Karol Rousin malt Landschaften.
Mit sezierendem Blick für die Temperatur des Lichts und
der Farben tritt er mit dem Sichtbaren in einen eigenwilligen und
erfinderischen Kontakt und kultiviert ihn bis in die Abstraktion. Gegen eine
hoch technisierte Welt, die der Mensch gestaltet hat, die menschenfeindlich ist
und einem unaufhörlichen Vorstoß in die Selbstentfremdung Vorschub leistet,
setzt Karol Rousin die Vergegenwärtigung von Natur. Seine intensive Auseinandersetzung
mit der Landschaft gleicht einer Suche, einer Reise, die angesichts der kraftvollen
Intensität des Naturalen den Blick zu öffnen vermag auf die innere Leere, in
die Konsum und mediale Reizüberflutung den Menschen führen. In seinen Arbeiten schafft Rousin nicht nur sein Bild von Landschaft, er hinterfragt auf
subtile Weise das Menschenbild des Zeitgeistes, indem er uns mit dem konfrontiert,
was alles Leben hervorbringt, was uns hervorgebracht hat, uns leben lässt und
in das wir letztlich eingehen: Natur.
Der Mensch und Maler Rousin erfasst und begreift die
Landschaft mit seinen Sinnen, er beobachtet das Licht, nimmt wahr wie sich Form,
Farbigkeit und Atmosphäre durch seinen Einfall verändern, er macht Fotografien
oder Skizzen, um das Wahrgenommene festzuhalten. Vor der malerischen Umsetzung
plant er das Farbgefühl, das er transportieren will, bestimmt das Colorit,
indem er die Leinwand untermalt, entscheidet so, ob es ein warmes oder ein
kaltes Bild wird, setzt die Farbe gleichsam als Symbol für die Qualität von Licht. Ein Park im orangeroten Licht der Morgenstimmung, die
Silhouette eines nächtlichen Häusermeeres auf tiefblauem Grund, ein Felsenmeer
in der hereinbrechenden Dämmerung erwachsen auf dem Ton der Grundierung. Mit
wenigen kraftvoll-dynamischen Pinselstrichen und dem hartem Duktus der
ausführenden Hand wird das Bild gleichsam modelliert. Organisches formiert sich
zu geometrischen Elementen, das Antlitz der Natur wandelt sich ohne das
Wesenhafte einzubüßen.
Statt eines Fensters zur Natur entsteht ein
Bildbewusstsein, das über die bloße Nachahmung von Landschaft weit hinaus geht.
Wege und Bäume, Himmel und Erde, Berge und Täler kommen als Formen für
Wirklichkeit vor. Mehr noch - der Maler erfindet
Wirklichkeit nach seinem Empfinden. Aus dem Lebendigen werden abstrahierte Formen, die vom
Wesen der Landschaft, ihrer elementaren Bedeutung und ihrer Stimmungshaftigkeit
erzählen. Dem Maler gelingt es die
unterschiedlichen Aspekte einer Landschaft parallel wirken zu
lassen. Abbildung und Wiedergabe der Atmosphäre treten gleichberechtigt
auf und ermöglichen den Blick über die eigentliche Landschaftsansicht hinaus.
Rousins Blick auf Landschaft durch die Augen des
Künstlers gleicht einem Spaziergang durch die Matrix der Natur. Die malerische
Umsetzung fließt in Bewegung und Rhythmus der räumlichen Formen, ist
empathisches Spiel mit Harmonie. Wie ein Magier jongliert Rousin mit dem
Kontrast der Farben, mit Licht und Schatten. Expressiv, voller Energie und
intensiver Dynamik ziehen uns diese Leinwände in den Bann und schenken uns ein
einzigartiges ästhetisches Erlebnis des naturalen Phänomens.
Alles ist offen. Der Betrachter selbst hat die Wahl, er
entscheidet was er sieht: Landschaft oder abstrakte Farbfläche. Geschickt und intelligent spielt
Karol Rousin mit der Wahrnehmung des Betrachters. Er zeigt ihm eine Landschaft,
eine Stadtsilhouette, die so gar nicht ist. Durch das Mittel der Eindichtung komprimiert
er das Markante, zerlegt es und fügt es neu zusammen und kreiert so eine
malerische Illusion - gleichzeitig manifestiert er die eindeutige Erkennbarkeit
des Vorgegebenen. Hier geht Reales mit Irrealem eine Allianz ein und
verändert dennoch nicht den ursprünglichen Charakter, im Gegenteil: Dieser tritt
durch die Neumontage sogar stärker hervor als in der Wirklichkeit. Rousin lässt
die Illusion einer einzigen Wirklichkeit zusammenbrechen. Er entnimmt der
Realität Bilder, um Realität neu entstehen zu lassen, durch den Blick des
Künstlers, der nach einem neuen Einblick sucht. Durch die mentalen Abbilder der
Pseudowirklichkeit einer urbanen Struktur reißt er die raum-zeitliche Dimension
des menschlichen Bewusstseins von Im-Raum-Sein,
von In-der Zeit-Sein auf.
Karol Rousins künstlerische Handschrift ist eindringlich.
Bewusst nutzt er die schöpferische Gabe Begrifflichkeit und Wesen von Natur zu
beherrschen, er ist sich seiner Mittel bewusst, nimmt sich den unendlichen
Spielraum, der sich ihm öffnet, weiß um die Möglichkeiten ebenso wie um die
Herausforderung für den Maler. Vor allem aber weiß er um eines: Er weiß um die Fähigkeit
mittels Kunst der Nachbildung des von der Natur Vorgegebenen zu entwachsen.
Diese nutzt er, um schließlich über das bloße Wiedergeben hinauszuwachsen, hinein
ins eigene Innere, dessen Selbstbewusstheit, sich in diesen Bildern spiegelt.
Kunsthalle Ingelheim, 16.Oktober 2014
Fotos: (c) Alexander Szugger
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