Freitag, 1. Mai 2020

Tanzen


 
Foto: Alexander Szugger

Im vergangenen Jahr habe ich am Vorabend getanzt. Ich habe mit meinem Liebsten getanzt, ausgelassen und glücklich. In diesem Jahr habe ich nicht getanzt. Ich hätte tanzen können, allein in der Küche, so wie mein Liebster und ich es getan haben. Mir war nicht nach tanzen. Es ist okay. Ich muss nicht tanzen, wenn ich mich nicht danach fühle. Manchmal tanze ich, manchmal nicht. Wenn ich traurig bin eben nicht. Ich bin traurig. Gestern war ich es und heute morgen bin ich es.

Heute ist der 1. Mai. Tag der Arbeit.
Arbeit gibt es für viele Menschen nicht mehr. Wir haben so viel Arbeitslose wie schon lange nicht mehr. Die Coronamaßnahmen fressen Arbeitsplätze, Unternehmen, ruinieren Existenzen.
Eine Klientin, die lange zu mir kam, kann nicht mehr kommen. Ihre Firma ist bankrott. Was sie anbietet ist nicht systemrelevant. Es wird nicht mehr gebraucht jetzt.
Aber auch was jetzt gebraucht ist für viele nicht mehr bezahlbar. 
Auch ich habe weniger Klienten als zuvor.
Ich habe mehr Zeit. Zeit um nachzudenken, was ich tun will, womit ich meine Existenz aufrechterhalte. Ich liebe meine Arbeit, ich will sie weiter machen. Ich habe Zuversicht, ich bin kreativ. Mir wird etwas einfallen.
Nein, nach Tanzen ist mir nicht.

"Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren", sagte Pina Bausch einmal.
Sind wir das? Verloren, wenn wir nicht tanzen?
Wit tanzen doch.
Wir tanzen den ganzen Tag. Irgendwie ist alles ein Tanz.
Wir tanzen um uns selbst herum, machen Drehungen und Wendungen mit Ziel, ohne Ziel. Wir tanzen in Beziehungen, auf einander zu, umeinander herum, auseinander. Liebe ist ein Tanz. Ein Tango - it takes two for Tango. In allen Beziehungen, nicht nur in der Liebe.
Meine Liebster fehlt.

"They dance alone", ist ein Lied von Sting.
Es handelt von denen, die ihre Toten betrauern. In dem Lied tanzen sie alleine. Im Herzen die Trauer um ihre Toten.
Es gibt viel Trauer zur Zeit.
Es gibt viele Tote zur Zeit. In der ganzen Welt gibt es eine Übersterblichkeit, sagt man. Wir sehen es an den Zahlen.
Wir schauen viel auf Zahlen in den letzten Monaten. Zahlen bestimmen unseren Alltag, unser Leben, unsere Gefühle. Sie machen Angst, wenn sie steigen. Hoffnung, wenn sie sinken.
Ein Affentanz. Ein Affengeschnatter in den Medien, in den Köpfen.
Nein, mir ist nicht nach Tanzen.



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