Montag, 9. Dezember 2019

Trauer hat viele Gesichter

Foto. Angelika Wende

Du sagst der Tod eines geliebten Menschen ist das Schrecklichste was Menschen widerfahren kann. Aber so ist es nicht. Menschen sterben, das gehört zum Leben. Wir alle sterben. Sterben und Tod sind unausweichlich. Nach einer Zeit der Trauer akzeptierst du schließlich, dass der geliebte Mensch nicht mehr da ist. Du bewahrst ihn im Herzen und die Trauer darf leiser werden.  Du findest Trost im akzeptieren.
Einen Menschen, der sich selbst zum Tode hin zerstört zu erleben, schmerzt auf eine Weise, die keiner nachfühlen kann, dem das noch nicht widerfahren ist. Sein langsames Sterben befällt die, die diesen Menschen lieben, mit einer Trauer für die es keine Worte gibt und niemals Akzeptanz, denn immer ist da der Gedanke: Es hätte so nicht sein müssen.
Diese Trauer ist untröstbar. 


"Trauer ist Trauer! Egal wie ein Mensch geht", bekomme ich als Antwort von einem Jemand. 
Ist das wahr? Es ist nicht wahr. Es ist wahr für Menschen, denen das Einfühlungsvermögen in die Komplexität und die Vielfalt menschlichen Empfindens fehlt. Aber diese Menschen interessieren mich nicht. Sie berühren mich nicht, weil sie nicht berührbar sind weil sie nicht über sich selbst hinausfühlen und nur von sich selbst ausgehen. 
Mögen sie glücklich sein.
Mögen sie einem Trauernden niemals mit ihrer Platitüde begegnen. 

Jede Trauer folgt auf einen Verlust. Im Leben oder im Tod. 
Verluste bedeuten wir verlieren. Etwas verlässt uns, wird abgerissen. Ein Schmerz, der körperlich spürbar ist. Da fehlt ein Teil unserer Ganzheit. Ein Mensch, den wir lieben, ist ein solcher Teil. Stirbt dieser Mensch ist sie bedroht. Der Verlust reißt eine Lücke, die nicht mehr zu füllen ist. Sie bleibt. Wir trauern um das, was nicht bleiben darf. Und das ist mehr als der geliebte Mensch - es ist ein Teil gelebten Lebens.

Tod ist der endgültige Schnitt zwischen mir und dem anderen. 
Er ist unerreichbar für mich. Ich bewahre ihn im Herzen. Ohne Dialog. Im Monolog mit meinen Erinnerungen an ihn. Das macht einsam. Das macht traurig, das kann verzweifelt machen, mich zusammenbrechen lassen. Mich zweifeln machen an Gott. Warum? Es gibt keine Antwort. Niemals. Ich bin allein mit meiner unbeantworteten Frage. Hilflos und ohnmächtig. 
Der Tod macht ohnmächtig. Die, die sterben und die, die weiter leben im Angesicht des Todes. Ich irre umher und suche und finde keinen Trost. Mein Schmerz macht mich allein. 
Irgendwann darf er leiser werden. Irgendwann gewöhne ich mich an den Schmerz. Er ist weniger tief, wird breiter. Gesunde Trauer findet Trost mit derm Vergehen der Zeit. Sie findet Akzeptanz. Ich gehe weiter ohne den geliebten Menschen und lebe mein Leben.

Aber was wenn sich ein Mensch selbst zum Tode hin zerstört? 
Wenn er sich selbst Tag für Tag ein Stück weit dem Tod nähert? Wenn er sich zu Tode trinkt, zu Tode spritzt, zu Tode schnüffelt, zu Tode hungert? Dann ist meine Trauer untröstbar. 
Nein, es ist nicht egal wie ein Mensch geht, weil dieser Mensch nicht gehen muss, sondern es will. Weil er sich dem ergibt was seine Schwäche vorantreibt. Ohne zu kämpfen. Weil er sich selbst gehen lässt und die, die ihn lieben mitnimmt auf den langen Abschied. 
Das sind viele Schnitte, viele Schmerzen, für den, der gehen will und den, der zusieht ohne etwas tun zu können. Das reißt Wunde über Wunde. Das reißt den Boden unter den Füßen weg. Der Schmerz findet keine Linderung in Akzeptanz. Lange nicht. Sehr lange nicht.

Zum Schmerz legt sich Wut geboren aus Hilflosigkeit. Ich beginne ihn zu hassen, den der sich, der mir das antut. Und Scham dann, weil es doch seins ist und nichts meins, aber meins, weil ich ihn liebe und nicht hasse. Das zerreisst innen. Und Schuldgefühle, weil ich so ohnmächtig bin und nichts tun kann, was ihn am Leben hält, seinen Willen hält. 
Einsicht in die Vergeblichkeit und keine Rettung möglich. 
Wie weiter leben? Immer mit der Frage: Was habe nicht getan, was hätte ich noch tun können? Und dieses sinnlose, antwortlose „Warum“? 
Machtlosigkeit. 
Sie anzuerkennen fordert viel von mir. Sehr viel. 
Trauer ist nicht Trauer. Niemals ist sie das. Trauer hat viele Gesichter.






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