sie
saß vor mir, blass, mit einer haut dünn wie pergamentpapier. ich will
es loswerden, es endlich aussprechen, ich muss es aussprechen, sonst
ersticke ich daran, sagte sie.
sprich, antwortete ich, ich höre dir zu.
ich habe als kind
viel aggressionen erlebt. ich habe mich nicht wehren können gegen die verbale
gewalt in meiner familie. ich habe nicht gelernt, wie man sich wehrt, ich
habe nicht gelernt, wie man sich abgrenzt. wie man überlebt, das habe ich
gelernt. wenn du als kind
misshandelt oder missbraucht wirst, sei es körperlich oder emotional, oder
beides, hast du keine waffen, die dir helfen könnten. du bist wehrlos.
du bist fassungslos, du hast nur diesen gedanken: ich
verstehe das einfach nicht!
wie soll ein kind
verstehen, dass menschen, die es liebt und von denen seinen überleben
abhängt, fähig sind, es zu
verletzen, es zu demütigen, es zu verachten. das versteht ein kind von vier oder fünf jahren nicht. es beginnt zu
glauben, dass es schlecht ist, dass es böse ist, dass es verdient hat, was ihm geschieht. um eine rechtfertigung für den oder die täter zu suchen, macht es
sich selbst für das, was ihm geschieht verantwortlich. es spaltet das
böse von den tätern ab und verinnerlicht es als sein als eigenes. auf diese
weise wird das fremde böse zum eigenen bösen. hier beginnt die spaltung des
eigenen inneren. das kind muss das tun, um die eltern weiter als gut empfinden
zu können. indem es selbst
die ursache des bösen ist, gelingt es ihm die
lebensnotwendige beziehung zu den eltern am leben zu halten. es sagt sich, sie
haben mich lieb, aber ich bin böse, darum haben sie grund mich
schlecht behandeln. wenn sie mir wehtun, habe ich es verdient. ich bin
schlecht. sie weisen die schuld ja auch von sich und sagen – du bist
ein böses kind.
die tragik des
kindes liegt darin, dass es sich zum einen partiell selbst aufgibt um seelisch zu überleben und zum anderen das
böse als eigenschaft in sich selbst aufnimmt. und dort bleibt es, lebenslang
- wie ein dämon, der in ihm haust, der ihm sagt, was
es tun muss, um sich selbst zu schaden.
mein vater hasste
sich selbst, er hasste sein leben. er hasste uns
kinder und er hasste sich wohl selbst für seinen hass. er war immer aggressiv.
er sagte, ich sei schlecht, ich sei an seinem unglück schuld, ich sei die
nachgeburt, die er großgezogen habe. das kind hätten sie bei der geburt aus
versehen weggeworfen. er sagte ständig
solche dinge zu mir. das hat mir angst
gemacht. es hat mir meinen seelenfrieden geraubt, mein gefühl für mich selbst,
die freude am leben. im grunde hat er seine wut, seinen hass wie ein gift in
seine tochter injiziert, um sich selbst zu entlasten. ich blieb verwirrt,
verängstigt und mit einem schlechten gefühl zurück – bis heute ist das so.
ich habe meine
mutter gefragt, was ist mein fehler, was habe ich dir getan?
da sagte sie zu
mir, dass du überhaupt da bist ist das unglück.
sie sagte, ohne
dich hätte ich deinen vater niemals geheiratet, wegen dir habe ich meine träume
begraben müssen, wegen dir habe ich ein ungelebtes leben. und du, bist nur
undankbar! ich hatte immer
eine bringschuld – ich musste ihnen und mir selbst beweisen, dass ich es doch
in irgendeiner weise wert war zu leben, um zu überleben. mein vater ließ
mich meine bloße existenz als schuld erleben. ich war schuld an seinem
beschissenen leben. die grundschuld –
überhaupt am leben zu sein. das heißt, du darfst nicht leben, aber wenn du schon lebst,
dann fühle dich wenigstens schlecht und schuldig! irgendwie denkst
du immer es wäre besser nicht da zu sein und entwickelst
selbstzerstörungstriebe. mein vater war ambivalent. einerseits hatte ich das gefühl, er mag mich, weil er mich
manchmal auf seinen schoß nahm und mir viele dinge erklärte, andererseits war da
dieses vernichtende in seinen worten und seinem blick.
es fühlt sich an als sei mein empfinden für mich selbst in zwei teile gespalten – der
eine, der sich selbst zerstören will, weil er glaubt schlecht zu sein und kein
recht auf ein leben zu haben, der andere, der rebelliert, weil er leben will. aber wie? wie geht
leben? wie fühlt sich das an? es gibt keine
lösung und immer bist du wütend, depremiert und schuldbeladen.es war vollkommen
egal, was ich machte, alle versuche anerkennung zu gewinnen, alle
anpassungsversuche bewirkten nichts. nichts konnte diese ablehnung ändern.
ich führe ständig
krieg in meinem inneren – die eine kämpft gegen die andere. ich will eine
identität finden, ein klares umrissenes ich, bis heute ist das so. mein grundgefühl ist eine trostlose wut.
es ist die
rebellion einer frau, die in dieser welt nie einen sicheren ort gefunden hat, die
nicht weiß, wohin sie gehört, weil sie nicht weiß, wer sie ist. das eine hat mit dem anderen zu tun.
wenn du keine heimat in dir drin hast, dann bist du überall wo du bist heimatlos,
du bist immer auf besuch, niemals angekommen. wie auch? du suchst ja dich, das
ist ein ewiges getrieben sein.
das sind identitätszweifel,
die manchmal verzeifelt machen, ein ewiges schwanken, ein hin und her kippen, ein gefühl von
unvollständig sein, ein gefühl der spaltung. wer gelernt hat,
dass kein recht auf leben hat, hat auch kein gefühl für autonomie.
sie lächelte resigniert.
ich sah sie an: es ist gut, dass du es endlich aussprichst.
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