Mittwoch, 31. Juli 2019

Wut ist nicht gut für unseren Seelenfrieden

Foto: A. Wende


Auch ich habe die Gelassenheit nicht mit Löffeln gefressen.
Ich bin gerade sehr wütend. Ich bin wütend, weil ich mich tief verletzt fühle. Ich spüre, dass diese Wut mir gar nicht gut tut. Und ich sehe - sie verändert nichts. Meine Verletzung tut nicht weniger weh, sie tut sogar noch mehr weh, indem ich die Wut füttere. Ich will in meine innere Ruhe zurückfinden und ich bin bereit dazu, weil es mir reicht mit dieser destruktiven Emotion durch die Tage zu gehen.

Was passiert wenn wir wütend sind?
Wenn wir wütend sind fühlen wir uns nicht wohl. Wir schlafen schlecht, wir sind weniger achtsam auf das Jetzt, wir haben den ganzen Tag ein Grummeln im Bauch, wir sind unruhig und innerlich aus der Balance. Wir sind nicht mehr bei uns selbst, sondern wir sind mit unserer Aufmerksamkeit bei dem, was uns wütend macht.
Wütend zu sein bedeutet dabei nicht bei jedem von uns unbedingt, dass wir unserer Wut Luft machen, weil wir ja gelernt haben, dass das gar nicht gut ist, und so sind wir innerlich wütend. Diese Wut kann uns auf Dauer zerfressen. Wut ist etwas, das uns gar nicht gut tut und keine Vorteile mit sich bringt. Wenn unsere Wut zu stark wird, dass wir sie dann doch irgendwie loswerden müssen, explodieren wir vielleicht. Es kommt zum Wutausbruch. Das ist ersten Moment ungemein befreiend. Wir machen uns Luft.

Aber, fühlen wir uns wirklich besser?
Hilft es uns dabei, dass es uns besser geht?
Hilft es uns das Problem zu lösen, das die Wut hat entstehen lassen oder hilft es uns die Verletzung, die wir erfahren haben, wegzumachen?
Nein, es hilft nur für den Moment, aber nicht dauerhaft.
Wütend sein erlöst uns nicht, es kann uns zwar manchmal helfen uns von etwas oder jemanden zu lösen, aber auf Dauer ist sie kein guter Begleiter für ein zufriedenes Leben, wenn wir sie nicht erlösen.

Wut ist ein großes Hindernis für unseren Seelenfrieden und deshalb ist es sehr wichtig, daran zu arbeiten. 

Ich habe mich entschieden, ich will meine Wut nicht weiter in mir herumtragen, nicht nur um wieder Frieden für mich selbst zu erlangen, sondern zum Wohle aller die mit mir leben.
Was können wir tun?
Um unsere Wut zu (er) lösen hilft es uns dem Problem zu stellen, das sie verursacht und nicht der Wut selbst. Das heißt nicht, dass wir sie nicht fühlen und da sein lassen. Das ist okay.
Es heißt wir schauen bewusst auf das, was uns so wütend macht – wir wenden uns der Ursache zu und nicht der Wirkung, die sie emotional in uns erzeugt.
Das heißt, dass wir das Problem anschauen, um zu erkennen, wie dumm und lächerlich es ist mit diesem Problem weiter leben zu wollen. Stattdessen können wir eine gesunde Entscheidung treffen: Wir entscheiden, dass wir so nicht weiter machen. Wir haben die Schnauze voll. Dieses Problem langweilt uns und macht uns vielleicht sogar krank.
Nun heißt das nicht, dass wir es dadurch lösen.
Manche Probleme lassen sich nicht so einfach lösen.
Was dann?
Shantideva, ein großer indischer Meister des Buddhismus, sagte einmal: „Wenn es etwas gibt, was wir in einer schwierigen Situation tun können, um sie zu verändern, warum sollten wir uns dann Sorgen machen und wütend werden; wir ändern einfach, was zu ändern ist. Wenn die Situation nicht verändert werden kann, dann hilft es nichts, sich Sorgen zu machen und ärgerlich zu werden.“

Wenn wir die Situation nicht ändern können, dann hilft nur eins: Wir akzeptieren, dass wir sie nicht ändern können und ändern unsere innere Haltung - wir lassen los.

Loslassen heißt nicht, ich will oder ich muss es los werden.
Es los werden wollen, bedeutet im Kampf sein mit dem, was ich nicht haben will. Loslassen heißt, es so sein lassen wie es ist und annehmen was ist. Annehmen bedeutet im Frieden sein, mit dem was ist.
Das können wir üben.
In diese Übung können wir unsere Energie geben und nicht in die Wut.
Energie folgt immer unserer Aufmerksamkeit.

Also macht es Sinn den Focus nicht auf das richten, was du nicht willst sondern auf das, was du willst.

Namaste

Montag, 29. Juli 2019

Gedankensplitter


 



Manchmal ist Liebe ein Spiel mit dem Schatten, ein Schattenspiel oder eine Schattengleiche. Zwei Schatten gleichen einander aus.
Manchmal wird das Spiel zum Kampf.

Samstag, 27. Juli 2019

Ruhe finden im Sturm des Schmerzes

Foto: www


Schmerz, den wir empfinden ist normal. Schmerz gehört zum Leben. Er kommt und er geht. Aber manchmal dauert der Schmerz zu lange. Er dauert manchmal so lange bis wir das Gefühl haben, dass wir nur noch Schmerz sind. Immer wieder kommen die gleichen Gefühle und Gedanken. Sie drehen wie kleine Hamster das Rad im Kopf bis uns ganz schwindelig wird. Und mit jeder Drehung erleben wir den Schmerz neu. Wir sehen ein, wir schaffen es nicht ihn loszulassen.

Das führt nicht nur dazu, dass wir unglücklich und niedergeschlagen sind, es führt auch dazu, dass wir vieles in unserem Leben nicht mehr auf die Reihe kriegen. Wir sind betäubt vom Schmerz und der Alltag zieht an uns vorüber als habe er mit uns nichts zu tun. Wir gehören nicht mehr dazu. Wir gehören nicht einmal mehr zu uns, weil der Schmerz die Verbindung zu unserer vitalen Lebensenergie kappt. Wir sind Gefangene in einem Kreislauf aus Schmerz.

Das kann jedem von uns passieren. Niemand, auch ich, die viel weiß und viel Erfahrung im Umgang mit Schmerz hat, eigenem und fremdem, kenne das gut. Es gibt Dinge im Leben, die man nicht so einfach verkraften kann, und schon gar nicht schnell. Das ist okay und wir sollten uns dafür auch nicht kritisieren oder verurteilen.

Schmerz, der zu lange dauert, ergibt sich aus dem, was uns tief in der Seele verletzt.
Ganz tief, so tief, dass wir glauben, es wird nie mehr gut.
Es braucht Zeit, einen solch tiefen Schmerz zu verarbeiten.
Und je tiefer er sitzt, desto mehr Zeit braucht es.
Tiefe Wunden heilen langsam.
Das zu akzeptieren löst unseren Kampf mit uns selber.
Wir lassen uns Zeit.

Trotzdem verpflichten wir uns uns selbst gegenüber, alles zu tun, um den Schmerz zu lindern.
Dabei hilft es, unsere Aufmerksamkeit auf die Gegenwart zu richten. Die Vergangenheit ist vorbei. Sie wird nicht wieder kommen, sie wird sich nicht verändern lassen, außer in unseren Gedanken.
Und genau das, sie verändern zu wollen, nicht sein lassen zu können was war und ist, verursacht Schmerz und emotionalen Stress.
Bringen wir stattdessen so oft wir es schaffen, unsere Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment. Auf das Jetzt.
Wir sind achtsam.
Wir beobachten uns.
Was mache ich gerade?
Was kann ich Gutes an dem finden, was gerade passiert?
Was kann ich tun, was mich so beschäftigt, dass ich den Schmerz für das Jetzt vergesse?

Natürlich werden wir unvermeidlich auch wieder über die Vergangenheit nachdenken. Wir akzeptieren das, und bringen uns zurück in den gegenwärtigen Moment.
Besonders hilfreich ist bewusstes Atmen.
Immer wieder empfehle ich das meinen Klienten, weil es wirkt.

Versuche dich auf deine Atmung zu konzentrieren.
Stell dir vor: Jedes Ausatmen ist der Schmerz der Vergangenheit.
Und jedes Einatmen ist Frieden, der in dich hineinströmt.

Je öfter wir das machen, desto ruhiger werden wir.
Ruhig im Sturm des Schmerzes werden, ist unser Ziel in – diesem Moment in der Zeit.
Nichts weiter.
Mehr ist nicht zu tun.
Wir sind nicht machtlos dem Schmerz gegenüber.
Wir sind fähig, Frieden in unser Leben treten zu lassen.
Schritt für Schritt lassen wir die Vergangenheit sein.
Wir klammern nicht mehr an dem, was wir nicht mehr haben.
Wir haften nicht mehr an der Vergangenheit an.
Wir üben das Atmen für den Frieden in der Gegenwart.

Geduldig.
Wieder und wieder ...

Namaste


Mittwoch, 24. Juli 2019

Wenn der Körper Alarmstufe ROT zeigt



Foto: A. Wende

Wenn wir an einem Thema zu scheitern drohen, werden wir krank. Dieser Zusammenhang ist uns meist nicht bewusst. Was wir auf seelischer Ebene nicht verkraften oder lösen können, wandert irgendwann auf die körperliche Ebene. Wir weichen dem eigentlichen Thema aus und somatisieren das Ungelöste über den Körper.

Ein solches Ausweichen, auch Abwehrreaktion genannt, zeigt sich im Extremfall in der Hypochondrie: Der Hypochonder „bildet“ sich seine Krankheiten ein, weil er unbewusst so seinen Themen, seinen Problemen und Ängsten ausweichen kann. Er beschäftigt sich ständig und geradezu zwanghaft mit dem eigenen Körper anstatt mit dem, was die Seele ihm zeigen will.
Aber nicht alle Krankheiten, die aus seelischen Ursachen entstehen sind eingebildet. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Körper (Soma) und Seele (Psyche). Beide beeinflussen sich wechselseitig.

Negativer Stress, chronische Anspannung, permanente Überforderung, dauernde Angst, Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht, Enttäuschung und Einsamkeit führen zu körperlichen Reaktionen. Sie belasten unser Immunsystem, sie beeinflussen den Stoffwechsel, die Gesundheit der Zähne und der Organe, sie führen zu schlechtem Schlaf und zu einer dauerhaften Verkrampfung der Muskulatur. Hält die seelische Belastung und die darauf erfolgenden organischen Symptome über lange Zeit an, können manifeste Schmerzen und andere körperliche Erkrankungen entstehen.
Der Mensch wird krank. Der Körper ist im Alarmzustand. Die Beschwerden führen zu noch größerem Stress, der wiederum die Symptome verschlimmert – ein Teufelskreis entsteht.

Es steckt eine sehr verzweifelte Seele dahinter, wenn sich Schmerzen und Krankheiten ausbilden, um seelisches Leid zu kompensieren.

Emotionale Konflikte, ungelöste Probleme, Kränkungen und Ängste laufen häufig im Verborgenen ab. Wir versuchen das Belastende wegzudrücken, wir sagen uns, so schlimm ist alles nicht. Wir verdrängen und wehren ab was uns schmerzt, weil wir glauben, dass die Auseinandersetzung mit diesen Themen uns überfordert, weil wir spüren dass sich, würden wir genau hinsehen, sehr schmerzhafte Wahrheiten in unser Bewusstsein drängen würden und wir etwas in unserem Leben unbedingt ändern müssen.
Verdrängung ist grundsätzlich nichts Ungutes, sie ist ein Schutz der Seele, um sich nicht ständig mit den Widrigkeiten des Lebens auseinandersetzen zu müssen. Auf der anderen Seite kann zu lange Verdrängung aber auch krank machen.
Dann ist es höchste Zeit wirklich hinzuschauen.
Wir können uns fragen:
Was will mein Körper mir sagen?
Auf welches ungelöste Thema will er mich hinweisen?
Und: Was muss ich denn nicht mehr tun, mit der Krankheit, die ich habe?
Was erspare ich mir damit?

Jede Krankheit hat ihre Botschaft an uns.
Sie ist ein Hinweis auf den Bereich in unserem Leben, der aus der Balance geraten ist, der uns nicht mehr gut tut und krank macht. Je früher wir hinsehen, desto gesünder ist es. Je länger wir wegsehen, desto alarmierender reagiert der Körper. Wach endlich auf, will er uns sagen und tu was für mich und für dich!

Was können wir tun? Außer zum Arzt gehen und uns helfen lassen?
Wir können versuchen unsere Schmerzen und Krankheiten liebevoll anzunehmen, im Wissen, das hilft uns bei der Bewältigung unserer Themen.
An erster Stelle steht also das Annehmen, aus dem heraus sich so etwas wie liebevolle Zuwendung zu uns selbst hin entwickeln kann. Und genau die brauchen wir, wenn wir krank sind. In dieser Art von Liebe liegt die Ahnung, was das Leben uns sagen will, wenn es uns ausbremst und wofür gerade auch Schmerzhaftes gut ist.
Möget ihr gesund sein.

Sonntag, 21. Juli 2019

Gedanken zur Krise der Lebensmitte




Manchmal verlieren wir den roten Faden unserer Seele im Labyrinth des Lebens. Dann erinnert uns möglicherweise das Schicksal daran, dass da etwas komplett ungut läuft. Es "schlägt zu" wenn wir uns selbst nicht gut tun, wenn wir zu viel tun, was über unsere Kraft geht, wenn wir auf einem Weg sind, der nirgendwohin oder gar in den Abgrund führt. Es erinnert uns daran, dass wir uns etwas "schuldig" geblieben sind. "Um ein guter Schicksalsspieler zu werden müssen wir von der Vogel-Strauss-Taktik Abstand nehmen und unsere nicht entwickelten Anlagen erkennen", schreibt der Schicksalsforscher Herrman Meyer. Er meint damit, das zu erkennen, was in uns angelegt ist, um es zu entfalten und endlich ins Leben zu holen.

Viele Menschen fragen sich, besonders in der Lebensmitte:
Wer bin ich eigentlich?
Was ist der Sinn meines Daseins?
War es das jetzt?
Wofür habe ich gelebt?
Habe ich verwirklicht, was ich mir einst wünschte?
Wohin bin ich gekommen?
An welchem Punkt stehe ich jetzt und wie soll es von hier aus weiter gehen?

Irgendjemand soll ihnen die Antwort geben. Manche legen in ihrer Ratlosigkeit sogar Engelskarten oder Tarot, um dort Antworten zu finden. Und dann lesen sie die Antworten, die ihnen ihr eigenes Unbewusstes, das sich in den Karten spiegelt, gibt - und machen weiter wie vorher.
Sie gehen den Holzweg weiter.

Eine häufige Erkrankung in der Krise der Lebensmitte ist die Depression. Die Betroffenen spüren, dass es in ihrem Leben so nicht weiter gehen kann, dass ein Richtungswechsel erforderlich ist - und zwar: Blickrichtung nach Innen. Und genau dazu zwingt die Depression: Zum Inne halten, weil nichts mehr geht. Narzisstische Persönlichkeiten fallen in eine narzisstische Krise, wenn ihr bisheriges Leben mehr Misserfolge als Erfolge zu verzeichnen hat. Die Maske fällt, der Größenwahn hält dem inneren Kleinheitsgefühl nicht mehr stand. Der Mensch steht vor sich selbst nackt da und spürt vielleicht zum ersten Mal seine Verwundbarkeit.

Die Mitte des Lebens ist ein entscheidender Wendepunkt.
Das Meiste ist gelebt. Fünfzig Jahre sind vergangen und weitere fünfzig werden die meisten von uns nicht erleben. Die Zeit wird kostbarer als je zuvor. Anstatt zu versuchen in der Lebensmitte krampfhaft das Versäumte nachzuholen - ein Nachholen steht im Widerspruch zu der notwendigen Umkehr im Leben - macht es Sinn, das Wesentliche zu erkennen, was uns nach all den gelebten Jahren ausmacht und was wir nach dieser Erkenntnis aus uns machen und was wir in der uns verbleibenden Zeit, gestalten wollen.

C.G. Jung sagte einmal, dass Menschen, die die Spiritualität nach der Lebensmitte nicht finden, in schwerste Sinnkrisen fallen. Dann wird Leiden zum Ersatz für das Entwickeln der eigenen Potentiale.
Aber woran leiden wir emotional?
Wir leiden an dem, was wir nicht haben, nicht haben können oder verloren haben. Wir leiden an den Gedanken an die Vergangenheit, die uns weh getan hat, sei es durch andere Menschen oder durch uns selbst oder durch all die unguten und schmerzhaften Erfahrungen, die wir machen mussten. All das können wir nicht loslassen. Und ja, das ist auch schwer, aber das Festhalten ist nicht leichter.
Wir halten fest an längst Überlebtem und es wird weiter gelitten.

Wo ist der sekundäre Gewinn?
Der Gewinn ist eine scheinbare Sicherheit, eine scheinbare Stabilität, weil es bleibt wie es ist und wir den Ist-Zustand kennen und berechnen können.
Warum bleiben Menschen beieinander, die sich nichts mehr zu geben haben? Warum machen wir weiter den Job, der ausbrennt, warum müllen wir uns mit sinnentleerter Ablenkung und unnützen Dingen zu? Weil das alles bekannt, vertraut und berechenbar ist, weil das Gewohnte erträglicher anmutet, als die Angst vor Veränderung oder das Riskieren von Verlusten. Das Streben nach Berechenbarkeit dominiert unser Denken und unsere Welt – vor allen sorgt es dafür, dass wir funktionieren. Kontrollieren, Festhalten am Gewohnten und Risiken ausschließen vermittelt uns das Gefühl von Stabilität. Aber nur aus der bewusst wahrgenommenen Qualität der eigenen Instabilität heraus wächst echte Stabilität in unserem Inneren. Wenn wir bereit sind, das Instabile zuzulassen und uns selbst ehrlich zu begegnen, wenn wir das Risiko eingehen unsere Schatten anzuschauen, wenn wir bereit sind, die Täuschungen, denen wir anhaften zu ent-täuschen, begegnen wir der Wahrheit, und zwar der eigenen. Dann beginnen wir uns mit unserem ureigenen Wesen auseinanderzusetzen. Und zwar im Jetzt. Und nicht gefangen im Blick nach dem nicht mehr Veränderbaren was hinter uns liegt.

Wenn wir im Laufe dieses Prozess alle Seiten unserer Person anerkennen können, als einander bedingende Teile des Ganzen, sind wir auf dem Weg in eine Stabilität, die sich echt anfühlt und uns inneren Halt gibt. Dann folgt authentisches Handeln, was nicht anderes bedeutet, als dass unsere Gedanken, Gefühle und Taten übereinstimmen. Das wäre das Ende der Selbstlüge. Und damit schöpfen wir Mut. Wir sind wahrhaftig. Und wir erkennen auch unsere Angst vor der Veränderung an. Aber wir wandeln sie: Sie wird zum Motor um mit der Veränderung zu beginnen, die wegweisend ist über die Lebensmitte hinaus.

Namaste

Freitag, 19. Juli 2019

Zuneigungshunger



Jede Beziehung, die auf emotionaler Abhängigkeit und kindlichem Bedürfnis- und Zuneigungshunger anstatt auf Liebe basiert, wirkt in sich selbst zerstörerisch.
Sie wird nicht funktionieren.
Zu viel Bedürftigkeit, zu viel Zuneigungshunger macht uns zu Abhängigen.
Wir kleben am anderen, der zum Objekt unserer unerlösten kindlichen Sehnsucht mutiert.
Wir sehen nicht ihn, was wir sehen ist das, was wir von ihm wollen.
Wir sehen nicht ihn, was wir sehen ist das, was wir von ihm brauchen.
Wir lieben ihn ihn, wir lieben, was wir von ihm bekommen. 
Wir sehen uns selbst und nicht den anderen.

Zu viel Bedürftigkeit und Zuneigungshunger erstickt jede Form der Liebe.
Liebe ist nicht abhängig. Von nichts und von Niemanden.
Je voller wir mit Zuneigungshunger sind, desto eher ziehen wir genau die Menschen an, die das auch in sich tragen. Die voll sind davon und leer an Liebe.

Es treffen sich zwei unreife Erwachsene auf Kindesebene.
Wir denken, wir haben unseren Seelenpartner gefunden.
Wir beginnen uns vollkommen auf diesen Menschen zu konzentrieren.
Wir meinen wir haben endlich die Quelle unseres Glücks gefunden.
Aber mit der Zeit müssen wir erfahren, unsere Bedürfnisse werden nicht gestillt.
Die Quelle des anderen ist genauso vertrocknet wie die unsere.

Wir spüren Enttäuschung und werden wütend auf den Menschen, der uns doch all das geben sollte.
Wir sind abhängig von seinem Geben.
Wir sind abhängig von unserem Brauchen.
Wir sind abhängig von unserer alten kindlichen Bedürftigkeit und unserem Zuneigungshunger.
Wir schlucken jede Kröte.
Wir begnügen uns mit Brosamen. 
Wir ertragen viel um der Befriedigung dieses Zuneigungshungers willen.
Wir setzen uns Leid und Risiken aus.
Wir tun alles um weiter gebraucht zu werden, nur weil wir brauchen.
Weil wir glauben zu brauchen.
Weil wir das seit ewigen Zeiten glauben.
Und glauben es sei wahr.
Wir geben den letzten Rest unserer Selbst auf.
Wir ertragen das Unerträgliche.
Wir machen Dinge mit, die wir mit klarem Verstand niemals mitmachen würden.
Nur um nicht zu verhungern an unserem ungestillten Hunger nach Zuneigung.
Wir sind so fest davon überzeugt, dass wir alleine verhungern.
Wir schlucken alles was wir kriegen können auch wenn es giftig ist.
Nur um nicht zu verhungern.

Die Wahrheit ist: Wir verhungern alleine nicht aber wir verhungern als Abhängige.

Wir können lernen von uns selbst "abhängig" zu werden.
Vielleicht sind andere Menschen nie für uns dagewesen für die wir immer da waren, weil wir abhängig davon waren gebraucht und geliebt zu werden, aber wir können aufhören, das zu bedauern und damit beginnen für uns selbst da zu sein, uns selbst zu versorgen und uns selbst lieb zu haben.

Namaste








Donnerstag, 18. Juli 2019

Müde vom Kampf

Foto: A.Wende

Müde vom Kampf
löst du den Widerstand
legst die Waffen nieder
Verlässt das Schlachtfeld.
Hast plötzlich Klarheit
fühlst Ruhe
innen und außen.
Gehst zurück zu dir.
In die Stille.
Lange vielleicht.

Findest dich wieder
mit der Zeit.
Sammelst all die Teile ein, die du vergessen hast
für so lange Zeit
im Kampf
Schaust sie dir an und wählst
welche du noch brauchst und welche du nicht mehr brauchst.

Hast etwas verloren.
Hast etwas gewonnen.
Bist alt und neu zugleich.
Bist wieder du und mehr als du warst.
Vor dem Kampf. 


Dienstag, 16. Juli 2019

Irrlichter

Foto: A.Wende


Es gibt immer Menschen in deinem Leben, die dich nicht verstehen. Sie führen das Leben, das sie führen und es hat mit dem deinen nicht das Geringste zu tun. Du kannst ihnen erklären was du fühlst, wie sich dein Leben anfühlt, was du gerade durchmachst und sie werden es nicht verstehen.
Es ihnen erklären zu wollen macht keinen Sinn.
Sie werden deine Unsicherheit, deine Ängste, deine Traurigkeit, deinen Schmerz, deine Verzweiflung nicht verstehen, wenn sie all das noch nicht gefühlt haben.

Wer das, was du fühlst, noch nicht gefühlt hat, kann kein emotionales Verständnis dafür haben wie du dich tief innen fühlst, noch ist er dazu in der Lage, dir beizustehen.

Er wird dir vielleicht gute Ratschläge geben, dir alles Gute wünschen, dich bedauern, aber er wird nicht die geringste Ahnung davon haben was du wirklich brauchst, weil er es selbst noch nie gebraucht hat. Er wird dir sagen: "Tu dies oder das, dann geht es dir besser", und er hat keine Ahnung davon, was er dir wirklich geben könnten. Wer dich wirklich versteht wird dir keine Ratschläge geben, er wird dir zuhören, dir Zeit schenken und mit Taten zu Seite stehen.

Es gehört viel Lebenserfahrung dazu und noch viel mehr Empathie um sich wahrhaftig in einen anderen Menschen einzufühlen. Es gibt nicht viele Menschen, die das können. Oft scheitern sogar Therapien daran, dass der Therapuet zwar sein Lehrbuch kennt, aber das was du fühlst, das was du erlebst, nicht (nach)fühlen kann.

Wer nicht nachfühlen kann, wer sich nicht wirklich einfühlen kann, wird dich niemals verstehen. Er wird dich keinen Schritt auf deinem wackligen Weg begleiten können, du wirst dich keinen Deut sicherer fühlen. Du bist weiter allein sein in Begleitung eines Menschen, der dich nicht versteht.

Und du bemühst dich weiter ihm zu vermitteln wie du dich fühlst und er wird es nicht verstehen. Und du wirst weiter traurig sein, dass du nicht verstanden wirst und das wird dich noch einsamer und noch trauriger machen. Du wirst weiter versuchen zu erklären was du fühlst und es wird dich Kraft kosten und du wirst immer enttäuschter werden. Also kannst du es auch lassen. Du kannst diese Menschen stehen lassen wo sie sind und weiter gehen. Es ist okay. Sie müssen dich nicht verstehen.

Menschen, die dich nicht verstehen, sind wie Irrlichter auf deinem Weg. Sie werden dich nicht aus deinem Dunkel ins Licht führen.




Mittwoch, 10. Juli 2019

SAY NO TO DRAMA





Ohne die Fähigkeit uns selbst beruhigen zu können verirren wir uns im Drama. Es beherrscht unser Leben, der ganze Focus richtet sich auf das Drama. Wir SIND das Drama. Wir haben uns vollkommen damit identifiziert.

Verabschieden wir uns vom Drama – disidentifizieren wir uns davon. Im Wissen: Die Achterbahnfahrt unserer Gefühle löst das Drama nicht. Im Gegenteil – sie wirkt wie ein negativer Verstärker.

Identifizieren wir uns also nicht mit unseren Gefühlen. 

Wie geht das?
Indem wir lernen sie zu beobachten, entkommen wir der  Wucht ihrer Überflutung.
Gefühle kommen und gehen, aber wir müssen nicht immer voll in sie hineinfallen bis wir glauben wir sind diese Gefühle. Wir haben diese Gefühle. Und das ist ein großer Unterschied, der, werden wir uns dessen bewusst, enorm viel verändern kann. 

Indem wir lernen unsere Gefühle freundlich und zungeneigt zu beobachten und gelassen wahrzunehmen, besänftigen wir das Drama.

Immer wenn uns Gefühle zu überfluten drohen können wir ruhig und tief atmen. 
Wir beobachten was im Körper geschieht ohne zu bewerten. 
Was da ist, darf da sein. Es ist okay, in diesem Moment in der Zeit.
Akzeptieren wir es.
Sagen wir Ja zu allen Gefühlen. Dann müssen sie uns nicht mehr bedrängen.
Haben wir durch konstante Übung gelernt im Körper zu sein, werden die Gefühle durch den Körper geerdet. Wir tauchen nicht mehr in sie ein. Das Drama schwächt sich ab. Wir beruhigen uns selbst.

Manche Menschen allerdings lieben das Drama, weil sie glauben, sich selbst nur in der Intensität des Dramas zu spüren. Dann ist es hilfeich zu ergründen wo diese innere Überzeugung ihren Ursprung hat.

Dienstag, 9. Juli 2019

Mitgefühl hat Grenzen


Foto: A. Wende

Es ist nichts Persönliches, wenn dich jemand verletzt.
Nimm es nicht persönlich, wenn dich jemand schlecht behandelt. Es hat nichts mit dir zu tun, wenn man dich belügt oder sogar betrügt. Es hat nur mit dem anderen zu tun.
Hab Mitgefühl mit dem anderen, zeige Compassion.
Das gelingt dir, wenn du dir bewusst machst, dass sein verletzendes Verhalten nichts mit dir zu tun hat.


Ist das wirklich wahr?
Muss ich mit dem Mitgefühl haben, der mir weh tut? Mitgefühl heißt: Sich in den anderen einfühlen, verbunden mit dem Impuls, sein Leiden zu lindernund dem Wunsch ihm zu helfen. 

Ich soll also empathisch hineinspüren warum der andere mir Leid zufügt und dann wünschen ihm zu helfen, z.B. indem ich ihm vergebe?
Bin ich erleuchtet und so erhaben über meine eigenen Gefühle, dass ich wie Jesus sagt: „Wenn dich einer auf die linke Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin“ (Matthäus 5, 39), vielleicht sogar immer wieder, weil der andere sieht, dass ich es mit mir machen lasse?

Aber mal genau hingesehen: Fordert Jesus hier tatsächlich Unterwürfigkeit oder Mitgefühl um der Friedfertigkeit willen?
Nein. Er ist bei sich selbst und bietet dem anderen die Stirn.
Wenn ein Mensch bei sich selbst ist, ist ihm bewusst, dass es auch das Üble im Menschen gibt. „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Jesus bewahrt Achtung vor sich selbst, als er zum Gerichtsdiener sagt: „Habe ich etwas Unrechtes gesagt, so beweise es mir, habe ich aber recht geredet, warum schlägst du mich?“ (Johannes 18, 23).
Wenn ihm also Böses angetan wird, dann weiß ein bewusster Mensch, dass der, der das tut, nicht weiß, was er tut. Dann wird er sich nicht rächen, sondern er wird alles tun, damit der, der ihn verletzt, eine Ahnung davon bekommt, wer er ist. 

Wenn ein Mensch uns verletzt bedeutet es nicht, dass wir sein übles Verhalten verdient haben.  
Vielleicht haben wir viel für ihn getan, waren immer mitfühlend und verstehend und er verletzt uns dennoch immer wieder. Das haben wir nicht verdient. Das tut weh, das tut sogar verdammt weh.
Das tut so weh, dass wir leiden wie ein geprügelter Hund.
Und dann sollen wir nicht beißen?
Sondern, weil wir ja mitfühlende gute Menschen sind und eben kein Hund, der seinen Instinkten folgt, Compassion empfinden.


Ich bin für Compassion. Ohne Mitgefühl könnte ich meine Arbeit gar nicht machen. Hätte ich es nicht, hätte ich gar nicht den Wunsch anderen Menschen zu helfen.
Aber wo ist die Grenze meines Mitgefühls?
Entschuldigt Mitgefühl alles? Nein.
Das wäre auch nicht menschlich. Es wäre auch sehr ungesund, denn so machen wir uns zum willigen Opfer derer, die uns verletzen. Opfer fühlen sich ohnmächtig, klein und hilflos.


Mitgefühl hat Grenzen. Es kann sich erschöpfen, wenn wir zum hundertsten Mal mitfühlend verzeihen. Für mich ist die Grenze dort wo das Selbstmitgefühl beginnt. 
Da wo ich mir selbst schade, wenn ich alles verzeihe und meine Verletzung, den Schmerz den sie mir bringt und die Wut, die ich fühle, ist Schluss mit Mitgefühl für den anderen, weil ich es mir selbst geben muss. 
Gefühle wollen ernst genommen und gefühlt werden und unsere Grenzen sollten eingehalten werden. Zu unserem Schutz, zum Schutz unserer Würde und unserer Seele. Und das bedeutet, auch unser Mitgefühl hat Grenzen. Wir sind keine schlechten Menschen, wenn wir nicht weiter die andere Wange hinhalten, sondern STOPP sagen und dem andere klar machen, was er tut. So wie Jesus es getan hat. Tun wir das im Falle einer Verletzung nicht, schließt sich die Wunde, die uns zugefügt wurde nicht. Sie gärt weiter und schadet uns selbst und anderen, die vielleicht dann das abbekommen, was nicht an die Adresse ging, wo es hingehört.

Ich kenne Menschen, die von den eigenen Eltern so tief verletzt wurden, dass weil sie keine andere Lösungsmöglichkeit für ihren Schmerz gefunden haben, schon als Kind begonnen haben andere zu verletzen. Kinder, die Mitschüler verprügelt haben, aufsässig waren, frech und wie man sagt: Schwer erziehbar. 
Die Wut auf die Eltern wurde verlagert. Bis ins Erwachsenenalter. Sagt man diesen Menschen, sie dürfen ihre Eltern anklagen für die Gewalt und den Missbrauch, den sie ihnen angetan haben, sie dürfen wütend auf sie sein, sie dürfen es ihnen sagen, nehmen sie diese in Schutz. 
„Sie haben es doch nicht böse gemeint. Ich war ja auch kein gutes Kind. Ich verstehe sie schon.“ Oder: Sie sind ja jetzt alt, soll ich ihnen jetzt noch sagen, wie gemein und grausam sie waren?“
Ihr Mitgefühl für die Eltern ist größer als ihr Mitgefühl für das misshandelte Kind, das sie waren und das weiter in ihnen lebt und noch immer leidet, an den alten Wunden.


Mitgefühl für den Täter lässt uns mitunter ein Leben lang in der Opferrolle bleiben. Wir stehen nicht auf und nicht ein für uns selbst. Wir sagen nicht entschieden NEIN zu den Tätern.
Das verhindert unsere Selbstliebe und die braucht, um überhaupt sein zu können, unser Mitgefühl für uns selbst.

Es ist nicht hilfreich anderen alles Üble zu verzeihen nur weil wir uns davor fürchten wir seien schlechte Menschen, wenn wir mit dem Übeltäter nicht mitfühlen. Was ja bedeuten würde: Wir haben den Drang ihm helfen zu wollen, indem wir z.B. verzeihen, was in Wahrheit unverzeihlich für uns selbst und unsere Seele ist.

Verstehen reicht. Und verstehen heißt: Wir können nachvollziehen, dass sie nicht wissen was sie uns antun, denn sonst würden sie es uns ja nicht antun, aber wir müssen es weder entschuldigen, noch mitfühlend agieren.
Wir verstehen und sprechen aus, was es mit uns macht, was man mit uns macht und ziehen die Grenze zwischen uns und dem oder denen, die uns verletzt haben. Wir gehen auf Distanz, entweder für eine Weile oder für immer – so wie es für uns gut ist, so wie unser Selbstmitgefühl das braucht.





Ein weiser Mann sagte einmal zur Schlange: Du sollst niemals jemanden beißen, das ist böse.
Die Schlange folgte seinem Rat, aber sie merkte bald, dass sie von den Menschen dann ständig gequält wurde.
So ging sie wieder zu dem weisen Mann und beschwerte sich über ihr Dilemma: Wie kann ich friedlich sein und leben, ohne jemanden zu verletzen, wenn meine Sanftmut dann so ausgenutzt wird?
Der weise Mann antwortete: Ich habe dir gesagt, du sollst nicht beißen, aber ich habe dir nicht gesagt, du sollst nicht zischen.



Stephen Arroyo


Freitag, 5. Juli 2019

Das Mögliche tun



Phasen im Leben, in denen wir nicht wissen was wir tun sollen, können ebenso sinnvoll sein wie  Phasen, in denen alles glatt läuft.

Bisweilen müssen wir bestimmte Maßnahmen ergreifen gegen den Widerstand, den wir im Inneren spüren. Wir müssen eine innere Überzeugung aufgeben oder eine innere Haltung ändern, damit wir weiter kommen. Dann wieder ist es der äußere Druck, dem wir standhalten müssen. Manchmal brauchen wir sogar einen starken Gegenwind, damit wir endlich aus unserer Lethargie aufwachen und uns ihm entgegenstemmen können, um etwas zu lösen, was wir sonst nicht anpacken würden.

Dann wieder gibt es Zeiten, in denen wir alles Mögliche tun und nichts erreichen. Wir mühen uns ab und und je mehr wir uns abmühen, desto schlimmer wird es. Wir versuchen das Unmögliche. Und das ist, wie das Wort schon sagt: unmöglich.

Was bleibt uns dann übrig, was können wir tun?

Schonen wir unsere gereizten Nerven. Hören wir auf uns anzustrengen.
Konzentrieren wir uns auf das, was möglich ist.
Auf eine kleine Sache, die wir tun können, wenn wir das Große nicht besser machen können, was immer es sein mag.
Schauen wir, dass wir wenigstens in der Lage sind, uns zu beruhigen.
Tun wir das Nächstmögliche, ob es zur Lösung des Problems beiträgt oder nicht.
Wenn wir etwas gegenüberstehen, was nicht lösbar ist, hat die Bereitschaft, etwas zu tun, was tatsächlich möglich ist, eine enorm hilfreiche Wirkung.

Namaste




Mittwoch, 3. Juli 2019

Das Leiden an der Verlassenheit




Foto: A. Wende

„Eure schlechte Liebe zu euch selber macht euch aus der Einsamkeit ein Gefängnis“, schreibt Friedrich Nietzsche in Zarathustra.
Eure schlechte Liebe zu Euch selbst. Besser könnte man es nicht formulieren.
Nichts führt uns mehr in das Gefängnis der inneren Einsamkeit als die Blockierung der Selbstliebe. Diese Blockade führt in die innere und äußere Verlassenheit. Sie führt in die gleiche Verlassenheit, die wir schon als Kind erfahren und gespürt haben. Aber was wir nicht erkennen: Diese Verlassenheit liegt heute nicht mehr im Verlassensein durch andere – sie liegt in der Verlassenheit, die durch die Abspaltung unseres eigenen Wesens entsteht.

Ständig suchen wir nach Füllung von Außen, wir suchen äußere, fremde Quellen, weil wir keinen Zugang zu unserer eigenen Quelle finden, oder nur sehr schwer. Wir halten es mit uns selbst nicht aus. Wir verfallen in Unruhe, in Angst, in Lähmung, in Trauer und Schmerz, wenn wir lange mit uns allein sind. Wir versuchen alles um das Alleinsein zu vermeiden, als sei es eine Krankheit, die uns ans Leben will. Wir fühlen uns gefangen ohne es tatsächlich zu sein – gefangen in der Lieblosigkeit uns selbst gegenüber.
Wie will ich mich gut mit mir selbst fühlen, wenn ich mir selbst nicht gut bin?
Wie will ich glauben oder auch nur im Ansatz fühlen, dass es mir gut mit mir geht, wenn ich glaube nicht gut und nicht liebenswert zu sein, weil ich ungeliebt bin von mir selbst?

Also versuchen wir mit allen Mitteln dem Gefängnis der Lieblosigkeit zu entkommen. Wir suchen etwas oder einen, der den Schlüssel hat, ihn in die Hand nimmt und unser Gefängnis für uns aufschließt. Wir wenden uns an Freunde, wenn wir Freunde haben, an den Geliebten, wenn wir einen Geliebte haben, an Heiler, an Therapeuten, in der Hoffnung, dass sich die Gefängnistür endlich öffnet, in der Hoffnung, uns selbst zu spüren und endlich lieben zu können.

Manchmal gelingt uns das durch andere. In der Verbundenheit mit dem Du, spüren wir es, dieses warme Gefühl liebenswert zu sein, weil uns Liebe geschenkt wird, oder Aufmerksamkeit, wenn schon keine Liebe. So soll es sein, so soll es bleiben, denken wir. Aber mit der Zeit fühlen wir uns wieder genauso verlassen und innerlich einsam.
Freunde, Familie und Geliebte ersetzen uns nicht was in uns selbst nicht lebendig ist. Das spüren wir spätestens dann, wenn die Aufmerksamkeit, das Begehren oder die Fürsorge des anderen nachlässt, wenn wir wieder verlassen wurden oder verlassen haben oder wenn die anderen keine Zeit und kein Verständnis für uns haben, dann wenn wir es am Nötigsten brauchen.

Das Leiden an der Verlassenheit gärt weiter in unserer Seele, solange wir Widerstand leisten. Solange wir den Blick nach dem, was uns erlösen soll ins Außen richten, bleiben wir verlassen. Wir lassen uns im Stich.
Solange wir im Widerstand gegen dieses existentielle Gefühl der Verlassenheit sind haben wir es nicht verstanden. Wir haben nicht verstanden, was es uns sagen will und wohin es uns führen will. 

Das Gefühl verlassen zu sein ist zutiefst menschlich. Es ist Teil der Ablösephasen des Kindes und des Heranwachsenden. Bedingungslos betreut, geliebt und bemuttert zu werden ist ein frühkindliches Bedürfnis, das uns im besten Falle befriedigt wird und das sich dann im Laufe des Erwachsenwerdens auflösen muss – nämlich damit wir zu einem autonomen Individuum heranreifen können, zu einem selbstständigen Selbst, das für sich selbst sorgen kann, emotional und im alltäglichen Leben. Wird dieses Bedürfnis in der frühen Kindheit nicht erfüllt bleiben wir ein Leben lang Abhängige vom Außen. Wir bleiben an der Nabelschnur der Mutter hängen und verhungern emotional, denn sie spendet keine Nahrung mehr. Sie hat ihren natürlichen Auftrag erfüllt.
Die Durchtrennung der Nabelschnur entlässt uns in die Welt.
Die Verbindung mit der Mutter ist gekappt. Sie muss gekappt werden, damit wir Verbindung mit der Welt aufnehmen. Im idealen Fall an der liebenden Hand der Mutter und es Vaters, die uns den Weg zeigen, bis wir selbstständig gehen können.

Zu früh verlassene Kinder, zu früh aus dem natürlichen Ablöseprozess des Lebens Herausgeworfene, erleben die Welt als bedrohlich und fremd. 
Im Angesicht des Fremden erleben sie sich selbst als klein und hilflos. Überwältigt von diesem Ohnmachtsgefühl spüren sie sich selbst nicht. Was sie stattdessen spüren ist die Verlassenheit und den unbeschreiblichen Schmerz, den diese macht – den Schmerz der Trennung von der Welt – getrennt sein und damit allein sein.
Sie sitzen im bodenlosen Abgrund der Isolation und der Lieblosigkeit.
Wie auch sollen sie Liebe spüren, die ihnen nicht gegeben wurde?
Unmöglich sie von sich selbst zu erwarten?

Tun wir es. Konzentrieren wir uns endlich auf den Schmerz. Lassen wir uns in ihn hineinfallen, zeigt er uns den Weg.  
Wenn wir ihn zulassen und ihn anerkennen anstatt ihn mit allen Mitteln vermeiden zu wollen, zeigt er uns die Sehnsucht nach Liebe. Auch wenn wir keine Vorstellung davon haben was sie ist, so spüren wir doch – in der Sehnsucht nach Liebe sind wir mit ihr verbunden.

Sehnsucht nach Liebe ist Liebe. Und siehe, du bist schon gerettet, wenn du versuchst, der Liebe entgegenzuwandern“., schreibt Antoine de Saint-Exupéry.

Diese Sehnsucht berührt uns dort, wo es weh tut. Sie legt sich über den Schmerz und zeigt uns was wir brauchen um dem Gefängnis unserer kindlichen Verlassenheit zu entkommen. Wir brauchen Berührung und Zuwendung. Berührung mit uns selbst und Zuwendung zu uns selbst.
Sobald wir das erkennen und auf uns zugehen, mit Selbstmitgefühl für das verlassene Kind in uns, spüren wir uns selbst und die Liebe, die in uns lebt seit wir in die Welt geworfen wurden, die Liebe, die schon immer da ist, die nur nicht erweckt wurde, weil sie nicht beantwortet wurde, von denen, die uns hätten antworten können, hätten sie es denn gekonnt.

Indem wir mit uns selbst fühlen, berühren wir uns. Mitfühlend berühren wir mit unserer Liebe, den Menschen der wir sind.  
Wir wehren die Verlassenheit nicht mehr ab, wir empfinden sie nicht mehr als Strafe oder Leiden – wir nehmen sie in uns hinein als Teil unseres Menschseins und freunden uns mit ihr an - um ganz zu werden. Wir wachsen ins uns selbst hinein. Darin besteht Wachstum: Ganz werden und nicht abspalten, nicht abwehren. 
Wachstum geschieht durch die Integration all unserer inneren Anteile und dies geschieht durch Akzeptanz, auch dessen, was wir so nicht wollen wie es ist, eben auch den Schmerz.
Haben wir uns mit uns selbst verbunden geschieht ein kleines Wunder: Wir verbinden uns mit der Welt, wir heben die Trennung auf – wir beginnen zu lieben, oder wie Antoine de Saint-Exupéry schreibt: Wir wandern der Liebe entgegen. Wir haben unser Gefängnis verlassen.