Montag, 29. Januar 2024

Aus der Praxis: Sinn und Sinnverlust

 

                                                                                      Foto: www

 

In meinen Sitzungen mit Menschen taucht immer häufiger die Frage nach dem Sinn auf. Viele sind müde und manche sind so müde, dass sie keinen Sinn mehr empfinden können.

 

Was ist der Sinn des Lebens?, ist eine existenzielle Frage des Menschen.

Was, wenn der Sinn des Lebens fraglich wird?

 

„Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Sich entscheiden, ob das Leben es wert ist, gelebt zu werden oder nicht, heißt auf die Grundfrage der Philosophie antworten“, schreibt Albert Camus. Camus fragt nicht nach dem „Wie“ sondern nach dem „Ob“. Also nicht wie ein gelingendes Leben möglich ist, sondern ob das Leben überhaupt Sinn macht. Bei all den Verlusten im Laufe der Jahre, dem Leiden, den Ängsten, den Verletzungen, den Enttäuschungen, den Schmerzen, der Verzweiflung, der Vergänglichkeit, dem Sterben und dem Tod, fragt Camus nach dem Ob. Ob es das wert ist. Die Lösung, wenn wir das nicht erleben wollen, wäre dann in der Tat der Selbstmord. Eine Erleichterung, eine Art Lebenslösung, tiefe Ruhe. Endlich Ruhe. Trotzdem leben die meisten von uns weiter. 

Warum? 

 

„Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.“, schreibt Viktor Frankl. Und weiter: „Ein Warum - das ist ein Lebensinhalt; und das Wie - das waren jene Lebensumstände, die das Lagerleben so schwierig machten, dass es eben nur im Hinblick auf ein Warum überhaupt tragbar wurde.“

Frankl stellt im Gegensatz zu Camus die Frage nach dem „Ob“ nicht. 

Dem „Warum“ Gedanken folgend, erforschte Frankl, was den Menschen dazu antreibt, selbst in den tiefsten Krisen und im größten Schmerz weiterzumachen.

Sein Fazit: Es ist sein Warum. Ein Warum als Sinnstiftung.

 

Aber wenn es kein Warum mehr gibt und sich keines mehr finden lässt, was dann? Warum machen wir dann weiter?

Weil das Leben trotz allem ein Geschenk ist, eine Kostbarkeit, auch wenn es kein Warum, keinen übergeordneten Sinn hat? Lohnt es sich auch dann, wenn ich den Sinn, den ich meinem Leben einst gab, verloren habe?


Auch hierauf gibt Frankl eine Antwort: „Wir müssen die verzweifelten Menschen lehren, dass es nie und nimmer darauf ankommt, was wir vom Leben erwarten, lediglich darauf, was das Leben von uns erwartet. Leben heißt letztlich eben nichts anderes als: Verantwortung tragen für die rechte Beantwortung der Lebensfragen, für die Erfüllung der Aufgaben, die jedem einzelnen das Leben stellt, für die Erfüllung der Forderung der Stunde.“

 

Was aber, wenn ich nicht mehr sehen kann oder sehen will, was das Leben von mir erwartet? Was wenn ich die Fragen höre und nicht beantworten will, weil ich es leid bin, es müde bin, die Aufgaben und Forderungen der Stunde zu erfüllen.

Was wenn der Sinn verloren gegangen ist?

Was dann?

Dann vielleicht doch Albert Camus´ „Ob“?

Was bedeutet, dass ich mich mit der Absurdität meiner Existenz auseinandersetzen müsste. Um dahin zu kommen wo Camus hinkam?

„ Die einzige Möglichkeit, einen Sinn im Leben zu finden, besteht darin, die Tatsache zu akzeptieren, dass das Leben von Natur aus sinnlos ist.“

 

Und was dann?

Kann ich leben angesichts der Sinnlosigkeit?

Kann ich leben, wenn das Leben von Natur aus sinnlos ist?

Und wie?

Ohne Zweck, ohne Werte, ohne Orientierung, ohne Ziel, ohne Aufgabe. Ohne Hoffnung, ohne Träume, ohne Begehren. Ohne Liebe, ohne Zuneigung. Ohne Freude, ohne Glück. Ohne Verbundenheit. Ohne Glaube. Ohne soziale, spirituelle, geistige Bedürfnisse.

Ohne Erfüllung?

Nichts, was mir am Herzen liegt.

In vollkommener Apathie.

Das Leben als Dasein, als reine Existenz? 

Gibt es dann noch eine Sinn, einen Grund zu leben?

 

Vielleicht hilft ja die Haltung der Stoiker, wonach nur der Weise, der im Einklang mit der Ordnung des Kosmos lebt, frei von Affekten, Wünschen und Leidenschaften und gleichgültig gegenüber dem eigenen äußeren Schicksal, den Endzustand der Apathie erreichen kann. Was bedeutet: Die Unempfindlichkeit gegen die Wechselfälle des Lebens, die stoische Ruhe. Sie bedeutet das einzige Glück.

 

"Warum setzen Sie eigentlich voraus, dass ein Leben, außer da zu sein, auch noch etwas haben müsste oder auch nur könnte – eben das, was Sie Sinn nennen?

— Günther Anders

 

 

 

 

 

 

 

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