er war schauspieler. er war immer schauspieler gewesen. das war seine profession, das beherrschte er, es war das, was sein leben ausmachte. er war keiner von den großen, sein name erschien höchstens ab und an im feuilleton einer unbedeutenden lokalzeitung. aber immerhin, das war schon etwas, das bedeutete etwas, schwarz auf weiß.
die bretter, die die welt bedeuteten, hatte er nie betreten, sein theater hatte er sozusagen immer bei sich. vorn der wagen und hinten im anhänger die bühne. er war der chef der comedia dell´arte. "das ist italienisches straßentheater für arme", sagte er oft im scherz, wenn man ihn fragte, was der name bedeute. richtig übersetzt hieß es kunstkomödie. aber, die, die fragten, was sowieso selten vorkam, hätten es doch nicht verstanden, hätten kein wirkliches interesse für seine erklärungen gehabt. was zählte war, das man sie kannte, sie freudig erwartete, gleich in welcher stadt sie auftraten. sie hatten ihr publikum, ihre zuschauer, die sich auf straßen und plätzen sammelten, einen ameisenhaufen aus menschenköpfen bildeten und ihr stück sehen wollten.
die vorstellung, die begann, wenn die lichter der nacht sparsam die gesichter der schaulustigen in eine anonyme masse von augen und mündern verwandelte, war etwas besonderes, war etwas, das laut und leise zugleich war, etwas, das die banale alltäglichkeit ihres meist grau getönten daseins für einen moment in der zeit unterbrach.
darum kamen sie und deshalb waren sie bereit zu zahlen, ja sogar etwas zu verschenken, den applaus ihrer gegeneinanderklatschenden hände, die endlich etwas anderes zu tun bekamen als das, was sie zu tun gewohnt waren. sie jubelten ihnen manchmal sogar zu, das fühlte er, wenn er in kostüm und maske den harlekino gab.
er, theodore coppolecchia, war zuständig für das lachen in der vorstellung, er war es, der auf irrwitzige weise die kolumbine anschmachtete, ohne jemals erfolg zu haben, sich wie ein kretin um sie schlang um nichts anderes als mitleid und gelächter zu ernten. bisweilen konnte er das gefühl von schwäche, das in diesen momenten in ihm aufstieg, nicht mehr zuordnen. wer fühlte es so und nicht anders? war es harlekino oder theodore, der es fühlte? dann waren sie eins, eine bedauernswerte kreatur, weiter nichts.
einer, dem nichts gelang, obwohl er schlau war, obwohl es seine figur war, die den dreh-und angelpunkt der stücke ausmachte. für sie aber war er nur der harlekin, der clown, der hofnarr im cyanfarbenen kostüm, das gesicht verborgen hinter der verzerrten schwarz-weißen maske ewigen lachens. sie stand ihm gut. sie glauben, du bist das, was sie sehen. sie wissen nicht, dass du es bist, der die stücke schreibt, die leute instruiert, die regie führt, sich um alles und jeden kümmert. tag für tag, abend für abend. sie wollen es nicht wissen, warum auch?
das, was sie wollen ist das, was sich auf der bühne abspielt, die illusion genießen, die sie mitnimmt in eine andere welt. sie wollen nichts denken, nichts hinterfragen. was würde das auch ändern? würde er sich besser fühlen, wenn sie wüssten? er hatte sich diese frage oft gestellt, er hatte in sich hineingeschaut und keine antwort gefunden. nur diesen zweifel hatte er gefunden, der immer lauter wurde, so laut, dass er das gefühl hatte, er würde ihn taub machen. er zweifelte an theodore und musste an harlekino glauben, denn der brachte volle kassen.
einmal hatte er einen jungen schauspieler aus dem kleinen ensemble genommen, mit ihm die rolle geprobt, wochenlang, geste für geste, pointe für pointe. dann hatte er ihn spielen lassen. ein sinnloses unterfangen. der klägliche applaus bestätigte ihm, was er bereist gewusst hatte. er war harlekino, es gab keine kopie. nur ihm kauften sie ihn ab.
er hatte also weiter gespielt und nicht mehr versucht einen nachfolger zu finden. es sollte so sein. es war schwer immer heiterkeit zu proklamieren, wenn das herz schrie. zwanzig jahre lang ging das schon so, eine lange zeit, in der nichts anders wurde, wo das immer gleiche das immer gleiche nach sich zog, die monotonie an ihm klebte wie eine zweite haut. dieses cyanfarbene kostüm, er hasste es. er lebte schon längst nicht mehr in kostüm und maske, er krepierte langsam darin.
der mensch ist ein gewohnheitstier, besänftigt sich durch immer gleiche rituale, das gibt ihm sicherheit, er fühlt sich aufgehoben in der stupiden begrenztheit des nichtveränderbaren. da sind alle gleich.
auch anita bemerkte nicht, wie es ihn quälte, sich abend für abend, kleidungsstück für kleidungsstück, von den spitzen schuhen bis zu dem abgetragenen kostüm, in harlekino zu verwandeln. immer öfter musste er sich beherrschen um nicht " ich bekomme keine luft mehr", zu schreien, wenn sein gesicht unter der maske fast erstickte.
diese maske raubte ihm alles, nahm ihm das elementarste, nahm ihm den sauerstoff, der seine lungen füllen sollte, den er brauchte um zu sprechen, um seine rolle zu spielen. das atmen wurde zur willentlichen anstrengung. es atmete nicht ihn, er musste es atmen. das kostete kraft, zusätzlich.
anita fragte ihn bisweilen, wenn die vorstellung zu ende war, ob er in ordnung sei. aber sie hatte zu viel mit sich selbst zu tun. die frage beschäftigte sie nicht lange. er funktionierte, so kannte sie ihn. er liebte anita, sie war seine kolumbine, seine frau. als theodore brauchte er nicht um sie zu kämpfen, er wusste, dass sie ihn brauchte, weil sie ohne ihn nichts war oder zuviel, um es allein zu sein. ihr talent war mäßig, aber sie war schön. schönheit reguliert vieles im leben.
früher, wenn er, spät in der nacht, nachdem die vorstellung vorbei war, die dunkelheit sich schwarz ausbreitete und der stille einen namen gab, seine arme um sie legte, fand er so etwas wie frieden. das war die zeit gewesen, in der er sie "mia piccola columbina" genannt hatte, wenn er sie zwischen seine beine nahm um ihr zu geben, wonach ihr körper sich sehnte und seiner. bei jedem stoß schrie sie "mio harlekino". sie nannte ihn noch immer bei diesem namen. das mit den namen war ihr spiel gewesen, das sie nach der vorstellung inszenierten, um die leidenschaft nicht zu verlieren, die sie zueinander geführt hatte. am ende war aus ihr eine stumme nähe geworden. das spiel war abgenutzt, weil am schluss immer die langeweile siegt.
konservierte leidenschaft mit haltbarkeitsdatum. absurd. alles verfällt dem prozess des verderbens. nichts war es gewesen, nichts weiter als eine möglichkeit, dem stück, das man leben nennt, einen dramaturgischen höhepunkt zu geben. der gedanke an ihre geöffneten schenkel machte ihn nur noch traurig und schürte den zweifel, der aufloderte, wie ein trockener holzscheit, den man in ein brennendes feuer legt.
der vergänglichkeit des gefühlten entkommt keine liebe.
im besten fall bleiben am ende achtung und zuneigung, und das ist nicht dasselbe. man macht sich etwas vor, das dem theaterspiel gleicht, man schlüpt in die rolle und irgendwann kann man realität und spiel nicht mehr unterscheiden. er kannte sich aus, er wusste, war sich sicher. das war das schlimmste. jetzt hatte er ausgespielt, hatte genug von harlekino, wollte theodore sein, endlich, wenn da nicht dieser zweifel dazwischen stünde, denn seine entscheidung entschied für alle.
in seinem büro zuhause in padua hing diese zeichnung von einem huhn, das verzweifelt flattert, weil jedes ei, das es legt, zerbricht. aber das huhn hört nicht auf eier zu legen, weil es das einzige ist, was es kann. er hatte die zeichnung einmal auf dem flohmarkt gekauft, irgendwo, in irgendeiner stadt. damals hatte sie ihm einfach gefallen, heute wusste er den grund dafür.
erkennen ist grausamer als das spontane begreifen, weil es dann keinen zweifel mehr gibt.
man hat den point of no return sozusagen überschritten. fatal. damals, als er jung und motiviert war, als alles gut lief und die zukunft eine herausforderung war, damals hätte er alles ändern können. er hätte gehen können. sie hätte einen anderen gefunden. und er hätte frei sein können, das zu sein, was er war, theodore, nichts weiter und doch so viel. jetzt war er alt und die zukunft die summe der lebensversicherung, die man anita auszahlen würde. gut, dass er vorgesorgt hatte. er hatte immer verantwortung getragen für andere.
es lag an der schwarzen maske, sie er so lange vor sein gesicht gelegt hatte, dass er sich selbst nicht angeschaut hatte. sie hatte ihm den blick versperrt. ihm schien als sei er steckengeblieben in ihr, in diesem kostüm, eingewachsen in seinem alter ego. die fähigkeit theodore zu denken, zu fühlen, hatte er auf diese weise verloren. da es schleichend ging hatte er es nicht bemerkt.
sicher hatten sie träume gehabt, wie alle anderen. ein kind, ein kleines haus am meer. mit der zeit hatten sie gesagt, als sie die zeit noch auf ihrer seite hatten und weiter geträumt. aber irgendwann wacht man auf und sucht nach den träumen und weiß, dass man sie schon verloren hatte, als man sie träumte.
die zeit ist ein traumräuber, erbarmungslos und egozentrisch.
gut, auch damit hatte er sich abgefunden. wenn er ein richtiger schauspieler gewesen wäre, hätte ihm die vielfalt der verwandlungsmöglichkeiten spielraum gelassen. er hätte in jedes beliebige leben gleiten können, darin platz genommen um dann wieder auszusteigen, zu sich selbst zurückzukehren, um den kopf frei zu machen für die nächste figur. die schwarzweiße maske hatte ihm nicht einmal das zugestanden.
wie sie ihn angrinste. sie hatte gewonnen, weil er es zugelassen hatte. jetzt würde er sie abnehmen wie jeden abend, würde den harlekino in die holztruhe legen, oben drauf das cyanfarbene kostüm und sich nicht mehr von dem entsetzen überwältigen lassen, das ihn beim ersten mal angefallen hatte, als er sein gesicht gesehen hatte, hinter der maske. enstellt, einen mundwinkel nach unten gezogen, das auge herunterhängend, wie die aufgemalte träne eines pierrot. sein gesicht, zur fratze verkommen, weil der fazialisnerv sich entschieden hatte gelähmt zu sein. theodore brauchte die maske nicht mehr, er war harlekino und so würden sie ihn zu seiner letzen vorstellung tragen.
er nahm das röhrchen mit den türkisblauen tabletten, gab sie in ein glas, vermischte den inhalt mit rotwein und trank es in kleinen schlucken aus. mit jedem tropfen, der durch seine kehle rann, verschwan der letze rest des zweifels. während sich der vorhang der bewusstlosigkeit vor seinen augen zu schließen begann wusste er sicher: diese eine mal traf er die entscheidung, auschließlich er, nur für sich und seine lippen formten seinen namen - theodore.