tagebuch schreiben, das bedeutet für mich schreiben, ganz allein für mich. virginia woolf sagte einmal sinngemäß, jeder mensch braucht ein zimmer für sich allein. dieses zimmer, diesen zutiefst privaten raum, betrete ich, wenn ich in mein tagebuch schreibe. hier kann ich ganz ich selbst sein, hier kann ich alles tun und lassen, was ich will, hier hat niemand, aber auch niemand zutritt. ich schlage eine leere seite auf und vor mir liegt ein unendlicher raum für meine gedanken und meine gefühle, die ich niemanden anvertrauen kann oder will. hier kann ich dampf ablassen, wenn ich verletzt und wütend bin, hier kann ich klein und groß sein, hier kann ich so frei, so kleinkariert, so ängstlich, so schwach, so stark, so mutig, so doof, so kindisch, so traurig, so froh sein, wie ich mich gerade fühle. dieser raum ist ein sicherer ort, ein ort an dem ich alles loswerden kann, was mich belastet. hier gibt es keine beschränkung, hier darf alles sein, hier darf ich sein. hier findet mein herz einen platz an dem es sich ausschütten kann ohne erwartungen von nichts und niemanden, nicht einmal von mir selbst. hier ist platz für meine tiefsten befindlichkeiten, die ich frei und unzensiert niederschreiben kann. heute morgen habe ich gespürt, wie sehr ich diesen platz vermisse und er mich. es ist gut, ihn wieder gefunden zu haben. wie konnte ich ihn nur so lange unbesucht lassen, dachte ich, als ich alles niedergeschrieben hatte, was mir nach dem aufstehen im kopf herumging. es tut gut, zu wissen, dass ich dieses ritual jetzt wieder aufnehme, jeden morgen, um die beziehung zu mir selbst zu pflegen.
ich erinnere mich an die zeit, als ich sehr allein war. in dieser zeit war mein morgendliches tagbuchschreiben, das was mir kraft gab und mich durch schwere zeiten begleitete. ich konnte über meine sorgen sprechen und die antworten kamen. sie flossen aus der hand, mit der tinte auf das papier und nahmen gestalt an, sie gaben mir schutz und sie gaben mir die zuversicht, die ich brauchte um weiter zu gehen. das tagebuch half mir, als ich an wendepunkten meines lebens stand und immer war es geduldiger als ich. auch das ist es, was es so kostbar macht, seine geduld und seine gutmütige duldsamkeit. schreibend lernte ich den dingen ihre zeit zu geben.
etwas handschriftlich niederschreiben ist in einer zeit, die süchtig nach schnelligkeit ist, eine wunderbare übung der langsamkeit. wenn ich mit der hand schreibe, ist es wie eine meditation. es erdet mich und ich lasse fließen, was in mir ist, beobachte ohne zu bewerten, was ist. ich werde ruhiger und ich werde milder mir selbst gegenüber und das beste - ich baue morgen für morgen eine immer intimere und vertrautere beziehung zu mir selbst auf. das ist gut, denn oft genug komme ich mir abhanden in der schnelligkeit da draußen, den menschen, die mich beschäftigen, der familie, die mich in beschlag nimmt. jeder will und jeder erwartet und ich erfülle und achte darauf, dass es den anderen gut geht und wie schnell gehe ich mir dabei verloren und werde mir fremd, überladen von all dem fremden, das in mein eigenes dringt. das tagebuch rückt mich zu mir selbst wie nichts anderes. das ist heilsam und weil es das ist, empfehle ich es meinen klienten. jene, die meiner empfehlung folgen, lernen es zu schätzen, denn mit der zeit hilft es ihnen zu ihren tieferen schichten vorzudringen und sich so besser zu verstehen und anzunehmen.
tagbuch schreiben bringt nicht zuletzt klarheit und es hilft proritäten zu setzen. es entschleunigt das leben und nordet ein, da wo ich mich selbst nicht mehr einnorden kann. es zeigt mir, was wirklich in mir vorgeht, wenn alle masken abfallen, wenn alle rollen ungespielt bleiben und die worte ohne vorsicht in aller wahrhaftigkeit und völlig schamlos meinem innersten entgleiten dürfen. die seiten hören mir still und achtsam zu wie kein mensch es vermag, sie tragen einen gedanken immer wieder vor, sie helfen mir bis in den letzen winkel meines lebens vorzudringen, bis auch er meine ganze aufmerksamkeit hat. dann stelle ich fest, was ich ändern muss, was sich gut anfühlt und was sich nicht mehr gut anfühlt und vor allem, wofür es zeit ist, es in die tat umzusetzen. die seiten wissen wann ich feststecke und sie entwirren so manchen knoten in meinem leben. in der stille des schreibens mit der hand fließt das leben nicht mehr an mir vorbei, es fließt durch die seiten zu mir zurück bis ich wieder erkenne, was im lauten des alltags untergeht. es bewahrt mich davor im außen unterzugehen. es ist mein rettungsring im meer der fremdbestimmung, der mich herauszieht und im zweifel vor dem ertrinken rettet. all das und viel mehr lebt in diesem schreiben. und weil es darin lebt, werden die schreibenden lebendiger, je konsequenter sie dieses ritual vollführen. ich werde dieses ritual nicht mehr lassen, auch weil ich weiß, dass in den ersten minuten nach dem aufwachen der zeitraum des tages ist, indem die verteidigungsmechanismen des egos nicht aktiv sind und wir den impulsen, die aus dem unterbewusstsein hochsteigen, so nah sind wie in keiner anderen stunde des tages. wir menschen sind am wachsten in dieser zeit und damit aufmerksam für die botschaften aus der tiefe unseres unterbewusstseins die gehört werden wollen.
Liebe Angelika,
AntwortenLöschendann haben wir etwas gemeinsam! Ich habe damit angefangen, als ich 10 Jahre alt war, habe für meine beiden Mädels Tagebuch geführt, und es ihnen geschenkt, als sie erwachsen waren. Beide haben geweint nach dem Lesen und sind heut noch froh, dass ich ihr tägliches Kindsein festgehalten habe!
Dir wünsche ich einen guten Rutsch ins 2015, für das Neue vor allem Gesundheit, denn alles andere holt uns eh ein...
herzlichst, Edith
liebe rachel,
AntwortenLöschenhaben wir nicht alle ganz viel gemeinsam? das haben wir und das ist schön zu wissen.
ich danke dir und wünsche dir ein gutes jahr 2015 mit viele möglichkeiten und der freude, neben allem, das uns einholt, dein leben zu gestalten.
herzlich, angelika
Ja, wir haben alle viel gemeinsam, doch Besonderes teilen wir nur mit wenigen Menschen.
AntwortenLöschenDanke für deine Wünsche, hab es gut in aller Zeit..
herzlich,
Edith