Um Angst,
Schuld, Scham und andere schwere Emotionen in den Griff zu bekommen ist es
wichtig, dass wir bereit sind, die Inhalte unseres Unbewussten anzuschauen.
Dieses "uns nicht Bewusste" ist die Sammelstelle für alle verdrängten
Erfahrungen und Erlebnisse. Wenn etwas davon an die Oberfläche drängt, schauen
wir nicht mehr weg, sondern betrachten es. Gerade jene inneren Kräfte nämlich,
die uns selbst am Verborgensten sind haben die größte Macht über uns. Wir kommen
nicht umhin uns damit zu befassen, denn tun wir das nicht, wird es uns nicht
loslassen. Es ist wie eine Fessel von innen, die Lebendigkeit
abschnürt. Daher sollten wir uns immer wieder bewusst machen, dass
Verdrängen keine Er - Lösung ist, es nicht sein kann, sondern vielmehr
verstärkt es unsere Probleme.
Nichts wird
durch Wegsehen unwirksam, weder etwas, das wir in der äußeren Welt beobachten,
noch eine Wunde in unserer Seele. Machen wir uns das so bewusst wie möglich,
und wir werden den Mut zum inneren Hinsehen finden.
Nach Roberto
Assagioli, dem Begründer der Psychosynthese, können wir nur das integrieren,
was wir lieben. Es ist deshalb naheliegend, dass wir unsere Vorstellungen über
uns selbst ändern müssen. Vielleicht sind wir gar nicht der gute Mensch, der
wir zu sein glauben, vielleicht gibt es da etwas Ungutes, vielleicht sogar
etwas Böses in uns das wir nicht sehen wollen, vielleicht gibt es da etwas was
wir ein halbes Leben lang abgespalten und tief verdrängt haben, immer in der
Hoffnung, es möge da bleiben wo es ist - im Keller unseres
Unterbewussten. Etwas zutiefst unliebsames Ungutes.
Wir wollten
unsere Ruhe haben vor dem Unguten, wir wollen nicht belästigt werden von
dem bedrohlichen Gefühl, das hochkommen könnte, wenn wir uns dem stellen,
was da auch in uns lebt.
Wir haben Schuld-und Schamgefühle verdrängt, die
aufblitzten, wenn wir dem Unguten doch einmal einen kleinen Schritt
entgegengegangen sind. Weg denken, nicht mehr hindenken, wegfühlen, weil es so
weh tut, weil es nicht sein kann, das auch zu sein, ein Mensch, der einen anderen
tief verletzt hat zum Beispiel. Das ist Selbstschutz. Es ist
verständlich und es ist menschlich.
Aber
irgendwann geschieht etwas und wir können nicht mehr länger wegschauen.
Jemand hält uns unser eigenes Böses vor Augen. Er klagt uns an
und vielleicht richtet er uns sogar. Wir stehen da, erschüttert und
sprachlos, wir fallen. Am Liebsten würden wir im Erdboden versinken, überwältigt von der
Schuld und der Scham, die da schon immer waren und jetzt ganz groß über uns kommen. Wir möchten
im Erdboden versinken. Nein, das sind nicht wir, das können wir nicht aushalten,
das wir das sein sollen und lieben können wir das schon gar nicht. Wir können
es vielmehr hassen.
Was fangen
wir jetzt damit an, wo wir Hinsehen müssen, wo das Versteckspiel ein Ende hat
und es keinen Ausweg mehr gibt, kein Loch in dem wir uns verkriechen können bis
die Erschütterung des Gewahrseins über diesen bösen Teil in uns nachlässt?
Wir haben
unser Gesicht verloren. Wir verstecken uns vielleicht eine Weile. Wir
nehmen erst einmal Abstand und beschließen uns zeitweise von der Welt isolieren.
Auf uns
selbst reduziert, fragen wir uns: Wer sind wir jetzt noch? Wer ist
dieser Mensch, den wir für etwas gehalten haben, was er nicht ist?
Wir fassen
Mut uns selbst genau zu betrachten.
Vielleicht
werden wir weinen, vielleicht werden wir uns selbst verurteilen, vielleicht
werden wir denken, wir werden nie mehr der Mensch sein für den wir uns gehalten
haben und vielleicht bricht sogar ein Lebenskonstrukt mitsamt all seiner
Wahrheiten zusammen.
Eins ist sicher: Ein Teil der alten Identität ist
dahin.
Das kann uns
in eine Krise stürzen. Eine Krise die uns in die tiefe Nacht der Seele
führt, die uns dermaßen durchrüttelt, das uns Hören und Sehen vergeht. Ein "Stirb"
und kein "Werde" befürchten wir vielleicht. Und die Angst ist groß.
Aber so ist
es nicht.
Es
ist ein "Stirb" und es ist zugleich ein "Werde."
Es ist ein
neues Werden. Ein Werden, das zu einem Sein führt, das ganzer ist als das, was
zuvor war – hin zu dem ganzen Menschen, der wir sind, mit seinem Licht und seinen Schatten. Und das sind dann wirklich wir selbst.
Wir haben
den Mut gefasst uns selbst genau zu betrachten. Wir beißen in den sauren Apfel
und bringen den Mut auf in Kauf zu nehmen, dass unsere Illusionen
über uns selbst aufgedeckt und somit desillusioniert werden.
Wir können
nicht mehr ausweichen. Wir müssen unsere angenehmen Selbsttäuschungen aufgeben
und uns langsam und vorsichtig an die zunächst bittere, später aber als
befreiend erfahrbare Wahrheit über uns selbst, herantasten und uns an sie gewöhnen.
Das verlangt unbedingte Bereitschaft, Ernsthaftigkeit und
Verantwortungsbewusstsein.
Es geht
darum anzunehmen was wir auch sind. Ohne den Versuch zu unternehmen uns zu
rechtfertigen, ohne Entschuldigungsgründe zu bemühen, denen wir selbst nicht
glauben würden, weil manches unentschuldbar ist.
Aber alles
ist verstehbar, verstehbar aus der eigenen unvollkommen Menschlichkeit heraus.
Wir sind Menschen und weil wir Menschen sind, sind wir fehlbar. Menschsein
schließt alles ein und nichts aus. Da ist hell und dunkel, und damit auch gut
und böse.
Können wir
das lieben, wie Assagioli sagt? Ist es möglich das eigene Böse zu
lieben? Ich glaube nicht, dass es möglich ist. Aber ich glaube es ist möglich
es zu akzeptieren, auch wenn es schmerzt. Wir dürfen es akzeptieren. Das ist genug.
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