Dienstag, 10. März 2015

Von der Achtung vor dem geistigen Gut




Ich will gelassener werden. Mich weniger über Handlungsweisen von Menschen wundern, die mir missfallen, mich ärgern oder gar verletzen. Ich nehme mir immer wieder vor bei mir selbst zu bleiben, bei meiner Wahrheit, bei meinen Gedanken über die Dinge wie sie sind oder das Leben, wie es ist, in meinen Augen, in meinem Fühlen, ohne meine Kreise von jenen stören zu lassen, die  meine Integrität nicht achten.

Allzu oft führt uns das Außen, all die Impulse, die es sendet und die wir aufnehmen, von uns selbst weg. Das ist einerseits gut, denn ohne die Interaktion mit anderen bleiben wir stehen, verfestigen wir Standpunkte, Ansichten und Meinungen, die vielleicht nicht vorteilhaft für uns sind und uns nicht weiter bringen. "Man kann nicht nicht kommunizieren", sagte der kluge Paul Watzlawick und er hat, wie bei so vielem, was er sagte, Recht. Zumindest sehe ich das so. Kommunikation ist wichtig, denn sie bedeutet Austausch und Reflexion über das Eigene hinaus und sie ist der Klebstoff, der Menschen verbindet.

Das Andere mit seinen Meinungen, seinen Sichtweisen und seiner Empfindung dem Leben gegenüber, wirft uns auf uns selbst zurück. Das Andere ist eine Form des Abgleichens mit dem, was wir denken und fühlen. Und der Abgleich mit dem anderen ist am Schönsten, wenn er dem, was wir denken und fühlen ähnlich ist, wenn wir die Sprache des Anderen verstehen, ohne Worte, weil sie der unseren gleicht.

Der Mensch sucht Bestätigung seines individuellen In-der-Welt-seins. Menschen brauchen Anerkennung. Ohne Anerkennung, ohne die Achtung, ohne die Sympathie, ohne die Liebe anderer fehlt uns etwas Wesentliches. Kinder, die keine Anerkennung von ihren Eltern bekommen suchen sie ein Leben lang, weil ihnen fehlt, was ihnen das Gefühl gibt gewollt, geachtet und geliebt zu sein, dafür, dass sie sind und dafür, was sie denken, fühlen und tun.

Ein Mensch ohne Anerkennung ist ein einsamer Mensch: Er ist ein Mensch mit einem fragilen Selbstkonzept, ein Mensch, der sich selbst als wertlos empfindet, ein verzweifelter Mensch.

Aber worauf ich eigentlich hinaus will: Anerkennung hat mit Achtung zu tun - vor dem anderen und seinem Sein, vor dem anderen und seinem Wirken in der Welt.

Achtung ist ein Wort, das wir in unserer Zeit wenig achten. Wir haben es nicht so mit der Achtung. Wir sind eine Wegwerfgesellschaft, eine Konsumgesellschaft, eine Internetgesellschaft und der Konsumgeist trägt die Tendenz zum Wegwerfen in sich. Mir scheint, dass auch die Achtung der Menschen voreinander dieser Wegwerftendenz mehr und mehr zum Opfer fällt. 

Wer die Dinge nicht achtet, achtet auch die Menschen nicht, denn die Dinge sind von Menschen gemacht. Zu diesen von Menschen geschaffenen Dingen gehören auch Worte von Menschen, die sie gedacht und aufgeschrieben haben. Geistiges Gut, das Achtung verdient.

Geistiges Gut, das sind Bücher, Bilder, Gemälde, Fotografien, Musik, Ideen und Konzepte, von Menschen geschaffen, die ihren Geist eingesetzt haben, die gerungen haben mit sich selbst und dem Werk, mit dem Willen es zu perfektionieren bis zu dem Moment, wo es stimmig für sie war. Das ist ein Prozess, der neben aller Freude Mühe macht, das ist Arbeit, achtenswürdige Arbeit. So sehe ich das. Manche, eben diejenigen über die ich mich nicht mehr wundern oder ärgern will, sehen das anders.

Nun, jeder hat das Recht auf seine Sichtweise, ich weiß das, so wie ich weiß, dass jeder seine eigene Wahrheit hat und jeder in seiner eigenen Realität lebt und ich versuche das zu achten, auch wenn es mir bisweilen auch nicht ganz leicht fällt.

Besonders schwer fällt mir das, wenn ich sehe, dass Menschen es mit der Achtung vor dem geistigen Gut von anderen nicht so genau nehmen, oder es schlicht ignorieren. Wenn sie, beispielsweise Zitate benutzen - was ich schön finde, denn viele Zitate sagen mit wenigen oder mehr Worten viel Wahres und viel über das eigene Innere, was eigene Worte so vielleicht nicht sagen können - und dann dem, dem diese Worte entsprangen, nicht die Achtung erweisen ihn zu nennen, ganz gleich ob der Urheber tot oder lebendig ist.

Zitieren bedeutet etwas übernehmen, bedeutet, dass ich etwas (be)nutze, was nicht meins ist, es "für" mich sprechen lasse und es sage, oder kenntlich mache, dass ich es "für" mich sprechen lasse. Zitate mache ich kenntlich, in dem ich den Urheber nenne, den geistigen Urheber nämlich.
Das macht man doch so, oder?

Ich habe viel gelesen, ich lese, weil ich über mein eigenes Denken und meinen eigenen Erfahrungshorizont hinaus wissen will, ich will wissen und ich will verstehen - das Leben, die Menschen und damit auch mich selbst, denn ich bin ein Teil dieses Lebens und ein Teil der Menschheit. Und weil ich recht viel Wissen habe, erkenne ich, auch wenn ein Zitat nicht gekennzeichnet ist, in dem meisten Fällen, ob die Worte des Zitierenden seinen eigenen Gedanken entspringen, oder "geklaut" sind. Und vor allem erkenne ich, was ich selbst geschreiben habe, egal wie lange es her ist.

Geklaut, genau das hat man, wenn man zitiert ohne den Urheber zu nennen - man stiehlt. Ja, das ist Diebstahl geistigen Gutes. Und das hat mit Missachtung zu tun. Und das missfällt mir sehr. Und es hat mit Grenzverletzung zu tun, und diese habe ich schon als Kind erfahren müssen. Das war schmerzhaft und ich weiß, wie es sich einfühlt, wenn ein Mensch die Grenze des anderen überschreitet und sich etwas von ihm nimmt, ohne sein Einverständnis - genau das ist Diebstahl geistigen Gutes auch - eine Grenzverletzung.



(c) Angelika Wende 

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