Donnerstag, 30. Juli 2015

Aus der Praxis – Respekt




Manche Menschen haben die Eigenschaft vom Anderen genau das einzufordern, was sie selbst nicht haben. Sie erwarten von anderen zum Beispiel Respekt und beklagen sich, wenn sie diesen gefühlt nicht bekommen. In der Projektion erwarten sie etwas für sich, was sie selbst nicht fähig sind zu geben. Immer wieder höre ich die Klagen von Klienten: Der behandelt mich nicht so, wie ich es verdiene. Wenn ich dann zurückfrage: Wie behandeln sie ihn denn?, stellt sich nach einigem Hin-und Herwinden heraus: Genauso wie sie sich selbst behandelt fühlen, respektlos zum Beispiel.

Wer mit dem Finger auf Andere zeigt, zeigt mit drei Fingern der eigenen Hand auf sich selbst. "Du tust mir das an", wird so zu einem "Ich tue mir das an." Und genau da ist der (wunde) Punkt. Das Leben ist Aktion und Reaktion. Es geschieht uns in der menschlichen Interaktion nichts, was wir nicht mit irgendeiner Aktion auslösen. Die Erfahrung lehrt: Das Leben ist ein Bumerang, er kommt exakt mit der Energie auf uns zurück, mit der wir ihn geworfen haben, im Guten wie im Schlechten. Mal früher und mal später. Und manchmal mit einem ganz schönen Bums. Aber gerade die, die mit dem Finger auf andere zeigen, glauben dann, dass sie etwas trifft, wofür sie überhaupt nichts können. Sie sehen sich als Opfer einer himmelschreienden Ungerechtigkeit, die sie völlig schuldlos verletzt. Meine Erfahrung ist, wir werden von anderen genau in dem Maße verletzt, wie wir andere verletzen. Nur kann das Echo eine ganze Weile dauern, und es muss auch nicht genau der sein, den wir verletzt haben, der uns wieder verletzt, es kann ein ganz anderer Mensch sein, der als Bumerang fungiert. Bewusste Menschen wissen das, sie wissen, dass alles im Leben nach Ausgleich strebt. Nicht immer unmittelbar, sondern weitaus öfter zeitversetzt. Wenn ich also jemanden vor mir habe, der sich laut über den mangelnden Respekt eines Anderen beklagt, weiß ich, dass er damit selbst ein Thema hat - er respektiert andere nicht und in vielen Fällen respektiert er sich selbst nicht.

Was ist Respekt?
Das Wort kommt aus dem Latenischen respectus und bedeutet so viel wie Zurückschauen, Rücksicht, Berücksichtigung und bezeichnet eine Form der Wertschätzung und der Achtsamkeit anderen gegenüber, mit anderen Worten: das Rücksicht nehmen auf andere, das Berücksichtigen anderer beim eigenen Denken, Fühlen und Handeln und den daraus resultierenden möglichen Folgen und Auswirkungen über das eigene Ich hinaus hin zum Anderen.

Rücksicht nehmen erfordert Empathie. Nur mit Empathie wissen wir, wie wir Rücksicht nehmen, was es bedeutet, die Gefühle anderer zu berücksichtigen, bevor wir etwas sagen oder etwas tun, was den anderen (be) trifft, auch wenn wir glauben, der merkt es nicht. Was uns betrifft merken wir immer, auch wenn es hinter unserem Rücken geschieht, wir haben dafür feine Antennen. Rücksicht nehmen und respektvoll sein hört sich leicht an, ist es aber nicht, denn das Ego kennt keine Rücksicht, es kennt nur seinen Willen, den es mit aller Macht durchsetzen will - rücksichtslos.

So trampelt der Rücksichtslose auf die Erfüllung seiner Ego-Bedüfnisse bedacht, nicht selten wie ein Elefant durch den emotionalen Porzellanladen anderer und wundert sich dann, dass ihm die Scherben derselben irgendwann um die Ohren fliegen – und meint dann, der Andere sei respektlos. Wie gesagt: Aktion und Reaktion, Ursache und Wirkung. Ein rücksichtsloses Ego aber spürt nur die Wirkung, nicht die Ursache und wird nicht begreifen wollen, wo sein ursächliches Handeln liegt, wo seine Verantwortung liegt, welche die Reaktion auslöst. Es will nicht einsehen, dass ihm nichts wiederfährt, was es nicht selbst verursacht oder in die Welt gesetzt hat. Es verharrt in der Einforderung, anstatt sich selbst zu fordern und sich zu fragen: Wo ist mein Anteil?




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