Montag, 14. April 2014

Aus der Praxis - Wut ist die Brücke zur Trauer




Immer wenn wir uns angegriffen fühlen, wenn wir uns verletzt fühlen, wenn wir etwas Wertvolles verlieren oder wenn wir verlassen werden, entsteht eine Situation, in der wir reagieren müssen. Das bedeutet, da sind Gefühle, die ausgedrückt werden wollen. Da sind Wut und Angst und da ist Trauer.
Gefühle sind Signale und sie auszudrücken ist heilsam und gesunderhaltend.
 Nun entsteht aber eine Konfliktspannung zwischen dem Impuls des sich ausdrücken wollenden Gefühls mit den Werten und Normen, die man uns beigebracht hat, vor allem was die Wut angeht. Es kommen Gedanken auf wie: Wut ist ein Zeichen von Nichtgelassensein. Aber das ist so nicht. Alle Gefühle haben ihre Berechtigung -  sie sind ja da. Wut und Trauer sind also nicht per se Ausdruck des Nichtgelassenseins, genauso wenig wie die Angst.
Der Dalai Lama wurde einmal gefragt, ob er Angst kennt. Er antwortete, dass er gerade eben auf dem Flug Angst hatte, als das Flugzeug in starke Turbulenzen geriet.
Es macht uns Angst in die Wut einzutauchen, weil wir spüren, wenn wir sie in aller Wucht zulassen führt sie uns in die Abgründe unseres Innersten. So ist es auch, aber wir sollten wissen, dass an deren Ende die Freiheit liegt, und zwar emotionale Freiheit.

Unsere Wut ausdrücken bedeutet nicht, dass wir mit unserer Wut andere attackieren, sondern dass wir fähig werden, sie in uns selbst wüten zu lassen. Denn lassen wir sie nicht wüten, sind wir wütend auf uns selbst und die Gefahr, dass die anderen diese Wut abbekommen steigt enorm. Lassen wir die Wut in uns nicht zu, sucht sie sich ein Außen, an dem sie andocken kann. Wir projizieren unsere Wut auf etwas oder jemanden, der mit ihr nichts zu tun hat, wir leiten sie ab, anstatt sie da sein zu lassen wo sie hingehört – zu uns selbst. Und damit werfen wir destruktives Energiepotential in unsere Umwelt. Beziehen wir die Außenwelt mit ein, zwingen wir sie zu reagieren und das verfälscht die wahre Ursache unserer Wut. 

Wer seine Gefühle unterdrückt neigt zu negativen Projektionen, nicht aus Böswilligkeit, sondern aus der Unfähigkeit mit seinen Gefühlen achtsam umzugehen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir dieses enorme emotionale Energiepotential der Wut nicht im nach außen gerichteten Handeln verschleudern, sondern dass wir es annehmen und in uns selbst reinigend wirken lassen. Das bedeutet, dass wir erwachsen genug sind Eigenverantwortung zu übernehmen, mit dem Ziel, mit uns selbst wahrhaftig zu sein und uns zu entlasten, denn das Unausgedrückte drückt sich ein um irgendwann zu explodieren.
  
Ein kluger Mann sagte einmal zu mir, als er Zeuge meiner unausgedrückten Wut wurde: „Es fühlt sich an wie eine Explosion in Zeitlupe“. Und so ist es. Alles was wir unterdrücken, jedes Gefühl, das wir uns verbieten sucht sich einen Kanal. Findet es keinen, explodieren wir in Zeitlupe. Wir symptomatisieren auf der körperlichen Ebene, wir werden unzufrieden mit uns selbst, wir werden krank und am Ende wird aus der nicht stattgefundenen Explosion eine Implosion – wir zerstören uns mittels einer autoagressiven Handlung und zwar in Zeitlupe.
  
Warum ist es so schwer unsere Wut auszudrücken?

Viele von uns empfinden aufgrund ihrer Wut, die sie immer wieder spüren und deren Ursache sie nicht verstehen, Schuldgefühle. Wir denken Wut ist schlecht, weil man uns das so beigebracht hat.
 Als Kinder durften wir nur begrenzt unsere Trauer oder unsere Wut ausleben. Wir haben gelernt sie zu verdrängen und das bedeutet: wir haben gelernt, sie nicht zuzulassen. Das heißt aber nicht, dass diese Emotionen nicht da waren und nicht (noch oder wieder) da sind. Sie wurden lediglich im Keim erstickt. Aber Keime haben die Angewohnheit zu keimen und das tun sie bis in unser Jetzt.
Vermeintlich ungute Gefühle wie Wut, Angst und Trauer waren im sozialen Umfeld nicht erwünscht und konnten sich daher nicht entfalten. Das hat verheerende Folgen. Die natürlichste Ausdrucksfähigkeit – unsere Gefühle, wurden manipuliert und unterdrückt. Sie durften nicht ausgedrückt werden und genauso machen wir es heute – wir schlucken sie runter, solange bis wir im Zweifel daran ersticken.
Aber unsere Wut ist kein schlechtes Gefühl.
Wut ist ein Signal dafür, dass wir zu lange, zu viel geschluckt haben.
Wut ist blockierte Energie.
Sie ist der Aufruf zu handeln.
Wut ist eine Kraftquelle die nach Form strebt.
Wenn wir die Wut bewusst wahrnehmen, sie zulassen und nutzen, ist sie der Treibstoff, den wir brauchen für längst überfällige Veränderungen im Leben und sie ist ein Kanal, den wir endlich freimachen für die Trauer, die wir mit unserer Wut unterdrücken.
Wut ist der immer auch der Antrieb das zu verändern, was uns nicht (mehr) gut tut.
Wut ist heilsam. Durch die Wut kommen wir in Kontakt mit unserer Trauer: Wut ist eine Emotion, mit der uns unsere Seele zeigen will:
 Was geschehen ist schmerzt, was mich verletzt hat,  was ich verloren habe, was ich vermisse, was ich nicht erreiche, obwohl ich so sehr dafür kämpfe, hat eine große Bedeutung für mich.
Wut und Trauer sind zwei Seiten der gleichen Münze. Wut ist eine Form von Trauer, die unterdrückt wird und – Wut ist die Brücke zur Trauer.

Es ist notwendig diese Wut auszudrücken, um an die wahren Gefühle der Trauer heranzukommen und den Schmerz zuzulassen. Erst dann kann die Seele wieder frei atmen. Erst wenn die Wut gefühlt wurde, können wir uns die Zeit zum Trauern nehmen.

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