L'Esprit de géométrie, René Magritte
"Als
sie das Haus der Mutter verließ, hatte sie, Närrin, geglaubt, sie sei
ein für allemal Herrin ihres Privatlebens geworden. Das Reich der Mutter
erstreckte sich jedoch über die ganze Welt und griff überall nach ihr.
Nirgends würde Teresa sich ihm entziehen können", schreibt Milan
Kundera in
"Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins"
Ob liebevoll oder kalt, fürsorgend oder
vernachlässigend, lebend oder tot, die Mutter bleibt immer Ursprung und
existentieller Beginn unseres Lebens. Die Bindung zur Mutter ist die
früheste überhaupt, und sie ist die Prägendste. Sie prägt unsere
Gedanken, unsere Gefühle, unsere Handlungen und unsere Sicht auf uns
selbst und die Welt. Das größte Glück, dass ein Kind haben kann, ist
eine hinreichend gute Mutter. Wenn unsere Beziehung zur Mutter als
liebevoll, fördernd, wohlwollend und wertschätzend erlebt wurde, fühlen
wir uns sicher in uns selbst. Wenn die Mutter an uns glaubt, lernen wir
an uns selbst zu glauben.
„Du hast immer an mich geglaubt, und das
hat mir die Kraft gegeben, meinen Traum zu leben", sagte mein Sohn
einmal zu mir. Er ist Musiker geworden, er lebt seinen Traum und er kann
davon leben. Mein Sohn ist das Beste, was mir das Leben geschenkt hat.
Er weiß das.
Natürlich war ich nicht die perfekte Mutter. Die gibt
es gar nicht. Ich habe Fehler gemacht und ich habe sie mir und ihm
eingestanden. Es gab Krisen in unserer Beziehung und Konflikte, aber wir
konnten sie immer lösen. Unsere Beziehung war sehr innig und mein Sohn
hat gelernt, sich von mir zu lösen und ich mich von ihm. Heute ist er
ein erwachsener Mann und lebt ein eigenverantwortliches Leben. Er
bekommt das gut hin, in einigen Bereichen sogar besser als ich,
besonders was seine Liebesbeziehung angeht. Sie ist seit langen Jahren
stabil und beide sind glücklich miteinander. Dafür bin ich unendlich
dankbar.
Heute Morgen am Muttertag, dachte ich: Ich habe es besser
gemacht als meine Mutter, die mir keine Liebe gegen konnte und mich als
Baby wegegeben hat. Ich habe den Schatten meiner Kindheit nicht an
meinen Sohn weitergegeben.
Ich habe weder mütterliche Fürsorge noch
bedingungslose Liebe erfahren. Ich habe lange gebraucht, um damit klar
zu kommen. Wer das nicht bekommt, wer nicht am eigenen Leibe spürt wie
sich mütterliche Liebe anfühlt, wird sich im Leben schwertun. Aber er
wird sich nicht unebingt damit schwertun, all das dem eigenen Kind zu
geben und irgendwann auch sich selbst.
Auch
wenn die Beziehungserfahrung, die wir mit der Mutter gemacht haben,
unser Leben auf gute oder ungute Weise weitgehend prägt, sie muss es
nicht ein Leben lang dominieren. Es liegt, wenn wir erwachsen sind, an
uns selbst, ob wir bereit sind die unheilsamen Erfahrungen zu
verarbeiten und von unseren destruktiven Prägungen zu genesen. Es liegt
an uns, ob wir bereit sind, die Verantwortung im Jetzt zu übernehmen und
die Verstrickung zu lösen.
„Wissen Sie“, sagte letztens eine
Klientin, „ich leide noch immer unter den vernichtenden Worten meiner
Mutter. Seit ich denken kann hat sie meine Selbstachtung in den Boden
gestampft. Ihre harten Worte klingen mir in den Ohren, auch dann, wenn
ich doch eigentlich glücklich sein könnte. Es ist mir bis heute nicht
gelungen mich aus dem Käfig der Erinnerungen zu befreien. Ein Teil von
mir glaubt ihr, und ein anderer weiß, dass sie Unrecht hatte. Meine
Mutter kann gut vergessen. Wenn ich ihr die Glaubenssätze wiederhole,
die sie mir eingeimpft hatte, die mich klein gemacht haben, weigert sie
sich mich zu verstehen. Sie legt sich alles zurecht, wie es in ihr Bild
passt. Meine Worte haben für sie keinen Wert. Sie bleibt bei ihren
Überzeugungen und so muss sie nichts einsehen, was ihre Realität ins
Wanken bringen könnte. Manchmal bedauere ich, dass ich diese Gabe nicht
besitze.
Es ist ein Kampf, jeden einzelnen Tag. Ich glaube zu wissen
was ich will, aber ich tue es nicht, ich glaube zu wissen, wer ich bin,
aber ich bin es nicht, ich glaube zu wissen, wohin ich gehen will, aber
ich vertraue mir selbst nicht. Ich bin mir in nichts sicher, das macht
mich schwach. Ich stelle mir vor, wie es sein könnte, wenn ich endlich
erwachsen wäre, ihr entwachsen wäre und ich frage mich, was ich dazu
brauche, um diesem Schatten, der mein Leben erdrückt, zu entkommen. Ich
bin ein Unglücksrabe, der ein Adler hätte sein können, hätte man ihn in
ein anderes Nest gelegt.“
Sie wurden aber in genau dieses Nest
gelegt. Haben Sie schon einmal überlegt, dass sie vielleicht diese
Mutter haben, um die zu werden, die sie sind?, frage ich sie. Sie
konnten sich ihre Mutter nicht aussuchen, aber jetzt können sie wählen,
wie sie mit dem umgehen, was sie als Kind erleben mussten. Sie können
sich ewig beklagen über die gute Mutter, die sie nicht hatten, sie
können sie ewig verantwortlich machen für das, was ihnen nicht gelingt,
es hilft ihnen nichts. Sie behandeln sich damit nur weiter so wie man
sie als Kind behandelt hat. Sie führen zwei Kämpfe - den gegen die
Mutter und den anderen gegen sich selbst. Sie werden keinen davon
gewinnen.
Wollen sie das?
„Nein, aber bin wütend auf sie, noch
immer. Ich würde ihr gern mal sagen: Mutter, wenn du wüsstest, wie
schmerzhaft deine harten Kanten mein Leben in zwei Teile spalten. Ich
würde ihr gerne entgegenschreien: Warum liebst du mich nicht? Warum hast
du mir das angetan?“
Gut, und was wäre dann anders?, antworte ich.
Würde diese Einscht ihrer Mutter die Vergangenheit wieder gut machen?
„Nein“,
sagt sie, „und auch nicht all die Jahre in denen ich um ihre Liebe
gekämpft habe. Sie fühlt sie einfach nicht. Nein, nichts wäre anders.“
Also, was nützt Ihnen ihr Wiedergutmachungswunsch?
„Nichts.“
Eine Träne rollt über ihre Wange.
Gut, was könnten Sie sich selbst sagen, damit es ihnen besser geht?, frage ich sie.
Sie schweigt einen Moment.
„Ich
könnte mir sagen: Du bist jetzt erwachsen, du kannst dich lösen, von
dem, was dich festhält und klein macht. Du kannst aus ihrem Schatten
treten, die Vergangenheit sein lassen und dich dem zuwenden, was du sein
willst. Du kannst dich selbst gut behandeln. Aber ich kann nicht. Sie
soll endlich begreifen, was sie mir angetan hat!“
Doch, Sie können, sage ich.
Sie
können es, wenn sie die Bereitschaft dazu haben und die Geduld diesen
Weg zu gehen und wenn sie es wirklich wollen. Sie können ihre Wut und
ihren Schmerz zulassen, ihre Gefühle fühlen und sie da sein lassen. Sie
können ihre Trauer anerkennen und sie da sein lassen. Es ist traurig, es
ist schmerzhaft und es ist bedauerlich, was geschehen ist. Ja. Aber es
hilft ihnen nicht es weiter geschehen zu lassen und das tun sie, wenn
sie weiter gegen etwas kämpfen, was sich nicht ändern lässt. Sie dürfen
lernen, sich selbst eine hinreichend gute Mutter zu sein.
„Kann man das?“
Ja,
sage ich, man kann. Es wird dauern. Es bedeutet Arbeit, es bedeutet
Versöhnung mit uns selbst und mit der eigenen Biografie und wenn das
Herz bereit ist: Vergebung.
Indem wir anerkennen: Sie konnte nicht
anders. Das bedeutet nicht, dass wir es gutheißen, es bedeutet – wir
lassen los von der Illusion einen Menschen ändern zu können. Wir finden
Frieden im Herzen.
„Wie soll das denn gehen, verdammt?“
Indem man zuallererst aufhört vom anderen zu erwarten, dass er einen erlöst, auch wenn es die eigene Mutter ist.
"But behind all your stories is always your mother's story, because hers is where yours begins."
―Mitch Albom
Ich wünsche allen Müttern, Töchtern und Söhnen einen friedvollen Muttertag.
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