Mittwoch, 10. November 2021

Wenn sich Wege trennen


 
 
Es kommt der Tag, da müssen wir liebgewonnene Gewohnheiten, Dinge, Orte oder Menschen hinter uns lassen, die uns vertraut waren und uns lange Zeit das Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und Verbundenheit gaben.
Wir müssen uns verabschieden.
Abschied nehmen von dem, was zu unserem bisherigen Leben gehörte, besonders wenn es wichtig und wertvoll für uns war, ist schwer. Sich von einem vertrauten oder einem geliebten Menschen verabschieden zu müssen ist sehr schwer. Es ist ein Gefühl als zerreiße man innerlich, als breche etwas ab, ein Teil des Ganzen geht verloren und damit auch ein Teil von uns.
Wenn Wege sich trennen hat das einen Grund, nichts geschieht ohne Grund. Aber der Gedanke hilft uns nicht in unserem Schmerz. Verlust tut weh, sagt das Herz und es weint.
Aber verlieren wir, wenn wir uns von einen Menschen verabschieden müssen, wirklich einen Teil unserer Selbst oder verlieren wir nur eine Vorstellung, die wir von uns selbst und diesem Menschen hatten und in der wir uns über eine lange Zeit eingerichtet haben?
Der Verstand sagt, du kannst und wirst vieles verlieren, aber dich selbst nicht. Du kannst nicht verlieren, was dich von innen hält. Dazu gehören deine Träume, dein Glaube, die eigene Wahrheit, deine tiefsten Werte und Überzeugungen und deine Erfahrungen - und dazu gehört auch was du mit diesem Menschen erfahren durftest. Das bleibt, das verlierst du nicht. Das ist ein Geschenk, das du für immer bewahren wirst. All das, was du mit diesem Menschen gefühlt, getan, erlebt, geteilt hast, all das bleibt in der Schatzkammer deiner Erinnerung.
Ja, das ist wahr, sagt das Herz, aber das Herz weint noch immer.
Das ist mehr als ein Bruch, das fühlt sich an wie ein Knacks, das ist für manche von uns sogar ein persönlicher Weltuntergang.
Wie weiter leben, ohne den anderen, wie alleine weitermachen ohne seine Nähe, sein Verstehen, seinen Beistand, seine Berührung, seine LIebe, sein Dasein, das mir das Gefühl gab, ich bin nicht allein in der Welt? Wie geht das? Wie stehe ich das durch? Was hält mich denn jetzt, wenn sich seine Hand sich nicht mehr um die meine schließt und ich alle Wege alleine gehen muss? Er fehlt, dieser Mensch, da kann der Verstand noch so viel argumentieren. 
 
Es tut nicht nur weh, was fehlt, es tut auch weh, dass alles zerstört ist, was hätte sein können.
 
Das macht es nicht leichter. Das stürzt uns in noch tiefere Trauer. Da kommt Angst und da kommt Verzweiflung.
Dieses „was hätte sein können ...“
Aber es wird nicht mehr sein. Aus. Vorbei. Ende.
Aber: Hätte es sein sollen, wäre es noch.
Hilft dieser Gedanke um das Herz zu beruhigen, es zu trösten?
Mir hilft er schon.
Ich glaube, wir verlieren nichts zufällig. Hinter jedem Verlust steht eine Entwicklung, die lange Zeit vor dem tatsächlichen Verlust ihren Anfang hatte und ihren Lauf nahm.
Wenn sich Wege trennen, weißt es darauf hin, das da etwas nicht mehr stimmig war, dass wir uns auseinanderbewegt und entwickelt haben, dass der gemeinsame Weg kein Weg mehr war, dass der andere irgendwann stehen geblieben ist oder innerlich eine andere Richtung eingeschlagen hat, oder dass wir ihn innerlich längst verlassen haben oder er uns.
Lange vor dem Abschied gab es Zeichen. Vielleicht haben wir sie gesehen, vielleicht haben wir gespürt, wie sich Verbundenes auflöst, leise, aber aber mehr und mehr. Vielleicht haben wir sogar versucht diese Entwicklung aufzuhalten, dem anderen gesagt, was wir spüren und ihn hingewiesen auf das Band, das sich lockert. Aber er hat es nicht hören wollen oder er konnte es nicht hören.
Er muss seinen Weg gehen. So wie wir den unseren gehen müssen. Das Band löst sich auf, wenn es an der Zeit ist, und wir können es nicht ändern, wenn es so ist.
Es ist wie es ist.
Wir können nichts festhalten. Im Akt des Festhaltenwollens, liegt die Wahrheit: Es will, es muss sich lösen. Und ja, das tut weh.

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