Mittwoch, 15. Februar 2012

LEBE LIEBE LACHE





Lebe, Liebe, Lache ! 

Ist das unsere Wirklichkeit?

Ist sie nicht, bei den meisten Menschen, die ich kenne, einschließlich meiner selbst, ist sie das nicht. Aber wir lesen solche Worte überall und ständig. Und nicken, leise oder laut, wenn wir solche Worte lesen. Ja, es gefällt uns, was wir lesen. Wirklich?

Seltsamerweise sehen die Gesichter der Menschen in den Straßen, den Geschäften, in Kneipen, Bussen, Zügen, U- und S- Bahnen ganz und gar nicht so aus als ob sie leben, lieben, lachen. Nicht mal die Kinder, die morgens in die Schule gehen, sehen so aus und das ist bitter, finde ich. Die sehen ganz anders aus, die Gesichter der Menschen da draußen – sie sehen grau aus. So grau wie die Farbe, die ich nicht sonderlich mag.

Es sieht so aus, als sei das Grau die Wirklichkeit in der wir leben. Diese Mischung aus Schwarz und Weiß, mit ein paar bunten Tupfern, sicherlich, ab und an. Ich will ja nicht schwarzweiß malen.

Aber diese eine graue Wirklichkeit gibt es wirklich. Das ist die Metaebene Wirklichkeit und die spüren wir, auch wenn wir an eine verbindliche Wirklichkeit, seit Watzlawicks Konstruktivismustheorie, nicht mehr glauben wollen. Am Morgen zum Beispiel, wenn wir aufstehen, mehr oder weniger ausgeruht, frühstücken, die Hiobsbotschaften des Tages online lesenden, den Kindern die Schulbrote schmieren, die dann im Müll landen, weil sie sich lieber etwas in der Pause kaufen, wenn wir zur Arbeit fahren oder nicht, weil wir keine mehr haben, da ist sie voll da die Wirklichkeit und da ist es ziemlich egal, ob wir die selbst konstruiert haben oder nicht.

An all diesen Morgen, an denen wir lieber liegen bleiben würden oder lieber etwas anderes tun würden, etwas was uns gut tut, was uns Freude macht, an diesen Morgen, an denen wir lieber entspannt in den Tag leben möchten und schauen, was geschieht und uns dem Fließen der eigenen Sehnsucht überlassen würden, an denen wir leben, lieben, lachen möchten, frei sein möchten und ohne Druck, da verfluchen wir sie die Wirklichkeit, die uns im Griff hat wie das Geld, ohne das nichts geht.

Das jeder seine eigene Wirklichkeit wahrnimmt und konstruiert hat mit dieser Wirklichkeit erst mal nicht viel zu tun. Davon abgesehen - jede Konstruktion von Wirklichkeit landet auch wieder in der Wirklichkeit.

Lebe, liebe, lache! Oh diese Worte, die danach schreien mit Inhalt gefüllt zu werden. Inflationär werden sie benutzt, nutzen sich ab, erstarren unbelebt in schwarzen Lettern auf weißem Grund und die grauen Gesichter der Menschen da draußen, passen eben nicht dazu. Das kann einen schon ziemlich nachdenklich stimmen. Wirklich.

Lebe, liebe, lache!
Was nützt uns das, außer dass es ein sehnsuchtsvolles Ja! oder ein Genau! auslöst, so einen Miniblitz im grauen Wirklichkeitsraum.
Lebe, liebe, lache!
Ach, wie diese Worte an das Glück erinnern, das war oder sein soll und wooooooooooooosch - Sekunden später ist der Miniblitz schon wieder weg.

Was soll das? Erinnern sollen uns solche Aufforderungen an das, was sein könnte und nicht ist.

Lebe, liebe, lache!
Schön wärs, denken wir also und - das mit dem Leben ist ja eh klar, muss uns keiner dazu auffordern, wir atmen doch. Der Rest - na ja, wird schon oder war auch schon und ist ja immer wieder mal und weiter geht’s, nach diesem kurzen Serotoninschüsschen, in und mit der grauen Wirklichkeit, die wir so gern mit dem wahren Leben, dem Lieben und dem Lachen füllen würden, oder noch besser tauschen. Die Erkenntnis: wir müssen was verändern!

Ab und an gelingt das auch mal, das mit dem Leben - beim Shoppen, nach einem Erfolgserlebnis im Job, nach Feierabend beim Bierchen oder dem guten Rotwein, oder wenn Fastnacht ist und die Lebenssau ungeniert rausgelassen werden darf, oder wenn der Sex ausnahmsweise richtig gut war und wir das dann für Liebe halten und wenn wir mal so ganz ausgelassen lachen können, am besten über die Dummheit und das Pech unserer Mitmenschen in Fernsehkanälen, die verboten gehörten, was nie sein wird, denn die Dummheit in dieser Wirklichkeit hat eine verdammt fette Lobby. Ab in den Kanal und wegspülen! Da hätte ich was zu lachen.

Ein glückliches Lachen so von ganz tief innen heraus, ohne über Jemanden zu lachen kommt eher selten vor in der Wirklichkeit, oder hab ich da was nicht mitbekommen von meinem kleinen Leuchttürmchen aus, das ich zugegebenermaßen nicht allzu oft verlasse, unter anderem wegen der Wirklichkeit und den grauen Gesichtern.

Und genau das ist der Punkt, um endlich auf den Punkt zu kommen.
Lebe, Liebe, Lache! Das ist nicht die Wirklichkeit, sondern eine Aufforderung hin zu einer Wirklichkeit, die nicht ist. Denn wäre sie wirklich, müsste uns ja keiner sagen, dass wir leben, lieben, lachen sollen. Logisch oder?

In Wirklichkeit ist dieses Lebe, Liebe, Lache nicht mehr und nicht weniger als ein Teil vom Mahl des Lebens, der süße Teil, der runter fließt wie Honig. Und nicht die Wirklichkeit. Wird uns aber als solche verkauft. Damit wir wissen worum es geht hier unten - ums Süße gefälligst mit Ausrufezeichen!

Mir fehlt das was. Das Bittere, das Scharfe, das Saure. Das gehört nämlich dazu zu einem ausgewogenen Mahl. Mal ehrlich, wer will schon immer süß essen? Da wird einem ja schlecht von und fett macht es auch. Die Wirklichkeit hat alles in sich. Aber wir halten das Lebe, Liebe, Lache! so hoch, weil wir da nicht mehr dran kommen vor lauter grauer Wirklichkeit, weil wir an diesen drei Dingen einen so großen Mangel haben, das wir sie uns immer wieder schriftlich geben müssen.

Und, ändert sich was? Nein!

Es ist einfach nur ungesund was uns da serviert wird. Das hochgeprießene süße Mahl füttert das Mangelgefühl und was wir füttern wird fett. Überfettung ist übrigens die Volkskrankheit Nummer eins in deutschen Landen. Zufall? Das Lebe, Liebe, Lache ist einseitiges und naives Zukunftsforderungsdenken, dass dem Jetzt nicht entspricht, das fühlt sich nicht stimmig an, für mich jedenfalls nicht. Stimmig, auch so ein Modewort der Lebe, Liebe, Lache Erinnerergurus, Supercoaches und Wunschdenkenvermarkter.

By the way, wenn ich mir diese Weltverbesserer anhöre stelle ich fest: bei den Meisten von ihnen ist nichts wirklich stimmig, nicht mal die Stimme ist da stimmig, die kommt nämlich selten warm aus dem Bauch, sondern um Oktaven zu hoch und im Duktus zu schnell (damit sie keiner unterbrechen kann) aus dem Hals, der Nase oder der Stirn gedrückt. Und genau so sieht die Mimik aus. Die Stimme ist das zweite Gesicht eines Menschen.

Lebe, Liebe, Lache mit Ausrufezeichen, heißt – da soll sich was verändern, nämlich das was jetzt ist, also was wirklich ist. Nur, was verändert sich durch Aufforderungen, denen dann wieder Aufforderungen folgen wie: liebe dich selbst, mach dich frei, lass los und verzeih dir selbst und so weiter ... aber wie genau das geht, das weiß keiner wirklich.

Und da liegt des Pudels Kern: Wenn wir all das wollen, wenn wir uns eine Veränderung wünschen, können wir nur dort beginnen wo wir stehen. Beim Saueren im Zweifel. Nur da wo wir stehen können wir anfangen zu versuchen zu leben, zu lachen und zu lieben mit n hinten dran – ohne Ausrufezeichen. Genau da wo wir stehen beginnt die Veränderung und zwar im ersten Schritt indem wir das Jetzt, die Wirklichkeit erst mal akzeptieren und nicht krampfhaft wegdenken. Das kostet nämlich Energie ohne Ende, das Wegdenken. Es ist wie es ist und so ist es und aus dieser Akzeptanz heraus wird man schon etwas gelassener und mit Gelassenheit wird Energie frei für Neues, für Veränderung.

Genau im Hier und Jetzt beginnt die Veränderung und nicht dort wo wir gerne schon wären. Wir sind nämlich in der Wirklichkeit und nicht in der Zukunft!

Oder kennen Sie jemand der uns eine Zeitmaschine ausleiht?

1 Kommentar:

  1. Dein Text ist super,ein Spiegel unserer Gesellschaft...
    " Der Mensch kann zwar tun, was er will;
    aber er kann nicht wollen, was er will.
    ( A. Schopenhauer )

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