus, dass auch Helden irgendwann scheitern, wenn sie sich selbst und ihre Kräfte überschätzen - und zwar an sich selbst.
 
Irgendwie hat das für mich etwas von Hochmut. Der ist bekanntlich unheilsam, denn er kommt oft vor dem Fall. Dieser Hochmut nimmt bisweilen solche Ausmaße an, dass er den Menschen antreibt, sich selbst zu beweisen, dass er nicht schwach ist. Es ist also nicht immer der Innere Antreiber, der uns weiter machen lässt, wenn wir bereits auf dem Zahnfleisch gehen, sondern auch die hochmütige Selbstüberschätzung des Egos, die uns erheblichen Schaden zufügen kann. 
 
Wir sind ja so toll, so stark, so hilfsbereit, immer da, wenn man uns braucht. Wir sind Kämpfer! 
Wir geben und geben und bedenken nicht, wenn das Fass leer ist, haben wir nichts mehr zu geben. 
 
Nicht aufgeben. Keine Hilfe suchen und keine annehmen, den Märtyrer spielen - unheilsam.
Das füttert zwar das Ego und gibt uns kurzzeitig wieder einen Schuss Adrenalin um uns aufzulehnen gegen das, was wirklich ist: Wir sind längst am Ende und können nicht mehr. Wir sind ausgebrannt.
Diese Haltung macht krank auf allen Ebenen des Organismus. Und dann wehrt sich als letzter Hilferuf der erschöpften Seele der Körper und knockt uns aus. Pause. Zwangspause, weil der Zwang stark bleiben zu müssen, den Stecker gezogen hat.
Es wäre weitaus gesünder auf unser Gefühl zu hören, wenn wir sagen: 
Ich kann nicht mehr!
Und dazu zu stehen.
Für uns einzustehen. 
 
Nur wer auf sich selbst hört, kann spüren und erfahren, was für ihn wichtig ist, seine Bedürfnisse wahrnehmen, die Zeichen der Seele und des Körpers ernst nehmen und gut für sich sorgen.
Die meisten Menschen können das nicht, auch wenn sie noch so viele Ratgeber über Selbstfürsorge und Selbstliebe lesen. Sie lesen und machen weiter wie bisher. Sie machen vielleicht sogar ein Seminar oder ein Coaching in Sachen Selbstfürsorge und wundern sich warum sich nichts Wesentliches in ihrem Leben ändert. Ganz einfach, weil sie das Gelernte nicht konsequent üben und umsetzen. Oder nur mal kurz und dann lassen sie es wieder, weil sich kein sofortiger Erfolg einstellt.
 
Was die meisten Menschen nicht können, ist Geduld mit sich haben.
Geduld haben verlangt ein tiefes Verständnis für sich selbst und die Situation in der man sich befindet. Geduld verlangt sich ernst zu nehmen und sich Zeit zu geben für eine heilsame Veränderung. Weil sich Menschen nicht ernst nehmen, keine Geduld und wenig Wohlwollen für sich selbst empfinden, gibt es für sie nur schnelle Lösungen um den unheilsamen Zustand in dem sie sich befinden zu beenden, damit alles wieder so ist wie immer. Längerfristige Prozesse taugen ihnen nicht. Darum schlucken viele Menschen wenn sie krank sind bereitwillig Tabletten um schnell wieder zu funktionieren. Ihnen ist dabei nicht bewusst, dass sie damit nur die Symptome betäuben und weiter an der Ursache kranken.
Jede Krankheit, auch die des Gemütes, ist ein Alarmsignal innezuhalten, genau hinzuschauen und das zu tun, was es braucht um wieder zu gesunden. Dazu gehört auch zu lassen, was krank gemacht hat.
 
„Ich kann nicht mehr!“, ist ein Alarmsignal.
Es ist der Hilferuf der überforderten Seele, sich nicht mehr zu verausgaben und sich Zeit zu geben, Ruhe, Selbstfürsorge und Pflege, sich Raum zu geben für eine Veränderung der alten Denkweisen und Muster um nicht mehr an die eigenen Grenzen zu gehen oder sogar drüber.
Und das dauert.
Dem sich selbst überschätzenden Hochmut des Egos gefällt das natürlich nicht, es wehrt sich vehement, wenn wir versuchen es in die Schranken zu weisen. Es macht uns Druck. Aber es gibt es ein Gegenmittel: Einsicht und Klarheit und das achtsame Bewusstsein für unsere Gefühle – und sie ernst nehmen.

Freitag, 25. Juni 2021

Aus der Praxis – Trauma und die unbewusste Übertragung in Beziehungen

 

                                                                    Malerei: A.Wende

 

Übertragung: Wir verwechseln die andere Person oder Geschehnisse aus dem intersubjektiven Feld mit früheren Erfahrungen, Ängsten, Vorlieben, Abneigungen, Personen. Wir aktivieren in uns einen alten Film, statt das Einzigartige und Neue wirklich wahrzunehmen.

 

Björn Migge

 

 

Der Begriff der Übertragung stammt von Sigmund Freud. Wenn wir in der Psychologie von Übertragung sprechen, ist damit gemeint, dass eine unbewusste Erinnerung und die damit verbundenen Emotionen auf eine aktuelle Beziehung übertragen werden. Mittels Übertragung werden verdrängte Gefühle, Impulse, Erwartungen, Bedürfnisse, Wünsche und Ängste aus der Kindheit unbewusst auf zwischenmenschliche Beziehungen übertragen und reaktiviert. 

 

Man unterscheidet zwischen positiver und negativer Übertragung. 

Bei der positiven Übertragung werden positive Aspekte früherer Beziehungen wie Zuneigung,  Vertrauen und Liebe übertragen, bei der negativen Übertragung unheilsame Aspekte wie etwa Abneigung, Wut, Schmerz und Misstrauen.

 

Es gibt kein gegenwärtiges Erleben ohne die Verbindung zu unseren Erinnerungen.

Traumatisierende Erlebnisse vergisst unser Gehirn nicht. Dazu gehören besonders auch unsere frühen Beziehungserfahrungen. So sind auch unsere Beziehungserfahrungen „gespeicherte Erinnerung“. Diese ist im limbischen System, dem emotionalen Gedächtnis, fest verankert. Alle unheilsamen Beziehungserfahrungen und Beziehungsmuster aus unserer Vergangenheit werden daher unbewusst in die Gegenwart übertragen.

 

„Bei einer Übertragung geht es um die Neuinszenierung der Erinnerung unter veränderten äußeren Bedingungen, um einen Vorgang, der unbewusst abläuft und sich ständig wiederholt.“ (Barwinski, 2010).

 

Man muss sich das so vorstellen: Die Übertragung verbindet das Erleben im Jetzt wie eine Brücke mit dem Erlebten unserer Vergangenheit.  

Das Wissen um das Phänomen der Übertragung ist nicht nur in Beziehungen, sondern vor allem im therapeutischen Kontext wichtig um die emotionale Distanz zu behalten und sich als Therapeut durch die unangemessenen negativen Übertragungen des Klienten nicht irritieren oder provozieren zu lassen indem man sich unreflektiert der Gegenübertragung aussetzt, sondern sogar bewusst die Funktion der Übertragungsfigur einnimmt und behutsam damit umzugehen weiß. Dazu muss man wissen, dass jede negative Übertragung immer auch ein unbewusster Versuch der Manipulation ist, mit dem Ziel, das Gegenüber zu einer Reaktion zu bringen, die zu einer unbewussten Erinnerung des Klienten gehört und ihm vertraut ist. 

 

Nach Freud reinszenieren Übertragungen eine unbewältigte Erfahrung der Vergangenheit und führen zur Wiederholung derselben im Jetzt, indem das Gegenüber zum Vertreter einer negativ besetzten Figur gemacht wird.  

Das Gegenüber wird quasi zum Stellvertreter, der all jene unterdrückten und abgespaltenen Emotionen und Impulse abbekommt, die der Figur aus der Vergangenheit nicht zugemutet wurden, aus Angst zurückgewiesen zu werden, nicht wahrgenommen zu werden, bestraft zu werden oder aus Angst vor Liebesverlust und Verlassenseins. Auch Aggressionen, die gegenüber der Figur nicht ausagiert werden konnten werden später unbewusst auf  den Stellvertreter übertragen. Das gilt ebenso für Gefühle wie Scham und Schuld.

 

Bei vielen Beziehungskonflikten handelt es sich also in Wahrheit nicht um ein aktuelles Problem oder einen Konflikt mit dem anderen im Jetzt, sondern um die unbewusste Wiederholung einer unverarbeiteten traumatischen Erfahrung, mit dem Versuch diese zu lösen, indem man sie neu inszeniert und auf die Ersatzfigur projiziert.  

Projektive Übertragung verzerrt jedoch die Wahrnehmung der Gegenwart, so dass das aktuelle Erleben und die damit verbundene Beziehung zum Gegenüber in der Gegenwart negativ gedeutet und bewertet wird.

 

Mit negativen Übertragungen angemessen umzugehen ist schwierig.  Es braucht viel Erfahrung und Gleichmut vom Therapeuten um damit angemessen umzugehen und sie so in den therapeutischen Prozess zu integrieren, dass sie für den Klienten hilfreich sind. Für C. Jung bestand der Kern des Übertragungsphänomens darin, die Beziehung zum Selbst zu finden. Das Aufdecken und die Bewusstmachung von Übertragungsvorgängen wird insbesondere in der Psychoanalyse als zentrales Element für den Erfolg der Therapie angesehen. Der Klient soll in der Person des Therapeuten einen Menschen sehen, mit dem er vertrauensvoll und ohne die Angst vor Sanktionen, Konflikte aus der Vergangenheit in der Gegenwart löst. Dazu nimmt der Therapeut bewusst die Rolle einer Figur aus der Vergangenheit ein. So wird durch das Quasi-Vorhandensein diese Figur bewusst gemacht und der Konflikt kann über die Auseinandersetzung mit dem Therapeuten gelöst werden. Alte Wahrnehmungen und Gefühle werden dabei auf den Therapeuten übertragen um nach Möglichkeiten zu suchen auf angemessene Weise im Jetzt damit umzugehen. 

 

Schwierig sind negative Übertragungen allerdings dann, wenn sie vom Klienten nicht als solche erkannt werden, er sie nicht als solche erkennen kann oder sich weigert sie zu erkennen und Inhalt und Kausalität für seine Reaktionen ausschließlich dem Gegenüber im Jetzt zuordnet.   

Hier befindet sich der Übertragende in einer Trance, die ihn sogartig nach Hinten zieht und das Vergangene als Realität im Jetzt empfinden lässt.

Was passiert dabei genau?

Der Übertragende ist er selbst, steckt ber emotional in einer früheren Phase seines Lebens fest - meist in der Identifikation mit dem traumatisierten Kind. Was es noch komplizierter macht, wenn er sich mit mehreren abgespalteten Kindanteilen identifiziert.

Das Gegenüber wird verzerrt wahrgenommen. Es ist nicht es selbst im Jetzt, sondern es wird als innere Figur mit deren Objekteigenschaften wahrgenommen. So wird beispielsweise der Partner oder der Therapeut zum Stellvertreter für das traumatisierte Kind, während der, der überträgt, unbewusst in die Rolle der oder der Figuren schlüpft, die dem Kind Schlimmes angetan haben und das jetzt dem Stellvertreter ähnliches antut. Es kommt zu einer Umkehr der Rollen. Der Stellvertreter soll mittels der Übertragung mit dem Trauma klarkommen, weil es dem Übertragenden selbst nicht gelingt. Diese Umkehr der Rollen gehört u.a. zur Trauma-Abwehr.

 

Diese Art der inneren Abwehr fordert ständig eine Reinszenierung des Unverarbeiteten, im (Irr)Glauben es auf diese Weise endlich lösen zu können, weil (noch) keine anderen Bewältigungsmechanismen verfügbar sind.  

Die Wiederholung verhindert jedoch, dass das Erlebte in übergeordneten Hirnstrukturen wie Hippocampus und Frontalhirn weiterverarbeitet, neu bewertet und eingeordnet werden kann.

Das Trauma wird nicht integriert. Es wird weiter abgespalten. 

 

Ein Trauma überwinden  ist schwer und dauert mitunter jahrelang, denn jedes traumatische Erlebnis, je intensiver und bedrohlicher es erlebt wird, überfordert die Fähigkeit unseres Gehirns zur Integration und wird, um es überhaupt ertragen zu können, abgewehrt – durch Abspaltung, Dissoziation und die emotionale Trennung vom Gefühlserleben - und dieses zeigt sich auch im Phänomen der negativen Übertragung.

 

Voraussetzung zur heilsamen Integration ist nach erfolgter Stabilisierung und Ressourcenaktivierung der Betroffenen, auch die Bereitschaft zur Konfrontation mit den schmerzhaften Gefühlen, welche aber, wie gesagt, bei manchen Betroffenen als so unaushaltbar empfunden und bewertet werden und deshalb durch Abwehr vermieden werden, indem, im Falle der negativen Übertragung, das Gegenüber emotional angegriffen und erschüttert werden soll: „Der Andere soll fühlen, was ich damals gefühlt habe.“

Hurt people, hurt people.

Das geschieht in der Regel jedoch meist unbewusst.

 

Nun ist das aber keine Lösung und schon gar keine Erlösung.

Seelische Weiterentwicklung und posttraumatisches Wachstum können so nicht stattfinden. Bleibt der Betroffene im Muster der negativen Übertragung stecken, sprich - lässt er sich diese nicht bewusst machen, ist der innere Widerstand zu groß -  wird jede Beziehungserfahrung in der Gegenwart mit erheblichen Problemen und Spannungen belastet sein. Das kann letztlich sogar im worst case eine gesunde Beziehungsfähigkeit unmöglich machen.

 

Die Trance zurück in die ursprüngliche kindliche Interpretation des Traumas und die nicht auflösbare Identifikation mit dem verletzten inneren Kind verhindern eine heilsame Interpretationsmöglichkeit in der Gegenwart.

Der Erwachsene von heute bleibt in der Vergangenheit des Inneren Kindes oder der inneren Kinder stecken und damit mit den alten Verletzungen identifiziert. Damit das nicht geschieht ist eine gelingende Integration verdrängter Gefühle und verdrängter Persönlichkeitsanteile heilsam. Deshalb ist es auch so wichtig negative Übertragungen im Rahmen der Traumabewältigung zu erkennen, sie bewusst zu machen und sie im Sinne des Betroffenen für seine Genesung zu nutzen.

Traumata können integriert werden, wenn die Inneren Kinder von damals gesehen, angenommen und gerettet werden, wenn sie in Sicherheit gebracht werden von einem stabilen Erwachsenen, der sich seiner Identifikationen bewusst ist und sie aufgelöst hat. 

Dieser Prozess erfolgt allerdings sehr langsam und es bedarf viel Geduld. Und das ist wichtig und richtig um die verletze, fragile Seele nicht zu überfordern. 

 

 

 

Montag, 21. Juni 2021

Licht und Schatten

 


Vor sechzehn Monaten hat sich unsere Welt verändert.
Wir haben uns verändert. Wir sind Gespaltene. Innen wie außen hat Trennung stattgefunden. Es zeigt sich so viel offene Wut, Aggression und Hass unter den Menschen wie nie zuvor. Die einen kämpfen gegen die anderen. Meinungen respektvoll und gleichberechtigt nebeneinander stehen zu lassen, ist nicht mehr möglich. Es herrscht ein Streiten und ein Kämpfen bis in die kleinste Zelle. 
 
Im Moment ist es ruhiger geworden. Der laute Kampf ist einem vorrübergehenden Waffenstillstand gewichen. Viele Menschen glauben an ein Ende der Pandemie oder sie fühlen sich sicher, weil sie eine Impfung haben. Das nimmt den Kämpfen die Luft raus.
Es darf wieder konsumiert werden. Es darf wieder vieles gemacht werden, was so sehnlich vermisst wurde. Es fühlt sich wieder nach Freiheit an. Das Absurde fühlt sich nach Normalität an.
Scheinbar. 
 
Eine sommerliche Ruhe eingetreten. Eine trügerische Ruhe vor dem Sturm, der kommen wird. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Viele sind sich dessen nicht bewusst. Diese Welt befindet sich in einem großen, nicht mehr aufzuhaltenden Umbruch. Es wird nicht aufhören. Es wird weitergehen. Vielleicht in ähnlichem Maße, vielleicht wird es schlimmer.
Ich hoffe auf das Beste. 
 
Das Beste. Haben wir unsere Bestes gegeben in diesen sechzehn Monaten? Haben Menschen begriffen, was wirklich wichtig und wertvoll ist? Haben sie begriffen, worauf es ankommt? Haben sie Verantwortung übernommen um beizutragen zum Wohle unseres Menschseins?
Nein, haben sie nicht. 
 Menschen haben ihr wahres Gesicht gezeigt. Sie haben die Masken fallen lassen hinter den Masken. Viele haben ihren Egoismus, ihr Haben und Wollen, an oberste Stelle gestellt.
Ich, ich, ich ... 
 
Die meisten haben das getan und tun es und werden es weiter tun.
Und dann gibt es die, die das nicht getan haben, nicht tun und nicht tun werden. 
Es sind die, die wissen, dass ein gespaltenes Miteinander unheilsam ist und brandgefährlich. Es sind die Hochsensiblen und die Empathen. Ich meine die echten, nicht die, die so tun als ob, die nur reden und sich ihr Sprachwort Empathie stolz an die Brust kleben um ihr Ego zu füttern. 
 
Die Echten, das sind die Menschen, die mehr spüren als andere, die gut spüren und tief. Die nicht nur an sich selbst denken, die über sich selbst hinaus fühlen, denken und handeln, weil sie sich ihrer Verantwortung als Teil des Ganzen bewusst sind.
Diese Menschen fühlen sehr genau wohin wir driften, wenn wir so weiter machen. Die meisten dieser Menschen sind stille Menschen. Sie krakelen nicht, sie blasen sich nicht auf, man hört sie nicht. Sie bleiben im Verborgenen und beobachten. Sie arbeiten an sich selbst zum Guten hin. Und sie helfen, wo es ihnen möglich ist das Unheilsame ein wenig besser zu machen, für sich selbst und für andere.
Es ist gut, dass es diese Menschen gibt. Es ist wichtig, dass es diese Menschen gibt. Sie sind das helle Licht im Dunkel der Schatten des Jetzt und der Zukunft.
Mögen sie weiter leuchten ... sie sind wichtig!

Sonntag, 20. Juni 2021

Richtungswechsel

 



Man sagt, dass man die Gegenwart verstehen kann, wenn man die Vergangenheit betrachtet. Es besteht immer eine Verbindung zwischen unseren Lebenserfahrungen und den Entscheidungen, die wir in der Gegenwart treffen, und damit für die Zukunft. Jede getroffene Entscheidung im Jetzt hat Einfluss hat auf das Leben, das ich morgen führen werde. 
 
Manchmal haben wir Zweifel, wenn es darum geht, an die Zukunft zu denken. Manchmal glauben wir, dass die Dinge in unserem Leben sich nicht weiter entwickeln, so als wären wir am Ende unseres Lebensweges angelangt. Alles stagniert, es tut sich nichts Neues auf, wir wissen nicht welchen Weg wir wählen sollen. Es ist wie verhext. Uns fehlt der Antrieb. 
 
Wir lassen uns durch die Tage treiben wie ein Boot ohne Ruder, das auf einem ruhigen Fluss dahingleitet. Keine Höhepunkte, keine neuen Begegnungen, keine Inspiration, alles gleichförmig und ermüdend. Vor lauter Müdigkeit findet die Frage, wie wir zu einer Erneuerung zu kommen, keine Antwort. Dabei möchten wir doch endlich einen kohärenten Lebensweg erkennen und ihm ohne zu zweifeln folgen, im sicheren Gefühl – ja das ist mein Weg, jetzt. Aber wir sehen ihn nicht. Wir blicken in die Vergangenheit, stellen unsere alten Entscheidungen in Frage und denken: Hätte ich nur anders entschieden, dann wäre ich jetzt nicht an diesem Punkt. Aber wir haben nicht anders entschieden. Und Punkt. 
Es macht keinen Sinn darüber nachzudenken, was gewesen wäre, wenn. 
 
„Die Vergangenheit ist ein Leuchtturm, kein Hafen“.
Die Erfahrungen der Vergangenheit, alles Erlebte, jede Erfahrung, ob gut oder ungut, hat uns zu dem gemacht, der wir jetzt sind. Aber der müssen wir nicht bleiben, wenn wir entscheiden, es nicht bleiben zu wollen. Die Vergangenheit kann uns unser Jetzt und unsere Zukunft beleuchten, wenn wir sie akzeptieren wie sie ist, sie sein lassen was sie ist und aus ihr lernen. Genau dazu ist sie da. Und fordert sie nicht unser: Ja, das war so und es ist okay?
Wenn wir ja zu unseren vergangenen Entscheidungen sagen, dann ist dieses Ja ein Ja zu uns selbst. Mit diesem Ja, wachen wir auf aus der Trance des Gewesenen, wir nehmen das Ruder unseres Bootes in die Hand und sind bereit für einen Richtungswechsel.

Samstag, 19. Juni 2021

Das kleine Monster im Zentrum der Stille

 

                                                                    Foto: A.W.


"Hören Sie denn nichts, hören Sie denn nicht die entsetzliche Stimme, die um den ganzen Horizont schreit, und die man gewöhnlich die Stille nennt?", schreibt Georg Büchner in seiner Novelle Lenz
Die Stille, die manche Menschen bewusst suchen und vor der die meisten Leute beständig fliehen, ist nicht still. In Wahrheit ist sie sogar sehr laut. Wer die Stille einmal wirklich gesucht und erfahren hat, weiß das. So wie es Büchner seinen Jakob Lenz sagen lässt, kann sie herausschreien, was wir im lauten Alltag nicht hören können oder hören wollen.
 
In der Stille drängt das Wesen der Dinge nach Gehörtwerden.
Alles Verdrängte kommt zum Vorschein. Nicht wenige Menschen fürchten sich genau davor, denn die Stille konfrontiert uns mit unserer eigenen Wahrheit. Alles Verdrängte, das ganze „ungelebte“ Leben kommt zum Vorschein. Was wir in der Ablenkung der lauten Welt versenkt haben, all das Abgespaltene, steigt in der Stille aus den eigenen Tiefen hoch ins Bewusstsein und konfrontiert uns gnadenlos mit uns selbst. Welch ein Unbehagen das auslösen kann, weiß jeder, der sich einmal der kompletten Stille geöffnet hat.
Stille und die damit verbundene innere Einkehr ist für viele Menschen deshalb so beängstigend, weil sie dann mit sich selbst in Kontakt treten müssen. Das ist mitunter eine beängstigende und bewegende Reise hinab in die Abgründe der Seele. Und weil diese Reise auch mit unguten Gefühlen verbunden ist, wird sie tunlichst vermieden.
In einer Welt, in der das Streben nach dem scheinbaren Glück des Habens zum Maßstab aller Dinge geworden, ist Selbstreflexion ein gefährliches Unterfangen, denn sie könnte aufdecken, dass wir uns im Zweifel etwas vormachen. Die Wahrheit ist anstrengend und sie kann erschreckend sein, denn sie entlarvt alle Lebenslügen. 
 
Still geworden können wir nicht mehr weghören, wir sind gezwungen uns zuzuhören, uns uns selbst zuzumuten.
Still geworden stehen wir unseren Träumen und Wünschen gegenüber, die uns fragen: Hast du uns verwirklicht, oder hast du uns längst vergessen und damit dich selbst und den Kern, der dich ausmacht? Wofür hast du uns aufgegeben? War und ist es das wert? Wem oder was bist du hinterhergerannt und hast dich selbst verraten und die Werte, die dir doch einmal so wichtig waren? Was hast du idealisiert, was es nicht wert war und welchen Illusionen hast du dich hingegeben? Welche Identität hast du angenommen, um jemand zu sein, der du nicht bist, um der Anerkennung, des Geldes, der Macht und des Erfolges willen? Wem oder was schenkst du deine kostbare Lebenszeit? Wer bist du, wenn alles andere wegfällt? Was ist es dann, was dich von Innen hält? Hast du vor lauter Erleben wollen das Leben selbst vergessen?
Oh nein, die Stille ist wahrlich nicht leise. In ihrem Zentrum taucht ein kleines schreiendes Monster auf und konfrontiert uns mit unserer Vergangenheit, unserer Gegenwart, unserer Zukunft und unserer Endlichkeit. Ich mag das kleine Monster. Es macht einen guten Job. Es taucht auf, damit wir uns selbst erkennen, uns neu entdecken und an Echtheit, an Klarheit, an Mut und an Stärke gewinnen. Es taucht auf, damit wir erkennen, was wir wirklich wollen, solange wir es noch können.

Freitag, 18. Juni 2021

Demut – Schlüssel zur Wandlung

 


Zur Zeit habe ich viele KlientInnen, die mit dem Thema Ohnmacht konfrontiert sind. Ich kenne das Gefühl. Ich weiß, wie es sich anfühlt und ich weiß, dass man sich nichts mehr wünscht, als ganz schnell wieder in die Eigenmacht zu gelangen. Aber vielleicht soll es genauso gerade nicht sein, damit wir etwas erkennen und lernen dürfen.
Ich habe mich gefragt: Was ist die Essenz von Ohnmacht?
Es ist die Demütigung und die Essenz der Demütigung ist die Demut.
Man muss das Wesen der Demut begreifen, um erkennen zu können, dass hier der Schlüssel zu wirklicher Freiheit und wahrer Größe zu finden ist. Das Gefühl der Demütigung wird nicht durch die Machtlosigkeit der Ohnmacht hervorgerufen, sondern durch den Schock, den wir erleiden, wenn unser Anspruch auf Kontrolle und vollkommene Überlegenheit auf die harte Wirklichkeit stößt. 
Wir leiden an einer Demütigung, weil es uns nicht gelingt, den Anspruch unseres Egos über allem stehen zu müssen, zu erfüllen. Wenn wir uns gedemütigt fühlen, dann deshalb, weil wir die Wirklichkeit verdrängen, weil wir ausschließen, was nicht sein darf, was uns nicht passieren darf, was wir nicht haben wollen oder weil wir die Vergeblichkeit unserer Erwartungen und Bemühungen nicht anerkennen können. 
 
Wenn wir die Demütigung annehmen, können wir Demut lernen. 
 
Das Bewusstsein an Grenzen geworfen zu sein und die Ohnmacht, die sich daraus ergibt, stoßen uns auf die Tatsache, dass es an diesem Punkt so nicht weiter geht. Nicht mit den bekannten Mitteln, nicht mit dem bekannten Verhalten, nicht mit den bekannten Gewohnheiten, nicht mit dem alten Denken, nicht auf den vertrauten Wegen. Denn genau diese Wege waren es, die uns an die Grenze geführt haben.
Demütigung und Ohnmacht als Grenzerfahrung.
Wird diese Grenzerfahrung von uns anerkannt, wird ihre Sinnhaftigkeit begriffen, trägt sie in sich die Optionen der Entwicklung. Wir sind damit einverstanden uns wandeln zu lassen.

Mittwoch, 16. Juni 2021

Aus der Praxis – Was tun, wenn Du nach einer unheilsamen Beziehung über die Maßen leidest?

 

                                                                   Foto:pixybay

 
Meine Haltung Menschen gegenüber ist grundsätzlich Annahme, Verstehen und Mitgefühl. Ich glaube weder daran, dass der Mensch nur gut oder nur böse ist. In jedem von uns ist beides. Wir selbst sind dafür verantwortlich welchen Wolf wir füttern.
Dazu gehört Bewusstsein. Was bedeutet, sich seiner Gedanken, seiner Gefühle und seiner Handlungen bewusst zu sein. Je unbewusster sich ein Mensch über sich selbst ist, desto unbewusster denkt, fühlt und handelt er. Manche Menschen sind so unbewusst, dass sie anderen unbewusst Böses tun. Und manche Menschen, so traurig es ist, sind sich durchaus bewusst, dass sie anderen Böses antun. Zu diesen Menschen gehören Narzissten, dissoziale Persönlichkeiten, Soziopathen und Psychopathen. 
 
Wer einem solchen Menschen in seinem Leben begegnet ist, weiß, was er anrichten kann. Wer in einer Beziehung mit einem solchen Menschen lebt oder lebte, weiß es umso besser.
Menschen mit den oben genannten Persönlichkeitsstörungen genießen es andere zu verletzen. Ihnen geht es um Macht. Es geht darum den anderen abzuwerten, ihn klein, kleiner, am KLEINSTEN zu machen. Verletzungen sind gewollt, Schwächen werden gnadenlos ausgenutzt, offen, brutal, bösartig und rücksichtslos wird der andere gedemütigt, gequält und zerbröselt. Es geht darum ihn zu "besiegen“ und schließlich kaputt zu machen. 
 
Wer das erlebt hat ist, auch wenn er es schafft aus einer solchen Beziehung auszusteigen, ist nicht mehr er selbst. Etwas in ihm ist kaputt. Nicht nur die Seele ist verwundet und das Herz gebrochen, der Mensch ist in seiner ganzen Person erschüttert und fragmentiert.
Da ist Ohnmacht, da ist Fassungslosigkeit, da ist Schmerz, da ist Wut, da ist Trauer, da sind Scham- und Schuldgefühle ob der großen Frage, wie man überhaupt so etwas mit sich machen lassen konnte. Wie konnte man in ein Leiden hineingleiten, das man niemanden wünschen würde? Ein Dauerleiden über Jahre und kein Entkommen. Bis es dann doch irgendwann zu Ende ist. Entweder weil der Quälende von selbst geht, weil man nutzlos geworden ist oder weil er ein attraktiveres Opfer gefunden hat, oder weil man selbst spürte: Wenn ich so weiter mache, gehe ich zugrunde und mit letzter Kraft aus dem Drama aussteigt. 
 
Was dann?
Die meisten Menschen, die eine unheilsame Beziehung hinter sich gelassen haben, brauchen lange um sie zu verarbeiten. Manche verarbeiten sie nie. Und viele fragen sich noch Jahre danach: Was geht in diesem Menschen vor, dass er mir das angetan hat? 
 
Auf diese Frage gibt es nur eine einzige Antwort: Dieser Mensch kann nicht anders. Er kann nicht anders, weil er ein kranker Mensch ist und mit "normalem" menschlichen Denken und Fühlen nicht zu begreifen.
Doch mit dieser Antwort geben sich die meisten Beschädigten dieser kranken Persönlichkeiten nicht zufrieden. Das ewige „WARUM?“ kreist in ihren Köpfen und genau das ist fatal. Dieses, auf den anderen bezogene „Warum“, ist das größte Hindernis um wieder zu sich selbst zu finden und das zerbröselte Etwas, das man ist, neu zuammenzufügen. Ich sage bewusst „neu“, denn der Mensch, der man vor dem Erlebten war, wird man nicht mehr. Man ist verändert. Zunächst zum Unguten. Aber das kann sich ändern, indem das Erlebte verarbeitet wird und man bereit ist daran zu wachsen. Das ist für mich letztlich der einzige Sinn, den eine solche Erfahrung für die Betroffenen haben kann. 
 
Wohin mit dem Schmerz?
Egal wie groß der Schmerz ist, Schmerz vergeht, wenn wir uns damit auseinandersetzen, wenn wir bereit sind ihn anzunehmen und ihn zu heilen. Leiden aber ist selbstgemacht, dann, wenn wir nicht aufhören uns im Schmerz zu suhlen und darin heimisch werden. 
 
Wir haben mehr Macht, als wir denken.
Auch wenn wir uns dem Schmerz gegenüber machtlos fühlen, unser eigener Anteil am Leiden ist grösser, als wir es wahrnehmen. Nämlich darum, weil wir dem ohnehin bestehenden Leid selbst noch mehr Leid hinzufügen. 
Wir fügen mehr Leid hinzu, wenn wir in unveränderbaren Situationen in Gedankenschleifen kreisen und uns immer wieder fragen: Warum?
Wir fügen mehr Leid hinzu, wenn wir uns verurteilen und uns Vorwürfe machen, weil wir so gehandelt haben oder gefühlt haben, wie wir fühlten.
Wir fügen mehr Leid hinzu, wenn wir versuchen etwas zu ändern, was nicht zu ändern ist.
Wir fügen mehr Leid hinzu, wenn wir Anhaften an etwas, was längst verloren ist oder wenn wir etwas unbedingt haben wollen, was wir nicht haben können. Oder wenn wir etwas loswerden wollen, was nicht loszuwerden ist. Dazu gehört auch an etwas festzuhalten, was unwiederbringlich zu Ende ist. Dazu gehört unseren Schmerz mit Alkohol, Drogen und Psychopharmaka zu betäuben. Mit diesen Verhaltensweisen machen wir den Schmerz größer, wir schaffen zusätzliches Leiden, das vermeidbar ist. 
 
Heilsam ist, uns uns selbst zuwenden.
Nachdem wir uns bewusst gemacht haben, dass wir ein Mehr an Leiden nicht brauchen und unser Handeln danach richten, so gut wir es können, kümmern wir uns auschließlich um unser eigenes Warum. Wir richten den Focus auf uns selbst und geben keine Energie mehr in den anderen, weil es absolut sinnlos ist und zu nichts führt, außer, dass wir uns von uns selbst abwenden und dem was zu tun ist – nämlich uns gesunden zu lassen. 
 
Also: Warum ich?
Unser Warum klärt sich, wenn wir folgende Fragen zulassen:
Was in mir hat diesen Menschen in mein Leben eingeladen?
Was hat mich an diesen Menschen gebunden?
Was in mir hat dieses Leid zugelassen?
Was in mir hat das mit sich machen lassen?
Was in mir hat mich so lange aushalten lassen?
Was wollte ich nicht loslassen?
Und: Warum haben ich diese Erfahrung gebraucht und was darf ich daraus über mich selbst lernen?
 
Das ist der Anfang. Damit beginnt der heilsame Weg um das zerbröselte Etwas, das wir sind, zu verstehen, liebevoll und mitfühlend anzunehmen und die inneren Anteile, die uns das Drama haben mitspielen lassen, anzuschauen, zu verstehen und zu heilen.
Und ja, das ist schwere Arbeit und sie kann dauern ...
 
Wenn Du den Weg alleine nicht schaffst, bin ich für Dich da.
 
 
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Dienstag, 15. Juni 2021

Aus der Praxis - Die Wucht der Kränkung

 

                                                             Zeichnung: A. Wende

Man kann nicht, nicht gekränkt sein.

Niemand von uns kann sich gegen Kränkungen schützen. Kränkungen gehören zum Leben. Sie sind quasi an der Tagesordnung, besonders in engen Beziehungen. Wir alle wurden schon gekränkt und wir alle haben schon andere gekränkt. Die einen von uns machen ein Pokerface und stecken die Kränkung weg oder sie tun so als gingen sie cool damit um. Was aber nicht bedeutet, dass die Kränkung im Unterbewusstsein nicht weiter schwelt. Sie sind sich dessen nur nicht bewusst. 


Nicht jeder reagiert auf diese Weise auf eine Kränkung.

Kränkungen können für manche Menschen eine derart große Wucht haben, dass es sie vollkommen umhaut. Und nein, das sind nicht nur die Sensiblen unter uns, es sind sogar oft sehr selbstbewusste Menschen, die sonst nichts so leicht umhaut und die in ihrem Leben viele Krisen gemeistert haben.

Es ist also wichtig, bevor wir mit Sprüchen kommen wie: „Jetzt nimm das mal nicht so schwer!“, genau hinzusehen, was mit einem Menschen, der gekränkt ist, wirklich los ist. Aus Erfahrung weiß ich – er geht durch eine emotionale Hölle. 

 

Eine Kränkung ist eine ernstzunehmende seelische Verletzung. Aus der Hirnforschung weiß man, dass sie den gleichen Effekt hat wie eine körperliche Verletzung.  

Eine Kränkung ist die Verletzung eines anderen Menschen in seiner Würde, seinen Werten, seinen Gefühlen und seiner Selbstachtung.

Aus Kränkungen werden Kriege, aus Kränkungen heraus morden Menschen, gekränkte Menschen laufen Amok. 

Kränkungen sind sehr ernst zu nehmen.

Wenn Kränkungen sich manifestieren sind sie eine zersetzende Kraft.

Es heißt nicht umsonst: Was kränkt, macht krank.

 

Tief gekränkte Menschen brauchen Hilfe. Sie erleben einen Cocktail destruktiver Gefühle wie Ohnmacht, Wut, Hass, Trauer, Scham, Schuld u.v.m.

Spätestens dann, wenn die Kränkung in den Mittelpunkt des Lebens gerückt ist, ist der Mensch in einem Käfig gefangen aus dem er ohne Hilfe von außen nicht mehr herauskommt. Anstatt zu versuchen irgendwie alleine damit fertig zu werden, sollte  unbedingt professionelle Hilfe gesucht werden. 

 

Ist die Kränkung tief, aber beherrscht sie nicht unsere ganzes Denken und Fühlen, können wir lernen damit umzugehen und sie zu bewältigen.

Aber wir geht das?

 

Anerkennen

Der erste Schritt ist, sich selbst einzugestehen, das man gekränkt ist und nicht drüber steht. Es nicht herunterspielen, weil wir cool sein wollen oder so etwas nicht in unser Selbstbild passt. Die Kränkung geht dadurch nicht weg und kann weiter wirken wie ein Schwelbrand in der Seele. Es ist also wichtig die Kränkung ernst zu nehmen und uns ihrer bewusst werden. Und es ist wichtig zuzugeben, dass wir darunter leiden.

 

Reden

Die Kränkung ansprechen und zwar der Person gegenüber, die uns gekränkt hat. 

Das erfordert Mut, denn man will ja nicht schwach erscheinen, aber – zum einen ist es keine Schwäche zu sagen, was man empfindet, sondern es zeugt vielmehr von Selbstbewusstsein und Stärke – und zum anderen hat der, der die Kränkung verursacht hat, so die Möglichkeit sich zu erklären oder sich zu entschuldigen. 

Tut er das nicht, ist die Beziehung zerstört.

 

Wir brauchen jemand anderen zum Reden. 

Einen empathischen Menschen, der uns ernst nimmt, uns achtsam zuhört und uns tröstet um über die Kränkung hinwegzukommen. Einen Menschen, der uns in unserem Verletztsein, unserer Fassungslosigkeit, unserem Schmerz, unserer Scham, unserer Wut und unserer Trauer annimmt und ernst nimmt.

 

Kränkung als Chance

Eine Möglichkeit, die nur sehr wenigen Menschen gelingt ist: Die Kränkung als hilfreiche Kritik anzunehmen um daran zu wachsen. Und zwar in dem Sinne, dass wir etwas über uns erfahren, was uns vielleicht nicht bewusst war. 

 

Jede Kränkung trifft auf einen wunden Punkt – sie trifft also auf eine Wunde, die zuvor schon da war und nicht verheilt. Das zeigt uns wo wir noch heilen dürfen.

Wir können uns fragen:

Warum genau bin ich so gekränkt?

Was genau hat mich so tief verletzt?

Was in meinem Selbstbild ist verletzt?

Welche meiner Werte wurden verletzt?

Was habe ich bisher nicht gesehen?

Welche alten schmerzhaften Erfahrungen kommen durch die Kränkung nach Oben?

 

Diese Fragen führen uns zu uns selbst hin und weg von dem, der uns gekränkt hat. Geben wir diesem Menschen keine Macht über uns, dann wachsen wir an der Lektion.

 Aber wie gesagt: Es ist schwer eine tiefe Kränkung zu überwinden und es kann lange dauern. Eine Kränkung ist ein Verlust von vielem, manchmal sogar von einem Menschen, den wir geliebt oder dem wir vertraut haben.

Sie zu verarbeiten braucht Zeit und Geduld mit uns selbst. Im Grunde ist es wie Trauern. Aber diese Trauer hilft uns letztlich nicht zu verbittern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freitag, 11. Juni 2021

Aus der Praxis – Einsamkeit – das verlassene Innere Kind

 

                                                                     Foto: www


Keiner kann beurteilen, ob wir einsam sind, oder ob wir im Moment allein sind. Dass wir allein sind kommt immer mal wieder für kürzere oder lange Zeit vor. Alleinsein ist der Kontrast zum Kontakt mit anderen Menschen.
Einsamkeit aber ist etwas völlig anderes – sie ist ein zutiefst persönliches Gefühl. Ein Gefühl, wie gesagt – wir „fühlen“ uns einsam. Und das können wir sogar dann fühlen, wenn wir unter Menschen sind, manche von uns fühlen es sogar wenn sie in einer Beziehung sind.
Zur Zeit habe ich viele Klienten, die unter diesem Gefühl der Einsamkeit leiden. „Es fühlt sich an wie sterben, sagte neulich eine junge Frau zu mir. "Es ist, als ob ich mich auflöse. Das macht mir Angst.“
Ich habe viel über Einsamkeit geschrieben, in meinem Blog gibt es einige Artikel über dieses existentiell bedrohliche Gefühl. Ich war ein einsames Kind und dieses Kind lebt noch heute in mir. Die innere Einsamkeit und ich sind Vertraute. Ich kann das Gefühl meiner Klientin sehr gut mitfühlen.
 
Am besten lässt sich Einsamkeit in Bildern beschreiben. 
 
Einsamkeit ist wie ein Loch in der Mitte.
Groß und dunkel und leer.
In dieser Mitte suchst du instinktiv Halt.
Aber du findest dort nichts.
Dort ist nur das Loch.
Dort ist nur die Leere.
Dort ist nur die Dunkelheit.
Das lässt dich den Halt verlieren.
 Du fällst ins Bodenlose und wartest auf den Aufschlag ...
 
Gleichzeitig denken einsame Menschen sie sitzen in einem Käfig, aus dem es keinen Ausweg gibt. Zu dem Gefühl kommen Gedanken wie: Keiner liebt mich, keinem bin ich wichtig, niemand braucht mich, es ist egal, ob es mich gibt oder nicht, alle haben jemanden, nur ich nicht, ich bin nutzlos, bedeutungslos, ich habe es verdient, ich werde bestraft, alles ist sinnlos, ich werde immer einsam sein.
Diese unheilsamen Gedanken verstärken das Gefühl und je mehr wir diesen Gedanken glauben, desto schwärzer wird das Loch. 
 
Meist entsteht Einsamkeit wenn wir tatsächlich keinen Kontakt haben oder wenn wir Kontakte haben aber keinen Menschen, der uns emotional nahe steht und der uns versteht.  
Dann fühlen wir uns wie ein verlassenes Kind, mutterseelenallein auf der Welt. Um dieses Kind geht es oft, wenn Menschen Einsamkeit als bedrohlich und schmerzhaft empfinden. Wenn wir also beginnen uns mit unserer Einsamkeit auseinanderzusetzen führt der Weg zu unserem Inneren Kind, an ihm kommen wir nicht vorbei.
Ich weiß, dass die äußeren Umstände einen großen Teil dazu beitragen, dass wir uns einsam fühlen. Unsere Lebensumstände können ein auslösender Faktor sein, doch die wahre Ursache liegt in den meisten Fällen tiefer. Einsamkeit ist nämlich kein objektiver Tatbestand, denn nicht alle Menschen fühlen sie, sie ist ein höchst persönliches, rein subjektives Gefühl.
Wie wir darauf reagieren macht den Unterschied, unsere Reaktion auf das was wir erleben, entscheidet wie wir das Erlebte empfinden. Sie entscheidet, ob wir uns einsam fühlen oder nicht und sie entscheidet auch darüber ob wir die Einsamkeit durchbrechen können. 
 
Was ist mit dem Loch in der Mitte?
Es lässt sich nicht füllen.
Weil da von Kindheit an etwas fehlt.
Das Urvertrauen, das dir nicht geschenkt wurde.
 
Darum geht es, wenn wir unsere Einsamkeit überwinden wollen – um dieses fehlende Urvertrauen. 
Erlebnisse in der Kindheit können das Vertrauen in eine beschützende, liebevolle, haltgebende Welt zerstören. Sie führen dazu, dass wir uns einsam und verlassen fühlen.  
Diese Erfahrung gräbt sich ein und bestimmt unser in - der -Welt sein.
Wenn wir früh Verlassenheit erfahren, aus welchen Gründen auch immer, kann uns das ein Leben lang begleiten und sich als innere Einsamkeit zeigen. Wenn wir früh erfahren wie unsicher oder wie vergänglich Beziehungen sind, kann das dazu führen, dass wir enge Bindungen nicht vertrauensvoll eingehen können. Auch körperlicher und seelischer Missbrauch, Abwertung, Demütigung, Hänselei und Zurückweisung, alle Erlebnisse, die uns das Gefühl geben „schlecht“ oder „falsch“ zu sein, können dazu führen, dass wir uns allein und schutzlos in der Welt fühlen. Solche Erfahrungen können dazu führen, dass wir eine unbewusste Angst vor Menschen entwickeln. Die Welt ist dann ein unsicherer Ort. Wir schließen daraus, dass wir auf uns selbst angewiesen sind um zu überleben. Diese Erfahrung speichern wir ab, diese Erfahrung fühlen wir - diesen unsicheren Ort der Kindheit - und wir verlassen ihn innerlich nicht. Wir verkriechen uns in einen inneren Käfig, der uns schützen soll, und wir kommen da allein meist auch nicht so leicht raus.
 
Wenn wir also beschließen unserer Einsamkeit ein Ende zu setzen, ist es unabdingbar uns mit den tieferen Ursachen zu befassen. Wir müssen uns diesem verlassenen Kind stellen. Wir müssen uns unseren Ängsten stellen. Und ja, hier sage ich „müssen“, denn tun wir das nicht, werden wir weiter einsam sein.
Wenn wir unsere Einsamkeit ein für alle mal satt haben und entschieden sagen: Ja, ich bin bereit diesen Schritt zu machen, ich nehme die Herausforderung an, dann ist das der erste Schritt raus aus dem inneren Käfig.
Es gibt einen Weg da raus, es gibt immer einen Weg, auch wenn er beschwerlich ist und lange dauern mag. Und wenn alle Hindernisse überwunden sind, sind wir vielleicht immer noch eine Weile allein, aber wir fühlen uns nicht mehr einsam. Und vor allem wissen wir, wie wir liebevoll und fürsorglich mit diesem verlassenen Kind in uns umgehen. 
 
Auf diesem Weg begleite ich Dich gern.
 
 
 
 

Donnerstag, 10. Juni 2021

Aus der Praxis – Was bringt es in der Vergangenheit zu graben?

                                                          Foto: www
 
 
Sätze wie: Lass doch die Vergangenheit endlich ruhen! Hör auf die Eltern verantwortlich zu machen, für alles, was in deinem Leben schief läuft!, haben durchaus ihre Berechtigung.
Ja, es ist gut nicht in der Vergangenheit zu leben, denn tun wir das ständig, verpassen wir das Erleben im Jetzt oder unsere Gegenwart ist zumindest mit den belastenden früheren Erfahrungen unserer unguten Erfahrungen eingefärbt und wir handeln aus alten Mustern und inneren Überzeugungen heraus, derer wir uns nicht bewusst sind. Damit verpassen wir vieles was uns glücklicher machen könnte und machen vieles kaputt, was gut sein könnte.
Und ja, es ist nicht hilfreich, den Eltern die Verantwortung für alles zu geben, was uns belastet, oder wie ich immer sage: Eine beschissene Kindheit ist kein Grund ein beschissenes Leben zu leben. 
 
Aber ...
Es macht Sinn sich mit der eigenen Geschichte, denn das ist unsere Vergangenheit, ein Teil unserer Geschichte, aueinanderzusetzen um sich besser zu verstehen. Sich aus der Vergangenheit heraus zu verstehen, heißt nicht Verantwortung abzugeben oder Schuld zuzuweisen - es heißt: Zu verstehen, warum man der Mensch geworden ist, der man heute ist. Es bedeutet: sich tiefer zu verstehen. Und dazu ist die Vergangenheit der Schlüssel.
Wenn wir wissen, wie gewisse Überzeugungen und Muster, Verhaltensweisen, Gedanken und Gefühle entstanden sind, die zu unseren Neurosen geführt haben, dann bedeutet das nicht, dass wir die Vergangenheit verteufeln oder den Eltern die Schuld dafür geben. Es heißt auch nicht, dass wir all das Unheilsame emotional noch einmal durchleben müssen.
Es geht um uns selbst - um das Verstehen eigenen Denkens, Fühlens und Verhaltens und nicht um Entlastung indem wir die Vergangenheit für alles was schief läuft und uns blockiert, verantwortlich machen. 
 
Es geht auch nicht darum alles, was man uns an Unheilsamen angetan hat, zu verstehen und zu verzeihen. Wenn es gelingt, schön, wenn nicht, auch okay.
Es geht allein darum hinzuschauen und uns selbst Verständnis, Liebe und Mitgefühl zu schenken. Es geht um das Verstehen und Begreifen all dessen, was wir bisher nicht verstanden und begriffen haben. Es geht allein um die Aussöhnung mit der eigenen Biografie und um die Versöhnung mit uns selbst. 
 
Uns selbst aus unserer Geschichte heraus zu verstehen bedeutet: Wir kommen uns selbst nah.
Wir entzerren das verzerrte Bild, das wir von uns selbst haben, wir korrigieren die Haltung, die wir uns selbst gegenüber haben, wir begreifen uns selbst, wir nehmen uns selbst in Besitz, unabhängig von den anderen und dem, was sie uns getan haben - wir werden selbstabhängig. Wir befreien uns von Selbstanklagen, Schuld, Scham und Selbstvorwürfen, wir befreien uns von Gedanken wie: Ich habe es nicht besser verdient, weil ich nicht okay bin, nicht gut genug, anders als andere, und und und ...
Damit ergreifen wir bewusst unsere Verantwortung für ein besseres Jetzt.