Immer
wenn wir uns angegriffen fühlen, wenn wir uns verletzt fühlen, wenn wir etwas Wertvolles
verlieren oder wenn wir verlassen werden, entsteht eine Situation, in der wir reagieren
müssen. Das bedeutet, da sind Gefühle, die ausgedrückt werden wollen. Da sind
Wut und Angst und da ist Trauer.
Gefühle
sind Signale und sie auszudrücken ist heilsam und gesunderhaltend.
Nun entsteht
aber eine Konfliktspannung zwischen dem Impuls des sich ausdrücken wollenden
Gefühls mit den Werten und Normen, die man uns beigebracht hat, vor allem was
die Wut angeht. Es
kommen Gedanken auf wie: Wut ist ein Zeichen von Nichtgelassensein. Aber
das ist so nicht. Alle Gefühle haben ihre Berechtigung - sie sind ja da. Wut und Trauer sind also nicht
per se Ausdruck des Nichtgelassenseins, genauso wenig wie die Angst.
Der
Dalai Lama wurde einmal gefragt, ob er Angst kennt. Er antwortete, dass er
gerade eben auf dem Flug Angst hatte, als das Flugzeug in starke Turbulenzen
geriet.
Es macht uns
Angst in die Wut einzutauchen, weil wir spüren, wenn wir sie in aller Wucht
zulassen führt sie uns in die Abgründe unseres Innersten. So ist es auch,
aber wir sollten wissen, dass an deren Ende die Freiheit liegt, und zwar emotionale Freiheit.
Unsere Wut ausdrücken bedeutet
nicht, dass wir mit unserer Wut andere attackieren, sondern dass wir fähig werden, sie in uns
selbst wüten zu lassen. Denn lassen wir sie nicht wüten, sind wir wütend auf
uns selbst und die Gefahr, dass die anderen diese Wut abbekommen steigt enorm. Lassen wir die
Wut in uns nicht zu, sucht sie sich ein Außen, an dem sie andocken kann. Wir
projizieren unsere Wut auf etwas oder jemanden, der mit ihr nichts zu tun hat,
wir leiten sie ab, anstatt sie da sein zu lassen wo sie hingehört – zu uns
selbst. Und damit werfen wir destruktives Energiepotential in unsere Umwelt.
Beziehen wir die Außenwelt mit ein, zwingen wir sie zu reagieren und das verfälscht die wahre Ursache unserer Wut.
Wer seine Gefühle
unterdrückt neigt zu negativen Projektionen, nicht aus Böswilligkeit, sondern aus
der Unfähigkeit mit seinen Gefühlen achtsam umzugehen. Deshalb ist es
so wichtig, dass wir dieses enorme emotionale Energiepotential der Wut nicht im
nach außen gerichteten Handeln verschleudern, sondern dass wir es annehmen und in
uns selbst reinigend wirken lassen. Das bedeutet, dass wir erwachsen genug sind
Eigenverantwortung zu übernehmen, mit dem Ziel, mit uns selbst wahrhaftig zu
sein und uns zu entlasten, denn das Unausgedrückte drückt sich ein um
irgendwann zu explodieren.
Ein kluger Mann
sagte einmal zu mir, als er Zeuge meiner unausgedrückten Wut wurde: „Es fühlt
sich an wie eine Explosion in Zeitlupe“. Und so ist es. Alles was wir
unterdrücken, jedes Gefühl, das wir uns verbieten sucht sich einen Kanal.
Findet es keinen, explodieren wir in Zeitlupe. Wir symptomatisieren auf der
körperlichen Ebene, wir werden unzufrieden mit uns selbst, wir werden krank und
am Ende wird aus der nicht stattgefundenen Explosion eine Implosion – wir
zerstören uns mittels einer autoagressiven Handlung und zwar in Zeitlupe.
Warum ist
es so schwer unsere Wut auszudrücken?
Viele von uns
empfinden aufgrund ihrer Wut, die sie immer wieder spüren und deren Ursache sie
nicht verstehen, Schuldgefühle. Wir denken Wut ist schlecht, weil man uns das
so beigebracht hat.
Als
Kinder durften wir nur begrenzt unsere Trauer oder unsere Wut ausleben. Wir haben
gelernt sie zu verdrängen und das bedeutet: wir haben gelernt, sie nicht
zuzulassen. Das heißt aber nicht, dass diese Emotionen nicht da waren und nicht
(noch oder wieder) da sind. Sie wurden lediglich im Keim erstickt. Aber Keime haben die Angewohnheit zu keimen und das tun sie bis in unser Jetzt.
Vermeintlich ungute Gefühle wie Wut, Angst und Trauer waren im sozialen Umfeld nicht erwünscht und konnten sich daher nicht entfalten. Das
hat verheerende Folgen. Die natürlichste Ausdrucksfähigkeit – unsere Gefühle, wurden manipuliert und unterdrückt.
Sie durften nicht ausgedrückt werden und genauso machen wir es heute – wir
schlucken sie runter, solange bis wir im Zweifel daran ersticken.
Aber
unsere Wut ist kein schlechtes Gefühl.
Wut
ist ein Signal dafür, dass wir zu lange, zu viel geschluckt haben.
Wut
ist blockierte Energie.
Sie
ist der Aufruf zu handeln.
Wut
ist eine Kraftquelle die nach Form strebt.
Wenn
wir die Wut bewusst wahrnehmen, sie zulassen und nutzen, ist sie der
Treibstoff, den wir brauchen für längst überfällige Veränderungen im Leben und sie ist ein Kanal, den wir endlich freimachen für die Trauer, die wir
mit unserer Wut unterdrücken.
Wut
ist der immer auch der Antrieb das zu verändern, was uns nicht (mehr) gut tut.
Wut ist
heilsam. Durch die Wut kommen wir in Kontakt mit unserer Trauer: Wut ist eine
Emotion, mit der uns unsere Seele zeigen will:
Was geschehen ist schmerzt, was mich verletzt hat, was ich verloren habe, was ich vermisse, was
ich nicht erreiche, obwohl ich so sehr dafür kämpfe, hat eine große Bedeutung für
mich.
Wut
und Trauer sind zwei Seiten der gleichen Münze. Wut ist eine Form von Trauer, die
unterdrückt wird und – Wut ist die Brücke zur Trauer.
Es ist notwendig
diese Wut auszudrücken, um an die wahren Gefühle der Trauer heranzukommen und
den Schmerz zuzulassen. Erst dann kann die Seele wieder frei atmen. Erst
wenn die Wut gefühlt wurde, können wir uns die Zeit zum Trauern nehmen.
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