Freitag, 17. August 2018

Es gibt nicht auf alles Antworten





Es gibt nicht auf alles Antworten. Diese Erkenntnis ist so alt wie wir Menschen. Es nicht anerkennen zu wollen, dass es so ist, dass wir oft antwortlos zurückbleiben, ist ebenso alt. Neulich sagte eine Klientin zu mir, wenn ich wüsste, dass es auf alle meine Fragen eine Antwort gibt, wenn ich wüsste, dass alles, was mir geschieht, auch wenn ich es nicht verstehe, einen Grund hat, einen Sinn macht, dann wäre das Leben rund. Wäre es das wirklich?  

Es ist schwer zu akzeptieren, dass wir bisweilen antwortlos bleiben, dass alles Fragen nach dem Warum kein Licht ins Dunkel unserer Gedanken bringt. Wir können nicht verstehen warum ein geliebter Mensch uns nicht mehr liebt, wir können nicht begreifen warum ein Mensch viel zu früh von uns geht, wir suchen eine Antwort, die uns die Trauer erleichtern soll und dem Schmerz einen Sinn gibt. Aber würde eine Antwort das wirklich tun, würde das Verstehen unsere Trauer und unseren  Schmerz kleiner machen? Wäre es leichter den Verlust zu verschmerzen? Würde es uns leichter fallen eine Trennung vom Geliebten zu verkraften, wenn er uns sagt, warum er uns verlässt? Wäre die Diagnose einer schweren Krankheit leichter anzunehmen, wenn wir wüssten, warum wir sie haben? Würden Demütigungen und Verletzungen weniger schmerzen, wenn wir um das Warum wüssten? Tut es weniger weh, als Kind nicht geliebt worden zu sein, wenn wir wissen, warum man uns nicht lieben konnte? Ich glaube nicht. Ja, unser Ego wäre zufriedener, denn es würde sich nicht mehr so ohnmächtig fühlen. Es wäre zufriedener, weil es sich die Illusion der Macht des Wissens um die Dinge vorgaukeln könnte. Es könnte sich weiter vorgaukeln die Kontrolle zu haben, denn Kontrollverlust macht Angst und die will es vermeiden. Weil Angst hilflos macht und klein und uns weil sie uns daran erinnert, dass wir nicht die Allmacht über die Dinge, das Leben und uns selbst haben. Das Gefühl aber würde sich ob des Wissens um ein Warum nicht verändern.

Es sind die Gefühle, die uns mehr als alles andere ausmachen. Ein Mensch, der irgendwann weiß warum er wie tickt, wo seine wenig hilfreichen Gedanken und Handlungen herkommen, versteht sich selbst zwar zunächst einmal besser, seine Gefühle ändern sich durch das Wissen seines Warum nicht wesentlich. Veränderung gelingt nur über das Gefühl. Sicher beeinflussen unsere Gedanken unsere Gefühle, aber wer einmal versucht hat seine Gedanke zu kontrollieren um bessere Gefühle zu haben, weiß wie unendlich schwer das ist. Da können wir jahrelang „The Work“ machen und uns in die eigene Tasche lügen, dass wir allein die Macht über unsere Gedanken haben und für alles was uns im Leben widerfährt selbst verantwortlich sind, und dann geschieht etwas Schlimmes und aus ist es mit der Gedankenkontrolle, wir fühlen Schmerz und Wut und Trauer. Und dann spüren wir wieder einmal, wir haben nichts unter Kontrolle. 

Wir sind Gefühlswesen. Wir werden mit Gefühlen geboren und nicht mit Gedanken. Wir schreien als Baby wenn wir Hunger haben und denken uns den Hunger nicht. Wir schreien nach Zuwendung und denken uns nicht: ich will Zuwendung. Sicher ist es hilfreich zu wissen warum die Dinge sind wie sie sind, aber es ist ebenso wichtig zu wissen, dass das Warum erst einmal nichts nützt. Also kommt die nächste Frage: Warum kann ich nicht ändern was ich nicht haben will und was nicht sein soll? Warum kann ich mich nicht verändern, weil ich jetzt weiß warum ich so bin? Nun, auch das könnte man mit Hilfe der Hirnforschung dann noch weitgehend erklären und begründen, aber nützt das etwas?
Das Wissen um das Warum tut nur eins, es scheint zu entlasten. Bis die Last wieder spürbar wird. 

„Insofern, als wir auf die Tatsachen des Lebens erst zu antworten haben, stehen wir stets vor unvollendeten Tatsachen“, schreibt der Psychiater Viktor Frankl, der viele Jahre seines Lebens im Konzentrationslager in Auschwitz verbringen musste. Er selbst hat es überlebt, seine Familie nicht. Er hat sich nach dem Warum gefragt, er hat sogar ein Buch geschrieben in dem er sich fragt, was genau es ist, was die Einen überleben ließ und andere nicht. Er suchte Antworten, er suchte Trost in seinem Schmerz über die Verluste, er wollte verstehen. Hat er verstanden, warum er und nicht seine Liebsten überlebten? Nein. Seine Gedanken haben Konstruktionen gemacht um Antworten zu finden. Konstruktionen aber sind keine Antworten, es sind Vermutungen warum etwas wie sein könnte.
Wir Menschen machen Konstruktionen um uns an etwas halten zu können, das ist zutiefst menschlich und es macht Sinn, denn wo kämen wir hin, wenn wir uns an nichts halten könnten? Wir kämen dahin wo Frankl schließlich hinkam: „Wir stehen vor unvollendeten Tatsachen ...“
 
Und dann kämen wir endlich dahin wo wir sagen könnten: Ja, so ist es. Es ist wie es ist.
Es gibt nicht auf alles Antworten, denn es gibt Tatsachen, die unvollendet sind, die nicht erklärbar sind und nicht verstehbar für uns. Das meine ich, wenn ich sage: „Ich erkenne an, dass es nicht auf alles eine Antwort gibt.“ Das hat mit Demut zu tun. Eine der schwersten Übungen für uns, die wir auf alles Antworten wollen.


2 Kommentare:

  1. Liebe Angelika, ich habe dazu dieselben Erkenntnisse vor eineinhalb Jahren auf meinem Blog niedergeschrieben.
    https://emj57.wordpress.com/2016/02/10/gefuehle-und-verstand/

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